Siebenter Auftritt


[783] Louison. Margot. Claude Marie. Etienne. Bertrand.


MARGOT.

Sahst du die Schwester?

CLAUDE MARIE.

Die im goldnen Harnisch,

Die vor dem König herging mit der Fahne!

MARGOT.

Sie wars. Es war Johanna, unsre Schwester!

LOUISON.

Und sie erkannt uns nicht! Sie ahndete

Die Nähe nicht der schwesterlichen Brust.

Sie sah zur Erde und erschien so blaß,

Und unter ihrer Fahne ging sie zitternd –

Ich konnte mich nicht freun, da ich sie sah.

MARGOT.

So hab ich unsre Schwester nun im Glanz

Und in der Herrlichkeit gesehn. – Wer hätte

Auch nur im Traum geahndet und gedacht,

Da sie die Herde trieb auf unsern Bergen,

Daß wir in solcher Pracht sie würden schauen.

LOUISON.

Der Traum des Vaters ist erfüllt, daß wir

Zu Reims uns vor der Schwester würden neigen.

Das ist die Kirche, die der Vater sah

Im Traum, und alles hat sich nun erfüllt.

Doch der Vater sah auch traurige Gesichte,

Ach, mich bekümmerts, sie so groß zu sehn!

BERTRAND.

Was stehn wir müßig hier? Kommt in die Kirche,

Die heilge Handlung anzusehn!

MARGOT.

Ja kommt!

Vielleicht, daß wir der Schwester dort begegnen.

LOUISON.

Wir haben sie gesehen, kehren wir

In unser Dorf zurück.

MARGOT.

Was? Eh wir sie

Begrüßt und angeredet?

LOUISON.

Sie gehört

Uns nicht mehr an, bei Fürsten ist ihr Platz

Und Königen – Wer sind wir, daß wir uns

Zu ihrem Glanze rühmend eitel drängen?

Sie war uns fremd, da sie noch unser war![783]

MARGOT.

Wird sie sich unser schämen, uns verachten?

BERTRAND.

Der König selber schämt sich unser nicht,

Er grüßte freundlich auch den Niedrigsten.

Sei sie so hoch gestiegen als sie will,

Der König ist doch größer!


Trompeten und Pauken erschallen aus der Kirche.


CLAUDE MARIE.

Kommt zur Kirche!


Sie eilen nach dem Hintergrund, wo sie sich unter dem Volke verlieren.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 783-784.
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