Zweites Kapitel

[19] »Es muß auch solche Käuze geben!«

Göthe.


Ich kann es mir nicht versagen, diesem vielleicht etwas zu sehr Ifflandisirenden Familiengemälde eine jener ergötzlichen Karrikaturen als lustiges Nachspiel anzuhängen, deren Originale in der neueren Zeit, selbst in Krähwinkel, völlig ausgegangen sind. Uebrigens gehört Herr Christophorus Moser, als Buchhalter meines Vaters und unser täglicher Tischgenosse, ebenfalls zu meinen frühesten Erinnerungen und verdient schon für die Mühe, welche er sich gab, mich in der edlen Schreibekunst zu unterrichten, daß ich sein Andenken der Vergessenheit zu entreißen suche.

Herr Moser war ein klein-kleines Männchen, mit einer langen, rothen, spitzigen Nase, neben der ein Paar schwarze Aeuglein unter einer schön frisirten Perrücke hervorleuchteten, an welcher ein großer majestätischer Haarbeutel befestigt war, der ihm fast den halben Rücken bedeckte.[19]

Diese außerordentliche Haarbeutelpracht verdankte der zartesten, keuschesten und treuesten Liebe ihr Dasein; denn schon seit undenklichen Jahren war Herr Moser verlobter Bräutigam der berühmtesten Haar beutel-Fabrikantin der Stadt Danzig, der Jungfer Nesselmann, mit welcher er ohne Nachtheil für beider guten Ruf wie für ihre Tugend im nämlichen Hause wohnte.

»Die kleine Familie kostet zu viel!« erwiederte er ärgerlich, warf den Kopf auf und drehete dem Ueberlästigen den Rücken zu, der zu fragen sich erkühnte, ob der Hochzeitstag schon angesetzt sei?

Sein Stolz und seine Freude war: »ein Nürnperger Pürger« zu sein; so sprach er in seiner harten fränkischen Mundart es aus, die bei seinem steten Verwechseln des B mit P, des G mit K, des D mit T, uns unaufhörlich zum Lachen reizte. Besonders setzte ich, »Jungfer Scharnetta,« wie er mündlich und schriftlich mich nannte, ihn dadurch oft in Verzweiflung, und bedachte, oder vielmehr bemerkte in meinem kindischen Uebermuthe nicht, daß der damalige gedehnte singende Danziger Dialekt, der aber jetzt mit jedem Jahre mehr verschwindet, doch auch nicht der lobenswertheste sei.

Mittags, wenn mein Vater zuweilen länger als[20] gewöhnlich an der Börse verweilte, nahm Herr Moser gern die Gelegenheit wahr, sich ein halbes Stündchen vor Tisch in unserem Wohnzimmer einzustellen, um mit meiner Mutter zu politisiren, die ihrerseits ebenfalls froh war, von Krieg und Frieden, und wie es zufolge des Hamburger Korrespondenten überhaupt in der Welt stehe, etwas zu erfahren.

Doch auch Gegenstände anderer Art kamen zuweilen zur Sprache; Herr Moser wußte Geschichten zu erzählen, für deren Wahrheit er sich hoch und theuer verbürgte, und bei denen uns Allen, die Mutter mit eingeschlossen, sogar am hellen Mittag kaltes Grausen überkam, die wir aber allesammt doch gar zu gern anhören mochten.

Zum Beispiel von Faust's Höllenzwang, den er mit eigenen Augen in der Bibliothek zu Nürnberg mit schweren eisernen Ketten an den Tisch angeschmiedet gesehen, und nicht für die halbe Welt nur mit einem Finger das Buch habe berühren mögen. Einer seiner Jugendfreunde aber war so vorwitzig, sich in die Bibliothek einzuschleichen, sich dort einschließen zu lassen, und wollte nun darüber her, die Beschwörungen aus dem Höllenzwange zu kopiren. Doch was geschah! Ueber Nacht entstand ein gewaltiger Sturm, der das Dach der Bibliothek abzudecken drohte, und[21] am Morgen fand man den jungen Frevler bewußtlos unter dem Tische liegen; er wurde zwar wieder zu sich selbst gebracht, blieb aber von Stund' an tiefsinnig sein Lebenlang, und wollte Niemandem entdecken, was in jener Nacht ihm widerfahren sei.

Auch vom Nativitätstellen wußte Herr Moser viel zu sagen, und wie es damit doch sein eignes Bewandniß habe, und gar nicht »mit Ohne« sei. Er selbst hatte einen jungen Nürnberger Patrizier gekannt, dem seine Eltern bei der Geburt die Nativität hatten stellen lassen, und dem aus den Sternen geweissagt worden war, daß er in einem bestimmten Jahre, an einem bestimmten Tage, durch einen schneeweißen Schimmel ums Leben kommen werde. Nichts war wohl natürlicher, als daß die gnädige Mama ihn an dem Tage nicht aus dem Zimmer ließ, und siehe da, von der nach damaliger Art mit Hautreliefs von Stuckatur geschmückten Decke lösete ein schweres weißes Pferd von Gyps sich ab, und erschlug den, nach dem Beschluß der Sterne frühe dem Tode Geweihten.

Die schönste von allen seinen Geschichten, bei deren oft von uns erbetenen Wiederholung mein kleines republikanisches Herzchen jedesmal in freudige Bewegung gerieth, war die Beschreibung eines alten[22] Gebrauchs, der, wie Herr Moser behauptete, damals noch alljährlich in Nürnberg stattfand. An einem dazu bestimmten Tage hielt ein über und über geharnischter Reiter vor dem Thore und verlangte in die Stadt gelassen zu werden; die Nürnberger fragten, in wessen Namen er Einlaß begehre.

Im Namen Seiner Majestät des Königs von Preußen, erwiederte der Geharnischte, und nannte der Reihe nach die übrigen Titel des Monarchen, welche alle auch Herr Moser mit bewundernswürdiger Zungenfertigkeit ableierte, zuletzt kam auch


Burg-Graf von Nürnberg!


Mit Nichten! riefen die tapfern Nürnberger, warfen, bautz! ihr Thor ihm vor der Nase zu, und der Geharnischte ritt wieder hin woher er gekommen, um im nächsten Jahre wieder zu kehren.

Mir schien es wirklich, als ob das etwas ungeheuer Großes sei!

Doch wie wurden alle diese Geistesgaben durch die seltne Pracht in Schatten gestellt, in welcher Herr Moser an heitern sonnenhellen Festtagen der staunenden Welt sich zeigte! Unter dem Arme das kleine schwarzseidene Dreieck, damals Chapeau-bas genannt, ebenfalls ein Meisterwerk seiner kunstfertigen Braut, dann der prächtige postillon d'amour, ein sehr breites[23] schwarzes Band, das, vom Haarbeutel ausgehend, locker und leise seine Wangen umspielend, auf seiner Brust im breiten Jabot sich verlor.

Und nun noch das grasgrüne, überall, sogar rings um die zahllosen Knopflöcher mit Gold besetzte Kleid! An hohen Festen, zu Ostern und Pfingsten, war dies Kleid sogar scharlachroth, dann vermochte kein sterbliches Auge den Glanz zu ertragen. Dazu noch die Kleinodien, die lang herabbaumelnde goldige Uhrkette, den Ring am kleinen Finger, groß wie ein recht großes Achtgroschenstück, aus unzähligen kleinen Rosetten und Tafelsteinen künstlich zusammengefügt, dann die den ganzen Fuß bedeckenden funkelnden Steinschnallen. Schon damals hatte die ganze große Stadt Danzig kaum eine zweite Figur dieser Art aufzuweisen; jetzt würde man wohl vergeblich die ganze Welt darnach durchstreifen.

An solchen Tagen fiel es Herrn Moser gar nicht ein, mit meiner Mutter die Geheimnisse der europäischen Kabinette ergründen zu wollen; kerzengerade stand er wenigstens anderthalb Stunden im brennendsten Sonnenschein auf den breiten Stufen vor unserm Hause, ließ Ring und Schnallen nach allen Seiten hin ihre Strahlen versenden, kratzte mit großem Geräusch zu einem zierlichen Tanzmeister Bückling[24] aus, und schrie überlaut: »Kehorschamster Tiener, Herr so und so!« wenn ein bedeutender Mann auf der Straße sich zeigte.

Kurz vor Tische ging er gewöhnlich noch zur Abkühlung ein Viertelstündchen auf die Jagd; er begab sich nämlich in den schattigen Hausflur, fing Fliegen, riß ihnen einen Flügel aus und legte sie so verstümmelt unserm großen Zücher-Kater vor, der ruhig im Fenster sich sonnte; worüber ich dann jedesmal in heftigen Zorn gerieth.

Gewiß gab es an solchen festlichen Tagen kein glücklicheres Wesen auf Erden, als Herrn Moser, wenn nicht vielleicht seine Braut es war. Was mag ihr liebendes Gemüth empfunden haben, wenn der Bräutigam aus ihren ihn schmückenden Händen entlassen, in solcher Pracht die Straße herab stolzirte! Doch leider gedeiht unterm Monde kein dauerndes Glück! Einige Jahre später fingen die Zöpfe an die Haarbeutel zu verdrängen, Zopfperrücken sogar nahmen Ueberhand! Das gefühlvolle Herz der Jungfer Nesselmann erlag diesem Schmerz: sie starb!

Unglaublich ist es, aber doch wahr, kaum Jahr und Tag war vergangen, als der kleine Treulose[25] mit ihrer Nachfolgerin in dem immer mehr sinkenden Geschäft sich wirklich vermählte.

Meine gute liebe Mutter stellte ihn darüber recht ernstlich zur Rede. »Ach!« seufzte lächelnd Herr Moser, »heißt sie doch gerade wie die seelige Jungfer, Adelgunda!«[26]

Quelle:
Johanna Schopenhauer’s Nachlaß. Band 1, Braunschweig 1839, S. 19-27.
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