Zweyter Auftritt.


[201] Ulfo, Estrithe.


ULFO.

Nun sollst du ferner nicht dich über mich beklagen,

Estrithe, hör nun auf, dein eignes Herz zu plagen.

Die Ursach ist getilgt, die du so sehr beweint,[201]

Canut kann sicher seyn, ich bin nicht mehr sein Feind.

ESTRITHE.

Wie? so kann ich einmal mit Freuden dich erblicken?

Darf meine Zärtlichkeit kein Seufzer mehr ersticken?

Mein Herz, das dir so oft der Liebe Proben giebt,

Soll nun auch einmal sehn, daß Ulfo wiederliebt?

Sprich, welcher Zufall hat mir dieses Glück bescheret,

Und meinen Thränen noch dieß Wunderwerk gewähret?

Was bringt, da ich bestürzt die Hofnung selbst verlor,

In deinem Herzen noch den edlen Trieb hervor?

Doch sage, darf ich auch mich auf dein Wort verlassen?

Ist nun dein Ruhm vergnügt? hörst du nun auf zu hassen?

Ists wahr, daß du versöhnt in ferne Kriege ziehst?

ULFO.

Wie zweifelst du an dem, was du vor Augen siehst?

ESTRITHE.

Verzeyh, daß dieses Herz, das du in Furcht gesetzet,

Zu glauben nicht gewagt, was mich so sehr ergötzet.

Der Ausgang, der so oft mein Hoffen widerlegt,

Hat meiner bangen Brust dieß Mistraun eingeprägt.

O möchten doch einmal so vieler [Güte] Zeichen,

Geliebtester, dein Herz, nach dem man strebt, erreichen!

Möcht ich dich den Canut nach abgeschworner List

So ernstlich lieben sehn, als er dir günstig ist.

Möcht ich doch im Gemahl nicht mehr zu meinem Schrecken,

Nach längst versprochner Ruh, stets neuen Haß entdecken!

Ach! sind denn nun einmal die frohen Tage da,

Die ich so oft gewünscht, und nie erscheinen sah?

ULFO.

Doch da mich Ruhm und Pflicht von deiner Seite trennen,

Sprich, wirst du mich auch noch abwesend lieben können?

ESTRITHE.

Wie? du entferntest dich? und ich verweilte hier?

Da du mich erst vergnügst, verbannst du mich von dir?

Nein! Pflicht und Ruhm, die dich hier nicht verweilen heissen,

Erdenken kein Gesetz, um mich von dir zu reissen.

Ich bin dir nachgefolgt, da Mangel und Gefahr

Noch die erträglichste von meinen Sorgen war;

Da, wenn mich das Geschick mit dir in Noth versenkte,

Des Unglücks Qvelle mich mehr als das Unglück kränkte.

Itzt führe mich mit dir, daß ich mit gleicher Treu

Gefährtin der Gefahr, des Ruhmes Zeugin sey,

Um als Zuschauerin an den gerechten Siegen,

Die du erkämpfen sollst, mich mit dir zu vergnügen.

Wie werd ich mich erfreun, wenn du, von Muth erhitzt,

Den Arm, so würdig brauchst, der so viel Krafft besitzt,

Und, ohne deinen Ruhm durch Untreu zu beflecken,[202]

Der Feinde Schrecken wirst doch ein gerechtes Schrecken!

Wie werd ich mich erfreun, wenn meiner Liebe Pflicht

Der strengsten Schwestertreu nicht weiter widerspricht,

Wenn mich nichts kränkt, nichts zwingt, und ich in deinem Suchen

Dir Fortgang wünschen darf, ohn dem Canut zu fluchen,

Und wenn ich ihm entzückt die Bürgschaft leisten kann,

Es sey sein größter Held sein treuster Unterthan!

ULFO.

Nur daß auch dieses Heer, als dessen Haupt ich ziehe,

Sich mit mir um den Ruhm, auf den du hoffst, bemühe:

So bitte den Canut, daß er ins Lager geh,

Und dieß erlesne Volk beym Aufbruch noch beseh;

Die Hauffen, die indeß um die gepflanzten Fahnen

Schon dicht versammlet stehn, zum Eifer zu ermahnen.

ESTRITHE.

Ein so gerechter Wunsch braucht meinen Vorspruch nicht.

Er wird erhöret seyn, so bald dein Mund nur spricht.

Doch weil du es begehrst, erfüll ich dein Begehren.

Ich suche nichts so sehr, als deinen Ruhm zu mehren,

Wenn nur nicht dieser Ruhm den Pflichten widerstrebt,

Und andrer Unglück wird, indem er dich erhebt.


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 201-203.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantische Geschichten III. Sieben Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.

456 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon