[810] Soldaten mit fliegenden Fahnen erfüllen den Hintergrund. Vor ihnen der König und der Herzog von Burgund, in den Armen beider Fürsten liegt Johanna tödlich verwundet, ohne Zeichen des Lebens. Sie treten langsam vorwärts. Agnes Sorel stürzt herein.
SOREL wirft sich an des Königs Brust.
Ihr seid befreit – Ihr lebt – Ich hab Euch wieder!
KÖNIG.
Ich bin befreit – Ich bins um diesen Preis!
Zeigt auf Johanna.
SOREL.
Johanna! Gott! Sie stirbt!
BURGUND.
Sie hat geendet!
Seht einen Engel scheiden! Seht, wie sie daliegt,
Schmerzlos und ruhig wie ein schlafend Kind!
Des Himmels Friede spielt um ihre Züge,
Kein Atem hebt den Busen mehr, doch Leben
Ist noch zu spüren in der warmen Hand.
KÖNIG.
Sie ist dahin – Sie wird nicht mehr erwachen,[810]
Ihr Auge wird das Irdsche nicht mehr schauen.
Schon schwebt sie droben ein verklärter Geist,
Sieht unsern Schmerz nicht mehr und unsre Reue.
SOREL.
Sie schlägt die Augen auf, sie lebt!
BURGUND erstaunt.
Kehrt sie
Uns aus dem Grab zurück? Zwingt sie den Tod?
Sie richtet sich empor! Sie steht!
JOHANNA steht ganz aufgerichtet und schaut umher.
Wo bin ich?
BURGUND.
Bei deinem Volk, Johanna! Bei den Deinen!
KÖNIG.
In deiner Freunde, deines Königs Armen!
JOHANNA nachdem sie ihn lange starr angesehen.
Nein, ich bin keine Zauberin! Gewiß
Ich bins nicht.
KÖNIG.
Du bist heilig wie die Engel,
Doch unser Auge war mit Nacht bedeckt.
JOHANNA sieht heiter lächelnd umher.
Und ich bin wirklich unter meinem Volk,
Und bin nicht mehr verachtet und verstoßen?
Man flucht mir nicht, man sieht mich gütig an?
– Ja, jetzt erkenn ich deutlich alles wieder!
Das ist mein König! Das sind Frankreichs Fahnen!
Doch meine Fahne seh ich nicht – Wo ist sie?
Nicht ohne meine Fahne darf ich kommen,
Von meinem Meister ward sie mir vertraut,
Vor seinem Thron muß ich sie niederlegen,
Ich darf sie zeigen, denn ich trug sie treu.
KÖNIG mit abgewandtem Gesicht.
Gebt ihr die Fahne!
Man reicht sie ihr. Sie steht ganz frei aufgerichtet, die Fahne in der Hand – Der Himmel ist von einem rosigten Schein beleuchtet.
JOHANNA.
Seht ihr den Regenbogen in der Luft?
Der Himmel öffnet seine goldnen Tore,
Im Chor der Engel steht sie glänzend da,
Sie hält den ewgen Sohn an ihrer Brust,
Die Arme streckt sie lächelnd mir entgegen.
Wie wird mir – Leichte Wolken heben mich –[811]
Der schwere Panzer wird zum Flügelkleide.
Hinauf – hinauf – Die Erde flieht zurück –
Kurz ist der Schmerz und ewig ist die Freude!
Die Fahne entfällt ihr, sie sinkt tot darauf nieder – Alle stehen lange in sprachloser Rührung- Auf einen leisen Wink des Königs werden alle Fahnen sanft auf sie niedergelassen, daß sie ganz davon bedeckt wird.
Ausgewählte Ausgaben von
Die Jungfrau von Orleans
|
Buchempfehlung
Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.
246 Seiten, 9.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.
434 Seiten, 19.80 Euro