[803] Johanna, Felix.
JOHANNA ruhig. Hat er dir gesagt, daß Sala verloren ist?
FELIX zögert.
JOHANNA. Ich wußt' es. Wie Felix reden will, hat sie eine seltsam abwehrende Bewegung. Und du gehst – mit ihm oder ohne ihn.
FELIX. Ja. Pause. Es wird jetzt hier recht still werden.
JOHANNA unbeweglich.
FELIX. Und wie wirst du leben, Johanna? ... Ich meine, wie werdet ihr beide leben, du und der Vater?
JOHANNA sieht ihn an, als wundere sie sich, daß er sie fragt.
FELIX. Er wird sich einsam fühlen. Er würde es sehr dankbar empfinden, denk' ich, wenn du dich ein bißchen mehr mit ihm beschäftigtest, vielleicht mit ihm in freien Stunden spazieren gingst. Auch für dich – –
JOHANNA herb. Was hülfe es mir oder ihm? Was soll er mir sein oder ich ihm? Ich bin nicht dazu geschaffen, Menschen beizustehen in trüben Tagen. Ich kann mir nicht helfen, es ist nun einmal so. Wie eine Feindschaft regt es sich in mir gegen Menschen, die auf mein Mitleid angewiesen sind. Ich hab' es gefühlt die ganze Zeit hindurch, als die Mutter krank war.
FELIX. Nein, du bist nicht dazu geschaffen ... Wozu nur magst du geschaffen sein?
JOHANNA zuckt die Achseln, sitzt wieder mit verschlungenen Händen und sieht vor sich hin.
FELIX. Johanna! Warum redest du denn nicht mehr zu mir wie sonst? Hast du mir nicht vielleicht etwas zu sagen? Erinnere dich doch, wie wir uns früher alles erzählt haben.
JOHANNA. Das ist lange her. Damals waren wir Kinder.
FELIX. Warum kannst du nicht mehr so zu mir reden wie damals, Johanna? Weißt du denn nicht mehr, wie gut wir uns einmal verstanden haben? Wie wir uns alle Geheimnisse anvertraut haben! Wie gute Kameraden wir gewesen sind! ... Wie wir zusammen in die weite Welt haben ziehen wollen!
JOHANNA. In die weite Welt ... O ja. Ich weiß es noch. Aber jetzt gibt es keine solchen Märchen- und Wunderworte mehr!
FELIX. Das käme vielleicht nur auf uns an.
JOHANNA. Nein, jetzt bedeuten die Worte nicht dasselbe wie früher.[804]
FELIX. Wie meinst du das?
JOHANNA. In die weite Welt ...
FELIX. Was hast du, Johanna?
JOHANNA. Einmal hab' ich zusammen mit dir im Belvedere ein Bild gesehen, an das denk' ich oft: Da ist eine Wiese mit Rittern und Damen – und ein Wald, ein Weinberg, ein Wirtshaus, und Burschen und Mädeln im Tanz, und eine große Stadt mit Kirchen und Türmen und Brücken. Und über die Brücke marschieren Soldaten, und auf dem Fluß gleitet ein Schiff dahin. Und weiter draußen ist ein Hügel, und auf dem Hügel ein Schloß, und in der Ferne hohe Berge. Und über dem Berg stehen Wolken, und über der Wiese schwimmen Nebel, und über die Stadt ergießt sich Sonnenglanz, und über das Schloß zieht ein Gewitter, und auf den Bergen liegt Schnee und Eis. – Und wenn einer sagte »die weite Welt«, oder wenn ich das Wort irgendwo las, so hab' ich immer an das Bild denken müssen. Und so ging's mir mit vielen von diesen Worten, die so großartig klingen. Gefahr, das war ein Tiger mit weitaufgesperrtem Rachen, – Liebe, das war ein Page mit blonden Locken, der vor einer Dame kniet, – der Tod war ein schöner Jüngling mit schwarzen Flügeln und einem Schwert in der Hand, – und Ruhm war Schall von Trompeten, Menschen, die sich verneigen, und ein blumenbestreuter Weg. Damals konnte man freilich über alles reden, Felix. Aber jetzt sieht alles anders aus ... Ruhm und Liebe und Tod und die weite Welt.
FELIX zögernd. Mir wird ein wenig bang um dich, Johanna.
JOHANNA. Warum, Felix?
FELIX. Johanna! – Ich möchte, daß du unserm Vater keinen Kummer bereitest.
JOHANNA. Steht das bei mir allein?
FELIX. Ich weiß, wohin deine Träume gehen, Johanna. – Was soll das werden?
JOHANNA. Muß denn alles etwas werden? – Ich denke, Felix, daß es die Bestimmung mancher Menschen sein mag, einander gar nichts anderes zu bedeuten als Erinnerung.
FELIX. Johanna! – Du hast es selbst gesagt, – daß du nicht geschaffen bist, Menschen leiden zu sehen.
JOHANNA zuckt leicht zusammen.
FELIX. Leiden ... und ...
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