1.

Der Hexameter

[32] Gleichwie sich dem, der die See durchschifft, auf offener Meerhöh'

Rings Horizont ausdehnt, und der Ausblick nirgend umschränkt ist,

Daß der umwölbende Himmel die Schaar zahlloser Gestirne,

Bei hell athmender Luft, abspiegelt in bläulicher Tiefe:

So auch trägt das Gemüth der Hexameter; ruhig umfaßend

Nimmt er des Epos Olymp, das gewaltige Bild, in den Schooß auf

Kreißender Flut, urväterlich so den Geschlechtern der Rhythmen,

Wie vom Okeanos quellend, dem weit hinströmenden Herrscher,

Alle Gewäßer auf Erden entrieselen oder entbrausen.

Wie oft Seefahrt kaum vorrückt, mühvolleres Rudern

Fortarbeitet das Schiff, dann plötzlich der Wog' Abgründe

Sturm aufwühlt, und den Kiel in den Wallungen schaukelnd dahinreißt:

So kann ernst bald ruhn, bald flüchtiger wieder enteilen,

Bald, o wie kühn in dem Schwung! der Hexameter, immer sich selbst gleich,[32]

Ob er zum Kampf des heroischen Lieds unermüdlich sich gürtet,

Oder, der Weisheit voll, Lehrsprüche den Hörenden einprägt,

Oder geselliger Hirten Idyllien lieblich umflüstert.

Heil dir, Pfleger Homers! ehrwürdiger Mund der Orakel!

Dein will ferner gedenken ich noch, und andern Gesanges.

Quelle:
August Wilhelm von Schlegel: Sämtliche Werke, Band 2, Leipzig 1846, S. 32-33.
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