Zehnter Auftritt

[655] Elisabeth allein.


O Sklaverei des Volksdiensts! Schmähliche

Knechtschaft – Wie bin ichs müde, diesem Götzen

Zu schmeicheln, den mein Innerstes verachtet!

Wann soll ich frei auf diesem Throne stehn!

Die Meinung muß ich ehren, um das Lob

Der Menge buhlen, einem Pöbel muß ichs

Recht machen, dem der Gaukler nur gefällt.

O der ist noch nicht König, der der Welt

Gefallen muß! Nur der ists, der bei seinem Tun

Nach keines Menschen Beifall braucht zu fragen.

Warum hab ich Gerechtigkeit geübt,

Willkür gehaßt mein Leben lang, daß ich

Für diese erste unvermeidliche

Gewalttat selbst die Hände mir gefesselt!

Das Muster, das ich selber gab, verdammt mich![655]

War ich tyrannisch, wie die spanische

Maria war, mein Vorfahr auf dem Thron, ich könnte

Jetzt ohne Tadel Königsblut versprützen!

Doch wars denn meine eigne freie Wahl

Gerecht zu sein? Die allgewaltige

Notwendigkeit, die auch das freie Wollen

Der Könige zwingt, gebot mir diese Tugend.

Umgeben rings von Feinden hält mich nur

Die Volksgunst auf dem angefochtnen Thron.

Mich zu vernichten streben alle Mächte

Des festen Landes. Unversöhnlich schleudert

Der römsche Papst den Bannfluch auf mein Haupt,

Mit falschem Bruderkuß verrät mich Frankreich,

Und offnen, wütenden Vertilgungskrieg

Bereitet mir der Spanier auf den Meeren.

So steh ich kämpfend gegen eine Welt,

Ein wehrlos Weib! Mit hohen Tugenden

Muß ich die Blöße meines Rechts bedecken,

Den Flecken meiner fürstlichen Geburt,

Wodurch der eigne Vater mich geschändet.

Umsonst bedeck ich ihn – Der Gegner Haß

Hat ihn entblößt, und stellt mir diese Stuart,

Ein ewig drohendes Gespenst, entgegen.

Nein, diese Furcht soll endigen!

Ihr Haupt soll fallen. Ich will Frieden haben!

– Sie ist die Furie meines Lebens! Mir

Ein Plagegeist vom Schicksal angeheftet.

Wo ich mir eine Freude, eine Hoffnung

Gepflanzt, da liegt die Höllenschlange mir

Im Wege. Sie entreißt mir den Geliebten,

Den Bräutgam raubt sie mir! Maria Stuart

Heißt jedes Unglück, das mich niederschlägt!

Ist sie aus den Lebendigen vertilgt,

Frei bin ich, wie die Luft auf den Gebirgen.


Stillschweigen.


Mit welchem Hohn sie auf mich nieder sah,[656]

Als sollte mich der Blick zu Boden blitzen!

Ohnmächtige! Ich führe beßre Waffen,

Sie treffen tödlich, und du bist nicht mehr!


Mit raschem Schritt nach dem Tische gehend und die Feder ergreifend.


Ein Bastard bin ich dir? – Unglückliche!

Ich bin es nur, so lang du lebst und atmest.

Der Zweifel meiner fürstlichen Geburt

Er ist getilgt, sobald ich dich vertilge.

Sobald dem Briten keine Wahl mehr bleibt,

Bin ich im echten Ehebett geboren!


Sie unterschreibt mit einem raschen, festen Federzug, läßt dann die Feder fallen, und tritt mit einem Ausdruck des Schreckens zurück. Nach einer Pause klingelt sie.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 655-657.
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