Erster Auftritt.

[127] KREUSA.

Es sei drum, länger halt' ich es nicht aus.

O diese Angst ist tausendfacher Tod!

So will ich lieber hier die Stirn ihm bieten,

Daß er mit einem Streiche rasch mich treffe,

Und von der Qual mich lös' und von der Schmach

Die lange Stunde hab' ich hier und dorthin

Versteckt umhergezittert, wie die Hindin,

Wenn sie den jungen Löwen brüllen hört.

Ich hört' ihn brüllen: Wald und Felsenklüfte

Beschwor er, ihm mein Haupt doch zu verraten,

Das er mit aller Götter Fluch belud.

Ringsum verdoppelte der Widerhall

Die Stimme des Verfolgers, und dann riefen

Ihm ›Jon! Jon!‹ die Gefährten zu,

Als wäre dieser Nam' ihr Jagdgeschrei,

Womit sie mich von allen Seiten schreckten.

Da riß ich endlich mich hervor: ich wag' es,

Und stelle mich dem Licht des Tages dar.

Was hätt' ich wohl zu wagen? Ach Kreusa!

Unseliges, verzweiflungsvolles Weib:

Nach dem, was du getan, und was erlitten,

Ist dir noch andres übrig auf der Welt,

Als gleichen Mutes deinen Tod bestehn?

Wie hat dich denn die Feigheit übermannt?

Doch nein, ich will nicht fälschlich mich verklagen;

Es ist der Tod nicht, dessen Blick ich scheue:[127]

Daß ihn des Jünglings Hand mir geben soll,

Das, das fällt mich unüberwindlich an,

Verwirrend, scheucht in Raserei mich fort;

Und wie ich auch mit angeschwelltem Stolz

Die Brust von innen mir zu stählen suchte,

So oft ich sie dem Pfeil entgegentrug,

Zerrann des kalten starren Muts Ägide

In Furcht und weiche Lebenshoffnung wieder.

Laßt sehn, ob uns dies Heiligtum beschirmt.

Wie sollt' es? Mich verfolgt ja sein Bewohner.

Gleichviel, ich wähle dennoch diesen Sitz,

Erwarte hier mein Schicksal, unablöslich

Mit meinen Armen den Altar umstrickend.


Sie setzt sich auf die Stufen des Altars, und umfaßt ihn.


Und wenn ich sterben muß, so soll mein Blut

Die Opferstätte wenigstens beflecken,

So gräßlich sie beflecken, daß kein Weihrauch

Und keine Reinigung sie je entsühnt.

Mein letzter Schrei soll durch die Lüfte dringen

Zum sel'gen Göttersitz, so herzzerreißend,

Daß er, der mich verdirbt, erblassen muß.

Das ist die einz'ge Rache ja des Weibes,

Hilflos und sterblich, ihre Jammerseele

Vor des Vernichters Antlitz auszuatmen.

Weh! Lohnest du so der Geliebten, Apoll?

O wie anders gelobt hast du mir damals,

Als ein arglos Kind jungfräulichen Tritts

Ich allein lustwandelt' auf Frühlinges Au'n,

Und der Blumen, des Laubs hellfarbigen Putz

In das faltig geschürzte Gewand las.

Da erschienest du mir holdselig und groß,

Goldlockig das Haupt in ambrosischem Duft,

Lächelnd in ewiger Jugend und Schönheit,

Und ergriffst süßschmeichelnd mit Worten die Hand,

Daß der blumige Schatz, unschuldig beklagt,[128]

Der sich Sträubenden ach! aus dem Busen entfiel.

Sanft riefst du mir zu: Nymphe, getrost! laß

Den verwelkten Schmuck auf den Boden sich streu'n,

Lieblich und zahllos schwellen ja selbst dir

Auf den Lippen die purpurnen Blüten der Lust,

Neu sprossend, so oft sie ein Kuß da pflückt.

Die laß sich entfalten, und siehe, wie schön

Liebe sie dir zum unsterblichen Kranz flicht.

So umhauchtest du mich mit berauschendem Wahn,

Nicht half ohnmächtiges Rufen, wie rasch

Zu der Höhle des Pan du mich hinzogst.

Weh, wehe dir, Tag! heimliches Lager du,

Götterumarmungen, schwanger mit Unheil!

Weh, weh euch gesamt!

Wie ein Meer wild braus't, so umdrängten mich bald

Träumende Wehmut, hinschmachtender Gram,

Die errötende Scheu und erblassende Angst.

Der Verwaisten gebrach weiblicher Zuspruch,

Still trug ich allein des Geheimnisses Last,

Und des Lebens, das Tod mir zu drohn schien.

Wes Mund spricht aus der Gebärerin Not,

Der Verlass'nen von Göttern und Sterblichen ganz?

Und sodann, o Schmach! wie Verbrechen und Raub

Zu verleugnen Apolls heiligen Sprößling!

Kundige Felskluft, wo ich ihn hintrug,

Zu dem Lager, das erst ihm den Ursprung gab,

Schweigen und Finsternis, Mitwisser allein!

Zeuget mein endlos wehklagendes Leid,

Ihr vernahmet es ja, da der Knabe nach mir

Ausstreckte die Händchen, begehrend die Brust,

Die auf immer von ihm grausam sich losriß.

Doch ich ließ ihn dort wie ein köstliches Pfand,

Nicht wie ein unnütz lästig Besitztum,

Welches in Eil' auf die Straße man hinwirft;

In die Windeln gehüllt, die ich emsig gestickt,[129]

Oft sie mit Tränen genetzt bei der Arbeit.

Auch manch Kleinod legt' ich ihm bei noch,

Und die Schlangen von Gold, des erhabnen Geschlechts

Urkundliches Bild,

Die mich selbst ehmals in der Wiege bewacht.

Du aber, Apoll, hast ihn verwahrlos't,

Undankbar dem liebenden Lager und mir,

Wie der rauhste Barbar nie hätte getan;

Gabst Raubtieren des Waldes dein Kind

Und den Vögeln des Himmels zum Gastmahl,

Während du ruhig im heitern Olymp dort,

Knüpfend die traubigen Locken des Haupthaars,

Anstimmest der Zither geselliges Spiel,

Das melodische Herz mit Gesange dir labst,

Und der Musen unsterblichen Chor führst.

Noch nicht genug! Da lange kinderlos

Ich endlich den gerechten Stolz vergesse

Und dem Orakel nah' um Rat und Trost,

Beschließt der große Gott mich wegzuräumen,

Weil meine Gegenwart ihn hier beschämt.

Dem Gatten, dem ich duldend mich gesellt,

Weis't er als Sohn zu seinen Tempeldienern,

Den ich mit Wohlgefallen töricht sah,

Der schmeichlerisch erst mein Vertraun entlockt.

Doch bald bestellt ihn Phöbus mir zum Mörder,

Und überläßt, wie ein zu kleines Ziel,

Die einst geliebte Brust dem falschen Knaben.

O allzuschmähliche Erniedrigung!

Bin ich nicht einen deiner Pfeile wert?

Hier sitz' ich, biete deinem Zürnen Trotz:

Triff mich mit deinen blitzenden Geschossen

Erbarmungsvoll, und ende meine Qual!

Denn alles, was einst Niobe gefühlt,

Als du ein Volk von Kindern ihr erwürgt,

Und grausam auch nicht eines übrig ließest,[130]

Das fühl' ich um den Säugling, deinen Sohn.

Ach, dies zu denken, ist's, was mich versteinert!

Schon stockt der harte Marmor mir im Herzen,

Und wächst durch meine Glieder eisig fort.

Wenn ich den schnellen Tod vergeblich rufe,

Soll hier mein Auge diese Pforte hüten,

Als schaut' ich gegenüber dir in's Antlitz,

Bis ich ein tränenvoller Fels geworden,

Zum Denkmal deiner Liebe, deiner Lust!


Sie sinkt in Ermattung.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 127-131.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Musset, Alfred de

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

Gamiani oder zwei tolle Nächte / Rolla

»Fanni war noch jung und unschuldigen Herzens. Ich glaubte daher, sie würde an Gamiani nur mit Entsetzen und Abscheu zurückdenken. Ich überhäufte sie mit Liebe und Zärtlichkeit und erwies ihr verschwenderisch die süßesten und berauschendsten Liebkosungen. Zuweilen tötete ich sie fast in wollüstigen Entzückungen, in der Hoffnung, sie würde fortan von keiner anderen Leidenschaft mehr wissen wollen, als von jener natürlichen, die die beiden Geschlechter in den Wonnen der Sinne und der Seele vereint. Aber ach! ich täuschte mich. Fannis Phantasie war geweckt worden – und zur Höhe dieser Phantasie vermochten alle unsere Liebesfreuden sich nicht zu erheben. Nichts kam in Fannis Augen den Verzückungen ihrer Freundin gleich. Unsere glorreichsten Liebestaten schienen ihr kalte Liebkosungen im Vergleich mit den wilden Rasereien, die sie in jener verhängnisvollen Nacht kennen gelernt hatte.«

72 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon