Viertes Kapitel

[29] So verstrich ein Tag nach dem andern. Man kann sich keine angenehmere Lebensweise denken, als die auf dem Schlosse geführt ward. Ein Vergnügen reihte sich an das andere; Tanz, Musik, Jagd und Spiel wechselte lustig ab, und in der Einsamkeit suchte jeder nur die Ruhe, um sich zu neuen Ergötzlichkeiten zu bereiten.

Die Liebenden erwarteten beide den Tag ihrer Vermählung sorglos und fröhlich, es stellte sich ja nichts ihren Wünschen entgegen; doch mit ganz verschiedenen Empfindungen. Eduard hatte eine peinigende Ungeduld Julianen ganz die Seinige zu nennen; er liebte sie mit der ungestümen Heftigkeit des Jünglings; er dachte, er träumte nichts als den Augenblick, sich im ungeteilten ungestörten Besitz der schönen Geliebten zu sehen; seine Phantasie lebte nur in jenem so heiß ersehnten Moment, alles Leben bis dahin würdigte er nur als Annäherung zu jener Zeit, wie der Gefangne, der der bestimmten Befreiung entgegensieht. Von dieser Ungeduld begriff Juliane nichts. Mit aller Innigkeit ihres reinen Herzens liebte sie ihn; niemand war ihr jemals liebenswürdiger erschienen; sie gab sich ihm gern, sie war von jeher schon mit der Idee vertraut, und hatte es als ihr Schicksal ansehen gelernt ihm anzugehören. Aber den Tag erwartete sie mit großer Ruhe; klopfte auch ihr Herz stärker bei dem Gedanken, so war es mehr eine bängliche Ahndung, die furchtsame Scheu des sittsamen Mädchens, als die Erwartung eines größern Glücks; sie ahndete kein größeres Glück, als daß es immer so bliebe, wie es war, es fehlte ihr so gar nichts. Sie nahm an allem den gewöhnlichen Anteil, hatte die immer gleiche, besonnene Aufmerksamkeit auf die Gesellschaft, Eduard mochte zugegen sein, oder nicht.

Sie war also nicht so beschäftigt, daß sie nicht hätte wahrnehmen[29] sollen, welchen Eindruck ihre Schönheit auf Florentin gemacht hatte. Er hatte die allgemeine Aufmerksamkeit erregt. Es schmeichelte der Eitelkeit des Mädchens, die seinige auf sich zu ziehen; es interessierte sie kindisch, den stolzen Mann zu beherrschen. Ohne es sich bewußt zu sein, und sich ganz der fröhlichen Stimmung hingebend, zog sie ihn mit einer feinen, ihr natürlichen Koketterie an.

Florentin fand sie immer schön, reizend, liebenswürdig, es ergötzte ihn, sie so eifrig bemüht und beschäftigt um ihn zu sehen, und die kleinen Schelmereien des jungen Herzens zu belauschen! Daß er aber gleich am ersten Abend so mit sich zu Rate gegangen war, schützte ihn gegen jeden tiefern Eindruck. Auch war es ihm nicht entgangen, daß sie willens war, ihn zum Spiel ihrer Eitelkeit zu machen, und nichts konnte so seine Phantasie zügeln, als wenn er irgendeine Absicht merkte. Er war leicht kindlich vertrauend: dann konnte er aber auch bis zur Ungerechtigkeit argwöhnend sein. Doch interessierte ihn Juliane sehr, die Tiefe ihres Gemüts war ihm nicht entgangen, trotz der Anlage zur Koketterie, und dem etwas künstlichen Wesen, welches ihre Erziehung und ihr Stand ihr gegeben hatte, und das ihn immer etwas entfernte, obgleich er es hier in so schöner Gestalt erblickte. Lange konnte er es doch nicht aushalten, sie unzufrieden zu sehen; so oft er sie durch ein zu kühnes Wort, oder eine Anspielung, die ihre Eitelkeit strafte, erzürnt hatte, so wußte er sie gleich wieder durch irgendeine Überraschung oder eine kleine schmeichelhafte Aufmerksamkeit zu versöhnen. Er stimmte nie mit ein, wenn sie in Gesellschaft von den um sie her flatternden Herrn wegen ihres Gesangs oder Tanzes, oder ihrer Schönheit erhoben ward; vielmehr suchte er sie dann durch einen kleinen Trotz, eine Art von Vernachlässigung zu demütigen. Wenn sie sich aber irgendeiner Regung ihres guten empfindlichen Herzens überließ, oder in ihrer natürlichen Anmut, kunstlos, ohne Anmaßung und ohne Absicht sich gar nicht bemerkt glaubte; dann wußte er ihr etwas Angenehmes zu sagen, oder sie durch einen Blick seiner Teilnahme zu versichern. Dann ließ er sich auch gern ihre kleine Siegermiene gefallen, und ertrug gutmütig ihre mutwilligen Neckereien. Nach und nach war die Zufriedenheit ihres launenhaften Lehrers allein bedeutend für Julianen; der laute Beifall der Menge ward ihr gleichgültiger, zuletzt beinah verhaßt.

Eduard bemerkte mit Freude diese Veränderung. Er scherzte eines Tages darüber, daß Florentin mehr Einfluß auf ihre Bildung habe als er. – »Sie haben mir es niemals merken lassen«, sagte Juliane, »daß ich zu eitel sei.« – »Ich liebte Sie Juliane, so wie Sie sind.« – »Und jetzt[30] merken Sie erst, daß ich besser sein könnte! ich kann mich wenig auf Ihre Erziehungskunst verlassen.« – »Die Liebe weiß nur zu lieben; wie sollte sie erziehen?« – »Sie erzieht freilich«, sagte Florentin, »aber nicht den andern.« – »Machen Sie meiner Liebe einen Vorwurf, unartiger Florentin?« erwiderte Juliane. »Nein, vielmehr spreche ich sie dadurch rein von einem Vorwurf, den man ihr allerdings machen könnte.« – »Nun?« – »Nun, daß Sie Eduard nicht besser erzogen haben. Denn er wird es doch nicht leugnen, daß er die Huldigungen Ihrer Eitelkeit mit noch weit größerer und sträflicherer Eitelkeit sich hat gefallen lassen. Es ist in der Tat eine schwierige Untersuchung, wer von Ihnen beiden mehr Erziehung oder weniger Liebe hat.« – »Trauen Sie sich zu, uns in beiden zu übertreffen?« –

»Ich, ihr Guten, kann weder mein Leben, noch meine Liebe mit dem Kunstwerk der Erziehung vergleichen!« –

»Man kann nicht anders als sich für ihn interessieren«, sagte Juliane, »aber er ist doch zu sehr verschlossen gegen seine Freunde, es ist ihm auf keine Weise beizukommen.« – »Doch hat vielleicht niemand mehr als er die Fähigkeit, Freund zu sein«, sagte Eduard. »Wissen wir doch nicht, wie oft er schon ist hintergangen worden; reizbar wie er ist, muß jede üble Behandlung ihn wohl auf lange verstimmen.«

Florentin vermied anfangs Eduards Annäherung mit eigensinnigem Stolz, ob er ihn gleich im Herzen wohl leiden mochte. Eduard ließ sich aber nicht dadurch abschrecken, er gewann immer mehr Anhänglichkeit für ihn, näherte sich ihm mit freundlicher, bescheidener Aufmerksamkeit, und suchte seinem etwas wilden, nach Freiheit strebenden Sinn mit dem feinen, gebildeten Geist, der ihm eigen war, zu begegnen; es mußte ihm gelingen. Florentin fühlte endlich, daß er am unrechten Ort mißtrauend gewesen war. Mit der Überzeugung seines Unrechts erweichte sich auch sein absichtlich verhärtetes Gemüt gegen Eduard, er wurde bald offner und geselliger gegen ihn. Auf einem Morgenspaziergang öffneten sich ihre Seelen gegeneinander; sie nannten sich seitdem Freunde. Florentin gewann Eduard so lieb, daß er ohne Wehmut bald nicht daran denken konnte ihn zu verlassen; doch mußte und sollte es geschehen!

So waren Wochen verflossen; mit einer jeden nahm er sich's fest vor, in der nächsten zu reisen; immer hielt ihn aber das Bitten seiner neuen Freunde und seine eigne Neigung fest. Zum erstenmal empfand er die Bitterkeit der Trennung; bis dahin hatte er alles, was er jemals verließ, gleichgültig verlassen.[31]

Quelle:
Dorothea Schlegel: Florentin. Berlin 1987, S. 29-32.
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