Zweiter Auftritt

[668] Vorige. Julia.


JULIA affektiert hereintretend. Der Graf bot mir sein Palais an, den Zug nach dem Rathaus zu sehen. Die Zeit wird mir lang werden. Eh die Schokolade gemacht ist, Madam, unterhalten Sie mich! Bella entfernt sich, kommt sogleich wieder.

LEONORE. Befehlen Sie, daß ich Gesellschaft hieherbitte?

JULIA. Abgeschmackt. Als wenn ich die hier suchen müßte? Sie werden mich zerstreuen, Madam. Auf und ab, sich den Hof machend. Wenn Sie das können, Madam – denn ich habe nichts zu versäumen.

ARABELLA boshaft. Desto mehr dieser kostbare Mohr, Signora. Wie grausam, bedenken Sie! die Perspektivchen der jungen Stutzer um diese schöne Prise zu bringen? Ah! Und das blitzende Spiel der Perlen, das einem die Augen bald wund brennt – Beim großmächtigen Gott! haben Sie nicht das ganze Meer ausgeplündert!

JULIA vor einem Spiegel. Das ist Ihr wohl eine Seltenheit, Mamsell? Aber höre Sie, Mamsell, hat Sie Ihrer Herrschaft auch die Zunge verdingt? Scharmant, Madam! Ihre Gäste durch Domestiken bekomplimentieren zu lassen.[668]

LEONORE. Es ist mein Unglück, Signora, daß meine Laune mir das Vergnügen Ihrer Gegenwart schmälert.

JULIA. Eine häßliche Unart ist das, die Sie schwerfällig und albern macht. Rasch! lebhaft und witzig! Das ist der Weg nicht, Ihren Mann anzufesseln.

LEONORE. Ich weiß nur einen, Gräfin! Lassen sie den Ihrigen immer ein sympathetisches Mittel bleiben.

JULIA ohne darauf achten zu wollen. Und wie Sie sich tragen, Madam! Pfui doch! Auch auf Ihren Körper wenden Sie mehr. Nehmen Sie zur Kunst Ihre Zuflucht, wo die Natur an Ihnen Stiefmutter war. Einen Firnis auf diese Wangen, woraus die mißfärbige Leidenschaft kränkelt. Armes Geschöpf! So wird Ihr Gesichtchen nie einen Käufer finden.

LEONORE munter zu Bella. Wünsche mir Glück, Mädchen. Ohnmöglich hab ich meinen Fiesco verloren, oder ich habe nichts an ihm verloren. Man bringt Schokolade. Bella gießt ein.

JULIA. Von Verlieren murmeln Sie etwas? Aber mein Gott! Wie kam Ihnen auch der tragische Einfall, den Fiesco zu nehmen? – Warum auf diese Höhe, mein Kind, wo Sie notwendig gesehen werden müssen? verglichen werden müssen? – Auf Ehre, mein Schatz, das war ein Schelm oder ein Dummkopf, der Sie dem Fiesco kuppelte. Mitleidig ihre Hand ergreifend. Gutes Tierchen, der Mann, der in den Assembleen des guten Tons gelitten wird, konnte nie deine Partie sein. Sie nimmt eine Tasse.

LEONORE lächelnd auf Arabellen. Oder er würde in diesen Häusern des guten Tons nicht gelitten sein wollen.

JULIA. Der Graf hat Person – Welt – Geschmack. Der Graf war so glücklich, Connaissancen von Rang zu machen. Der Graf hat Temperament, Feuer. Nun reißt er sich warm aus dem delikatesten Zirkel. Er kommt nach Hause. Die Ehfrau bewillkommt ihn mit einer Werkeltagszärtlichkeit, löscht seine Glut in einem feuchten, frostigen Kuß, schneidet ihm ihre Karessen wirtschaftlich wie einem Kostgänger vor. Der arme Ehmann! Dort lacht ihm ein blühendes Ideal – hier ekelt ihn eine grämliche Empfindsamkeit an. Signora, um Gottes willen! Wird er nicht den Verstand verlieren, oder was wird er wählen?[669]

LEONORE bringt ihr eine Tasse. Sie, Madam – wenn er ihn verloren hat.

JULIA. Gut. Dieser Biß sei in dein eigenes Herz gegangen. Zittre um diesen Spott, aber eh du zitterst, erröte!

LEONORE. Kennen Sie das Ding auch, Signora? Doch warum nicht? Es ist ja ein Toilettenpfiff.

JULIA. Man sehe doch! Erzürnen muß man das Würmchen, will man ihm ein Fünkchen Mutterwitz abjagen. Gut für jetzt. Es war Scherz, Madam. Geben Sie mir Ihre Hand zur Versöhnung.

LEONORE gibt ihr die Hand mit vielsagendem Blick. Imperiali! – für meinen Zorn haben Sie Ruhe.

JULIA. Großmütig allerdings! Doch sollt ichs nicht auch sein können, Gräfin? Langsam und laurend. Wenn ich den Schatten einer Person bei mir führe, muß es nicht folgen, daß das Original mir wert ist? Oder was meinen Sie?

LEONORE rot und verwirrt. Was sagen Sie? Ich hoffe, dieser Schluß ist zu rasch.

JULIA. Das denk ich selbst. Das Herz ruft nie die Sinne zu Hilfe. Wahre Empfindung wird sich nie hinter Schmuckwerk verschanzen.

LEONORE. Großer Gott! Wie kommen Sie zu dieser Wahrheit?

JULIA. Mitleid, bloßes Mitleid – Denn, sehen Sie, so ist es auch umgekehrt wahr – und Sie haben Ihren Fiesco noch. Sie gibt ihr ihre Silhouette und lacht boshaft auf.

LEONORE mit auffahrender Erbitterung. Mein Schattenriß? Ihnen? Wirft sich schmerzvoll in einen Sessel. O der heillose Mann.

JULIA frohlockend. Hab ich vergolten? Hab ich? Nun, Madam, keinen Nadelstich mehr in Bereitschaft? Laut in die Szene. Den Wagen vor. Mein Gewerb ist bestellt. Zu Leonoren, der sie das Kinn streicht. Trösten Sie sich, mein Kind. Er gab mir die Silhouette im Wahnwitz. Ab.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 668-670.
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