Erster Auftritt


[392] Octavio Piccolomini. Kammerdiener leuchtet. Gleich darauf Max Piccolomini.


OCTAVIO.

Sobald mein Sohn herein ist, weiset ihn

Zu mir – Was ist die Glocke?

KAMMERDIENER.

Gleich ists Morgen.

OCTAVIO.

Setzt Euer Licht hieher – Wir legen uns

Nicht mehr zu Bette, Ihr könnt schlafen gehn.


Kammerdiener ab. Octavio geht nachdenkend durchs Zimmer. Max Piccolomini tritt auf, nicht gleich von ihm bemerkt, und sieht ihm einige Augenblicke schweigend zu.


MAX.

Bist du mir bös, Octavio? Weiß Gott,

Ich bin nicht schuld an dem verhaßten Streit.

– Ich sahe wohl, du hattest unterschrieben;

Was du gebilliget, das konnte mir

Auch recht sein – doch es war – du weißt – ich kann[392]

In solchen Sachen nur dem eignen Licht,

Nicht fremdem folgen.

OCTAVIO geht auf ihn zu und umarmt ihn.

Folg ihm ferner auch,

Mein bester Sohn! Es hat dich treuer jetzt

Geleitet, als das Beispiel deines Vaters.

MAX.

Erklär dich deutlicher.

OCTAVIO.

Ich werd es tun.

Nach dem, was diese Nacht geschehen ist,

Darf kein Geheimnis bleiben zwischen uns.


Nachdem beide sich niedergesetzt.


Max! Sage mir, was denkst du von dem Eid,

Den man zur Unterschrift uns vorgelegt?

MAX.

Für etwas Unverfänglichs halt ich ihn,

Obgleich ich dieses Förmliche nicht liebe.

OCTAVIO.

Du hättest dich aus keinem andern Grunde

Der abgedrungnen Unterschrift geweigert?

MAX.

Es war ein ernst Geschäft – ich war zerstreut –

Die Sache selbst erschien mir nicht so dringend –

OCTAVIO.

Sei offen, Max. Du hattest keinen Argwohn –

MAX.

Worüber Argwohn? Nicht den mindesten.

OCTAVIO.

Danks deinem Engel, Piccolomini!

Unwissend zog er dich zurück vom Abgrund.

MAX.

Ich weiß nicht, was du meinst.

OCTAVIO.

Ich will dirs sagen:

Zu einem Schelmstück solltest du den Namen

Hergeben, deinen Pflichten, deinem Eid

Mit einem einzgen Federstrich entsagen.

MAX steht auf.

Octavio!

OCTAVIO.

Bleib sitzen. Viel noch hast du

Von mir zu hören, Freund, hast Jahre lang

Gelebt in unbegreiflicher Verblendung.

Das schwärzeste Komplott entspinnet sich

Vor deinen Augen, eine Macht der Hölle

Umnebelt deiner Sinne hellen Tag –

Ich darf nicht länger schweigen, muß die Binde[393]

Von deinen Augen nehmen.

MAX.

Eh du sprichst,

Bedenk es wohl! Wenn von Vermutungen

Die Rede sein soll – und ich fürchte fast,

Es ist nichts weiter – Spare sie! Ich bin

Jetzt nicht gefaßt, sie ruhig zu vernehmen.

OCTAVIO.

So ernsten Grund du hast, dies Licht zu fliehn,

So dringendern hab ich, daß ich dirs gebe.

Ich konnte dich der Unschuld deines Herzens,

Dem eignen Urteil ruhig anvertraun,

Doch deinem Herzen selbst seh ich das Netz

Verderblich jetzt bereiten – Das Geheimnis,


Ihn scharf mit den Augen fixierend.


Das du vor mir verbirgst, entreißt mir meines.

MAX versucht zu antworten, stockt aber und schlägt den Blick verlegen zu Boden.

OCTAVIO nach einer Pause.

So wisse denn! Man hintergeht dich – spielt

Aufs schändlichste mit dir und mit uns allen.

Der Herzog stellt sich an, als wollt er die

Armee verlassen; und in dieser Stunde

Wirds eingeleitet, die Armee dem Kaiser

– Zu stehlen und dem Feinde zuzuführen!

MAX.

Das Pfaffenmärchen kenn ich, aber nicht

Aus deinem Mund erwartet ichs zu hören.

OCTAVIO.

Der Mund, aus dem dus gegenwärtig hörst,

Verbürget dir, es sei kein Pfaffenmärchen.

MAX.

Zu welchem Rasenden macht man den Herzog!

Er könnte daran denken, dreißigtausend

Geprüfter Truppen, ehrlicher Soldaten,

Worunter mehr denn tausend Edelleute,

Von Eid und Pflicht und Ehre wegzulocken,

Zu einer Schurkentat sie zu vereinen?

OCTAVIO.

So was nichtswürdig Schändliches begehrt

Er keineswegs – Was er von uns will,

Führt einen weit unschuldigeren Namen.[394]

Nichts will er, als dem Reich den Frieden schenken;

Und weil der Kaiser diesen Frieden haßt,

So will er ihn – er will ihn dazu zwingen!

Zufriedenstellen will er alle Teile,

Und zum Ersatz für seine Mühe Böhmen,

Das er schon innehat, für sich behalten.

MAX.

Hat ers um uns verdient, Octavio,

Daß wir – wir so unwürdig von ihm denken?

OCTAVIO.

Von unserm Denken ist hier nicht die Rede.

Die Sache spricht, die kläresten Beweise.

Mein Sohn! Dir ist nicht unbekannt, wie schlimm

Wir mit dem Hofe stehn – doch von den Ränken,

Den Lügenkünsten hast du keine Ahnung,

Die man in Übung setzte, Meuterei

Im Lager auszusäen. Aufgelöst

Sind alle Bande, die den Offizier

An seinen Kaiser fesseln, den Soldaten

Vertraulich binden an das Bürgerleben.

Pflicht- und gesetzlos steht er gegenüber

Dem Staat gelagert, den er schützen soll,

Und drohet, gegen ihn das Schwert zu kehren.

Es ist so weit gekommen, daß der Kaiser

In diesem Augenblick vor seinen eignen

Armeen zittert – der Verräter Dolche

In seiner Hauptstadt fürchtet – seiner Burg;

Ja, im Begriffe steht, die zarten Enkel

Nicht vor den Schweden, vor den Lutheranern,

– Nein! vor den eignen Truppen wegzuflüchten.

MAX.

Hör auf! Du ängstigest, erschütterst mich.

Ich weiß, daß man vor leeren Schrecken zittert;

Doch wahres Unglück bringt der falsche Wahn.

OCTAVIO.

Es ist kein Wahn. Der bürgerliche Krieg

Entbrennt, der unnatürlichste von allen,

Wenn wir nicht, schleunig rettend, ihm begegnen.

Der Obersten sind viele längst erkauft,

Der Subalternen Treue wankt; es wanken[395]

Schon ganze Regimenter, Garnisonen.

Ausländern sind die Festungen vertraut,

Dem Schafgotsch, dem verdächtigen, hat man

Die ganze Mannschaft Schlesiens, dem Terzky

Fünf Regimenter, Reiterei und Fußvolk,

Dem Illo, Kinsky, Buttler, Isolan

Die bestmontierten Truppen übergeben.

MAX.

Uns beiden auch.

OCTAVIO.

Weil man uns glaubt zu haben,

Zu locken meint durch glänzende Versprechen.

So teilt er mir die Fürstentümer Glatz

Und Sagan zu, und wohl seh ich den Angel,

Womit man dich zu fangen denkt.

MAX.

Nein! Nein!

Nein, sag ich dir!

OCTAVIO.

O! öffne doch die Augen!

Weswegen glaubst du, daß man uns nach Pilsen

Beorderte? Um mit uns Rat zu pflegen?

Wann hätte Friedland unsers Rats bedurft?

Wir sind berufen, uns ihm zu verkaufen,

Und weigern wir uns – Geisel ihm zu bleiben.

Deswegen ist Graf Gallas weggeblieben –

Auch deinen Vater sähest du nicht hier,

Wenn höhre Pflicht ihn nicht gefesselt hielt.

MAX.

Er hat es keinen Hehl, daß wir um seinetwillen

Hieher berufen sind – gestehet ein,

Er brauche unsers Arms, sich zu erhalten.

Er tat so viel für uns, und so ists Pflicht,

Daß wir jetzt auch für ihn was tun!

OCTAVIO.

Und weißt du,

Was dieses ist, das wir für ihn tun sollen?

Des Illo trunkner Mut hat dirs verraten.

Besinn dich doch, was du gehört, gesehn.

Zeugt das verfälschte Blatt, die weggelaßne,

So ganz entscheidungsvolle Klausel nicht,

Man wollte zu nichts Gutem uns verbinden?[396]

MAX.

Was mit dem Blatte diese Nacht geschehn,

Ist mir nichts weiter, als ein schlechter Streich

Von diesem Illo. Dies Geschlecht von Mäklern

Pflegt alles auf die Spitze gleich zu stellen.

Sie sehen, daß der Herzog mit dem Hof

Zerfallen ist, vermeinen ihm zu dienen,

Wenn sie den Bruch unheilbar nur erweitern.

Der Herzog, glaub mir, weiß von all dem nichts!

OCTAVIO.

Es schmerzt mich, deinen Glauben an den Mann,

Der dir so wohlgegründet scheint, zu stürzen.

Doch hier darf keine Schonung sein – du mußt

Maßregeln nehmen, schleunige, mußt handeln.

– Ich will dir also nur gestehn – daß alles,

Was ich dir jetzt vertraut, was so unglaublich

Dir scheint, daß – daß ich es aus seinem eignen,

– Des Fürsten Munde habe.

MAX in heftiger Bewegung.

Nimmermehr!

OCTAVIO.

Er selbst vertraute mir – was ich zwar längst

Auf anderm Weg schon in Erfahrung brachte:

Daß er zum Schweden wolle übergehn,

Und an der Spitze des verbundnen Heers

Den Kaiser zwingen wolle –

MAX.

Er ist heftig,

Es hat der Hof empfindlich ihn beleidigt,

In einem Augenblick des Unmuts, seis!

Mag er sich leicht einmal vergessen haben.

OCTAVIO.

Bei kaltem Blute war er, als er mir

Dies eingestand; und weil er mein Erstaunen

Als Furcht auslegte, wies er im Vertraun

Mir Briefe vor, der Schweden und der Sachsen,

Die zu bestimmter Hülfe Hoffnung geben.

MAX.

Es kann nicht sein! kann nicht sein! kann nicht sein!

Siehst du, daß es nicht kann! Du hättest ihm

Notwendig deinen Abscheu ja gezeigt,

Er hätt sich weisen lassen, oder du

– Du stündest nicht mehr lebend mir zur Seite![397]

OCTAVIO.

Wohl hab ich mein Bedenken ihm geäußert,

Hab dringend, hab mit Ernst ihn abgemahnt,

– Doch meinen Abscheu, meine innerste

Gesinnung hab ich tief versteckt.

MAX.

Du wärst

So falsch gewesen? Das sieht meinem Vater

Nicht gleich! Ich glaubte deinen Worten nicht,

Da du von ihm mir Böses sagtest; kanns

Noch wenger jetzt, da du dich selbst verleumdest.

OCTAVIO.

Ich drängte mich nicht selbst in sein Geheimnis.

MAX.

Aufrichtigkeit verdiente sein Vertraun.

OCTAVIO.

Nicht würdig war er meiner Wahrheit mehr.

MAX.

Noch minder würdig deiner war Betrug.

OCTAVIO.

Mein bester Sohn! Es ist nicht immer möglich,

Im Leben sich so kinderrein zu halten,

Wie's uns die Stimme lehrt im Innersten.

In steter Notwehr gegen arge List

Bleibt auch das redliche Gemüt nicht wahr –

Das eben ist der Fluch der bösen Tat,

Daß sie, fortzeugend, immer Böses muß gebären.

Ich klügle nicht, ich tue meine Pflicht,

Der Kaiser schreibt mir mein Betragen vor.

Wohl wär es besser, überall dem Herzen

Zu folgen, doch darüber würde man

Sich manchen guten Zweck versagen müssen.

Hier gilts, mein Sohn, dem Kaiser wohl zu dienen,

Das Herz mag dazu sprechen, was es will.

MAX.

Ich soll dich heut nicht fassen, nicht verstehn.

Der Fürst, sagst du, entdeckte redlich dir sein Herz

Zu einem bösen Zweck, und du willst ihn

Zu einem guten Zweck betrogen haben!

Hör auf! ich bitte dich – du raubst den Freund

Mir nicht – Laß mich den Vater nicht verlieren!

OCTAVIO unterdrückt seine Empfindlichkeit.

Noch weißt du alles nicht, mein Sohn. Ich habe

Dir noch was zu eröffnen.


[398] Nach einer Pause.


Herzog Friedland

Hat seine Zurüstung gemacht. Er traut

Auf seine Sterne. Unbereitet denkt er uns

Zu überfallen – mit der sichern Hand

Meint er, den goldnen Zirkel schon zu fassen.

Er irret sich – Wir haben auch gehandelt.

Er faßt sein bös geheimnisvolles Schicksal.

MAX.

Nichts Rasches, Vater! O! bei allem Guten

Laß dich beschwören. Keine Übereilung!

OCTAVIO.

Mit leisen Tritten schlich er seinen bösen Weg,

So leis und schlau ist ihm die Rache nachgeschlichen.

Schon steht sie ungesehen, finster hinter ihm,

Ein Schritt nur noch, und schaudernd rühret er sie an.

– Du hast den Questenberg bei mir gesehn,

Noch kennst du nur sein öffentlich Geschäft,

Auch ein geheimes hat er mitgebracht,

Das bloß für mich war.

MAX.

Darf ichs wissen?

OCTAVIO.

Max!

– Des Reiches Wohlfahrt leg ich mit dem Worte,

Des Vaters Leben dir in deine Hand.

Der Wallenstein ist deinem Herzen teuer,

Ein starkes Band der Liebe, der Verehrung

Knüpft seit der frühen Jugend dich an ihn –

Du nährst den Wunsch – O! laß mich immerhin

Vorgreifen deinem zögernden Vertrauen –

Die Hoffnung nährst du, ihm viel näher noch

Anzugehören.

MAX.

Vater –

OCTAVIO.

Deinem Herzen trau ich,

Doch, bin ich deiner Fassung auch gewiß?

Wirst dus vermögen, ruhigen Gesichts

Vor diesen Mann zu treten, wenn ich dir

Sein ganz Geschick nun anvertrauet habe?

MAX.

Nachdem du seine Schuld mir anvertraut!


[399] Octavio nimmt ein Papier aus der Schatulle und reicht es ihm hin.


MAX.

Was? Wie? Ein offner kaiserlicher Brief.

OCTAVIO.

Lies ihn.

MAX nachdem er einen Blick hinein geworfen.

Der Fürst verurteilt und geächtet!

OCTAVIO.

So ists.

MAX.

O! das geht weit! O unglücksvoller Irrtum!

OCTAVIO.

Lies weiter! Faß dich!

MAX nachdem er weiter gelesen, mit einem Blick des Erstaunens auf seinen Vater.

Wie? Was? Du? Du bist –

OCTAVIO.

Bloß für den Augenblick – und bis der König

Von Ungarn bei dem Heer erscheinen kann,

Ist das Kommando mir gegeben –

MAX.

Und glaubst du, daß dus ihm entreißen werdest?

Das denke ja nicht – Vater! Vater! Vater!

Ein unglückselig Amt ist dir geworden.

Dies Blatt hier – dieses! willst du geltendmachen?

Den Mächtigen in seines Heeres Mitte,

Umringt von seinen Tausenden, entwaffnen?

Du bist verloren – Du, wir alle sinds!

OCTAVIO.

Was ich dabei zu wagen habe, weiß ich.

Ich stehe in der Allmacht Hand; sie wird

Das fromme Kaiserhaus mit ihrem Schilde

Bedecken, und das Werk der Nacht zertrümmern.

Der Kaiser hat noch treue Diener, auch im Lager

Gibt es der braven Männer gnug, die sich

Zur guten Sache munter schlagen werden.

Die Treuen sind gewarnt, bewacht die andern,

Den ersten Schritt erwart ich nur, sogleich –

MAX.

Auf den Verdacht hin willst du rasch gleich handeln?

OCTAVIO.

Fern sei vom Kaiser die Tyrannenweise!

Den Willen nicht, die Tat nur will er strafen.

Noch hat der Fürst sein Schicksal in der Hand –

Er lasse das Verbrechen unvollführt,

So wird man ihn still vom Kommando nehmen,

Er wird dem Sohne seines Kaisers weichen.[400]

Ein ehrenvoll Exil auf seine Schlösser

Wird Wohltat mehr, als Strafe für ihn sein.

Jedoch der erste offenbare Schritt –

MAX.

Was nennst du einen solchen Schritt? Er wird

Nie einen bösen tun – Du aber könntest

(Du hasts getan) den frömmsten auch mißdeuten.

OCTAVIO.

Wie strafbar auch des Fürsten Zwecke waren,

Die Schritte, die er öffentlich getan,

Verstatteten noch eine milde Deutung.

Nicht eher denk ich dieses Blatt zu brauchen,

Bis eine Tat getan ist, die unwidersprechlich

Den Hochverrat bezeugt und ihn verdammt.

MAX.

Und wer soll Richter drüber sein?

OCTAVIO.

– Du selbst.

MAX.

O! dann bedarf es dieses Blattes nie!

Ich hab dein Wort, du wirst nicht eher handeln,

Bevor du mich – mich selber überzeugt.

OCTAVIO.

Ists möglich? Noch – nach allem, was du weißt,

Kannst du an seine Unschuld glauben?

MAX lebhaft.

Dein Urteil kann sich irren, nicht mein Herz.


Gemäßigter fortfahrend.


Der Geist ist nicht zu fassen, wie ein andrer.

Wie er sein Schicksal an die Sterne knüpft,

So gleicht er ihnen auch in wunderbarer,

Geheimer, ewig unbegriffner Bahn.

Glaub mir, man tut ihm Unrecht. Alles wird

Sich lösen. Glänzend werden wir den Reinen

Aus diesem schwarzen Argwohn treten sehn.

OCTAVIO.

Ich wills erwarten.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 392-401.
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