Dreizehnter Auftritt

[681] Elisabeth. Graf Shrewsbury.


ELISABETH.

Willkommen, edler Lord. Was bringt Ihr?

Nichts Kleines kann es sein, was Euren Schritt

So spät hierher führt.

SHREWSBURY.

Große Königin,

Mein sorgenvolles Herz, um deinen Ruhm

Bekümmert, trieb mich heute nach dem Tower,

Wo Kurl und Nau, die Schreiber der Maria

Gefangensitzen, denn noch einmal wollt ich

Die Wahrheit ihres Zeugnisses erproben.

Bestürzt, verlegen weigert sich der Leutnant

Des Turms, mir die Gefangenen zu zeigen,

Durch Drohung nur verschafft ich mir den Eintritt,

– Gott! Welcher Anblick zeigte mir sich da!

Das Haar verwildert, mit des Wahnsinns Blicken,

Wie ein von Furien Gequälter, lag

Der Schotte Kurl auf seinem Lager – Kaum

Erkennt mich der Unglückliche, so stürzt er

Zu meinen Füßen – schreiend, meine Knie

Umklammernd mit Verzweiflung, wie ein Wurm[681]

Vor mir gekrümmt – fleht er mich an, beschwört mich,

Ihm seiner Königin Schicksal zu verkünden;

Denn ein Gerücht, daß sie zum Tod verurteilt sei,

War in des Towers Klüfte eingedrungen.

Als ich ihm das bejahet nach der Wahrheit,

Hinzugefügt, daß es sein Zeugnis sei,

Wodurch sie sterbe, sprang er wütend auf,

Fiel seinen Mitgefangnen an, riß ihn

Zu Boden, mit des Wahnsinns Riesenkraft,

Ihn zu erwürgen strebend. Kaum entrissen wir

Den Unglückselgen seines Grimmes Händen.

Nun kehrt' er gegen sich die Wut, zerschlug

Mit grimmgen Fäusten sich die Brust, verfluchte sich

Und den Gefährten allen Höllengeistern.

Er habe falsch gezeugt, die Unglücksbriefe

An Babington, die er als echt beschworen,

Sie seien falsch, er habe andre Worte

Geschrieben, als die Königin diktiert,

Der Böswicht Nau hab ihn dazu verleitet.

Drauf rannt er an das Fenster, riß es auf

Mit wütender Gewalt, schrie in die Gassen

Hinab, daß alles Volk zusammenlief,

Er sei der Schreiber der Maria, sei

Der Böswicht, der sie fälschlich angeklagt,

Er sei verflucht, er sei ein falscher Zeuge!

ELISABETH.

Ihr sagtet selbst, daß er von Sinnen war.

Die Worte eines Rasenden, Verrückten,

Beweisen nichts.

SHREWSBURY.

Doch dieser Wahnsinn selbst

Beweiset desto mehr! O Königin!

Laß dich beschwören, übereile nichts,

Befiehl, daß man von neuem untersuche.

ELISABETH.

Ich will es tun – weil Ihr es wünschet, Graf,

Nicht weil ich glauben kann, daß meine Peers

In dieser Sache übereilt gerichtet.

Euch zur Beruhigung erneure man[682]

Die Untersuchung – Gut, daß es noch Zeit ist!

An unsrer königlichen Ehre soll

Auch nicht der Schatten eines Zweifels haften.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 681-683.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Maria Stuart
Maria Stuart (Poches Allemand)
Maria Stuart: Empfohlen für das 9./10. Schuljahr. Schülerheft
Maria Stuart: Handreichungen für den Unterricht. Unterrichtsvorschläge und Kopiervorlagen
Maria Stuart: Trauerspiel in fünf Aufzügen (Suhrkamp BasisBibliothek)
Maria Stuart von Friedrich von Schiller. Textanalyse und Interpretation: Alle erforderlichen Infos für Abitur, Matura, Klausur und Referat plus Abituraufgaben mit Lösungen

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantische Geschichten II. Zehn Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.

428 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon