Das 43. Capitel.
Wenn ein Kinder-stillend Weib ein Knäblein stillet /und legt einer andern ihr Kind / das ein Mägdlein ist /an ihre Brust / so krichen hernach diese Kinder in Unehren zusammen.

[346] Ich habe gar offt erfahren, daß, wenn manche Wöchnerin im Anfange nicht bald geschickt gewesen ist /ihrem Kinde selbst aus ihren Brüsten zu schencken, sie eine andere stillende Frau ersuchen müssen / das nur gebohrne Kind immittelst an ihre Brüste zu legen, biß sich die Milch bey ihr selbst finden möchte. Aber, an statt guter Willfährigkeit, ist mehrmahls die Entschuldigung gefallen: Ja, dieses wäre ein Knäbgen /jenes aber ein Mägdlein, und schickte sich dannenhero nicht, daß man einen Sohn und eine Tochter an einer Brust trincken ließ. Warum? Weil zu besorgen, daß hernach diese zwey Kinder, wenn sie groß werden, in Unehren sich vermischen möchten. Ey, wie eine gute Sorgfalt ist[346] das! und gemahnet mich bald, als wie jenes Verwalters, welcher auf seines Herrn Befragen / womit er (der Verwalter) denn seine Zeit bey gantz müßigen Stunden vertriebe? zur Antwort gab: Er nähme die beste Magd, und ritte auf selbiger überall im Guthe herum, und gäbe Achtung, daß nicht irgend Unzucht unter dem Gesinde vorgienge. Da kan man gedencken, wie sorgfältig der Verwalter der Unzucht halber mag gewesen seyn. Also sind hier bey diesem Puncte die Weiber auch, sie hofiren, so zu sagen, recht hinter die kleinen Töpffe, daß die grossen nicht umfallen sollen, und wollen an denen saugenden Kindern die besorgende Unzucht unterbrechen, da sie hingegen bey erwachsenen Personen wohl mehrmahls Gewissen lose Kuppel-Huren agiren. Das mag wohl heissen: Mücken seygen, und Cameele verschlucken. In solchen Begebenheiten / da eine Frau der andern in der Noth einen billigen und Christlichen Liebes-Dienst erweisen soll, machen sie grosses Bedencken darüber, wenn beyde Kinder nicht einerley Geschlechts sind. Wenn sichs aber begiebt, daß die Wöchnerin ihr Kind gar nicht selbst stillen, sondern eine Amme halten will, auf daß die Frau Wöchnerin fein bald sich wieder könne Zeug zu einem neuen Kinde anmessen lassen / da machet man sich gar keinen Kummer, es mag die Amme ein Knäbgen oder Mägdlein gestillet haben, es mag auch die Amme eine Hure oder ehrlich Weib seyn? Nein, da hat man keine Sorge vonnöthen, es hat gantz nichts zu bedeuten. Aber, die[347] guten Weiber lassen sich durch solch unbedachtsam Beginnen gar zu sehr in die Karte sehen, und erweisen damit gegen jedermann, wie sehr sie in abergläubischer Unbesonnenheit ersoffen sind. Sie möchten nur bedencken, daß sichs ja offt zutrage, daß eine Mutter, die Zwillinge gebieret, da eines ein Mägdgen, und das andere ein Knäbgen ist, solche zwey Kinder an ihrer Brust trincken lasse, ohne Besorgung einiger Blut-Schande; wie soll es denn bey andern Kindern, die von zwey Müttern gebohren sind, so eine gefährliche Würckung verursachen? ich meines Orts kan es nicht begreiffen, und riethe ich denen guten Weibern, daß sie, an statt solcher unnöthigen Sorge, fein auf ihre erwachsenen Söhne und Töchter Achtung gäben, daß sie nicht in Unehren oder heimlich zusammen kröchen, weil dergleichen Zusammenfindung ja so gemein ist, daß es fast vor keine Schande mehr will gehalten werden, und geschiehet solches ohne Verwahrlosung in ihrer Kindheit, ob sie gleich nimmermehr an einer Brust mit einander getruncken haben. Woraus ja Sonnen klar erscheinet, daß der vorhabende Punct in einer abergläubischen Narrethey bestehe.

Quelle:
Schmidt, Johann Georg: Die gestriegelte Rocken- Philosophie. 2 Bände, Chemnitz 1718 (Bd. 1), 1722 (Bd. 2), [Nachdruck Weinheim; Deerfield Beach, Florida 1987]., S. 346-348.
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