Neunte Szene

[832] Lady. Ein Kammerdiener. Sophie, hernach der Hofmarschall, zuletzt Bediente.


KAMMERDIENER. Hofmarschall von Kalb stehen im Vorzimmer mit einem Auftrag vom Herzog.

LADY in der Hitze des Schreibens. Auftaumeln wird sie, die fürstliche Drahtpuppe! Freilich! der Einfall ist auch drollig genug, so eine durchlauchtige Hirnschale auseinanderzutreiben! – Seine Hofschranzen werden wirbeln – Das ganze Land wird in Gärung kommen.

KAMMERDIENER UND SOPHIE. Der Hofmarschall, Mylady –

LADY dreht sich um. Wer? Was? – Desto besser! Diese Sorte von Geschöpfen ist zum Sacktragen auf der Welt. Er soll mir willkommen sein.


Kammerdiener geht ab.


SOPHIE ängstlich näherkommend. Wenn ich nicht fürchten müßte, Mylady, es wäre Vermessenheit – Lady schreibt hitzig fort. Die Millerin stürzte außer sich durch den Vorsaal – Sie glühen – Sie sprechen mit sich selbst – Lady schreibt immer fort. Ich erschrecke – Was muß geschehen sein?

HOFMARSCHALL tritt herein, macht dem Rücken der Lady tausend Verbeugungen; da sie ihn nicht gleich bemerkt, kommt er näher, stellt sich hinter ihren Sessel, sucht den Zipfel ihres Kleids wegzukriegen und drückt einen Kuß darauf, mit furchtsamem Lispeln. Serenissimus

LADY indem sie Sand streut und das Geschriebene durchfliegt. Er wird mir schwarzen Undank zur Last legen – Ich war eine Verlassene. Er hat mich aus dem Elend gezogen – Aus dem Elend? – Abscheulicher Tausch! – Zerreiße deine Rechnung, Verführer! – Meine ewige Schamröte bezahlt sie mit Wucher.

HOFMARSCHALL nachdem er die Lady vergeblich vor, allen Seiten umgangen[832] hat. Mylady scheinen etwas distrait zu sein – Ich werde mir wohl selbst die Kühnheit erlauben müssen. Sehr laut. Serenissimus schicken mich, Mylady zu fragen, ob diesen Abend Vauxhall sein werde oder teutsche Komödie?

LADY lachend aufstehend. Eins von beiden, mein Engel – Unterdessen bringen Sie Ihrem Herzog diese Karte zum Dessert! Gegen Sophien. Du, Sophie, befiehlst, daß man anspannen soll, und rufst meine ganze Garderobe in diesen Saal zusammen. –

SOPHIE geht ab voll Bestürzung. O Himmel! Was ahndet mir? Was wird das noch werden?

HOFMARSCHALL. Sie sind echauffiert, meine Gnädige?

LADY. Um so weniger wird hier gelogen sein – Hurra, Herr Hofmarschall! Es wird eine Stelle vakant. Gut Wetter für Kuppler. Da der Marschall einen zweifelhaften Blick auf den Zettel wirft. Lesen Sie, lesen Sie! – Es ist mein Wille, daß der Inhalt nicht unter vier Augen bleibe.

HOFMARSCHALL liest, unterdessen sammeln sich die Bedienten der Lady im Hintergrund.

»Gnädigster Herr,

Ein Vertrag, den Sie so leichtsinnig brachen, kann mich nicht mehr binden. Die Glückseligkeit Ihres Landes war die Bedingung meiner Liebe. Drei Jahre währte der Betrug. Die Binde fällt mir von den Augen; ich verabscheue Gunstbezeugungen, die von den Tränen der Untertanen triefen. – Schenken Sie die Liebe, die ich Ihnen nicht mehr erwidern kann, Ihrem weinenden Lande, und lernen von einer britischen Fürstin Erbarmen gegen Ihr teutsches Volk. In einer Stunde bin ich über der Grenze.

Johanna Norfolk.«

ALLE BEDIENTE murmeln bestürzt durcheinander. Über der Grenze?

HOFMARSCHALL legt die Karte erschrocken auf den Tisch. Behüte der Himmel, meine Beste und Gnädige! Dem Überbringer müßte der Hals ebenso jücken als der Schreiberin.

LADY. Das ist deine Sorge, du Goldmann – Leider weiß ich es, daß du und deinesgleichen am Nachbeten dessen, was andre getan haben, erwürgen! – Mein Rat wäre, man backte den Zettel in eine Wildbretpastete, so fänden ihn Serenissimus auf dem Teller –

HOFMARSCHALL. Ciel! Diese Vermessenheit! – So erwägen Sie[833] doch, so bedenken Sie doch, wie sehr Sie sich in Disgrace setzen, Lady!

LADY wendet sich zu der versammelten Dienerschaft und spricht das Folgende mit der innigsten Rührung. Ihr steht bestürzt, guten Leute, erwartet angstvoll, wie sich das Rätsel entwickeln wird? – Kommt näher, meine Lieben – Ihr dientet mir redlich und warm, sahet mir öfter in die Augen als in die Börse, euer Gehorsam war eure Leidenschaft, euer Stolz – meine Gnade! – – Daß das Andenken eurer Treue zugleich das Gedächtnis meiner Erniedrigung sein muß! Trauriges Schicksal, daß meine schwärzesten Tage eure glücklichen waren! Mit Tränen in den Augen. Ich entlasse euch, meine Kinder – – Lady Milford ist nicht mehr, und Johanna von Norfolk zu arm, ihre Schuld abzutragen – Mein Schatzmeister stürze meine Schatulle unter euch – Dieser Palast bleibt dem Herzog – Der Ärmste von euch wird reicher von hinnen gehen als seine Gebieterin. Sie reicht ihre Hände hin, die alle nacheinander mit Leidenschaft küssen. Ich verstehe euch, meine Guten – Lebt wohl! Lebt ewig wohl! Faßt sich aus ihrer Beklemmung. Ich höre den Wagen vorfahren. Sie reißt sich los, will hinaus, der Hofmarschall verrennt ihr den Weg. Mann des Erbarmens, stehst du noch immer da?

HOFMARSCHALL der diese ganze Zeit über mit einem Geistesbankerott auf den Zettel sah. Und dieses Billett soll ich Seiner Hochfürstlichen Durchlaucht zu höchsteigenen Händen geben?

LADY. Mann des Erbarmens! zu höchsteigenen Händen, und sollst melden zu höchsteigenen Ohren, weil ich nicht barfuß nach Loretto könne, so werde ich um den Taglohn arbeiten, mich zu reinigen von dem Schimpf, ihn beherrscht zu haben.


Sie eilt ab. Alle übrigen gehen sehr bewegt auseinander.[834]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 832-835.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Kabale und Liebe
Lektürehilfen Friedrich Schiller
Kabale und Liebe
Kabale und Liebe: Ein bürgerliches Trauerspiel (Suhrkamp BasisBibliothek)
Königs Erläuterungen und Materialien, Bd.31, Kabale und Liebe
Königs Erläuterungen: Kabale und Liebe von Friedrich Schiller. Textanalyse und Interpretation: Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Abituraufgaben mit Lösungen