Unter allen Schlangen ...

[446] Unter allen Schlangen ist eine,

Auf Erden nicht gezeugt,

Mit der an Schnelle keine,

An Wut sich keine vergleicht.


Sie stürzt mit furchtbarer Stimme

Auf ihren Raub sich los,

Vertilgt in einem Grimme

Den Reiter und sein Roß.


Sie liebt die höchsten Spitzen,

Nicht Schloß, nicht Riegel kann

Vor ihrem Anfall schützen,

Der Harnisch – lockt sie an.


Sie bricht wie dünne Halmen

Den stärksten Baum entzwei,

Sie kann das Erz zermalmen,

Wie dicht und fest es sei.


Und dieses Ungeheuer

Hat zweimal nur gedroht –

Es stirbt im eignen Feuer,

Wie's tötet, ist es tot!


Diese Schlange, der an Schnelle keine gleicht,

Die aus der Höhe schießt, die stärksten Eichen

Wie dünnes Rohr zerbricht, durch Schloß und Riegel dringt,

Vor der kein Harnisch kann beschützen,

Die sich in eignem Feuer selbst verzehrt,

– Es ist der Blitz, der aus der Wolke fährt.


Quelle:
Friedrich Schiller: Sämtliche Werke, Band 1, München 31962, S. 446-447.
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