Julius an Antonio
I.

[74] Du hast Dich sehr verändert seit einiger Zeit! Sieh Dich vor Freund, daß der Sinn für das Große Dir nicht abhanden kommt, ehe Du es gewahr wirst. Was soll das geben? Du wirst endlich so viel Zartheit und Feinheit ansetzen, daß Herz und Gefühl drauf geht. Wo bleibt da die Männlichkeit und handelnde Kraft? – Ich werde noch dahin kommen, Dir zu tun wie Du mir tust, seit wir nicht mehr mit einander sondern neben einander leben. Ich werde Dir Grenzen setzen müssen und sagen, wenn er auch Sinn für alles hat, was sonst schön ist, so fehlt ihm doch der eine für die Freundschaft. Doch werde[74] ich den Freund und sein Tun und Lassen nie moralisch kritisieren; wer das kann, der verdient nicht das hohe seltne Glück einen zu haben.

Daß Du Dich zuerst an Dir selbst vergreifst, macht die Sache nur schlimmer. Sage mir im Ernst, suchst Du die Tugend in diesen kühlen Spitzfindigkeiten des Gefühls, in diesen Kunstübungen des Gemüts, die den Menschen aushöhlen und am vollen Mark seines Lebens zehren?

Schon lange war ich ergeben und still. Ich zweifelte gar nicht, daß Du, da Du so vieles weißt, auch wohl die Ursachen wissen würdest durch die unsre Freundschaft untergegangen ist. Fast scheint es ich habe mich geirrt, da Du so erstaunen konntest, daß ich mich ganz an Eduard anschließen will, da Du gleichsam nicht begreifend zu fragen schienst, wodurch Du mich denn beleidigt hättest. Wenn es nur das wäre, nur etwas einzelnes, dann wäre es den Mißlaut einer solchen Frage nicht wert, dann würde sich's von selbst beantworten und ausgleichen. Ist es aber nicht mehr wenn ich bei jeder Veranlassung es immer wieder als Entweihung fühlen muß, daß ich Dir alles von Eduard wie es vorfiel, mitteilte? Getan hast Du freilich nichts gegen ihn, auch nicht laut gesagt: aber ich weiß und sehe recht gut wie Du denkst. Und wenn ich es nicht wüßte und sähe, was wäre denn die unsichtbare Gemeinschaft unsrer Geister und die schöne Magie dieser Gemeinschaft? – Es kann Dir gewiß nicht einfallen, Dich hier noch länger zurückziehen und durch bloße Feinheit das Mißverständnis in Nichts auflösen zu wollen: denn sonst hätte auch ich wirklich nichts weiter zu sagen.

Unstreitig seid ihr durch eine ewige Kluft geschieden. Die ruhige klare Tiefe Deines Wesens, und der heiße Kampf seines rastlosen Lebens liegen an den entgegengesetzten Enden des menschlichen Daseins. Er ist ganz Handlung, Du bist eine fühlende und beschauende Natur. Darum solltest Du eben Sinn für alles haben und hast ihn auch, wo Du Dich nicht selbst absichtlich verschließest. Und das verdrüßt mich eigentlich. Möchtest Du den Herrlichen lieber hassen als verkennen! – Aber wohin soll es führen, wenn man sich unnatürlich gewöhnt, das wenige Große und Schöne was noch etwa da ist, so gemein zu nehmen, als es der Scharfsinn nur immer nehmen kann, ohne die Ansprüche auf den Sinn aufzugeben? – Was man überall sehn will, muß man endlich selbst werden.

Ist das die gerühmte Vielseitigkeit? – Freilich beobachtest du dabei den Grundsatz der Gleichheit, und einem geht's nicht viel besser[75] wie dem andern; nur daß jeder auf eine eigne Art verkannt wird. Hast Du nicht auch mein Gefühl gezwungen über das was ihm das Heiligste ist ewig zu schweigen gegen Dich wie gegen jeden andern? Und das darum, weil Du Dein Urteil nicht schweigen lassen konntest bis es Zeit war, und weil Dein Verstand überall Grenzen erdichtet, ehe er seine eigenen finden kann. Du hast mich beinah in den Fall gebracht, Dir auseinandersetzen zu müssen, wie groß eigentlich mein Wert sei, wie viel richtiger und sichrer Du gegangen sein würdest, wenn Du dann und wann nicht geurteilt sondern geglaubt, wenn Du hie und da in mir ein unbekanntes Unendliches vorausgesetzt hättest.

Freilich ist meine eigne Nachlässigkeit an allem schuld. Vielleicht war's auch Eigensinn, daß ich die ganze Gegenwart mit Dir teilen wollte, und Dich über Vergangenheit und Zukunft doch nicht belehrte. Ich weiß nicht, es widerstand meinem Gefühl, auch hielt ich's für überflüssig, denn ich traute Dir in der Tat unendlich viel Verstand zu.

O Antonio, wenn ich an ewigen Wahrheiten zweifeln könnte, so hättest Du mich dahin gebracht, jene stille schöne Freundschaft, die auf der bloßen Harmonie des Seins und Zusammenseins beruht, für etwas Falsches und Verkehrtes zu halten!

Ist es nun noch unbegreiflich wenn ich mich ganz auf die andre Seite werfe? – Ich entsage dem zarten Genuß und stürze mich in den wilden Kampf des Lebens. Ich eile zu Eduard. Alles ist verabredet. Wir wollen nicht bloß zusammen leben, sondern im brüderlichen Bunde vereint wirken und handeln. Er ist rauh und herbe, seine Tugend ist mehr kräftig als empfindsam: aber er hat ein männliches großes Herz, und in jedem bessern Zeitalter wäre er, das sage ich kühn, ein Held gewesen.


II.

Es ist wohl schön, daß wir endlich einmal wieder miteinander gesprochen haben; ich bin es auch zufrieden, daß Du durchaus nicht schreiben wolltest, und auf die armen unschuldigen Buchstaben schiltst, weil Du wirklich zum Sprechen mehr Genie hast. Aber ich habe doch noch eins und das andre auf dem Herzen, was ich nicht sagen konnte und was ich versuchen will, Dir brieflich anzudeuten.

Warum aber auf diesem Wege? – O mein Freund, wenn ich nur noch ein feineres gebildeteres Element der Mitteilung wüßte, um das was ich möchte, in zarter Hülle leise aus der Ferne zu sagen! Das[76] Gespräch ist mir zu laut und zu nah und auch zu einzeln. Diese einzelnen Worte geben immer wieder nur eine Seite, ein Stück von dem Zusammenhange, von dem Ganzen, das ich in seiner vollen Harmonie andeuten möchte.

Und können Männer die zusammen leben wollen, zu zart gegen einander in ihrem Umgange sein? – Es ist nicht als ob ich befürchtete, etwas zu Heftiges zu sagen, und daß ich darum gewisse Personen und gewisse Gegenstände in unserm Gespräch vermied. Darüber, denke ich, ist ja wohl die Grenzscheidung zwischen uns auf immer vernichtet!

Was ich Dir noch sagen wollte, ist etwas ganz Allgemeines; und doch wähle ich lieber diesen Umweg. Ich weiß nicht ob es eine falsche oder eine wahre Delikatesse ist, aber es würde mir schwer fallen, viel von der Freundschaft mit Dir zu reden von Angesicht zu Angesicht.

Und doch sind's Gedanken über diese, die ich Dir sagen muß. Die Anwendung – und auf die kommt es am meisten an – wirst Du leicht selbst machen können.

Für mein Gefühl gibt's zwei Arten von Freundschaft.

Die erste ist ganz äußerlich. Unersättlich eilt sie von Tat zu Tat und nimmt jeden würdigen Mann auf in den großen Bund vereinter Helden, schlingt den alten Knoten durch jede Tugend fester, und trachtet stets neue Brüder zu gewinnen; je mehr sie hat, je mehr begehrt sie.

Erinnre Dich an die Vorwelt und Du wirst diese Freundschaft, die den redlichen Krieg gegen alles Böse, wenn es auch in uns oder im Geliebten wäre, kämpft, überall finden, wo die edle Kraft in großen Massen wirkt und Welten bildet oder beherrscht.

Jetzt sind andre Zeiten, aber das Ideal dieser Freundschaft wird in mir sein, so lange wie ich selbst sein werde.

Die andre Freundschaft ist ganz innerlich. Eine wunderbare Symmetrie des Eigentümlichsten, als wenn es vorher bestimmt wäre, daß man sich überall ergänzen sollte. Alle Gedanken und Gefühle werden gesellig durch die gegenseitige Anregung und Ausbildung des Heiligsten. Und diese reingeistige Liebe, diese schöne Mystik des Umgangs schwebt nicht bloß als fernes Ziel vor einem vielleicht vergeblichen Streben. Nein, sie ist nur vollendet zu finden. Auch hat da keine Täuschung statt, wie bei jener andern heroischen. Ob die Tugend eines Mannes Stich hält, muß die Tat lehren. Aber wer[77] selbst in seinem Innern die Menschheit und die Welt fühlt und sieht, der wird nicht leicht allgemeinen Sinn und allgemeinen Geist da suchen können wo er nicht ist.

Zu dieser Freundschaft ist nur fähig, wer in sich ganz ruhig wurde und in Demut die Göttlichkeit des andern zu ehren weiß.

Haben die Götter einem Menschen eine solche Freundschaft geschenkt, so kann er weiter nichts, als sie mit Sorge vor allem was äußerlich ist bewahren und das heilige Wesen schonen. Denn vergänglich ist die zarte Blüte.

Quelle:
Kritische Friedrich-Schlegel-Ausgabe. Erste Abteilung: Kritische Neuausgabe, Band 5, München, Paderborn, Wien, Zürich 1962, S. 74-78.
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