Erster Auftritt.


[257] Sylvester. Frau Sylvesterinn.


SYLVESTER. Nun gieb mir den Augenblick alle deines Sohns seine Zeitverderber her. Seine Laute will ich mit den Füssen zertreten; seine Bilder will ich zerreißen; seine Farben will ich ins Wasser werfen; seine Pinsel will ich in den Koth schmeißen; seine Stiefel will ich ins Feuer werfen, und seine Verse, die verwünschten Verse, will ich zum Krämer schicken.

SYLVESTERINN. O! die Verse kriegt der Krämer noch nicht; die müssen erst gedruckt werden: und ums andre kannst du dich unbekümmert lassen.

SYLVESTER. Mit einem Worte, es muß alles fort! Ich leide das Zeug nicht eine Stunde mehr bey ihm! Ich wollte, daß ich ihm die Beine dazu könnte lahmen lassen, damit er nicht mehr tanzen und nicht mehr herum laufen könnte.[257]

SYLVESTERINN. Wie? du willst mich und meinen Sohn in so viel Thaler Schaden bringen? Du willst mein Kind zum Krüppel machen. – Ach! ich möchte Blut weinen! Was das für ein boshafter Mann ist! Warum denn? Was hat er denn gethan? Du fährst ihm ja mit! wenn er gleich gestohlen hätte, du könntest es nicht ärger machen.

SYLVESTER. Wenn er gleich gestohlen hätte? Sich selber bestiehlt er!

SYLVESTERINN. Was soll das nun heißen – sich selber bestiehlt er? Darum ist mein Tage noch niemand gehangen worden, weil er sich selber bestohlen hat.

SYLVESTER. Hängen will ich ihn auch nicht.

SYLVESTERINN. Aber die Beine willst du ihm lahmen: das möchte einen Stein in der Erde erbarmen!

SYLVESTER. Nein! ich will ihm nur die verwünschten Sachen nehmen.

SYLVESTERINN. Nun! warum denn aber?

SYLVESTER. Du fragst noch warum? Nun ist ja alles gestört, was wir vorhatten. Nun hat ers! Darum will ich ihm das alles nehmen, weil er nicht nach Hause kömmt!

SYLVESTERINN. Was das geredt ist? Machen denn die Sachen, daß er nicht nach Hause kömmt?

SYLVESTER. Ja, die Sachen machen es, und du darzu.

SYLVESTERINN. Willst du mich nicht etwan auch mit den Füssen zertreten, oder zerreißen? oder ins Wasser werfen? oder in den Koth schmeißen? oder ins Feuer legen? oder zum Krämer schicken?

SYLVESTER. Zum Krämer gewiß nicht: lieber zum Schachtelmanne.

SYLVESTERINN. Oder, willst du mich etwan auch lähmen?

SYLVESTER. Schweig still. Gieb mir deines Fortunats seinen Plunder alle heraus. Da, da ist die Laute.

SYLVESTERINN. Wie? die Laute? Ums Himmels willen. Nur die nicht! Ich höre sie so gerne. Sage nur, ob du nicht gescheid bist? Die Laute, die wird wohl machen, daß er nicht nach Hause kömmt?

SYLVESTER. Ja, die Laute, und die Malereyen, und die Stiefel, die machens! das sage ich.

SYLVESTERINN. So sage mir doch nur, wie die es machen können? Lieber Mann, daran will ich sehen, ob du noch gescheid bist.

SYLVESTER. Du willst sehen, ob ich gescheid bin? Du bist wohl die rechte Seherinn, ob die Leute gescheid sind? So würdest du ja sehen, daß dein Sohn nicht gescheid wäre. Ich will dirs aber sagen, wie der Plunder machen kann, daß er nicht nach Hause kömmt. Ist es nicht wahr? Sein Malen, sein Tanzen, und alle das Zeug (man möchte ein besonders Register drüber haben, daß mans merken könnte) das Zeug alles macht, daß er immer was anders vorhat, als er sollte.[258] Und daß er immer was anders vorhat, das macht, daß er mein Tage nicht das rechte vorhat. Und daß er mein Tage nicht das rechte vorhat, das macht, daß er niemals ist, wo er seyn soll. Und daß er nicht ist, wo er seyn soll, das macht, daß er nicht da gewesen ist, als Jungfer Lieschen da war. He! bin ich nun bald gescheid? willst du mir bald deines Sohns seine Sachen hergeben?

SYLVESTERINN. Nimmermehr sollst du sie kriegen! und eher du die Laute mit Füssen trittst; eher sollst du mir alle Gedärme aus dem Leibe treten, bis ich so hohl bin, wie die Laute.

SYLVESTER. Schatz, thu doch nicht so thöricht! Es ist zu deinem und deines Sohns besten.

SYLVESTERINN. Zu seinem besten sollte es seyn, wenn du ihm hundert Thaler Schaden thust? Wenn ich dir nun für hundert Thaler Pelze nähme: wäre das zu deinem besten? Und zu meinem besten würde es vollends seyn! Ich müßte ihm andre Sachen kaufen. Und das wäre mein bestes!

SYLVESTER. Freylich ist es sein bestes. Die Sachen haben ihn zum Narren gemacht, und zum Bettler und zum Landläufer werden sie ihn noch machen.

SYLVESTERINN. Was? zum Narren? zum Landläufer und zum Bettler? Ich habe dir es ja hundertmal gesagt. Er ist natürlich, wie sein Vater: der leibhaftige Vater ist er! Und du sprichst, er wäre ein Narr, und werde zum Landläufer und zum Bettler werden? So wäre mein seliger Mann ein Narr gewesen? So wäre er itzund ein Bettler und Landläufer, wenn er nicht gestorben wäre?

SYLVESTER. Ja, der natürliche Vater! der leibhaftige Vater! Wenn dein Sohn zween oder drey Fehler hat, die der Vater auch hat: hernach ist er der natürliche, der leibhaftige Vater. Und wenn es nur heißt: er ist der natürliche, der leibhaftige Vater: hernach ist er ein braver Mann.

SYLVESTERINN. Was? wäre mein seliger Mann kein braver Mann gewesen? Ach! der liebe Mann! wenn er das in der Erde wüßte. Er käme doch wieder, und kratzte dir die Augen aus! Wenn ich nur wüßte, wer heute etwan stürbe; ich schwöre dirs zu, ich ließe es ihm sagen. Noch heute Abends sollte er wiederkommen.

SYLVESTER. Des Tages wollt ihr Weiber immer todte Männer haben. Denn sie keifen fein nicht. Aber wenn er des Nachts käme: so würdest du wohl zusammen kriechen, und Gott danken, wenn du ihn wieder vom Halse los wärst.

SYLVESTERINN. Ja! ich wollte nur, daß ich ihn den Nachmittag wieder gehabt hätte. Jungfer Lieschen hätte gewiß als Braut, und anders nicht aus meinem Hause gehen sollen. Wenn du wissen willst,[259] wer es macht, wenn unser Vorsatz zurücke geht: du machest es, und nicht mein Sohn; nicht die Laute, nicht die Farben, nicht die Pinsel, nicht die Stiefel, nicht die Verse, nicht das Tanzen! Auch ich nicht! Du, du machsts, und kein andrer Mensch auf der Welt Gottes.

SYLVESTER. Höre doch ein Mensch an! Nun mache ichs!

SYLVESTERINN. Sprich nur mehr, was man mit Füssen treten, was man zerreißen, was man ins Wasser werfen, was man in den Koth schmeißen, was man zum Krämer schicken soll.

SYLVESTER. Mich gewiß? Nicht wahr? Nun will ich auch sehen, ob du gescheid bist? Sage mir geschwind, wie es seyn kann, daß ich es gemacht habe?

SYLVESTERINN. Sprich du nur mehr, wem du die Fasse lahmen willst.

SYLVESTER. Willst du mir sie etwan lahmen?

SYLVESTERINN. Nein! nein! lieber Schatz. Aber so lieb als ich dich habe, die Zunge hätte ich doch wohl gewünscht, daß ich sie dir auf eine Viertelstunde ein Bißchen lahmen könnte. Die verzweifelte Zunge! Hätte ich doch nicht gedacht, daß sie meinen armen Sohn so herunter machen könnte, wie du gegen Lieschen gethan hast.

SYLVESTER. So! so! nun weis ich, warum ich Haare auf dem Kleide hatte.

SYLVESTERINN. Ach! freylich, du Angstmann! wenn mein Sohn unordentlich wäre: solltest du es denn sagen? Ist mein Sohn unordentlich? Höre!

SYLVESTER. Was sprech ich nun? Spreche ich ja: so wirst du böse, Schatz. Und ich habe mich schon aus dem Athem gezankt. Er ist ordentlich; und ist auch nicht ordentlich.

SYLVESTERINN. Was heißt denn das? Er ist zugleich ordentlich; und auch nicht ordentlich?

SYLVESTER. Sieh nur an! mein Schatz. Darüber können wir uns wohl vergleichen. Du heißest die Leute ordentlich, wenn sie ordentliche Kleider haben; und galant, wenn sie galante Kleider haben; und reich, wenn sie reiche Kleider haben; und schön, wenn sie schöne Kleider haben.

SYLVESTERINN. Das letzte nun wohl eben nicht. Für das übrige will ich aber nicht stehen.

SYLVESTER. Also heißest du ordentlich, was ich nicht so heiße. Und dein Sohn ist ordentlich, wie du es meynst, und nicht ordentlich, wie ich es meyne. Bin ich nun bald gescheid? Höre!

SYLVESTERINN. Je! ja doch. Wenn du nur gesagt hättest, er wäre ordentlich. Hättest du es doch meynen mögen, wie du gewollt hättest. Hättest du es nur gemeynt, wie ich es meyne! Aber siehst du?[260] meines Sohnes seine Sachen, die du ihm nehmen willst, haben nicht mehr Schuld, als du, wenn er Jungfer Lieschen nicht kriegt. Und wenn du mir seine Sachen nimmst: so schwöre ich dir es zu: du mußt auch gestraft seyn, und wenn ich deine Pelze nehmen sollte.

SYLVESTER. Nun! was soll ich nun mit dir machen? Meine Pelze sollst du mir wohl ungenommen lassen.

SYLVESTERINN. Und meines Sohns seine Sachen sollst du mir gewiß auch ungenommen lassen.

SYLVESTER. Nun! es ist gut! es ist gut! Gieb dich nur zufrieden, ich mag den Bettel nicht haben, wenn es mich meine Pelze kosten soll.

SYLVESTERINN. Und meinen Sohn sollst du auch zufrieden lassen. Es ist meine Zucht. Wenn du mit mir zufrieden seyn kannst: so kannst du mit meinem Sohne auch zufrieden seyn.

SYLVESTER. Ach ja! es fehlt nicht viel, daß ich mit deinem Sohne nicht so gut zufrieden bin, als mit dir.

SYLVESTERINN. Siehst du. Ach! du bist mit mir nicht zufrieden! Du hast mich gar nicht lieb! Wenn doch mein seliger Mann nimmermehr gestorben wäre!

SYLVESTER. Ich glaube, du weinst, mein Herzchen. Nein! nein! ich will lieber mit dir zufrieden seyn, und mit deinem Sohne auch. Laß nur deinen seligen Mann nicht wieder holen.


Quelle:
Johann Elias Schlegel: Ausgewählte Werke. Weimar 1963, S. 257-261.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der geschäftige Müßiggänger
Der geschäftige Müßiggänger

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Der gute Mond / Er laßt die Hand küssen / Ihr Traum. Drei Erzählungen

Drei Erzählungen aus den »Neuen Dorf- und Schloßgeschichten«, die 1886 erschienen.

64 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon