Erster Auftritt


[729] Talbot und Lionel, englische Heerführer. Philipp Herzog von Burgund.

Ritter Fastolf und Chatillon mit Soldaten und Fahnen.


TALBOT.

Hier unter diesen Felsen lasset uns

Haltmachen und ein festes Lager schlagen,

Ob wir vielleicht die flüchtgen Völker wieder sammeln,

Die in dem ersten Schrecken sich zerstreut.

Stellt gute Wachen aus, besetzt die Höhn!

Zwar sichert uns die Nacht vor der Verfolgung,

Und wenn der Gegner nicht auch Flügel hat,

So fürcht ich keinen Überfall. – Dennoch

Bedarfs der Vorsicht, denn wir haben es

Mit einem kecken Feind und sind geschlagen.


Ritter Fastolf geht ab mit den Soldaten.


LIONEL.

Geschlagen! Feldherr, nennt das Wort nicht mehr.

Ich darf es mir nicht denken, daß der Franke

Des Engelländers Rücken heut gesehn.

– O Orleans! Orleans! Grab unsers Ruhms!

Auf deinen Feldern liegt die Ehre Englands.

Beschimpfend lächerliche Niederlage!

Wer wird es glauben in der künftgen Zeit!

Die Sieger bei Poitiers, Crequi

Und Azincourt gejagt von einem Weibe!

BURGUND.

Das muß uns trösten. Wir sind nicht von Menschen

Besiegt, wir sind vom Teufel überwunden.

TALBOT.

Vom Teufel unsrer Narrheit – Wie, Burgund?

Schreckt dies Gespenst des Pöbels auch die Fürsten?

Der Aberglaube ist ein schlechter Mantel

Für Eure Feigheit – Eure Völker flohn zuerst.

BURGUND.

Niemand hielt stand. Das Fliehn war allgemein.

TALBOT.

Nein, Herr! Auf Eurem Flügel fing es an.[729]

Ihr stürztet Euch in unser Lager, schreiend:

»Die Höll ist los, der Satan kämpft für Frankreich!«

Und brachtet so die Unsern in Verwirrung.

LIONEL.

Ihr könnts nicht leugnen. Euer Flügel wich

Zuerst.

BURGUND.

Weil dort der erste Angriff war.

TALBOT.

Das Mädchen kannte unsers Lagers Blöße,

Sie wußte, wo die Furcht zu finden war.

BURGUND.

Wie? Soll Burgund die Schuld des Unglücks tragen?

LIONEL.

Wir Engelländer, waren wir allein,

Bei Gott! Wir hätten Orleans nicht verloren!

BURGUND.

Nein – denn ihr hättet Orleans nie gesehn!

Wer bahnte euch den Weg in dieses Reich,

Reicht' euch die treue Freundeshand, als ihr

An diese feindlich fremde Küste stieget?

Wer krönte euren Heinrich zu Paris,

Und unterwarf ihm der Franzosen Herzen?

Bei Gott! Wenn dieser starke Arm euch nicht

Hereingeführt, ihr sahet nie den Rauch

Von einem fränkischen Kamine steigen!

LIONEL.

Wenn es die großen Worte täten, Herzog,

So hättet Ihr allein Frankreich erobert.

BURGUND.

Ihr seid unlustig, weil euch Orleans

Entging, und laßt nun eures Zornes Galle

An mir, dem Bundsfreund, aus. Warum entging

Uns Orelans, als eurer Habsucht wegen?

Es war bereit, sich mir zu übergeben,

Ihr, euer Neid allein hat es verhindert.

TALBOT.

Nicht Eurentwegen haben wirs belagert.

BURGUND.

Wie stünds um euch, zög ich mein Heer zurück?

LIONEL.

Nicht schlimmer, glaubt mir, als bei Azincourt,

Wo wir mit Euch und mit ganz Frankreich fertig wurden.

BURGUND.

Doch tats euch sehr um unsre Freundschaft not,

Und teuer kaufte sie der Reichsverweser.

TALBOT.

Ja teuer, teuer haben wir sie heut

Vor Orleans bezahlt mit unsrer Ehre.[730]

BURGUND.

Treibt es nicht weiter, Lord, es könnt Euch reuen!

Verließ ich meines Herrn gerechte Fahnen,

Lud auf mein Haupt den Namen des Verräters,

Um von dem Fremdling solches zu ertragen?

Was tu ich hier und fechte gegen Frankreich?

Wenn ich dem Undankbaren dienen soll,

So will ichs meinem angebornen König.

TALBOT.

Ihr steht in Unterhandlung mit dem Dauphin,

Wir wissens, doch wir werden Mittel finden,

Uns vor Verrat zu schützen.

BURGUND.

Tod und Hölle!

Begegnet man mir so? – Chatillon!

Laß meine Völker sich zum Aufbruch rüsten,

Wir gehn in unser Land zurück.


Chatillon geht ab.


LIONEL.

Glück auf den Weg!

Nie war der Ruhm des Briten glänzender,

Als da er seinem guten Schwert allein

Vertrauend ohne Helfershelfer focht.

Es kämpfe jeder seine Schlacht allein,

Denn ewig bleibt es wahr! Französisch Blut

Und englisch kann sich redlich nie vermischen.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 729-731.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Jungfrau von Orleans
Die Jungfrau von Orleans
Die Jungfrau von Orleans: Reclam XL - Text und Kontext
Die Jungfrau von Orleans: Eine romantische Tragödie (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart / Die Jungfrau von Orleans (Fischer Klassik)
Klassische Dramen: Maria Stuart / Jungfrau von Orleans / Wilhelm Tell (Deutscher Klassiker Verlag im Taschenbuch)

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Nachtstücke

Nachtstücke

E.T.A. Hoffmanns zweiter Erzählzyklus versucht 1817 durch den Hinweis auf den »Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier« an den großen Erfolg des ersten anzuknüpfen. Die Nachtstücke thematisieren vor allem die dunkle Seite der Seele, das Unheimliche und das Grauenvolle. Diese acht Erzählungen sind enthalten: Der Sandmann, Ignaz Denner, Die Jesuiterkirche in G., Das Sanctus, Das öde Haus, Das Majorat, Das Gelübde, Das steinerne Herz

244 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon