Neunter Auftritt


[719] Erzbischof von Reims. Dunois. Du Chatel mit Raoul, einem geharnischten Ritter, zu den Vorigen.


ERZBISCHOF führt den Bastard zu dem König und legt ihre Hände ineinander.

Umarmt euch, Prinzen!

Laßt allen Groll und Hader jetzo schwinden,

Da sich der Himmel selbst für uns erklärt.


Dunois umarmt den König.


KARL.

Reißt mich aus meinem Zweifel und Erstaunen.

Was kündigt dieser feierliche Ernst mir an?

Was wirkte diesen schnellen Wechsel?

ERZBISCHOF führt den Ritter hervor und stellt ihn vor den König.

Redet!

RAOUL.

Wir hatten sechzehn Fähnlein aufgebracht

Lothringisch Volk, zu deinem Heer zu stoßen,

Und Ritter Baudricour aus Vaucouleurs

War unser Führer. Als wir nun die Höhen

Bei Vermanton erreicht und in das Tal,

Das die Yonne durchströmt, herunterstiegen,

Da stand in weiter Ebene vor uns der Feind,

Und Waffen blitzten, da wir rückwärts sahn.

Umrungen sahn wir uns von beiden Heeren.

Nicht Hoffnung war zu siegen noch zu fliehn,

Da sank dem Tapfersten das Herz und alles,

Verzweiflungsvoll, will schon die Waffen strecken.

Als nun die Führer miteinander noch[719]

Rat suchten und nicht fanden – sieh da stellte sich

Ein seltsam Wunder unsern Augen dar!

Denn aus der Tiefe des Gehölzes plötzlich

Trat eine Jungfrau, mit behelmtem Haupt

Wie eine Kriegesgöttin, schön zugleich

Und schrecklich anzusehn, um ihren Nacken

In dunkeln Ringen fiel das Haar, ein Glanz

Vom Himmel schien die Hohe zu umleuchten,

Als sie die Stimm erhub und also sprach:

»Was zagt ihr, tapfre Franken! Auf den Feind!

Und wären sein mehr denn des Sands im Meere,

Gott und die heilge Jungfrau führt euch an!«

Und schnell dem Fahnenträger aus der Hand

Riß sie die Fahn und vor dem Zuge her

Mit kühnem Anstand schritt die Mächtige.

Wir, stumm vor Staunen, selbst nicht wollend, folgen

Der hohen Fahn und ihrer Trägerin,

Und auf den Feind gerad an stürmen wir.

Der, hochbetroffen, steht bewegungslos

Mit weitgeöffnet starrem Blick das Wunder

Anstaunend, das sich seinen Augen zeigt –

Doch schnell, als hätten Gottes Schrecken ihn

Ergriffen, wendet er sich um

Zur Flucht, und Wehr und Waffen von sich werfend

Entschart das ganze Heer sich im Gefilde,

Da hilft kein Machtwort, keines Führers Ruf,

Vor Schrecken sinnlos, ohne rückzuschaun,

Stürzt Mann und Roß sich in des Flusses Bette,

Und läßt sich würgen ohne Widerstand,

Ein Schlachten wars, nicht eine Schlacht zu nennen!

Zweitausend Feinde deckten das Gefild,

Die nicht gerechnet, die der Fluß verschlang,

Und von den Unsern ward kein Mann vermißt.

KARL.

Seltsam bei Gott! höchst wunderbar und seltsam!

SOREL.

Und eine Jungfrau wirkte dieses Wunder?

Wo kam sie her? Wer ist sie?[720]

RAOUL.

Wer sie sei,

Will sie allein dem König offenbaren.

Sie nennt sich eine Seherin und Gott-

Gesendete Prophetin, und verspricht

Orleans zu retten, eh der Mond noch wechselt.

Ihr glaubt das Volk und dürstet nach Gefechten.

Sie folgt dem Heer, gleich wird sie selbst hiersein.


Man hört Glocken und Geklirr von Waffen, die aneinandergeschlagen werden.


Hört ihr den Auflauf? Das Geläut der Glocken?

Sie ists, das Volk begrüßt die Gottgesandte.

KARL zu Du Chatel.

Führt sie herein –


Zum Erzbischof.


Was soll ich davon denken!

Ein Mädchen bringt mir Sieg und eben jetzt,

Da nur ein Götterarm mich retten kann!

Das ist nicht in dem Laufe der Natur,

Und darf ich – Bischof, darf ich Wunder glauben?

VIELE STIMMEN hinter der Szene.

Heil, Heil der Jungfrau, der Erretterin!

KARL.

Sie kommt!


Zu Dunois.


Nehmt meinen Platz ein, Dunois!

Wir wollen dieses Wundermädchen prüfen,

Ist sie begeistert und von Gott gesandt,

Wird sie den König zu entdecken wissen.


Dunois setzt sich, der König steht zu seiner Rechten, neben ihm Agnes Sorel, der Erzbischof mit den

übrigen gegenüber, daß der mittlere Raum leer bleibt.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 719-721.
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