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[180] Godewin, Estrithe.
GODEWIN.
Prinzeßin, zwar du scheinst mich ungern zu erblicken:
Doch glaub, ich komme nicht, dir etwas vorzurücken,
Ich hätte deinen Haß stets fern von dir verehrt,
Und niemals deine Ruh durch meinen Blick gestört:
Doch es hat meiner Pflicht mein Vorsatz weichen müssen,
Mein König läßt durch mich dir seine Freude wissen.
Itzt kömmt er, dich zu sehn, doch eh er dich umfaßt,
So wisse, daß du schon nichts mehr zu bitten hast.
Sprich ihm nicht von Verzeihn, viel minder von Verbrechen:
Dein Bruder will mit dir von nichts als Liebe sprechen.
Auch Ulfo, da du ihm dein ganzes Herz geweyht,
Verdient durch deine Gunst, daß ihm Canut verzeyht.
ESTRITHE.
Ich weiß nicht, warum ich dich ungern sollt erblicken,
Und welchen Grund du hast, mir etwas vorzurücken.
Heißt dich dein eignes Herz nur mein Gesicht nicht scheun,
Da dich mein Bruder schickt, muß mich dein Blick erfreun.
Ich ehre voller Dank die Zeichen seiner Güte.
Er weist auch im Verzeihn sein Königlich Gemüthe.
Doch da er, was geschehn, so großmuthsvoll vergißt,
Weiß ich, daß meine Pflicht es zu erwähnen ist.
Darf ich ie sein Geboth zu brechen mich erkühnen,
So ists, um seine Huld durch Bitten zu verdienen.
Hätt ich dem Ulfo gleich mein Herz auch nicht geweyht,
Der Ehrgeitz ist ein Fehl, dem leicht ein Held verzeiht.
Da ich dich, Godewin, begnadigt angetroffen.
Darf Ulfo noch vielmehr auf gleiche Güte hoffen.
GODEWIN.
Daß ich begnadigt sey, Prinzeßin, weiß ich nicht,
Vergebung braucht nur der, der seine Pflichten bricht.
Mein Herz verwahrte stets in ungeschwächtem Triebe,
Dem König meine Treu, so wie dir meine Liebe.
Die letzte hast du selbst dem Ulfo nachgesetzt:
Die erste steht noch fest, und nichts hat sie verletzt.
Mein Ehrgeitz treibt mich nicht aus des Gehorsams Schranken,
Kein unbiegsamer Stolz bekrönt mich in Gedanken.
Canut, der meine Treu stets zu erkennen schien,
Hat oft mir Gunst erzeigt, doch niemals mir verziehn.
Zwar dich, Prinzeßin, rührt der Glanz weit höhrer Dinge;
Der Ruhm, getreu zu seyn, scheint bey dir nur geringe.
Hätt ich vielleicht ein Herz, das herrschen will, gezeigt:[181]
So hätt ich zwar gefehlt, doch du wärst mir geneigt.
Nicht daß ich Ulfons Werth bey dir verkleinern wollte:
Ich ehre dich zu sehr, daß ich ihn hassen sollte.
Doch selbst die Ehrbegier seh ich für schimpflich an,
Die mich vergessen lehrt, ich sey ein Unterthan.
ESTRITHE.
Ich glaub es, daß dich nicht der Herrschsucht Triebe qvälen,
Nicht ieder ist geschickt, aus Ehrbegier zu fehlen.
Die Fehler, Godewin, sind nicht stets einerley,
Und auch durch zaghaft seyn verletzt man seine Treu.
GODEWIN.
Mich nennest du verzagt?
ESTRITHE.
Kann ich dich herzhaft nennen?
GODEWIN.
Wie hab ich diese Schmach bey dir verdienen können?
ESTRITHE.
Die Schmach rührt nicht von mir, du selbst entehrest dich.
GODEWIN.
Erst nahmst du mir dein Herz, und nun beschimpfst du mich?
ESTRITHE.
Verstelle nur vor mir dein schimpfliches Verbrechen.
Wenn du es gleich verschweigst, so wird die Welt doch sprechen.
Meynst du, daß ich allein, bey dem, was du gethan,
Aus Neigung gegen dich die Augen schliessen kann?
Wenn alles von dir spricht, soll ich allein nicht hören,
Wenn andre dich verschmähn, soll ich dich noch verehren.
Erinnerst du dich nicht, wie du in jener Schlacht
In Schottlands Bergen dich der Welt zum Spott gemacht?
Wie du durch feige Flucht aus Sorge für dein Leben,
Dem feindlichen Gewehr den Rücken bloß gegeben;
Und daß du, wenn ein Held auf der benarbten Brust
Ruhmvolle Wunden zeigt, die deinen bergen mußt?
Dieß hat, Unwürdiger, mir längst der Ruff entdecket,
Wie schamroth hab ich mich vor alle Welt verstecket;
Wie zitternd und voll Zorn hab ich den Spott gehört,
Der, den ich liebte sey vor aller Welt entehrt?
Ich schäme mich noch itzt, daß du mein Herz besessen.
Mich kränkt noch diese Schmach, und du hast sie vergessen.
Du trittst nach solcher That noch kühn vor mein Gesicht,
Du thust, als wüßtest du von deiner Schande nicht.
Du meynst, ich scheue mich noch selbst vor deinen Blicken,
Und fürchte nur, du kämst mir etwas vorzurücken.
Hast du noch Lieb und Treu vielleicht von mir begehrt?
Wer keinen Ruhm verdient, ist keiner Liebe werth:
Hab ich dich nicht mit Recht dem Ulfo nachgesetzet?
Ich brach nicht meine Treu, nein! du hast sie verletzet.
Dein Herz hat Ehr und Pflicht und wen du liebst verkannt:[182]
Drum hab ich dich mit Recht aus meiner Brust verbannt.
Sollt ich dein feiges Herz noch stets als mein betrachten,
Mich dir zu eigen weyhn, da ich dich must verachten?
So hätt ich ja den Spott, den du verdienst, getheilt.
Und wäre willig selbst zur Schande zugeeilt.
GODEWIN.
Wie unrecht du mir thust, kann ich dich leicht belehren.
ESTRITHE.
Ich weiß genug von dir, um weiter nichts zu hören.
GODEWIN.
Nachdem du mich beschimpft, entweichest du von mir?
ESTRITHE.
Dich weiter nicht zu sehn, sonst will ich nichts von dir.
GODEWIN.
Soll ich beschuldigt seyn, und kein Gehör erlangen?
ESTRITHE.
Was kannst du sagen?
GODEWIN.
Dieß: Ich habe nichts begangen.
ESTRITHE.
Entweich, und läugne nicht, was alle Welt gesehn.
GODEWIN.
O Himmel! mußte mir noch diese Schmach geschehn!
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