6. Scene.

[11] ALFONSO.

Ich kann noch nicht zur engen Hütte kehren,

Zu voll ist dieses Herz. –

Und hier im Freien ist mir leicht und wohl.[11]

Doch, welch' seltsames Geräusch?

Wer dringt von unwegsamen Höh'n

Herab in uns're Einsamkeit?

Estrella tritt ängstlich aus dem Walde.


ESTRELLA.

Duett.


Von Fels und Wald umschlossen

Verirrt seh' ich mich hier,

Getrennt von den Genossen –

Wer zeigt die Pfade mir?

ALFONSO.

Welch' himmlisch süßes Traumbild

Seh' ich verwirklicht hier!

ESTRELLA.

Ein Jüngling! Soll ich fliehen?

ALFONSO.

O wolle nicht entflieh'n.

ESTRELLA.

Doch scheint er sanft und mild.

ALFONSO.

Du holdes Engelsbild!

ESTRELLA.

Doch was soll ich?

ALFONSO.

O wolle nicht entflieh'n.[12]

ESTRELLA.

O könnt' ich ihm vertrau'n –

ALFONSO.

Du darfst auf mich bau'n!

ESTRELLA.

Es flößen seine Züge

Mir Muth und Hoffnung ein.

ALFONSO.

Der holden Stimme Kosen

Dringt tief in's Herz mir ein.

ALFONSO.

Recitativ.


Wer bist Du, holdes Wesen,

Das wie ein sanfter Sonnenstrahl

Dies dunkle Thal erhellt?

ESTRELLA.

Auf allzurascher Jagd verlor ich im Gebirge

Mein zögerndes Gefolge.

Durch Schlünde, über Felsen den Weg mir mühsam suchend,

Kam ich in dieses Thal.

O zeige mir die Pfade zur Königsstadt zurück!

ALFONSO.

O eile nicht, o bleib',

Du, die beim ersten Anblick

Mein ganzes Herz geraubt.[13]

ESTRELLA.

Willst Du der Armen spotten,

Die von den Ihren ferne,

In banger Sorge zittert?

ALFONSO.

Arie.


Wenn ich Dich, Holde, sehe,

So kenn' ich keinen Schmerz,

Schon Deine süße Nähe

Beseligt dieses Herz.

Die Leiden sind zeronnen,

Die sonst die Brust gequält,

Es leuchten tausend Sonnen

Der lustentbrannten Welt.

Und neue Kräfte blitzen

In's trunk'ne Herz hinein,

Ja, ich will Dich beschützen,

Ich will Dein Führer sein.

CHOR DER LANDLEUTE aus der Ferne, vom Thale herauf.

Der Frühling kam gezogen

Mit seinem milden Schein,

Auf Liedes sanften Wogen

Zieht Lieb' in's Herze ein.

Und wonnige Gefühle

Sie laden uns zur Lust,

In freudigem Gewühle

Durchströmen sie die Brust.

ESTRELLA dem Gesange lauschend.

Welch' süßer zauberhafter Klang,

Der tief in's Herz mir drang![14]

ALFONSO.

O lausche dem Gesang!

CHOR wie oben.

Der Frühling kam gezogen

Mit seinem milden Schein

Auf Liedes sanften Wogen

Zieht Lieb' in's Herze ein.

ESTRELLA UND ALFONSO.

Und wonnige Gefühle

Erfüllen mich mit niegeahnter Lust,

In freudigem Gewühle

Durchströmen sie die Brust.

CHOR wie oben.

Der Frühling kam gezogen

Mit seinem milden Schein.

ESTRELLA UND ALFONSO.

Auf Liedes sanften Wogen

Zieht Lieb' in's Herze ein.


Chor verklingt, Alfonso hat Estrella sanft umschlungen.


ESTRELLA sich losreißend.

Nicht länger darf ich weilen,

Die Stunden zieh'n dahin,

Ich muß von hier nun eilen,

Dem stillen Glück entflieh'n.

ALFONSO.

Warum willst Du enteilen,

Dein Antlitz mir entzieh'n,[15]

O wolle noch verweilen

Im stillen Waldesgrün.

ESTRELLA.

Laß uns eilen!

ALFONSO.

O verweile!

ESTRELLA.

Sieh' mich bitten –

ALFONSO.

Nein, befiehl!

ALFONSO UND ESTRELLA.

O hartes grausames Geschick! –

Plötzlich aus den Himmelshöhen

Läßt das Glück sich freundlich sehen,

Doch bevor wir's ganz empfunden,

Ist's entschwunden!

So die Wonne mir zu künden,

Kamst Du still auf meine Bahn.

Ach so schnell willst Du entschwinden

Süßer Wahn!

Werd' ich je Dich wiederfinden

Wann, ach wann werd' ich Dich wiederfinden?


Alfonso und Estrella wenden sich zum Gehen.


Der Vorhang fällt.

Ende des ersten Aktes.
[16]

Quelle:
Franz Schubert: Alfonso und Estrella. Wien 1881, S. 11-17.
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