Das 66. Capitel.
Wenn eine Elster auf einem Hause sitzt und schreyet /worinnen ein Krancker liegt / so wird der Krancke wieder gesund.

[295] Das ist ein angenehmer Vogel, dieser Vogel bedeutet und bringet lauter Freude: an einem andern Ort vernehmen wir, daß wenn er und seine Cameraden sich auf einem Hause hören liessen, solten bald Gäste kommen: hier aber bringt er die gute Botschafft, daß der Krancke wieder genesen soll. Ingleichen geben die klugen Weiber in ihrer Rocken-Philosophie vor, daß, so die Elster Vormittage auf einem Hause säß, und schrie / und man sähe sie von forn zu, so folgete etwas Gutes drauf; sey es aber Nachmittage, und man sähe sie von hinten zu, so folge Verdrüßlichkeit drauf. Aus welchen allen abzunehmen ist, daß dieser Vogel, um seines langen Schwantzes halber / so angenehm sey. Denn so man die Sache wohl überleget, so wird sichs nicht anders befinden, wenn sie sagen: Wenn Vormittage diese Elster von forn zu, das ist, an den Kopff, Brust und Bauch gesehen wird, so folget etwas Guts (das ist der Schwantz) hernach. Also bringt dieser Vogel alles Glück auf den langen Schwantze. Kehret er nun aber Nachmittage das Gute, das ist, den Schwantz vor, so folget das Schlimme darauf. Derogen scheinet es, ob sähen die lieben Weiber gern, wenn dieser Vogel nur hinten und forn aus lauter störtzigen Schwäntzen bestünde. Ich bin zwar selbst auch ihrer Meynung / denn mit denen Schwäntzen thun sie keinen Schaden, als wie mit dem Kopff und Schnabel, mit welchen sie denen Bauern die Eyer aus sauffen / die Qvärge fressen, die Käse-Körbe visitiren / auch wohl gar die jungen Hünlein[296] davon tragen. Welches in Wahrheit solche Untugenden sind, daraus ich kein Glück gewarten kan; und dennoch soll dieser diebische Vogel, mit seinem Geschrey, Glück bedeuten, und die Genesung eines Patienten anzeigen. Weil aber die klugen Weiber sagen, daß wenn eine Krähe oder ein Rabe auf einem Hause schrie, worinnen ein Patiente läge, es den Tod des Krancken bedeute; so kan ich nicht glauben, daß eine Elster, als welche eben auch mit unter die Zunfft der Galgen Vögel gehöret, mit seinem Geschrey etwas bessers andeuten könne als eine Krähe. Derowegen mein wohlmeynender Rath wäre, man glaubte diesem schwatzhafftigen Diebs-Volcke nicht so viel, sondern ergötzte sich nur an seinen schönen langen bundfarbigen Schwantze.


Die Elster hat einn langen Schwantz,

Von bunder Farb und schönen Glantz,

Drum habn sie auch die Weiber lieb,

Ob sie gleich ist ein Käse-Dieb,

Und säufft den'n Bauern Eyer aus,

Trägt auch die Qvärge aus dem Hauß,

Und stiehlt der Glucken ihre Jungen,

Dennoch wird ihr ein Lob gesungen,

Als ob sie ein solchr Vogel wär,

Dem nichts gebührt, als Lob und Ehr.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 295-297.
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