Vorbericht.

[173] So wenig diejenigen, welche die Geschichte der alten Zeiten beschreiben, besonders was die Begebenheit betrifft, die ich zum Grunde dieses Trauerspiels genommen, in den Nebenumständen übereinstimmen: so einig sind sie darinnen, daß der zweyte Canut einer der größten Könige von Dännemark gewesen, welcher durch seine Tapferkeit nach dem Ausdrucke des Saxo ein Besitzer von sechs Königreichen ward, wiewohl er laut eines Documents, das Hvitfeld anführet, sich nur König über ganz England, Dännemark, Norwegen und einen Theil von Schweden schrieb, und daß dieser König sich eben so groß durch seine Gerechtigkeit und Gütigkeit, als durch seine Tapferkeit gemacht. Das alte Hof-Recht, oder, wie es genannt wird, Witherlaghs-Rätt, welches bis auf unsere Zeiten übrig geblieben ist, und ihn zum ersten Urheber hat, giebt zu erkennen, wie hoch er die Einigkeit und das Blut seiner Unterthanen geschätzet, indem er denjenigen, welcher den andern beleidiget und verwundet hätte, für einen nichtswürdigen Menschen (Nithing) angesehen, und in keinem von seinen Reichen geduldet wissen wollte. Von seinen andern Tugenden reden so viele Beyspiele, welche so wohl Saxo als andre Geschichtschreiber anführen, von denen der erstere ihm das Zeugniß giebt, daß die Unwissenheit und das Alterthum, welche das Andenken so vieler andern Könige verdunkelt, dem Ruhme dieses Helden nichts anhaben können.

Gleichfalls ist es eine Begebenheit, welche von keinem Geschichtschreiber geläugnet wird, daß dieser gütige Canut, nachdem er dem Ulfo seiner Verrätherey wegen Gnade erwiesen, durch den Trutz und die Ruhmredigkeit dieses Mannes so weit gebracht worden, daß er ihm das Leben nehmen ließ.

Dieses sind fast die einzigen gewissen und unbestrittenen Umstände dieser Begebenheit. In den übrigen bin ich meistentheils dem Saxo gefolget, und was er davon im Xten Buche seiner Dänischen Geschichte berichtet, ist folgendes: Ulfo, ein geborner Schwede, den die Knytlinga Saga einen Grafen nennet, hatte lange Zeit unter dem Canut gedient, und ihm in allen seinen Kriegen besonders in England beygestanden. Er war bey seiner grossen Tapferkeit von sehr wildem Gemüthe, ein Carakter von welchem ich mich zu sagen getraue, daß er vormals bey den Deutschen und Nordischen Völkern[173] sehr gemein war, und daß die meisten unter ihnen die Tapferkeit für die einzige Tugend hielten. Eine Eifersucht gegen den Ruhm des Canut, den er gerne, wo nicht übertroffen, doch ihm gleich gekommen wäre, machte ihn zum Feinde desjenigen Königs, unter dem er sich bisher so wohl verhalten hatte.

Canut hatte eine Schwester mit Nahmen Estrithe, welche anfangs mit Richard einem Grafen in der Normandie verheyrathet gewesen, und von ihm so vieles ausgestanden hatte, daß Canut endlich genöthiget war, diesen Grafen aus seinen Landen zu verjagen, seine Schwester aber zurückzunehmen, die er so sehr liebte, daß er ihr einen Theil der Regierung anvertraute. Ulfo, welcher Gelegenheit suchte, seinen Haß gegen den Canut zu vergnügen, ergriff hierzu einen Einfall der Schweden in Schonen, die er ohne Mühe zurückzutreiben versprach, wenn Canut ihm einen Brief an seine Schwester Estrithe geben wollte, darinnen ihr befohlen würde, alles zu thun, was ihr Ulfo sagte. Diesen Brief misbrauchte er als einen Befehl des Canut an die Estrithe, ihn zu heyrathen. Nachdem er dieses erhalten hatte, gieng er mit ihr nach Schweden, verband sich mit dem Könige Omund von Schweden und mit Oluf Könige in Norwegen, den Canut zu bekriegen, so daß der eine nach Schonen, der andre nach Seeland gehen sollte. Ulfo aber setzte sich mit einer Flotte in dem Fluß Helga, welcher auf der Gränze von Schweden und Schonen sich in das Meer ergiesset. Der König Canut, der von diesem Vorhaben schon durch den Haqvin Nachricht erhalten hatte, gieng selbst auf dem Omund los, und schickte einen andern Theil seiner Macht dem Ulfo entgegen. Die Anführer dieser Macht hörten kaum, daß Canut den Omund geschlagen hatte, so wollten sie nicht langsamer gewesen seyn, als er, und schlugen an einem Orte, wo der Fluß Helga sehr breit war, eine Brücke, um auf eine Insul zu kommen, wo der Feind gelandet hatte. Ulfo ließ sie in Ruhe bis der größte Theil der Dänen mitten auf der Brücke war. Er stellte sich sodann, als ob er diejenigen, die ans Land kämen, angreiffen wollte und verursachte dadurch unter den Dänischen Völkern eine solche Eilfertigkeit und ein solches Gedränge auf der Brücke, daß dieselbe zerbrach, und fast das ganze Kriegsvolk ersauffen mußte. Da sich unterdessen der König herannahte, sah sich Ulfo nicht mehr sicher, und beschloß, seine Flotte zu verlassen. Er verrichtete dieses des Nachts durch Hülfe der Boote, mit denen er seine Völker an Land setzte, und in Sicherheit brachte, und die Dänen, welche des andern Tages seine Flotte angreiffen wollten, fanden nichts als leere Schiffe.

Nachdem hierauf Estrithe den Ulfo wieder bey ihrem Bruder ausgesöhnet hatte, so that sich Ulfo noch immer auf diesen erhaltnen[174] Sieg so viel zu gute, daß er ihn bey allen Gelegenheiten rühmte. Er that dieses zumal auf eine so trotzige und beleidigende Art, daß Canut ihm endlich das Leben deswegen nehmen ließ, wie wohl ihn diese That sehr betrübte, und er sie durch Wohlthaten gegen seine Schwester auf alle Art und Weise wieder gut zu machen suchte.

Es erzählet Torfäus ganz andre Umstände der Sache, denen ich gefolgt seyn würde, wenn ich eine Geschichte und nicht ein Trauerspiel schreiben wollen. Ich habe diejenigen Umstände gewählet, die mir am beqvemsten geschienen, Caraktere ins Licht zu setzen und Gemüthsbewegungen zu erwecken, und dieses mit einer Freyheit, die schon längstens in Gedichten vergönnet gewesen. Ich habe Umstände dazu erdichtet, wie ich für dienlich erachtet, und andre wiederum verändert, weil sie ohne weitläuftige Erklärung unwahrscheinlich ausgesehen haben würden, und diese Erklärungen mich von der Hauptfabel abgeführet hätten.

Unter diese Erdichtungen gehöret auch dasjenige, was den Godschalk betrifft. Die Geschichte sagt von ihm, daß er zu derselben Zeit in Canuts Dienste gegangen, und daß er sonst, da er die Wissenschaften erlernen sollte, auf die Nachricht, daß sein Vater erschlagen worden, die Künste sogleich verlassen habe, über einen Fluß geschwommen sey und Völker gesammlet habe, diesen Tod zu rächen.

Man hat der Dichtkunst schon längst eine solche, ja eine noch grössre Gewalt über die Geschichte, um desto williger vergönnet, da diejenigen, die mit Hauptbegriffen von der Historie zufrieden sind, an dergleichen Nebenumständen nichts verlieren, diejenigen aber, so die Begebenheiten vergangner Zeiten auf das genauste kennen wollen, sie nicht in den Gedichten suchen.[175]


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 173-176.
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