Erster Auftritt.

[144] Jon, Xuthus.


JON.

So ist es, teurer Vater, wie ich sagte;

Du weißt den Hergang nun der ganzen Sache.

XUTHUS.

Sehr Wunderbares muß ich da vernehmen,

Fürwahr! Allein auf deinen Lippen wohnt'

Die offne Redlichkeit, du kannst nicht lügen;

Du glaubst an die unglaubliche Verknüpfung:

Doch weißt du, ob nicht Trug sie dir gewebt?

In höchst geleg'nem Augenblick erschienen

Die Zeichen deiner Herkunft: konnten sie

Nicht vorbereitet sein, um deinen Zorn

Wie Zauberlieder zu besänftigen,

Und dich, sirenengleich, an ein Gestade

Verderblich falscher Liebe hinzulocken?

JON.

Es hat sie Pythia verwahrt. Du wolltest

An Lügenkünsten die mitschuldig achten,

Durch deren Mund Apollo Wahrheit redet?

XUTHUS.

Die Priesterin hat mit beredten Worten

Sich für Kreusas Rettung erst verwandt.

Doch richt' ich nicht; schon kommen Delphis Älteste

Zusammen, diese mögen das entscheiden.[144]

JON.

O nein, nicht so, mein Vater und mein Fürst!

Was zwischen dir allein und deiner Gattin

In stiller Traulichkeit und ohne fremde

Dazwischenkunst geschlichtet werden muß,

Das ziemt sich nicht vor ein Gericht zu stellen.

Entlaß es gleich, wenn du mich irgend liebst.

XUTHUS.

Mir schenkte das Orakel dich zum Sohn,

Und scheinst du gleich abtrünnig fast geworden,

Will ich doch gern mich väterlich beweisen.

Dies ist der Erstling deiner Bitten, Kind,

Die darfst du nicht vergeblich tun. Es sei.

JON.

Begnad'ge denn auch jenen greisen Knecht,

Den treuen Kindheitspfleger des Erechtheus,

Den bloß Verblendung feindlich mir gemacht.

Entlad' ihn deines Zorns und seiner Fesseln.

XUTHUS.

Ein großes Wunder, wahrlich! ist geschehn,

Was es auch sei: denn völlig umgewandelt

Erkenn' ich dich nicht mehr. Ich glaubt' in dir

Vorhin des eignen Blutes Art zu sehn,

Ein königlich Gemüt und tapfern Trieb.

Nun bist voll unmännlichen Erbarmens,

Wie ein von Weibern auferzogner Knabe.

Ich achte den für einen wackern Mann,

Der seinen Freunden wohlzutun versteht,

Doch Feinden Böses vielfach auch vergilt.

Wohl! mir geliebt es, töricht sein mit dir:

Er lebe denn, ihn strafe seine Schmach.[145]

Nur andre Schenken wollen wir bestellen,

Er bleibe stets von unsern Bechern fern.

JON.

Du spottest, Xuthus, über mein Begehren.

Doch laß mich fragen, ist's nicht auch zuweilen

Mannhafter Seelen wert, enthüllte Tücken

Mit Gleichmut übersehn, vergessen, die

Ohnmächtig an uns abgeglitten sind?

Der Gott gab selber uns der Großmut Wink,

Da er vorbeugend seine Boten sandte,

Daß der Versuch nicht bis zur Tat gedieh.

XUTHUS.

Der Götterwinke priesterliche Kunde

Mag Jon besser wohl als ich verstehn.

Von Sterblichen genügt dir überhaupt

Kein Vorbild mehr; du strebst nun einzig, uns

Des Latoniden Abglanz darzustellen.

JON.

Bist du nicht auch Olympiern verwandt?

O bei dem Zeus, der deinen Vater zeugte,

Der gern die Gäst' und Fremdlinge geleitet,

Wie ich, ein Gast, zu dir eintreten soll!

Nein, stoße mich nicht von dir, bester Vater!

Ich lasse nimmer ab: denn das Orakel

Gab ja nur darum mich zu eigen dir,

Daß ich dir nach und deinen Taten eifre,

Die durch die Welt des Ruhmes Fittich trägt.

So leite denn mich, väterlich gesinnt,

Und lehr' mich Herrscher sein und Held wie du.

XUTHUS.

Du ehrst die Abkunft, wessen du auch sei'st,

Mein wackrer Jon; denn wie bildsam Wachs[146]

Soll in des weisern Alters Hand die Jugend

Sich fügen, bis sie sich herausgestaltet,

Und felsenfest in Männerkraft nun dasteht.

So ward die Vorwelt groß: sie schreibt uns vor

Die Väter achten. Einen solchen Jüngling,

Wie dich, wünsch' ich zum Sohn mir oder keinen,

Er sei nun leiblich oder angenommen.

Laß küssend mich von neuem segnen deine Stirn.


Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Ausgewählte Werke. Berlin 1922, S. 144-147.
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