Dritte Szene


[929] Öffentlicher Platz bei Altorf.

Auf einer Anhöhe im Hintergrund sieht man eine Feste bauen, welche schon so weit gediehen, daß sich die Form des Ganzen darstellt. Die hintere Seite ist fertig, an der vordern wird eben gebaut, das Gerüste steht noch, an welchem die Werkleute auf und nieder steigen, auf dem höchsten Dach hängt der Schieferdecker. – Alles ist in Bewegung und Arbeit.

Fronvogt. Meister Steinmetz. Gesellen und Handlanger.


FRONVOGT mit dem Stabe, treibt die Arbeiter.

Nicht lang gefeiert, frisch! Die Mauersteine

Herbei, den Kalk, den Mörtel zugefahren!

Wenn der Herr Landvogt kommt, daß er das Werk

Gewachsen sieht – Das schlendert wie die Schnecken.


Zu zwei Handlangern, welche tragen.


Heißt das geladen? Gleich das Doppelte!

Wie die Tagdiebe ihre Pflicht bestehlen!

ERSTER GESELL.

Das ist doch hart, daß wir die Steine selbst

Zu unserm Twing und Kerker sollen fahren!

FRONVOGT.

Was murret ihr? Das ist ein schlechtes Volk,

Zu nichts anstellig als das Vieh zu melken,

Und faul herumzuschlendern auf den Bergen.

ALTER MANN ruht aus.

Ich kann nicht mehr.

FRONVOGT schüttelt ihn.

Frisch, Alter, an die Arbeit!

ERSTER GESELL.

Habt ihr denn gar kein Eingeweid, daß Ihr

Den Greis, der kaum sich selber schleppen kann,

Zum harten Frondienst treibt?

MEISTER STEINMETZ UND GESELLEN.

's ist himmelschreiend!

FRONVOGT.

Sorgt ihr für euch, ich tu, was meines Amts.

ZWEITER GESELL.

Fronvogt, wie wird die Feste denn sich nennen,

Die wir da baun?

FRONVOGT.

Zwing Uri soll sie heißen,

Denn unter dieses Joch wird man euch beugen.

GESELLEN.

Zwing Uri!

FRONVOGT.

Nun, was gibts dabei zu lachen?[929]

ZWEITER GESELL.

Mit diesem Häuslein wollt ihr Uri zwingen?

ERSTER GESELL.

Laß sehn, wieviel man solcher Maulwurfshaufen

Muß übernander setzen, bis ein Berg

Draus wird, wie der geringste nur in Uri!


Fronvogt geht nach dem Hintergrund.


MEISTER STEINMETZ.

Den Hammer werf ich in den tiefsten See,

Der mir gedient bei diesem Fluchgebäude!


Tell und Stauffacher kommen.


STAUFFACHER.

O hätt ich nie gelebt, um das zu schauen!

TELL.

Hier ist nicht gut sein. Laßt uns weitergehn.

STAUFFACHER.

Bin ich zu Uri, in der Freiheit Land?

MEISTER STEINMETZ.

O Herr, wenn Ihr die Keller erst gesehn

Unter den Türmen! Ja, wer die bewohnt,

Der wird den Hahn nicht fürder krähen hören!

STAUFFACHER.

O Gott!

STEINMETZ.

Seht diese Flanken, diese Strebepfeiler,

Die stehn, wie für die Ewigkeit gebaut!

TELL.

Was Hände bauten, können Hände stürzen.


Nach den Bergen zeigend.


Das Haus der Freiheit hat uns Gott gegründet.


Man hört eine Trommel, es kommen Leute, die einen Hut auf einer Stange tragen, ein Ausrufer folgt ihnen, Weiber und Kinder dringen tumultuarisch nach.


ERSTER GESELL.

Was will die Trommel? Gebet acht!

MEISTER STEINMETZ.

Was für

Ein Faßnachtsaufzug und was soll der Hut?

AUSRUFER.

In des Kaisers Namen! Höret!

GESELLEN.

Still doch! Höret!

AUSRUFER.

Ihr sehet diesen Hut, Männer von Uri!

Aufrichten wird man ihn auf hoher Säule,

Mitten in Altorf, an dem höchsten Ort,

Und dieses ist des Landvogts Will und Meinung:

Dem Hut soll gleiche Ehre wie ihm selbst geschehn,

Man soll ihn mit gebognem Knie und mit

Entblößtem Haupt verehren – Daran will

Der König die Gehorsamen erkennen.[930]

Verfallen ist mit seinem Leib und Gut

Dem Könige, wer das Gebot verachtet.


Das Volk lacht laut auf, die Trommel wird gerührt, sie gehen vorüber.


ERSTER GESELL.

Welch neues Unerhörtes hat der Vogt

Sich ausgesonnen! Wir' nen Hut verehren!

Sagt! Hat man je vernommen von dergleichen?

MEISTER STEINMETZ.

Wir unsre Kniee beugen einem Hut!

Treibt er sein Spiel mit ernsthaft würdgen Leuten?

ERSTER GESELL.

Wärs noch die kaiserliche Kron! So ists

Der Hut von Österreich; ich sah ihn hangen

Über dem Thron, wo man die Lehen gibt!

MEISTER STEINMETZ.

Der Hut von Österreich! Gebt acht, es ist

Ein Fallstrick, uns an Östreich zu verraten!

GESELLEN.

Kein Ehrenmann wird sich der Schmach bequemen.

MEISTER STEINMETZ.

Kommt, laßt uns mit den andern Abred nehmen.


Sie gehen nach der Tiefe.


TELL zum Stauffacher.

Ihr wisset nun Bescheid. Lebt wohl, Herr Werner!

STAUFFACHER.

Wo wollt Ihr hin? O eilt nicht so von dannen.

TELL.

Mein Haus entbehrt des Vaters. Lebet wohl.

STAUFFACHER.

Mir ist das Herz so voll, mit Euch zu reden.

TELL.

Das schwere Herz wird nicht durch Worte leicht.

STAUFFACHER.

Doch könnten Worte uns zu Taten führen.

TELL.

Die einzge Tat ist jetzt Geduld und Schweigen.

STAUFFACHER.

Soll man ertragen, was unleidlich ist?

TELL.

Die schnellen Herrscher sinds, die kurz regieren.

– Wenn sich der Föhn erhebt aus seinen Schlünden,

Löscht man die Feuer aus, die Schiffe suchen

Eilends den Hafen, und der mächtge Geist

Geht ohne Schaden, spurlos, über die Erde.

Ein jeder lebe still bei sich daheim,

Dem Friedlichen gewährt man gern den Frieden.

STAUFFACHER.

Meint Ihr?

TELL.

Die Schlange sticht nicht ungereizt.

Sie werden endlich doch von selbst ermüden,[931]

Wenn sie die Lande ruhig bleiben sehn.

STAUFFACHER.

Wir könnten viel, wenn wir zusammenstünden.

TELL.

Beim Schiffbruch hilft der einzelne sich leichter.

STAUFFACHER.

So kalt verlaßt Ihr die gemeine Sache?

TELL.

Ein jeder zählt nur sicher auf sich selbst.

STAUFFACHER.

Verbunden werden auch die Schwachen mächtig.

TELL.

Der Starke ist am mächtigsten allein.

STAUFFACHER.

So kann das Vaterland auf Euch nicht zählen,

Wenn es verzweiflungsvoll zur Notwehr greift?

TELL gibt ihm die Hand.

Der Tell holt ein verlornes Lamm vom Abgrund,

Und sollte seinen Freunden sich entziehen?

Doch was ihr tut, laßt mich aus eurem Rat,

Ich kann nicht lange prüfen oder wählen,

Bedürft ihr meiner zu bestimmter Tat,

Dann ruft den Tell, es soll an mir nicht fehlen.


Gehen ab zu verschiedenen Seiten. Ein plötzlicher Auflauf entsteht um das Gerüste.


MEISTER STEINMETZ eilt hin.

Was gibts?

ERSTER GESELL kommt vor, rufend.

Der Schieferdecker ist vom Dach gestürzt.


Berta mit Gefolge.


BERTA stürzt herein.

Ist er zerschmettert? Rennet, rettet, helft –

Wenn Hülfe möglich, rettet, hier ist Gold –


Wirft ihr Geschmeide unter das Volk.


MEISTER.

Mit eurem Golde – Alles ist euch feil

Um Gold, wenn ihr den Vater von den Kindern

Gerissen und den Mann von seinem Weibe,

Und Jammer habt gebracht über die Welt,

Denkt ihrs mit Golde zu vergüten – Geht!

Wir waren frohe Menschen, eh ihr kamt,

Mit euch ist die Verzweiflung eingezogen.

BERTA zu dem Fronvogt, der zurückkommt.

Lebt er?


Fronvogt gibt ein Zeichen des Gegenteils.


O unglückselges Schloß, mit Flüchen

Erbaut, und Flüche werden dich bewohnen!


Geht ab.[932]


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 2, München 31962, S. 929-933.
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