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[1] Ihn mußt' ich lieben, weil mit ihm mein Leben
Zum Leben ward, wie ich es nie gekannt.
Göthe.
Karlsbad im Rücken, ging die Reise schnell vorwärts. Bald waren die beiden schroff und zackig emporstrebenden Felsen erreicht, die, einander gegenüberstehend, von dieser Seite die Gränze der zu Schloß Aarheim gehörenden Ländereien bezeichnen, und den, einem Riesenthor ähnlichen Eingang zu dem schauerlichen Felsenthale bilden, in welchem der Eisenhammer liegt.
Im ärmlichen Gepränge, so gut sie es vermochten, mit ihren dürftigen Festkleidern geschmückt, harrten dort die Einwohner des Thals, um die Gutsherrschaft vor allen andern zuerst in ihrem Eigenthum zu begrüßen. Die Kinder streuten Blumen, die Alten riefen ein Lebehoch, und Gabrielens überwallendes Herz erlaubte ihr kaum, im Wagen zu bleiben, während Moritz[1] mit echt spanischer Grandezza da saß, und sich allen möglichen Zwang anthat, um sich nicht an seiner Würde durch zu freundlichen Dank etwas zu vergeben, zu dem seine angeborne Gutmüthigkeit ihn dennoch trieb. Denn wunderlich genug war es ihm plötzlich in den Sinn gekommen, sich hier das stolze Betragen seines Vorfahren, des alten Barons Aarheim, zum Muster zu nehmen. Gabriele hingegen rief viele der Landleute, welche sie erkannte, bei Namen, erkundigte sich nach ihrem Ergehen, liebkoste die Kinder, und schickte endlich alle beschenkt und glücklich in ihre armen schwarzgeräucherten Hütten zurück. Dann eilte sie fort aus dem frohen dankbaren Gedränge, um in dem Hause des Försters Ernestos ehemalige Wohnung aufzusuchen. Ida und Bella begleiteten sie; ihrer gutartigen Neubegier war alles interessant, Moritz folgte ihnen etwas langsamer mit Hippoliten.
Im Gedränge des Lebens, unter ewigen Zerstreuungen hatte Moritz sich der Gewohnheit hingegeben, Gabrielen die Seine zu nennen, ohne weiter daran zu denken wie sie es ward; hier[2] aber rief ihm alles Scenen zurück, bei deren erneuertem Andenken sein Blut noch erstarrte. Das Knarren der elenden hölzernen Treppe des armseligen Hauses erinnerte ihn auf das lebhafteste, wie er am Morgen seines schauerlichen Vermählungstages Erneston hier aufsuchte, um von ihm Rath und Trost zu erflehen. Ohnerachtet eines gewissen innern Grauens kam ihm doch jene stolze Freude an, die der armseligste Thor am lebhaftesten empfindet, der ein merkwürdiges oder gar gefahrvolles Ereigniß erzählen kann, in welchem ihm eine Hauptrolle ward. Eben wandte er sich an Hippolit mit einem recht wichtigen Gesicht und allerlei geheimnißreichen Redensarten, die deutlich den Wunsch, befragt zu werden, verriethen, als Ida oben im Hause an das offne Fenster trat, und die Herren antrieb, eilends hinauf zu kommen, weil oben viel Schönes zu sehen sey.
Hippolits Aufmerksamkeit beim Eintritt in Ernestos kleinem Stübchen zogen zuerst die weißen Wände an, auf denen er mit kunstreicher Hand allerlei Skizzen von Felsen, Baumgruppen[3] und Gesträuch höchst geistreich mit der Kohle entworfen hatte. Die Fräulein beschäftigten sich indessen mit einer großen Mappe voll Zeichnungen, welche, wahrscheinlich aus Vergessenheit, in der Schublade des Tisches zurückgelassen worden war, und Gabriele, das schöne Haupt gedankenvoll auf die Hand gestützt, schaute hinaus auf die dunkeln Felsenspitzen rings umher.
»Mein Gott! welche Aehnlichkeit!« rief plötzlich Ida überlaut. Moritz und Hippolit näherten sich, die Zeichnung, welche ihr diesen Ausruf abgelockt hatte, zu betrachten, und ihre Aeußerungen, die eher Tadel als Lob anzudeuten schienen, machten auch Gabrielen darauf aufmerksam. Sie trat zu den Uebrigen an den Tisch, doch kaum hatte sie einen Blick auf das Blatt geworfen, so bebte sie mit einem Schrei des Entsetzens zurück. Sie sah sich selbst. Unverkennbar ähnlich war sie hier als Virginia dargestellt, über deren schuldlosem Herzen der Vater eben den Dolch gezückt hielt. Icilius eilte aus der Ferne herbei, näher ein alter Römer im sichtbaren Bestreben, den Streich abzuwenden;[4] unten standen die Worte: Libertade e morte ultimo pegno d'amor. Die Zeichnung war sehr ausgeführt, fast ganz vollendet; Virginius trug unverkennbar die Züge des verstorbnen Freiherrn Aarheim, der zur Hülfe herbeieilende Alte glich Erneston selbst, Icilius war sehr in der Ferne gehalten, doch glaubte Gabriele in ihm eine Aehnlichkeit mit Ottokar zu entdecken.
»Welch eine Darstellung! Wie konnte Ernesto sie ersinnen! rief Gabriele fast zürnend aus, und wendete den Blick mit Grausen von dem Bilde ab; bald aber faßte sie es wieder und betrachtete es mit immer größrer Theilnahme. Obgleich sie mit der eigentlichen Veranlassung desselben unbekannt geblieben war, so erkannte sie darin doch eine Allegorie auf ihr Leben, die sie schmerzlich berühren mußte. Eine stille Thräne stieg ihr ins Auge, als sie Ottokars nur undeutlich, wie aus einem Nebel hervortretende Gestalt erblickte. Dann betrachtete sie Ernestos Bild, und die in seinen Zügen ausgedrückte schmerzliche Angst erinnerte sie auf das lebhafteste an seine ihr von jeher bewiesene Liebe und Treue. Es[5] fiel ihr ein, daß er wohl nie daran gedacht habe, der Zufall könne ihr die Zeichnung entgegen führen, und sie ward ihr jetzt zur wortlosen Klage des fernen Freundes. Immer tiefer sah sie sich hinein und kaum vermochte sie es, den Blick wieder davon abzuwenden.
»Die Aehnlichkeit der Gesichter ist unverkennbar, aber eine weit größre innre Aehnlichkeit liegt zum Grunde, von der Gabriele nichts ahnet,« flüsterte Moritz Hippoliten ziemlich hörbar zu. Gabriele vernahm die Bemerkung, die sie aus Moritzens Munde zu hören nie erwartet hätte. Unwillkührlich suchte ihn ihr Blick, er stand dicht vor ihr und sah sie mit einem so eignen zweideutigen Ausdruck an, daß sie darüber erschrack. Mit zitternden Händen packte sie die Zeichnung nebst allen übrigen schnell in die Mappe, die sie mit nach Schloß Aarheim nehmen wollte, um sie dort dem Eigenthümer sichrer aufzubewahren; dann eilte sie, das Haus und so bald als möglich auch das Thal zu verlassen.
Durch die Zeichnung sowohl, als durch Moritzens räthselhafte Aeußerungen auf das Höchste[6] gespannt, konnte Hippolit den Augenblick kaum erwarten, wo er mit Herrn von Aarheim im Wagen allein seyn würde, um diesen mit Fragen und Nachforschungen zu bestürmen. Doch Moritzens ungemeine Redseligkeit ließ es nicht dazu kommen. Ueber allen Ausdruck vergnügt die Hände in einander reibend, begann er, sobald er sich bequem zurecht gesetzt hatte, von sich zu erzählen. Er redete von sich und immer von sich und war selig in diesem Bewußtseyn, ohne im mindesten auf den Eindruck zu achten, welchen seine Worte auf seinen Zuhörer machten.
Hippolit ward in diesem Gespräch von allem unterrichtet, was er längst zu erfahren so sehnlich gewünscht hatte; von Gabrielens früherm Geschick und durch welche sonderbare Verknüpfung der Zufälligkeiten sie eben die Gemahlin der Lächerlichsten und Lästigsten aller Karrikaturen geworden war. Von Grausen und unaussprechlichem Mitleid im Innersten der Seele erschüttert, hörte er die seltsame Erzählung an. Es ward ihm nicht ganz klar, welche Mittel der[7] furchtbare Wahnsinnige angewandt haben mochte, um Gabrielen in Moritzens Arme zu treiben, denn Gabrielens Gemahl hatte nie die nähren Umstände von dem letzten, alles entscheidenden Gespräch zwischen Vater und Tochter erfahren dürfen. Hippolit fühlte aber mit fester Ueberzeugung, daß ein unausweichbares Geschick hier gewaltet habe, über welches nachzudenken, er schaudernd vermied, um seiner Sinne mächtig zu bleiben. Plötzlich ergriff ihn der Gedanke, daß Moritz in seiner jetzigen offenherzigen Laune auch Gabrielen hier, an Ort und Stelle, zur Vertrauten dessen machen könne, was ihr ewig verborgen bleiben mußte. Er fühlte im eignen Herzen mit unaussprechlicher Angst, daß sie diesen Moment vielleicht nicht überleben werde, und begann nun all' seinen Einfluß zu erschöpfen, um ihren Gemahl zum Geloben ewigen unverbrüchlichen Schweigens über diesen Gegenstand zu bewegen. Er ging sogar so weit, ihm nicht undeutlich zu verstehen zu geben, wie man doch so ganz eigentlich nicht wissen könne, auf welche Weise der alte Baron im Geisterreiche, dem er[8] doch lebend schon halb angehört habe, eine Indiskrezion über diesen Punkt aufnehmen dürfe.
Dieser Bewegungsgrund wirkte mehr als alle übrigen, Moritz erbleichte und blickte sehr bedenklich zu den grauen alten Thürmen und zackigen Mauern hinauf, welche wie aus dem Felsen, der sie trug, hervorgewachsen, bei einer Biegung des Weges jetzt zum erstenmal sichtbar wurden.
Auch auf Hippoliten machte der Anblick des alten Gebäudes einen tiefen Eindruck, das ihm, wie von einer unersteiglichen Höhe, entgegenstarrte. Und als er nun vollends Gabrielens Wagen vor sich, in der alle Gegenstände verwirrenden Dämmerung, auf dem steilen Wege sich hinaufwinden und dann zum düstern Außenthor hineinfahren sah, da ward ihm, als versänke sie in einem offnen Grabe.
In der hochgewölbten Eintrittshalle, beleuchtet vom schwankenden Schimmer vieler Fackeln, hatten sich die verlebten Gestalten der einst hier im Dienst von Gabrielens Vater ergrauten alten Diener zum Empfange versammelt. In ihren[9] nach der Farbe des Wappens auf das strengste gewählten altmodischen Galla-Livreen standen sie ehrfurchtsvoll in eine Reihe geordnet; Frau Dalling an ihrer Spitze. Auch das Haar dieser war weiß geworden und ihre Gestalt hatte sich gebeugt.
Gabriele schwang sich, so wie sie ihrer gewahr ward, ganz allein aus dem Wagen, beinahe ehe er noch hielt, warf sich der geliebten mütterlichen Frau in die Arme, und begrüßte sie mit tausend sonst gewohnten kindlichen Schmeichelnamen. Dann wandte sie sich an die alten Diener mit den allerfreundlichsten Worten; sie reichte ihnen die Hände und alle drängten sich, zum Theil knieend, um sie her und küßten unter verworrnen freudigen Ausrufungen bald ihren Shawl, bald den Saum ihres Kleides.
Moritz trat mit dem erhabensten Anstande, den er aufzubringen wußte, herein, aber die freudige Gruppe ward seiner nicht gewahr. Hippolit schauderte zurück, da er Gabrielen von alle den greisen bleichen Gestalten umgeben sah, die kaum noch dem Leben anzugehören schienen; er[10] glaubte die geliebte Gestalt schon im Gebiete der Unterirrdischen zu erblicken, während Ida und Bella in einiger Beklommenheit seinen Arm ergriffen, als würde es ihnen so besser gelingen, das Grausen zu bekämpfen, welches der erste Eintritt in das alte wunderlich-dunkle Schloß in ihnen erregte.
Unter Gabrielens sorgfältiger Leitung ward indessen gar bald alles zu Jedermanns Zufriedenheit geordnet. Die Fräulein kamen unter den Schutz der Frau Dalling, und vergaßen dort alles Grauen, obgleich das Schloß Ubaldo und andre Reminiszensen aus ihren Romanen, ihnen oft genug in den Sinn kamen. Gabriele bezog wieder die einfachen Zimmer, welche sie von jeher im Schlosse bewohnt hatte. Gute Geister, von denen einst ihre harmlose Kindheit beschützt worden, umwehten sie auch jetzt dort, und hauchten in seligen Träumen ihr Ruhe und Hoffnung[11] in die jetzt nicht weniger als damals schuldlose Brust.
Auch Hippolit war mit seiner Wohnung zufrieden, denn aus einer Fensterecke derselben konnte er zu Gabrielen hinüber sehen, und Abends zuweilen ihren Schatten belauschen, wenn dieser an den heruntergelaßnen Vorhängen vorüberstreifte.
Nur Moritz befand sich in einer trübseligen Lage. Er hatte es seiner Würde angemessen erachtet, die alten Prunkgemächer zu beziehen, welche von seinem Vorfahren zuletzt bewohnt worden waren, und nun ergriff ihn jedesmal eine unüberwindliche Gespensterfurcht, wenn er, besonders Nachts, sich dort allein fand. Ueberall vernahm er ein geisterartiges Rauschen und Rascheln, von den Ruinen der Brandstätte tönten wunderliche Klänge zu ihm herüber, und ein paarmal glaubte er sogar im hellen Dämmerlichte der Sommernacht den alten Baron auf seinem gewohnten Platz im Lehnstuhl am Fenster, den Ruinen gegenüber, zu erblicken.[12]
Wie alle, die mit sich nicht im Klaren sind, war auch Moritz ein wunderliches Gemisch von Freigeisterei, Vernünftelei und ganz gemeinem Aberglauben. Vergeblich strebte er diesen wegzuspötteln und wegzuraisonniren, immer und ehe er sich dessen versah, übte derselbe seine Gewalt über ihn aus, aber um aller Güter der Welt willen hätte er dieses nicht eingestanden. Deshalb konnte er sich auch nicht entschließen, die ihm so furchtbaren Zimmer mit andern zu vertauschen, obgleich er beinahe in keiner Nacht eines ruhigen Schlafs sich in ihnen erfreute.
Am Tage ging es nicht viel besser, denn da marterte ihn der Anblick der seinen Fenstern gegenüberliegenden Brandstelle. Die Lust, etwas ganz Unerhörtes, nie Gesehenes hier aus der Asche entstehen zu lassen, regte sich um so unwiderstehlicher, je enger ihm in dieser Hinsicht die Hände gebunden waren. Sogenannte Nachbarn, von der Neugier meilenweit zu ihm geführt, machten ihm durch ihre Aufforderungen und Vorschläge zum Bauen die Entsagung noch schwerer; denn er mochte nicht gestehen, was ihn[13] eigentlich zurückhielt. Unzähligemal nahm er den Bauriß, der einst des alten Barons Zorn so heftig erregt, zur Hand, betrachtete ihn mit sehnsuchtsvollen Blicken, und legte ihn mit ängstlichem Frösteln wieder hin. Endlich kam es so weit, daß er sogar Gabrielen fast nie ohne eine geheime widerwärtige Regung anblicken mochte, denn alles erinnerte ihn daran, daß er ohne sie hier als unumschränkter Gebieter nach Belieben würde schalten und walten, einreißen und bauen dürfen. Gleich allen erklärten Günstlingen des Glücks war es ihm unmöglich, nicht gerade das Einzige, was ihm versagt war, für das Allerwünschenswertheste zu achten. Dieses ärgerliche Empfinden verleitete ihn nicht selten zu Ungleichheiten im Betragen und ungeduldigen Ausfällen, wie er sich früher deren nie gegen seine Gemahlin erlaubt hatte. Gabriele wußte indessen diesem allen mit so edler Gelassenheit zu begegnen, ohne sich ihrer Würde im mindesten dabei zu vergeben, daß Moritz gewöhnlich im nächsten Moment über seine eigne Unart erschrak und sich sichtbar schämte, doch ohne es anerkennen zu wollen.[14]
Niemand beschreibt den wilden Schmerz Hippolits bei solchen Anlässen. Seit er als Hausgenosse Gabrielen in ihren häuslichen Verhältnissen genauer beobachten konnte, stieg sein Gefühl für sie bis zur Anbetung; er hätte sein Leben hinbluten mögen, um ihr einen frohen Augenblick zu erkaufen. Keins der unzähligen Opfer, welche sie ihrer Pflicht täglich brachte, entging seinem Scharfblick. Und wenn sie dann mit ihrem schuldlosen Lächeln, in milder Heiterkeit vor ihm stand, mit Leichtigkeit und Sorgfalt nur auf das Vergnügen ihrer nächsten Umgebungen bedacht schien, so hätte er vor ihr in den Staub sinken mögen, wie vor einer himmlischen Erscheinung.
»Nein! sie ist nicht von dieser Welt!« rief er oft in die schweigende Nacht, wenn er mit sich allein den eben verlebten Tag überdachte, »sie gehört nicht zu uns. Sie ist ein Engel, der, uns zum Vorbild, einige Zeit unter uns wandeln muß; weder Wonne noch Schmerzen, wie wir sie empfinden, können das Gemüth dieser Heiligen berühren!«[15]
Aengstlicher als je zuvor bewachte er den Sturm in seiner Brust, kein Wort, kein Blick durfte ihn verrathen. Nur wenn er ganz unbeachtet sich glaubte, wagte er es zuweilen, ihr Kleid zu berühren, eine Blume aufzunehmen, welche sie achtlos liegen ließ, oder an den Platz sich hinzuwerfen, den sie eben verlassen hatte. Wenn sie auf Spaziergängen ihren Schawl ihm anvertraute, oder wenn er vollends ihren Gesang mit seiner Flöte begleitete; und ihr Hauch an seiner Wange streifte, dann erbebte er in Seligkeit, aber er schwieg und wagte nicht, die Augen zu erheben, damit sie nicht an ihm zu Verräthern würden.
So vergingen einige Wochen. Am Ende derselben sah Gabriele sich mit ihren beiden jungen Gesellschafterinnen und Hippoliten fast immer allein, denn Moritz, der noch nie eine der unzähligen Thorheiten seines Lebens so schmerzlich bereut hatte, als den Entschluß, nach Schloß Aarheim zu gehen, schämte sich doch, durch seine Abreise vor der dazu bestimmten Zeit, dieses einzugestehen. Er wählte lieber einen Mittelweg,[16] der seiner Schwäche besser zusagte. Er war nie zu Hause, machte Besuche zehn Meilen in die Runde, suchte die in der Umgegend wohnenden Mineralogen auf, und unternahm mit ihnen kleine Reisen; denn für dieses Lieblingsfach seines Wissens blieb seine Vorliebe beständig sich gleich. Hippolit begleitete ihn selten, seine Unwissenheit im mineralogischen Fache diente ihm meistens zur Entschuldigung, und da Moritz die gewohnte Erheiterung in seiner Gesellschaft jetzt weder suchte noch fand, so erlaubte er ihm recht gern, zum Schutz und Zeitvertreib der Damen zu Hause zu bleiben. Er that sich noch dabei auf seinen Scharfblick etwas zu gute, der ihm eine entstehende Leidenschaft Hippolits zu der schönen Ida entdecken ließ. In besonders aufgeweckten Momenten ermangelte er auch nicht, seinen jungen Freund mit dieser Vermuthung zu necken, und dessen aus andern Gründen sehr verlegnes Läugnen bestärkte ihn in dem Glauben daran, statt ihm denselben zu rauben.
[17]
Ruhig von innen und außen, sahe Gabriele den Herbst herannahen. Moritzens Gegenwart trat jetzt sehr selten störend ein und sie zählte wirklich Tage und Wochen, die ihr ein recht anmuthiges Bild der früher an der Hand der Mutter verlebten glücklichen Jugend gewährten. Das Schloß war voll Reliquien jener Zeit. Zeichnungen, Bücher, Musikalien, was nur die geliebte Verklärte berührt hatte, ward von Gabrielen zusammengetragen, aufbewahrt, in ihrem Geiste benutzt. Musikalische Uebungen, gemeinschaftliches Zeichnen, geistige Beschäftigungen aller Art, ließen dem kleinen Kreise keine rauschendern Freuden vermissen.
Ida und Bella wurden gar nicht gewahr, in welcher fast gänzlichen Einsamkeit sie sich eigentlich befanden. Ihre Begriffe, ihr Wissen, ihre Ansichten von der Welt und über das Leben erweiterten sich mit jedem Tage, sie wußten nicht wie? Denn sie erhielten keinen eigentlichen Unterricht, der in der Stadt im Hause ihrer Mutter sie oft bis zum Sterben langweilte. Auch Hippolit, obgleich er im eigentlichen geordneten[18] Wissen sich über Gabrielen erheben durfte, fühlte dennoch, wie im Umgange mit ihr alles, was er jemals gelernt hatte, ihm erst zur Wahrheit wurde, weil es in das wirkliche Leben verflochten ward, statt daß es sonst nur kalt und todt ihm eben zur Hand gewesen war, wie etwa ein Lexikon, in welchem man aufsucht, was man für den Augenblick braucht.
Hätte Gabriele jemals ahnen können, wie schwer der junge Freund, an dessen geistigem Entwickeln sie so innig sich freute, für jede selig mit ihr verlebte Stunde in der Einsamkeit unter den wüthendsten Qualen glühender, hoffnungsloser Leidenschaft büßen mußte! Aber ihrem unbefangnen Sinn kam nie ein solcher Gedanke. Sein durchaus vorsichtiges Benehmen hatte längst jede Erinnerung an jenen unbewachten Augenblick in der Laube verlöscht, und wenn auch in seltnen Momenten ein Wort, ein Blick ihm entschlüpfte, der sie daran hätte erinnern können, so war Gabriele weder eitel noch argwöhnisch genug, dieses zu bemerken. Er ward ihr mit jedem Tage lieber, wie aller Frauen wird, was[19] sie sorgsam pflegen und erziehen. Die sichtbare Veredlung seines Wesens, sein eigentliches Selbst war ihr Werk, das mußte sie mit freudigem Stolz sich gestehen, und dabei pries sie dankbar die Gelegenheit, die ihr ward, ihm so zu vergelten.
Freilich vergingen Tage, in denen auch Hippolit der Gegenwart sich hingab wie ein Kind, ihm genügte dann, sie zu sehen, zu hören, von ihr angelächelt zu werden. Aber wenn nun Moritz nach einiger Abwesenheit zu Hause kam, wenn dieser es wagte, Gabrielen vertraulich zu begrüßen, und nun plötzlich der Dämon der tollsten Eifersucht Hippoliten zuflüsterte: sie ist sein, des mißgeschaffnen, lächerlichen Alten, sein, ganz sein, auf immer! Dann stürmte er fort, hinaus in den Wald, in Klüfte, zwischen Felsen, wie ein gejagter Hirsch, der den Pfeil in der wunden Brust mit sich trägt. Oft irrte er in tiefer Nacht zwischen den Ruinen der Brandstelle, kletterte mit Lebensgefahr über die morschen Mauern und suchte die verschütteten Eingänge zu den Gewölben. Ganz verwilderten Sinnes,[20] wollte er schlechterdings die ihm oft beschriebne Riesengestalt des alten Barons dort erblicken.
»Steig herauf!« rief er in halbem Wahnsinn, »steig herauf aus Deinem Steinhaufen, dem Du die Tochter opfertest! Libertade e morte! Gieb uns Leben und Freiheit im Tode! Zieh uns beide hinab! Was soll sie hier mit leerer, kalter Brust länger einsam umherwandeln? Dort wird sie lieben, dort drüben, auf ihren heimathlichen Sternen. Mich wird sie lieben, sie muß es, denn ich gehöre zu ihr. Mein ganzes Daseyn ist ein Strahl, ein Abglanz ihrer Herrlichkeit, den sie ins Daseyn rief, der ohne sie auf ewig verlosch!«
Moritz hörte ihn oft, und verwachte dann eine Angstnacht, die ihn gewöhnlich bewog, mit Sonnenaufgang wieder von dannen zu ziehen.
Einst hatte Hippolit die halbe Nacht so in fast wahnwitziger Raserei vertobt. Es war weit nach Mitternacht. An allen Kräften erschöpft, sank er zwischen dem Gemäuer der Brandstelle hin; seine Wildheit löste sich plötzlich in unsägliche Weichheit auf; ihm war, als zerflösse sein[21] Daseyn in diesem stillen Weh; er mochte sich nicht regen, sondern überließ sich fast gedankenlos dem angenehmen Gefühl gänzlicher Ermattung, bis ihm die Sinne schwanden und der Schlaf ihn überschlich.
Die ersten Strahlen der aufgehenden Sonne erweckten ihn wieder; der kühle Morgenhauch wehte beruhigend ihn an, er starrte auf seine wunderliche Ruhestätte hin, und begriff nicht sogleich, was ihn hieher gebracht haben könne? Dann begann er, wie immer bei kühlerem Bewußtseyn, sich seines leidenschaftlichen Unmuths recht herzlich zu schämen, nannte ihn unmännlich, und versprach sich selbst, sich künftig Gabrielens würdiger zu betragen.
Noch nie hatte Hippolit sich zu so früher Tageszeit zwischen den Ruinen befunden. Er blickte um sich, und ihn ergötzte das Spiel der fast noch horizontal fallenden Sonnenstrahlen, die hin und wieder, durch Lücken und Mauerspalten dringend, in einzelnen feurigen Lichtern durch das tiefste Dunkel auf den vom Rauch geschwärzten Mauern glänzten. Er stand in dem[22] Theil des Flügels, der zur Zeit des Brandes, um das Hauptgebäude zu schützen, größtentheils eingerissen ward, dicht vor einem der gewölbten Eingänge, welche einst zu den Souterrains führten. Einige ziemlich erhaltene steinerne Stufen führten noch in die Tiefe des kellerartigen Gewölbes hinab, doch nur wenige Schritte weiterhin war alles verschüttet. Hippolit blickte in die Tiefe, wo ein bläulich glänzender Punkt seine Aufmerksamkeit erregte; es war als ob der Reflex eines einzelnen Sonnenstrahls dort von einer metallnen Fläche zurückgeworfen würde. Je länger er hinsah, je wunderlicher schien ihm das seltsame Blinken. Endlich bahnte er sich, nicht ohne Gefahr, den Weg zum Gegenstand seiner Neugier, und stand bald vor einer, in den Fels, welcher dem Gebäude zur Grundlage gedient hatte, eingehauenen kleinen Vertiefung. Spuren einer eisernen Thüre, die einst sie verschlossen haben mochte, waren noch sichtbar. Unter Ueberbleibseln zerbrochner Gläser, vermoderter Schriften und Pergamente, welche die Vertiefung anfüllten, glänzte noch immer der Schein[23] hervor, und Hippolit zog endlich eine kleine Kapsel von weißem Metall aus dem Wuste. Schmutz und Staub verhinderten ihn, die darauf eingegrabnen Charaktere zu lesen, bis er, in seinem Zimmer angelangt, den sonderbaren Fund bequemer untersuchen konnte.
Das Metall, aus welchem die Kapsel bestand, erkannte er für Platina. Liberorum Salus stand darauf eingegraben. Von sonderbarem Schaudern ergriffen, schob er sie weit von sich weg, aber die Neugier siegte, er ergriff sie wieder, und ruhte nicht, bis es seinem Bestreben gelang, sie zu öffnen. Ein ganz kleines, hermetisch verschlossnes Fläschchen von Bergkrystall funkelte ihm aus dem schwarzen Sammt, mit dem die Kapsel gefüttert war, entgegen; es war wit wenigen ganz hellen Wassertropfen angefüllt. Sein Haar sträubte sich bei dem Anblick. Alles, was Moritz ihm auf dem Wege vom Eisenhammer nach dem Schlosse vertraut hatte, trat plötzlich in furchtbarer Lebendigkeit vor seine Seele. Ihm war zu Muthe, als stände der beunruhigte Geist hinter ihm, den er im wilden[24] Wahn so oft zur nächtlichen Stunde herbeirief, als beuge die Riesengestalt sich über ihm weg, um ihm hohnlachend ins Antlitz zu starren. Mit abgewandtem Blick schloß er die Kapsel wieder, vergrub sie tief im verborgensten Fach seines Schreibtisches unter Papieren, und eilte dann hinaus, als folge das Verderben ihm auf dem Fuße.
Alles in Schloß Aarheim gewann eine andre Gestalt, so wie der Herbst näher herankam. Gabrielens Zeitordnung ward verstört, zwischen den alten Mauern wimmelte es von modernen geputzten Herren und Damen, lustige Tanzmusik wirbelte Abends durch die hochgewölbten Säle und laute Freude hallte durch alle Gemächer. Die rückkehrenden Brunnengäste aus Böhmen stellten sich weit zahlreicher ein als man es erwartet hatte, jeder Tag führte neue Besuche herbei, während die früher Angekommnen sich wieder entfernten. Auch ältre Bekannte Gabrielens[25] aus der nächsten Stadt fanden sich ein. Es war ein Leben, ein Treiben, ein Lachen, eine Lustigkeit unter den Leuten, über die Hippolit zuweilen von Sinnen hätte kommen mögen, der er aber auch in andern Stunden sich wieder recht jugendlich-theilnehmend hingab.
Auch Moritz war mit der neuen Gestaltung der Dinge in seinem Schlosse wohl zufrieden. Wo es so geräuschvoll herging, meinte er, hätten die Geister wohl, wenigstens fürs erste, ihre Macht verloren, und so wagte er es, wieder mehr zu Hause zu seyn, um seine Gäste zu empfangen und zu unterhalten.
Ein glänzendes Fest, welches auf einem, ein paar Meilen weit entferntem Gute gefeiert werden sollte, hatte am Vorabende desselben eine ungewöhnlich zahlreiche Gesellschaft auf Schloß Aarheim versammelt, die von dort aus in Begleitung der Bewohner desselben sich mit dem frühesten auf den Weg zum bestimmten Versammlungsorte machen wollte. Gräfin Eugenia, der Professor und der sogenannte Antonius, lauter alte Bekannte aus dem Hause der Gräfin[26] Rosenberg, kamen spät Abends noch ganz unerwartet an. Eugenia warf sich mit lauten, freudigen Ausrufungen in Gabrielens Arme und betheuerte: seit sie der Letztern Ankunft auf Schloß Aarheim erfahren, habe sie ihrem Gemahl keine ruhige Stunde gegönnt, bis sie ihn bewogen, sie zu ihr zu führen. Dann stellte sie den wie gewöhnlich verlegen lächelnden Antonius in dieser Qualität vor. Dieser fing mit vielem Anstand eine schöne Rede an, in der er aber unglücklicher Weise sich so verwickelte, daß er zuletzt nicht mehr wußte, wie er daran war und mitten in einem Paragraphen endete ohne zu schließen. Gabriele achtete nicht sonderlich darauf, und begrüßte indessen mit recht herzlicher Freundlichkeit den Professor, den sie schon im Hause ihrer Tante ausgezeichnet hatte. Moritz bemächtigte sich des Antonius als eines alten Bekannten, um ihm, Gott weiß welche Raritäten zu zeigen. Einige der Anwesenden folgten ihnen, andre, unter ihnen Eugenia, ordneten sich in einem geräumigen Pavillon von neuem um den geselligen Theetisch.[27]
Gegen ihre Gewohnheit sah sich indessen Gabriele bald darauf genöthigt, ihr wirthliches Amt an diesem Tische an Fräulein Ida abzutreten und die Gesellschaft auf eine kleine Weile zu verlassen. Die Zahl der Fremden im Schlosse war nämlich durch den neuen Zuwachs so groß geworden, daß die gute Frau Dalling, trotz der vielen Zimmer in dem weitläufigen Gebäude, sich dennoch, ohne den Rath ihrer Herrin, nicht zu helfen wußte, um jedermann anständig und würdig für die Nacht unterzubringen. Mit leichtem Schritt eilte Gabriele, ihrem Rufe folgend, durch den hohen Lindengang, der vom Pavillon zum Schlosse führt, und die Zurückgebliebnen blickten ihr mit heiterem Wohlgefallen nach. An der Thüre des Pavillons stand Hippolit, die blitzenden Augen in sprachlosem Entzücken auf die schöne Gestalt geheftet, die leicht, wie eine Silfide, vor ihm hinschwebte. Ihr weißes Gewand ward durch das Dunkel des hochgewölbten Bogenganges erhoben, die hie und da durch die Blätter dringenden Sonnenstrahlen bestreuten es mit einzelnen in Rosenglanz brennenden Sternen;[28] die lichten, blonden Locken, goldig im Abendroth schimmernd, umgaben ihr Haupt mit der Glorie einer Heiligen. Zuweilen verschwand sie im tiefern Dunkel vor den sie verfolgenden Blicken, und bald darauf glänzte sie wieder im vollen Sonnenschein wie eine Verklärte, bis sie sich endlich in der düstern Vorhalle des Schlosses völlig verlor.
»Aus Kindern werden Leute, das habe ich lange schon gewußt,« rief jetzt Gräfin Eugenia, »und doch,« fuhr sie fort, »würde es mir nie einfallen, die kleine, blasse, zimperliche, etwas alberne Gabriele der Gräfin Rosenberg in dieser schönen, eleganten Frau von Aarheim wieder zu erkennen, wenn nicht die unwidersprechlichsten Beweise mich überzeugten, daß sie es wirklich ist. Wie die Frau sich ausgebildet hat, so etwas ist mir noch in meinem Leben nicht vorgekommen, es gränzt an Wunder. Erinnern Sie sich noch, lieber Professor! wie sie vor sieben oder acht Jahren zitternd, und knixend und halbweinend dazu, bei der Gräfin Rosenberg erschien? Sie fiel gerade in die famose Tableaugeschichte[29] hinein, die Sie unmöglich können vergessen haben.«
»Ja wohl erinnere ich mich dessen genau,« erwiderte der Professor, auch kann ich noch immer nicht ohne Bewunderung des Muths gedenken, mit dem das sonst so übermäßig blöde Kind sich erdreistete, das ihm Heilige gegen alle Angriffe standhaft zu vertheidigen; ich meine die Trauer um die jüngst verstorbne Mutter.«
»Der lange schwarze Schlepp, die Pleureusen, die häßliche Schneppe und der Schleier, mit dem sie aussah wie eine Nachteule, das war ja eben der Gipfel aller Abgeschmacktheit,« antwortete lachend Eugenia.
»Alle zivilisirten Völker legen um ihre verstorbnen Verwandten Trauer an,« sprach der Professor, »und sogar unter den Wilden finden sich Spuren dieses Gebrauches, der denn doch wohl eines tiefern Ursprungs seyn mag, als blos der Mode. Doch davon ist hier nicht die Rede, Gabriele soll in der Sache selbst Unrecht gehabt haben, ihr Wollen war dennoch rein. Ich behaupte nur, daß, so wie sie damals stand, ihre[30] Weigerung, das eigne Gefühl des Schicklichen dem Willen der Tante zum Opfer zu bringen eine Heldenthat war, deren Werth aber vielleicht nur der ganz zu übersehen vermag, der einst wie sie, ängstlich beklommen und allein, in die ihm fremde Welt geworfen ward.«
Die Neugier der Gesellschaft war rege geworden, und Eugenia mußte erzählen was sie selbst nur vom Hörensagen kannte, denn sie war bei Gabrielens Ankunft im Zimmer der Tante nicht mehr gegenwärtig gewesen, wohl aber der Professor, der als strenger Censor über die Erzählerin wachte, und jede Uebertreibung oder Unwahrheit ohne Gnade rügte und berichtigte. Hippolit hörte Beiden mit der gespanntesten Aufmerksamkeit zu.
»Nun wohl, Sie mögen Recht haben,« schloß endlich Eugenia, des Streitens müde, »Sie mögen Recht haben, und Gabriele äußerte schon damals Spuren jener Festigkeit, überhaupt jenes vernünftigen Ueberlegens, das sie später bewieß, als sie drei Monate, nachdem sie aus Schmerz über die Trennung von einem gewissen Herrn[31] hatte sterben wollen, sich plötzlich eines andern bedachte, der Auszehrung, in die sie zu verfallen drohte, und überhaupt der ganzen traurigen Liebesgeschichte den Abschied gab, und kurz und gut diesen etwas poßirlichen Herrn Vetter heirathete, der sie bei alle dem zur reichsten Frau im Lande machte, und auch sonst, wie ich höre, sich ziemlich lenken läßt.«
»Gräfin! Gräfin!« unterbrach sie unwillig der Professor.
»Stille, stille, lieber Freund!« erwiderte Eugenia und drückte ihre Hand auf seine Lippen, »ich weiß was ich weiß, und behaupte nichts, als was ich mit Beweisen belegen kann. Ich war mit dem Rosenbergischen Hause zu genau liirt, als daß mir diese Geschichte hätte verborgen bleiben können.«
Gabrielens Rückkehr zur Gesellschaft zwang Eugenien mitten im Strome ihrer Rede zu verstummen. Alles brach auf um die letzten Stunden des milden Herbstabends noch im Freien zu genießen. Doch mochte das, was Eugenia noch etwa zu erzählen haben konnte, nicht für alle[32] verloren gehen, denn einige der im Pavillon gegenwärtig gewesnen Damen bemächtigten sich ihrer mit ungemeinem Eifer, um ihr noch bei Mondenschein die Schönheiten des altvätrischen Schloßgartens zu zeigen.
Auf Hippoliten hatte niemand geachtet; ausser sich vor Zorn über die Erzählerin, deren unverkennbare Bosheit seine ganze Verachtung erregte, unfähig ihr zu glauben, und doch von ihr tief in der Seele verwundet, war er auf seinem Platze stehen geblieben, bis der Professor, der letzte welcher den Pavillon verließ, an ihm vorüberging. Mit einem freudigen Auffahren ergriff er diesen am Arm, und zog ihn mit sich fort, ins Schloß hinein. Ein Blick in Hippolits bittendes Auge, und einzelne abgebrochene Worte bewogen den freundlichen Mann, sich ihm unbedingt hinzugeben, und, freilich etwas verwundert über sein seltsames Benehmen, ihm zu folgen, wohin er ihn führen möchte.
[33]
So wie sie in Hippolits Zimmer angelangt waren begann dieser, noch athemlos von äußerer und innerer Bewegung, dieses sein unziemend erscheinendes Betragen gegen seinen Gast so gut er es vermochte zu entschuldigen. »Es war mir unmöglich,« sprach er, »eine Frau welche die Anbetung der ganzen Welt verdient, so lästern zu hören« –
»Dann bedürfen Sie bei mir keiner Entschuldigung, Herr Graf,« unterbrach ihn der Professor; »konnte ich selbst es doch auch nicht, und ließ mich, wie Sie werden bemerkt haben, dadurch verleiten, mitten unter mir ganz Unbekannten als ihr Vertheidiger aufzutreten. Und doch habe ich sie nur als ein halbes Kind gekannt. Jetzt stehe ich wirklich geblendet vor ihr.«
»O könnten Sie jetzt erst sie recht kennen lernen! Würde es Ihnen vergönnt wie mir, ein Augenzeuge ihres Lebens zu seyn!« rief Hippolit, von seinem Gefühl hingerissen, und der eben aufgehende Mond spiegelte sich in seinem glänzenden, himmelwärts gerichtetem Auge.
Es entstand eine kleine Pause, während welcher[34] der Professor Hippoliten aufmerksam und mit Wohlgefallen betrachtete. Dann nahm dieser gefaßter wieder das Wort.
»Mag denn die freudige Empfindung, mit der ich Ihnen zuhörte, mir und meinem Ungestüm das Wort reden,« sprach er, »und mich auch entschuldigen, daß ich Sie, mit dem ich so zusammentraf, nicht gleich wieder verlassen kann; daß ich sogar es wage, Sie als einen längst gekannten Freund zu betrachten, und mit vielleicht zu jugendlicher Zutraulichkeit Sie um die Gewährung einer Bitte zu ersuchen.«
»Es sollte mich in Erstaunen setzen, wenn ich im Stande wäre Ihnen eine zu gewähren, Herr Graf! obgleich ich fühle, daß ich Ihnen schwerlich eine abschlagen könnte,« erwiderte der Professor, indem er Hippoliten freundlich die Hand bot.
»Die Macht der Verläumdung ist groß,« sprach Hippolit verwirrt nach Worten suchend, und mit abgewendetem Gesicht; »sie ist darum so über allen Ausdruck entsetzlich, weil sie unser Heiligstes untergräbt, ohne daß es möglich wäre, ihr entgegen[35] zu arbeiten. Man glaubt ihr nicht, man bauet fest auf seinen Freund, man stößt mit Abscheu jeden aufkeimenden Verdacht von sich, und doch bleibt ein geheimer Stachel tief im Verborgensten der Brust zurück, und gräbt und gräbt leis' und unmerklich, bis das alte Vertrauen wankt.« –
»Versteh' ich Sie, Herr Graf?« unterbrach ihn der Professor, und sah mit weniger freundlichem Blick ihn forschend an. »Wäre es möglich? Sie? Wie! Sie? der Sie Gabrielen genau zu kennen vorgeben, Sie könnten die Möglichkeit sich denken, daß elendes Berechnen von Rang und Vermögen sie dahin bringen konnte, sich diesem Herrn von Aarheim zu verkaufen?«
»O sprechen Sie das entsetzliche Wort nicht aus!« rief Hippolit, »schon dieß allein ist ein Verbrechen gegen jenes himmlisch reine Wesen! Wie konnten Sie mich so mißverstehen! Ich, der ich, und vielleicht besser als sie selbst den schauerlich-dunkeln Weg kenne, den das Schicksal mit Gabrielen nahm, um sie in dieses Elend zu führen, ich –«[36]
»Ich weiß nichts von den nähern Umständen, die bei der Vermählung der Frau von Aarheim sich zugetragen haben mögen, auf die Sie anzuspielen scheinen, und verlange auch nichts davon zu wissen,« unterbrach der Professor ihn abermals, noch immer halb erzürnt. »Ich bedarf nichts von alle dem, um überzeugt zu seyn, daß dieses verächtliche sich selbst Wegwerfen ihr unmöglich war, denn Liebe schützte sie damals vor jeder Erniedrigung ihrer edlern Natur; eben jene Liebe, welche die Frau Gräfin Eugenia in so unwürdigem Lichte zu zeigen sich abmühte.«
Ein unartikulirter Ausruf Hippolits, den er bei diesen Worten nur halb zu unterdrücken vermochte, wurde vom Professor nicht beachtet, der, hingerissen von dem Vergnügen Gabrielen zu vertheidigen, im Feuer seiner Rede fortfuhr.
»Ich war freilich bei Gabrielens Ankunft und bei jener Tableauscene zugegen, dessen die Gräfin Eugenia so spöttisch erwähnte. Ich pflegte damals immer gern die mir zur Erholung gegönnten Stunden in dem gastfreien Hause und in dem geistreichen Kreise der Gräfin Rosenberg zuzubringen.[37] Die kindliche Grazie, das unglaublich schüchterne Wesen des jungen Mädchens, bei dem Geiste, der unter den dunkeln Wimpern hervorblitzte, so wie die über ihr ganzes Wesen ergossene unverkennbare Traurigkeit, machten sie mir gleich in der ersten Stunde höchst interessant. Die gänzliche Verlassenheit, in der sie bald darauf oft mitten in den größten Gesellschaften, furchtsam in sich gekehrt, dastand, erregte mein innigstes Mitleid; schon wollte ich als väterlicher Freund ihr mich nähern, aber da entdeckte ich, daß ein Andrer mir zuvorgekommen sey, der in jeder Hinsicht sich freilich besser zu ihrem Beschützer eignete als ich, ein bedeutender Künstler und wie ich späterhin vernahm, ein alter Freund ihrer Mutter.«
Hippolit, der bei Erwähnung dieses Freundes sehr aufmerksam geworden war, athmete bei den letzten Worten des Professors hoch auf, mit sichtbar erleichterter Brust, und jener fuhr fort.
»So begnügte ich mich denn, dem Entfalten dieser lieblichen Blume von weitem, ohne thätige Theilnahme zuzusehen. Mit unaussprechlichem[38] Vergnügen beobachtete ich das erste Erwachen des reinsten Herzens, das vielleicht je in einer Mädchenbrust geschlagen hat. Es zu erwecken, war einem Manne beschieden, den ich vor allen andern dieses hohen Glücks werth achten mußte. Wie oft betrachtete ich mit wahrer Freude das schöne Paar, wenn beide der Zufall neben einander gestellt hatte! Er, das Bild männlicher Hoheit, sie ganz weibliche Anmuth und Bescheidenheit.«
»Er ist todt? Er starb?« fragte Hippolit beinahe athemlos.
»Nicht daß ich wüßte,« erwiderte der Professor, er hat mit letzter Post mir geschrieben. Aber seit Jahren sind sie getrennt, und so viel man menschlicher Weise die Zukunft berechnen kann, sind sie getrennt auf immer. O hätten Sie Gabrielen damals gesehen! Zwar ihre sterbliche Hülle wäre dem Schmerz der Trennung beinahe erlegen, doch Psyche hob die glänzenden Flügel, und schwebt noch immer in ewiger Klarheit. Darum, mein junger Freund! trägt diese seltne Frau alles so leicht, was andre erdrücken[39] würde, sie hat ja das Schwerste früher überwunden.«
Schweigend erhob sich Hippolit von seinem Sitze, und beantwortete des Professors Bitte, dieses Gesprächs gegen niemanden zu gedenken, nur mit einem Händedruck. Dieser blickte abermals verwundert ihn an und eine leise Ahnung, daß er hier wohl Unheil gestiftet haben könne, während er durch Gabrielens Vertheidigung gegen jeden Argwohn, Gutes zu stiften gedachte, flog ihm durch den Sinn, doch blieb ihm zu keiner Aeußerung hierüber Zeit. Es ward zur Abendtafel geläutet, und Hippolit eilte, noch immer in düsterem Schweigen versunken, an seinem Arm dem jetzt hell erleuchteten Pavillon zu, wo die Gesellschaft eben im Begriff war, an mehreren kleinen Tischen sich zu ordnen.
Gabriele, die den Professor schon längst vermißt hatte, trat ihm an der Thüre entgegen, um ihm in ihrer Nähe seinen Platz anzuweisen, und Hippolit nahm diesen Augenblick wahr, um sich, von jedermann unbemerkt, in das dichte wilde Gebüsch neben dem Pavillon zu stürzen.[40]
Unfähig, jetzt Gabrielens Anblick zu ertragen, irrte er planlos umher. Auf ungebahntem Wege, zwischen Felsentrümmern gelangte er in der tiefen Dunkelheit zum Eisenhammer; über wüstes Gestein, am Rande tiefer Abgründe hin, hatte er den Weg gefunden, ohne ihn zu suchen. Die Stille der Nacht verdoppelte das dröhnende Tosen der Räder, das Klopfen des Hammers. Die Gluth im hohen Ofen, um welche schwarze, wie der Unterwelt entstiegene Gestalten sich bewegten, leuchtete mit rothem Schein fernhin durch die Einöde; die verdorrten Tannen, die wunderlichen Felsenzacken schienen im flackernden Licht zu gespenstischen Erscheinungen sich umzuwandeln und in seltsamem Tanze auf- und abzuschweben. Jede rege Phantasie mußte hier mit grausenvollen Bildern sich erfüllen. Hippolit fühlte den Eindruck, ohne sich dessen deutlich bewußt werden zu können. Ermattet an Seele und Leib, warf er sich auf die alte steinerne Bank neben dem Felsbach hin, und überließ sich dumpfen ängstlichen Träumen. Weit nach Mitternacht traf ihn dort der Förster, welcher mit seinen Hunden in den Wald wollte,[41] um nächtlichem Holzfrevel zu wehren. Er erkannte ihn, und führte ihn auf dem kürzesten Wege nach seiner Wohnung, wo er ihn einlud, in Ernestos Stübchen bis zum Morgen zu verweilen; denn es war zu spät geworden, als daß Hippolit noch in das Schloß hätte gelangen können, ohne die Hälfte von dessen Bewohnern aus dem Schlaf zu stören. Hippolit ließ sich schweigend alles gefallen.
In der stillen Einsamkeit der einfachen engen vier Wände, zu denen nur aus der Ferne das Dröhnen des Hammers, das Rauschen der Wasserbäche herüber tönte, kam Hippolit bald wieder zu einigem Besinnen. Doch mit diesem erwachte auch das ganze volle Gefühl des Schmerzes, der, sein Innres zerreißend, durch Nacht und Wald ihn bis hieher gejagt hatte.
Sie hatte geliebt? Sie liebte vielleicht noch! Diese Ueberzeugung ward der Untergang seiner bis zu diesem Augenblicke mühsam errungnen[42] und erhaltnen Herrschaft über sich selbst. Gabriele, die er sonst gleich einer über jede Leidenschaft erhabnen Heiligen verehrt hatte, ward ihm jetzt nur zum schönen, liebeglühenden, irrdischen Weibe; die Höhe, auf der sie bis jetzt hoch über ihm stand, war eingesunken und alle Qualen verzehrender Eifersucht, alle Flammen der glühendsten Liebe schlugen hochauflodernd, jeder Mäßigung spottend, über seinem Haupte zusammen. In dem engen Raum, der ihn umgab, wandelte er rastlos auf und ab, bis er, vom Schwindel ergriffen, auf das Lager sank. Kein Schlaf kam in seine Augen, kein einziger Augenblick Ruhe in die wildbewegte Brust. Er wollte fort, er wollte zu ihr, er wollte hinaus in die weite Welt; ganz mit sich selbst zerfallen, arbeitete er sich planlos und vergebens ab, einen festen Zweck des innern und äußern Strebens zu finden.
Der Morgen graute indessen, die Sonne ging auf, sie stieg immer höher, ohne daß er von alle dem etwas bemerkt hätte, bis die Frau des Försters mit freundlichem Morgengruß hereintrat, um ihm ein Frühstück zu bringen. Wie[43] ein gefangner Vogel, dem der Käfig geöffnet wird, rauschte er da, ohne sie anzusehen, durch die von ihr offen gelassene Thüre, hinaus zum Zimmer, zum Hause hinaus.
Erst auf der Hälfte des steilen Weges, der zum Schlosse führt, ward es Hippoliten klar, was ihn so schnell fort und hieher getrieben habe; es war der plötzlich gefaßte Entschluß, den Professor zu sprechen und von ihm durch Bitten oder mit Gewalt Namen und Aufenthalt des Mannes zu erpressen, den Gabriele liebte.
Mit diesem Vorhaben beschäftigt, kam er im Schloßhofe an und fand dort alles in ganz ungewohnter Oede und Stille. Nirgends ließ ein Einziger von der Schaar von Dienern sich erblicken, die sonst immer dort ämsig hin und wieder lief. Die Pferdeställe, die Wagenremisen standen alle offen und leer, das ganze Schloß schien wie ausgestorben.
»Wo kommen der gnädige Herr denn so spät noch her? Die Herrschaften sind schon seit mehr als zwei Stunden nach der Rothenburg gefahren; sie dachten alle, Euer Gnaden wären längst[44] vorausgeritten,« rief Hippoliten endlich der Gärtner zu, der mit einem großen Korbe voll Herbstblumen aus dem Garten kam.
Hippolit hatte der heutigen Lustpartie gar nicht weiter gedacht, um derentwillen sich am vergangnen Abend eine so große Gesellschaft im Schlosse versammelt hatte. Jetzt beschloß er, freilich mit einigem Widerwillen, den Professor in der Rothenburg selbst aufzusuchen; doch während er sich dazu anschickte, fiel ihm plötzlich ein, daß auch Eugenia dort seyn, daß er auch Gabrielen dort finden werde. Er fühlte mit unwidersprechlicher Gewißheit, daß es ihm unmöglich sey, sie mit diesem Sturm in der Brust wieder zu sehen, ohne vor all den neugierigen Blicken, ja vor der Frau, die er als ihre grimmige Feindin betrachtete, das heiligste Geheimniß seines Herzens Preis zu geben. Ein neuer Kampf begann in seinem Innern, den endlich der Entschluß endete, statt nach der Rothenburg, nach der Stadt zu reisen, den Professor dort in seiner Wohnung zu erwarten, und sobald er von ihm erfahren, was er wissen wollte, hinaus zu[45] ziehen in die Welt, um den Mann aufzusuchen, dessen Daseyn ihn mit unerhörten Qualen peinigte. Ihn finden wollte er, ihn sehen von Angesicht zu Angesicht. Was dann aber noch ferner geschehen, was aus dieser Zusammenkunft entstehen sollte? dies schwebte ihm nur in dunkeln Bildern vor, die er gar nicht zu beleuchten wagte.
So wie er über seine nächste Zukunft mit sich im Reinen war, glaubte er sich ruhiger zu fühlen; körperliche Ermattung nach der wilddurchtobten Nacht schien ihm jetzt Fassung zu seyn. Er bedachte die Ungewißheit seiner Wiederkehr und begann manches aufzuräumen und einzupacken, was er fremden Augen zu entziehen wünschte. Briefe, Gedichte, glühende Ergüsse der ihn verzehrenden Leidenschaft, die er dem Papier anvertraut hatte, alles suchte er zusammen, und mitten unter dieser Beschäftigung rollte ihm die längst vergeßne Kapsel von Platina entgegen, welche er einst unter den Ruinen der Brandstätte gefunden hatte.[46]
Kalte Schrecken durchrieselten ihn mit Todesschauern bei diesem Anblick. Sein Herz stand einige Sekunden, und große Schweißtropfen perlten auf seiner Stirne, wie auf der Stirne eines Sterbenden. Er sank vor seinem Schreibtisch auf die Knie hin, das stiere Auge haftete an der Kapsel; er las die Inschrift »Liberorum Salus,« Rettung der Freien. Er mußte sie immer wieder lesen, und vermochte nicht den Blick abzuwenden. Zischende Lichter, die er seitwärts sah, ohne das Haupt zu wenden, blitzten um ihn her; über sich hörte er ein Rauschen wie von mächtigen Flügeln, es war das seine Adern durchrieselnde Entsetzen, mit dem das junge Leben sich gegen den furchtbaren Gedanken sträubte, der in diesem Moment ihn mit Riesenstärke ergriff. Und dabei mußte er innerlich doch immer wiederholen: Liberorum Salus.
Dieser Zustand währte indessen nur wenige Minuten, dann stand er auf, faßte und öffnete die Kapsel mit fester Hand und hob das funkelnde Fläschchen gen Himmel. »Ich danke dir!« rief er, »wie durch ein Wunder zeigst du mir[47] die rechte Bahn; so sey es denn!« Von diesem Momente stand die Ueberzeugung fest gegründet in seinem Gemüth, daß nur der selbstgewählte Tod ihm einen Ausweg öffnen könne. Was sollte er ohne Ruhe und Rast die Welt durchirren, um ein Wesen zu suchen, dessen Daseyn ihn in Verzweiflung setzte! Wenn er ihn nun gefunden hätte? Nur blutig konnte dies enden. »Nein! Gabriele soll um ihn nicht weinen! mir, mir gehören ihre Thränen, wenn gleich ihm ihre Liebe,« rief er. »Uns beiden zugleich kann diese Sonne nicht länger scheinen, so wähle ich denn für sie den kleineren Schmerz und lege ihrer Ruhe mein Leben willig zum Opfer hin.«
Mit dem feierlichen Wesen, welches die Jugend im Schmerz so gern annimmt, fuhr er nun fort, Papiere zu vernichten, andre zu versiegeln und an entfernte Verwandte zu addressiren. Er versuchte es mehreremale an Gabrielen zu schreiben, doch dieses überstieg seine Kräfte. Allmählig überschlich ihn ein unnennbares Mitleid mit sich selbst, mit tiefer Betrübniß feierte er den Abschied vom schönen, heitern Sonnenlicht. Sein[48] eigner Entschluß erschien ihm als eine unabänderliche äußre Bestimmung; er vergaß ganz, daß es nur von ihm abhing, sie abzuwenden. Er hatte ausgetobt, seit dem vergangnen Tage hatten weder Schlaf noch Nahrung ihn erquickt. Er fühlte kein Bedürfen, aber er war einer völligen Erschöpfung aller seiner Kräfte nah, und so gab er sich ohne Widerstreben sanftern Gefühlen hin. Traurig, aber mit festem Willen beschloß er, die Bande langsam zu lösen, die ihn noch an das Leben fesselten.
Feierlich und still durchzog er das ganze Schloß, er suchte noch einmal alle die Platze auf, wo er sie gesehen, auf jedem Schritte drängten tausend süße und bittre Erinnerungen sich ihm entgegen. Rings um ihn her herrschte das tiefste Schweigen, kein neugieriges Auge, kein geschäftiger Tritt belästigte ihn störend, denn der Theil der Dienerschaft, welchen die Herrschaft zurückgelassen hatte, benutzte den seltnen freien Tag, um sich außerhalb des Schlosses zu vergnügen.[49]
Hippolit gelangte endlich an die Thüre zu Gabrielens Zimmern, er fand sie verschlossen und sank, von seinem Gefühl überwältigt, auf der Schwelle nieder. Alle Furien der Verzweiflung erwachten aufs neue in seiner Brust, er ergriff das Fläschchen, im Begriff, es hier zu öffnen, aber der Gedanke an Gabrielen, an ihren Schrecken, an den Abscheu, mit dem sie gerade hier vielleicht von seiner entstellten Hülle sich wenden würde, hielt ihn zurück. Er riß sich wieder empor, eilte, vor sich selbst fliehend, eine in der Nähe befindliche Treppe hinab, und fand sich erst in einem abgelegnen Seitenhofe wieder, vor dem äußern Eingange zur Kapelle, welche von der andern Seite an die Reihe von Zimmern stieß, die einst der alte Baron und jetzt der gegenwärtige Besitzer des Schlosses bewohnte. Ohne sich dessen deutlich bewußt zu seyn, stieg er die Treppe hinauf, die Thüre der Kapelle stand offen.
Es war zur herbstlichen Zeit des immer merklicher werdenden Abnehmens der Tage, und die Sonne neigte sich schon dem Untergange zu, obgleich[50] es noch gar nicht spät war. Ihr Strahl brach sich in den mannigfaltigen, gleich reichen Edelsteinen glänzenden Farben der alten Heiligenbilder und Familienwappen, welche, bunt und kunstreich gemalt, die Fenster schmückten. Purpurrothe Dämmerung, mit tiefdunkeln Schatten wechselnd, erfüllte das hohe Gewölbe, als Hippolit in die Kapelle trat. Der Altar, hinter welchem die Thüre sich öffnete, schien erleuchtet. Langsam, von der Feierlichkeit des Ortes besänftigt und erhoben, schritt Hippolit vorwärts und erblickte – und traute seinen Augen nicht – und glaubte einer überirdischen Erscheinung gewürdigt zu seyn – denn auf den Stufen des Altars lag Gabriele betend, in Andacht versunken.
Langsam erhob sie sich, vom Geräusche seiner Tritte aus ihren Himmeln zurück gerufen. Ein langes schwarzseidnes Gewand breitete in reichen Falten sich weit um sie her; sie war ungewöhnlich bleich, aber ein Schimmer überirdischer Seligkeit umleuchtete sie, als sie die thränenschweren Wimper hob, und, in der Dämmerung[51] ihn nicht gleich erkennend, ihm einige Schritte entgegentrat.
»Sie sind es, Hippolit?« rief sie erschrocken aus. »Was führt so schnell Sie von der Rothenburg zurück? Ist meinem Gemahl oder sonst jemanden von meinen Freunden dort ein Unglück widerfahren? Ihr zerstörtes Ansehen läßt mich alles befürchten. Um Gotteswillen was ist es? Ich kann alles eher ertragen als diese Ungewißheit, darum bitte ich, sprechen Sie.«
Hippolit, völlig unfähig, nur eine Sylbe zu erwidern, zitterte so, daß er sich an einen der den Altar umgebenden Pfeiler festhalten mußte, um nicht zu Boden zu sinken.
»Reden Sie, reden Sie,« bat Gabriele mit vor Angst fast unhörbarer Stimme und immer bleicher werdend.
»In der Rothenburg ist hoffentlich alles wohl; ich war nicht dort,« antwortete ihr endlich leise und bebend Hippolit. Dann stürzte er, von seinem Gefühl hingerissen, plötzlich vor sie hin, rief laut ihren Namen, verhüllte sein Gesicht in den Saum ihres Kleides, und das Fläschchen,[52] welches er bis dahin noch immer krampfhaft festgehalten hatte, entfiel ihm, jedoch ohne zu zerbrechen. Mit lautem schrillenden Tone rollte es über den Marmorboden hin.
Ein Schrei Gabrielens schreckte Hippoliten auf, er sah sie im Begriffe, zu sinken, und umschlang sie mit seinen Armen; sein Herz pochte hörbar, seine Augen glühten gleich verzehrenden Flammen, seine zitternden Lippen berührten ihren Schleier und die goldnen Locken, er drückte sie fest und immer fester an seine schwerathmende Brust. Sie bemerkte nichts von dem allen, ihre Blicke hafteten mit dem Ausdruck des Entsetzens auf dem blinkenden Krystalle, der zu ihren Füßen die Strahlen der Altarlichter zurückwarf.
»Allmächtiger Gott! was ist das?« rief sie mit zusammengeschlagnen Händen, indem sie sich aus Hippolits Armen wand, ohne sich dessen bewußt zu seyn. »Ich kenne dieses Fläschchen – und doch weiß ich nicht – mir ist als hätte ich einmal davon geträumt, einen fürchterlichen Traum – oder mein Vater – Heiliger Gott! mein Vater!« rief sie mit so wildem Tone, daß[53] Hippolit davon zusammenschauderte, an allen Gliedern bebend, sie los ließ, und mit gesträubtem Haar in die tiefe Dunkelheit am andern Ende der Kapelle hinstarrte, als erwarte er dort dessen düstern Schatten emporsteigen zu sehen.
»Guter Hippolit! ich habe Sie erschreckt,« sprach jetzt Gabriele, indem sie sich erholte und sichtbar nach Fassung rang, »ich wollte es nicht, aber Sie selbst sind Schuld daran.« Sie setzte sich ermattet auf die Stufen des Altars nieder, das Auge noch immer starr auf das Fläschchen geheftet. Ihn sah sie nicht an, der, verzehrendes Feuer im Blick, wie im Kampfe zwischen Himmel und Hölle, über ihr hing.
»Ich kann meine Augen nicht von dort wenden,« sprach sie ernst nachdenkend, »irgend eine entsetzliche Erinnerung knüpft sich an diesen Gegenstand, und doch schwebt mir alles so undeutlich vor, so verworren, wie aus einem frühern Daseyn in einer andern Welt. O rühren Sie es nicht an!« rief sie heftig, und stand auf und faßte Hippolits Arm, als dieser sich bückte, um das Fläschchen aufzunehmen. »Rühren Sie es[54] ja nicht an; ich bin wohl schwach und kindisch, aber mir ist, als müsse irgend ein entsetzliches Unglück hereinbrechen, wenn Sie es berühren – als wäre der Tod darin verborgen. Der Tod! – Mein Gott, mein Gott, wie ist mir denn! – Wo habe ich es früher gesehen? Wo kommt es jetzt denn her?« Bei diesen Worten hob sie den Blick zu Hippoliten auf. In der scheuen Zerstörung, die aus seinen Augen, aus seinem ganzen Wesen hervorleuchtete, schien ihr mit einemmale ein Strahl der Wahrheit aufzugehen.
»Hippolit!« rief sie, »es ist Gift und Sie brachten es hieher! Sagen Sie: nein! Sehen Sie meine Angst um Sie, um Gotteswillen sagen Sie: nein.«
Verstummend sank er vor ihr hin und verhüllte sein Gesicht.
»Um Gotteswillen sagen Sie: nein,« wiederholte sie, an allen Gliedern bebend; »diese Stunde, dieser Ort, Ihr Zurückbleiben von der Gesellschaft, der Ausdruck Ihrer ganzen Gestalt – Was ist Ihnen denn geschehen? Was konnte Sie bewegen? Reden Sie mit mir, vertrauen[55] Sie mir! O Hippolit! Das konnten Sie mir thun?« rief sie endlich und brach in Thränen aus. »Reden Sie mit mir,« bat sie, immer heftiger weinend, indem sie mit aller Kraft den Gebeugten aufzurichten strebte, ihre Thränen fielen auf ihn, sie benetzten seine Hände, sein Gesicht, indem sie ihn zum Auf stehen zu bewegen, sich vergeblich bemühte.
»O Gabriele!« rief er; »Du weinst um mich! Nach dieser Seligkeit giebts keine mehr für mich in dieser Welt. Vergieb mir, ich wollte Dich nicht betrüben. Segne mich und verlasse mich dann, laß mich zur Ruhe gelangen, ich unterliege dem schweren Kampf, aber ich habe ihn redlich gekämpft.«
Der Schleier, der bis dahin Gabrielen die Wahrheit verhüllt hatte, fiel bei diesen Worten Hippolits von ihren Augen. Sein Anblick, die tödtliche Heftigkeit in seinem Wesen, vereint mit der Erinnerung an tausend bis dahin von ihr unbeachtete Züge, traten plötzlich als unwiderrufliche Beweise seiner Leidenschaft vor ihre Seele. Sie gedachte dabei ihrer ersten Jugendzeit, sie[56] gedachte Ottokars, sie gedachte der eignen frühern Schmerzen, und fühlte unaussprechliches Mitleid für den vom Unglück nie gebeugten Jüngling, der dem wilden Kampf gegen ein Geschick zu unterliegen im Begriff war, welches das sanftre Mädchen in stiller Duldung zu tragen gewußt hatte.
»Hippolit!« sprach sie mit unendlich weicher Stimme, »Hippolit! wenn es wahr ist, wenn wirklich ein unseliges Gefühl, dem ich bis jetzt so gern allen Glauben versagte, Ihre Brust erfüllt, wie war es Ihnen möglich, mich so betrüben zu wollen? Fiel es Ihnen denn gar nicht ein, was aus mir werden solle, nach solchem Erleben?«
Ein Thränenstrom erleichterte jetzt auch Hippolits Brust; ihm war, als lüfte sich damit ein eisernes Band, das bis dahin sie zusammengepreßt hielt. Gabrielen zu antworten, vermochte er noch nicht, doch er gab nach, da sie abermals ihn aufzurichten strebte, und setzte sich, ihrem Winke gehorchend, neben sie, auf die Stufen[57] des Altars. Das Fläschchen blinkte immerfort zu ihrer beiden Füßen.
Der Heiligkeit des Orts und seinem edlen Seyn vertrauend, wendete sich Gabriele jetzt ganz zu ihm und faßte seine beiden Hände; sie blickte ihn mit dem vollen Ausdrucke des unendlichen Mitleids, der unsäglichen Besorglichkeit für ihn an, die in diesem Moment bis zum Zerspringen ihre Brust bewegten.
»Sie glauben mich zu lieben,« sprach sie. »Ach! was ist Liebe wohl anders, als der innigste Wunsch, das Geliebte zu beglücken, sey es auch auf Kosten des Theuersten, was wir in dieser Welt besitzen? Und ist denn dieses irdische Daseyn das Höchste, was wir opfern können? Ist Leben nicht oft so unendlich schwerer als der Tod?«
Nach diesen Worten erhob sie sich langsam, bückte sich und faßte das Fläschchen, obgleich sie schaudernd zusammenfuhr, indem sie es berührte. Schweigend stand sie einen Moment, das betende Auge fromm zum Altar erhoben, und es war, als ob sie hiermit wieder die Fassung errungen[58] habe, welche immer zur Zeit der Noth aus ihrem Thun hervorleuchtete. Sie wendete sich mit hohem Ernste zu Hippoliten und überreichte ihm das Fläschchen.
»Ich weiß, daß ich dieses jetzt Ihnen anvertrauen darf,« sprach sie; »ich lege das Glück, die Ruhe meiner künftigen Tage hiemit in Ihre Hände. Und nun geleiten Sie mich ins Schloß, wir sind beide erschöpft und die Natur fordert ihre Rechte. Morgen seh ich Sie wieder, morgen soll alles Verworrene sich lösen. Die Nacht ist düster und schwer, aber die kommende Sonne wird uns Kraft, Muth und Entschluß in die Seele strahlen.«
Sie ergriff seine Hand und führte ihn, wie ein Kind, durch die Kapelle zur Thüre hin, die in ihres verstorbnen Vaters Zimmer sich öffnete, und durch die sie einst, von Ernesto geleitet, zum Traualtar hinwankte. Im Zimmer selbst harrten ihrer Frau Dalling und Annette.
»Ich bringe Dir einen Kranken, den ich Deiner sorgsamsten Pflege empfehle, liebe Dalling,«[59] sprach sie mit der Geistesgegenwart, die sie in schweren Momenten sich immer zu erhalten wußte. »Mich soll Annette auf mein Zimmer begleiten, denn auch ich bin der Ruhe höchst bedürftig.« Hierauf wendete sie sich zu Hippoliten, reichte ihm nochmals die Hand, und blickte mit ihren klaren treuen Augen ihm Hoffnung und Frieden in das hart verwundete Gemüth. »Gute Nacht,« sprach sie, »gedenken Sie meiner in Ihrem Gebet, ich werde Ihrer gedenken. Ich werde den Geist meiner Mutter für Sie anrufen, der an diesem Tage, an welchem er mich einst verwaist in der Welt zurückließ, gewiß noch freundlicher als sonst mich umschwebt. Ich werde die Verklärte bitten, daß sie meinen jungen Freund wie mich, in diesen dunkeln Stunden vor nächtlichem Grauen und jedem Unheil behüte. Morgen sehen wir uns wieder.«
Und so schieden sie.
[60]
Mit sich allein in der ungestörten Ruhe ihres Zimmers, fühlte Gabriele erst die zerstörende Gewalt der eben durchlebten erschütternden Stunde. In stiller Betrachtung, in frommen Gebete hatte sie ganz einsam diesen Tag zugebracht, an dem vor acht Jahren der erste Schmerz ihr kindliches Gemüth mit unaussprechlichem Jammer erfüllte. Der verklärte Geist ihrer Mutter war damals von irdischen Fesseln befreit, zu höherem Leben gerufen worden, und was auch Gabriele seitdem Trübes und Schmerzliches erfuhr, so hatte doch nichts den Eindruck dieses ersten Verlustes zu verlöschen vermocht. Immer hatte sie sich gesehnt, nur einmal noch den Sterbetag ihrer Mutter in den, durch das stille Walten der Verklärten geheiligten Räumen zu feiern, und der ihr so selten freundliche Zufall schien diesesmal den frommen Wunsch zu begünstigen. Er ließ gerade auf diesen Tag das glänzende Verlobungsfest eines jungen Paares aus der Nachbarschaft fallen, und Schloß Aarheim sowohl, als alle Schlösser in der Nähe standen während der zwei Tage verödet da, die auf Schloß Rothenburg in allen erdenklichen[61] Lustbarkeiten dem Brautpaar zu Ehren zugebracht wurden.
Gabriele gehörte nicht zu den Frauen, die mit ihren Empfindungen vor den Augen der Welt Prunk zu treiben suchen. Still und geheim mochte sie das, was ihr heilig war, vor jedem kalten fremden Auge gern bewahren. Daher hatte sie gegen niemanden geäußert, welche ernste Feier an diesem Tage sie von dem Verlobungsfeste entfernt halten würde. Unter dem Vorwande einer leichten Unpäßlichkeit, ward es ihr im letzten Augenblicke nicht schwer bei Herrn von Aarheim ihr Zuhausebleiben zu entschuldigen. Von den übrigen der Gesellschaft ward sie im geräuschvollen Moment der Abreise, wo eine große Anzahl Wagen und Pferde den Hof anfüllten, nicht vermißt. Denn jeder, der sie in seiner Nähe nicht erblickte, vermuthete sie bei den Andern. Auch den zurückgelassenen Bedienten blieb die Anwesenheit ihrer Herrin verborgen, denn Frau Dalling hatte sie, um die ungestörte Einsamkeit Gabrielens zu sichern, alle aus dem Schloß zu entfernen gewußt. Und so herrschte denn an diesem[62] Tage die feierliche Stille einer Karthause, wo sonst alles vom lebendigsten Treiben der Geselligkeit wiederhallte.
Ihrerseits hatte Gabriele, mit sich und ihrem Gemüth beschäftigt, eben so wenig daran gezweifelt, daß Hippolit mit dem Strome der Gesellschaft nach der Rothenburg gezogen sey, als sie am vergangnen Abend sein Wegbleiben von der Gesellschaft bemerkt hatte. Sie war zu gewohnt, ihn völlig als ihren Hausgenossen zu betrachten, um bei solchen Gelegenheiten mit besondrer Rücksicht sich seiner zu erinnern, und da an diesem Abend die ungewöhnlich zahlreichen Gäste an mehreren kleinen Tischen soupirten, so konnte es ihr um so weniger auffallen, daß sie in ihrer Nähe seiner nicht gewahr ward.
Um so mehr war es bewundernswerth, daß Gabriele das Schrecken, welches sein Erscheinen in der Kapelle ihr erregen mußte, so ertragen konnte, ohne auch nur für einen Augenblick ihm zu erliegen, besonders da sie sich geistig und körperlich von der ernsten Feier des Tages höchst angegriffen fühlte. Aus dem Sterbezimmer ihrer[63] Mutter, wo sie den ganzen Tag zugebracht hatte. war sie erst gegen Abend, begleitet von der treuen Pflegerin ihrer Kindheit, zu der unter der Kapelle befindlichen Familiengruft herabgestiegen, um an den Särgen ihrer Aeltern zu beten, die sich hier der langen Reihe derer ihrer Ahnherren anschlossen. Den Rückweg nahm sie durch die Kapelle, dort wollte sie noch in stiller Andacht vor dem Altare harren, bis die Sonne, welche diesem thränenvollen und hoffnungsseligen Tage geleuchtet hatte, hinter den Felsen sich neigte; und gerade in dieser Stunde war es, wo Hippolits düstere Erscheinung sie so gewaltsam zwang, sich der Erde und dem Leben auf ihr wieder zuzuwenden.
Mitternacht war längst vorüber und noch immer zitterten Schrecken und Schmerz in den Nerven der armen Gabriele. Vergebens bemühte sie sich, auf das morgende entscheidende Gespräch mit Hippoliten sich vorzubereiten; es war ihr unmöglich, irgend etwas darüber zu beschliessen.
»Wahr und treu und schonend will ich seyn, und das Uebrige Dem überlassen, der heut mich[64] würdigte, wie durch ein Wunder Hippoliten als Retterin vom Untergange zu erscheinen,« sprach sie endlich sich zum Troste.
Immer mußte sie indessen des Fläschchens noch gedenken und wohin sie auch die Augen wenden mochte, glaubte sie es sich entgegen blinken zu sehen. Ihr schauderte davor, und doch konnte sie es nicht lassen, mit Nachdenken und Forschen sich zu quälen: wo sie es früher gesehen haben könne? Glücklicherweise ohne Erfolg. Denn hätte sie sich darauf besonnen, daß gerade ein solches Fläschchen in der Todesstunde ihres Vaters an einer goldnen Kette von seinem Nacken geöffnet herabhing, so wäre ihr auch mit einemmale die Art seines Todes klar geworden, und mit dieser Klarheit ein ewig nagender Schmerz in ihr kindlich frommes Gemüth gedrungen. Vielleicht hatte das Bild dieses Fläschchens sich ihr in jenem Moment eingeprägt, wo sie von Schmerz, Schrecken und Angst; auch wohl von dem durch das ganze Zimmer sich verbreitenden betäubenden Duft des Kirschlorbeers ergriffen, zu den Füssen ihres sterbenden Vaters ohnmächtig hinsank. Vielleicht[65] war auch die Ahnung einer Vergiftung damals in ihrer Seele entstanden, war in bewußtlosem Zustande, in welchem sie sich während ihrer, gleich darauf folgenden langen Krankheit befand, wieder verloschen, und jetzt durch den Anblick des Fläschchens aufs neue in ihr rege geworden. Vielleicht aber auch hatte der verklärte Geist, dessen Nähe sie den ganzen Tag über erfleht, und zu empfinden geglaubt, diese Ahnung ihr in die Seele gegeben, um Hippoliten zu retten, und ihr das Glück zu gewähren, ihn gerettet zu haben. Wer vermag es, hier zu entscheiden? und wer, der es könnte, möchte hart genug seyn, diesen frommen Glauben, den Gabriele endlich freudig ergriff, als thörichten Wahn zu verdammen oder zu verspotten?
Hippolits Erwachen aus schwerem betäubendem Schlummer, glich am andern Morgen dem Erwachen aus Grabesdunkel in einer andern Welt.[66] Die ganze Vergangenheit war ihm entschwunden und nur in ängstlichen Traumbildern schwebten die zuletzt verlebten Stunden vor seiner Seele. Als er allmählig zur vollen Besinnung gelangte, wünschte er nun wieder einzuschlafen, um von neuem alles zu vergessen. Mit unendlichem Grausen ergriff es ihn, wie alles jetzt so ganz anders seyn könne, hätte nicht Gabriele ihn wunderbar vor sich selbst errettet. Er bebte mit Entsetzen vor dem geheimnißreichen Schleier der Ewigkeit zurück, den er gestern im verzweiflungsvollem Erdreisten mit kecker Hand zu lüften im Begriffe stand. Dann wendete er den Blick zur Erde. Er sah sich selbst bleich, regungslos erkaltet, entstellt vielleicht zum Unkenntlichen, ein Grausen- nicht Wehmuth erregender Todter, von dem Layen und Geistliche sich fromm bekreuzend den Blick abwandten. Fern, Allen zum Graus in ungeweihte Erde gebettet, hob kein bethräntes Auge von dem niedrigen Hügel sich mit tröstender Hoffnung gen Himmel. Freunde und Verwandte konnten nur den Wunsch hegen, ihn sobald als möglich der Vergessenheit zu übergeben; darum durfte kein[67] Stein mit seinem Namen den Ort bezeichnen, wo man ihn hinlegte.
Hippolit hatte den Tod nie gescheut, oft in jugendlichem Unmuth ihn herbei gerufen, wenn das Leben sich in frühern Zeiten seinen Wünschen nicht fügen wollte. Späterhin war er ihm oft dreist entgegen gegangen, wenn er aus keckem Uebermuth, oder um das Lächeln einer schönen Frau, oder wegen ein paar unbedacht hingeworfener Worte seiner Jugendgesellen das Leben wagte, als wäre es eine Seifenblase. Doch vor der abschreckenden Gestalt, in welcher der Tod jetzt seiner Fantasie vorschwebte, konnte er nur schaudernd sich abwenden. Das Blinken des krystallnen Fläschchens, das noch auf seinem Tische lag, verwundete ihn mit stechendem Schmerz, und er eilte, es wieder tief und sorgsam zu bewahren, um nur das Entsetzliche nicht mehr zu sehen. Dann bereitete er sich zu der gewünschten und gefürchteten Zusammenkunft, die ihm in den nächsten Morgenstunden bevorstand. Es gelang ihm, eine ruhigere Stimmung zu erringen, und nun begann er, seiner gestrigen Verzweiflung[68] sich herzlich zu schämen. Wie damals, als er zwischen den Ruinen der Brandstätte erwacht war, schalt er auch jetzt sich unmännlich feig, und fühlte mit tiefer Reue, wie grausam und unwürdig er im Begriff gewesen war, auch Gabrielens Frieden auf immer zu zerstören, den geringen Antheil häuslichen Glücks, der ihr ward, zu vernichten, und vielleicht selbst ihre Ehre vor der Welt unheilbar zu verwunden.
Endlich ward er zu Gabrielen gerufen. Er wagte es nicht, die Augen zu ihr zu erheben, bis er ihre sanfte rührende Stimme hörte, mit der sie freundlich ihn begrüßte, nach seinem körperlichen Befinden sich erkundigte. Doch als er sie anblickte, wär' er beinah in ehrfurchtsvoller Anbetung vor ihr hingesunken. So glaubte er noch nie sie gesehen zu haben. Hoch und hehr, bei aller gewohnten Einfachheit, stand sie vor ihm wie eine Königin; ihr Auge stralte in ungewohntem Glanz, ihre Wange war höher geröthet und alle Züge ihres schönen Gesichts trugen den Ausdruck festen, wenn gleich durch innre Güte gemilderten Ernstes. Hippolit fühlte in diesem[69] Moment alle seine Wünsche in Demuth und Ergebung untergehen. Mit einer anmuthigen, wenn gleich etwas feierlichen Bewegung der Hand wies sie ihm seinen Platz ihr gegenüber an, einige Minuten vergingen, und keines von ihnen sprach ein Wort; doch Gabrielens Fassung überwand gar bald dieses verlegne Verstummen.
»Ich habe in vergangner Nacht recht viel, recht besorgt um Sie, Ihrer gedacht, lieber Hippolit!« sprach sie zu ihm. »Ich möchte so gern dazu beitragen, Sie in ungetrübtem Jugendmuthe Ihrem eignen klaren Bewußtseyn wieder zu geben. Dann wäre alles gut. Denn ein düstrer unverstandner Wahn hat wunderlich Sie betäubt. Sie verkennen sich, die Welt und das Leben. Es wäre wohl die Pflicht der ältern erfahrneren Freundin, Ihnen wieder zurecht zu helfen, wüßte ich nur, wo zu beginnen!«
»O Gabriele! ich bin Ihrer Sorge nicht werth. Gefühle, Leidenschaft, Erinnerungen, deren Vorstellungen Ihnen ewig fremd bleiben müssen, nagen an mir, reissen mich hin zu wildem verworrenem[70] Thun; geben Sie mich auf! mir ist nicht zu helfen;« erwiderte schmerzlich Hippolit.
»Wie Sie mich betrüben!« rief Gabriele; »nach dem gestrigen Abend« –
»Erwähnen Sie ihn nicht, aus Mitleid nicht, ich flehe darum,« unterbrach Hippolit sie in heftiger Bewegung. »Die Hälfte meines Lebens gäbe ich willig, um ihn zurückzukaufen. Wüßten Sie, welche wunderbare Verknüpfung unendlicher Zufälligkeiten bis zu diesem Wahnsinn mich trieb! Doch warum mit der trüben Erzählung Sie behelligen? Vergeben Sie dem Unglücklichen; wenn es möglich ist, so vergessen Sie. Fürchten Sie nicht Aehnliches von mir, so lange ich meiner Besinnung mächtig bleibe. Ich werde harren, ich brauche dem Untergange nicht zu rufen, ich weiß, er wird mich früh genug ereilen.«
»An diesem Morgen des neugeschenkten Lebens hoffte ich Sie anders gestimmt zu finden. Doch gebe ich darum die Hoffnung noch nicht auf, Sie besänftigend zum Bessern zu leiten,« erwiderte Gabriele. »Geduld ist die Pflicht der Frauen und der Freunde, ich will gern sie üben, aber[71] üben Sie sie auch, lieber Hippolit. Hören Sie mich an, und ohne Widerstreben, ohne eigenwillig Ihr Gemüth gegen meine Stimme zu verhärten.«
Hippolit unterbrach hier zwar Gabrielen mit lauten leidenschaftlichen Ausrufungen, doch sie achtete dessen nicht. Ein halb bittender, halb befehlender Blick machte ihn wieder verstummen, und sie fuhr fort zu reden.
»In meiner Sorge um Sie, in meinem Gebet um Erleuchtung, wie Ihnen zu helfen wäre, kam mir plötzlich der Gedanke, Ihnen mit meiner Erfahrung zu nützen. Die Klippen, die ein Freund vor uns bezeichnete, sind leicht vermieden, und der Sieg, den Andre vor unsern Augen errungen, scheint uns nicht mehr unmöglich. Darum will ich allen Bedenklichkeiten entsagen, ich will Ihnen vertrauen was ich noch keinem sterblichen Wesen, so in Worte gefaßt, bekannte. Ich gebe Ihnen das theuerste Geheimniß meines Lebens in der Geschichte meines eignen Herzens. Sie sehen, ich achte Sie noch, Sie sind mir noch immer werth, was ich kann, gebe ich Ihnen,[72] Hippolit! und mehr dürfen und werden Sie nicht wünschen,« setzte sie, ihm freundlich die Hand bietend, hinzu.
Mit hohem Erröthen begann sie nun von jener Zeit zu sprechen, da sie, früh verwaist, in eine ihr ganz fremde Welt versetzt, mit beklommnen Herzen, vereinzelt dastand. Doch Blick und Ton wurden immer lebendiger, als sie deren erwähnte, welche ihr so freundlich entgegen traten, Ernestos, der Frau von Willnangen und ihrer Auguste. Hippolit, ihr gegenübersitzend, blickte mit stummen Entzücken in ihr seelenvolles Gesicht, in ihre klaren Augen, die, während sie sprach, oft mit dem Ausdrucke herzlichen Wohlwollens auf ihm ruhten.
»Ohne Ansprüche, geliebt zu werden, betrat ich die Welt,« sprach Gabriele, »doch bereit, mit inniger Liebe zu umfassen, was Liebenswerthes und Edles mir nahen werde. Denn ächte edle Liebe ist die Blüthe des Lebens; sie bedarf keiner Gegenliebe um zu beglücken, sie ist sich selbst ihr eigner hoher Lohn. So hatte meine Mutter mich gelehrt.«[73]
Dann erwähnte Gabriele mit glänzenden Augen Ottokars erstes Erscheinen. Ohne ihn zu nennen, oder sonst auf kenntliche Weise zu bezeichnen, beschrieb sie ihn wie er ihr damals erschienen war und noch immer in ihrer Erinnerung lebte. Mit hinreissender Einfachheit und jungfräulichem Erröthen bekannte sie, wie sie zuerst in Demuth neben ihm gestanden hatte, und all ihr Wünschen einzig darauf hinausgegangen war, nur einmal so wie die Andern mit ihm sprechen zu können; wie sie zuletzt in ihrem Gemüth doch zu der Ueberzeugung gelangt wäre, daß sie allein zu ihm gehöre, daß nur sie ihn ganz verstehe, obgleich er nie im Gespräch sich an sie gewendet habe, und wie dieß völlig von ihm Uebersehenwerden in verborgnen, schweigenden Nächten oft schmerzlich von ihr beweint worden sey. Dann kam sie zur Beschreibung jener einzigen Stunde, die in aller Seligkeit des Himmels und allem herzzerreissenden Schmerz des Erdenlebens beide auf ewig vereinte, indem sie für das ganze Erdenleben sie trennte.[74]
»Und so ist es noch jetzt;« setzte Gabriele nach einem kurzen deutungsvollen Schweigen hinzu. »Sieben Jahre sind seit jener Stunde vorübergezogen. Wir sind für dieses Leben so ganz von einander geschieden, daß in all dieser langen Zeit kein Gruß, kein Blättchen, von uns mit unserm Namen bezeichnet, über die Kluft hinschwebte, die das Geschick und unser eignes Gefühl des Rechten zwischen uns zog. Wir sind mit unserm Loose zufrieden. Der irdische Schmerz ist niedergekämpft und nur die reine Freude, einander gefunden zu haben, ist uns geblieben. Bei jeder Erdennoth, jedem Zweifel, der im Gewühle des Lebens sich an mich drängt, hebt und hält mich das Bewußtseyn, daß er lebt, daß er kein Gebilde meiner Fantasie ist. Und auch ich – ich bin dessen überzeugt, – auch ich erscheine ihm zum Trost, wenn er es bedarf. Weiter haben wir für dieses Leben keine Wünsche mehr, sogar der, einander hier noch einmal wieder zu sehen, verstummte allmählig. Doch will ich meinem jungen Freunde nicht bergen, daß die Ruhe, welche jetzt mich beseligt, nur im schweren[75] Kampfe errungen ward. Hippolit! auch Sie sind zu diesem Kampfe berufen und werden siegen.«
»Nimmermehr!« rief Hippolit in leidenschaftlichem Schmerz. »Wie könnte ich je dahin gelangen, wo Gabriele in der Glorie einer Heiligen strahlt! Seliger Engel! warum bliebst du nicht in deinen Himmeln? Warum mußtest du in dieser entzückenden Gestalt herabschweben, uns zu verderben?«
»Hippolit! ich wiederhole es, Sie betrüben mich mit diesem wilden leidenschaftlichen Wesen; Sie ängstigen mich, und es ist wohl besser, ich ende dieses Gespräch, um schriftlich einen vielleicht günstigern Moment zu treffen,« sprach Gabriele sehr ernst, als wolle sie aufstehen und das Zimmer verlassen, doch Hippolits Verzeihung erflehender Blick und sein sichtbares Bestreben, sich zu mäßigen, bewogen sie, noch zu bleiben.
»Verzeihen Sie mir die Behauptung,« sprach endlich Hippolit, »Gabriele, schönes engelreines Wesen! was Sie Liebe nennen, ist es nicht. So lieben nicht sterbliche Menschen; wie Sie[76] jenen namenlosen Glücklichen lieben, so lieben selige Geister« –
»So lieben Frauen,« unterbrach ihn Gabriele, und ihrem Augen leuchteten in verdoppeltem Glanze.
»Wie gern stimmte ich in kindlicher Demuth diesem Ausspruche bei,« rief Hippolit und wagte erröthend kaum, die Augen aufzuschlagen, aber ich darf gegen Sie nicht falsch seyn,« fuhr er fort. »Ich muß es bekennen, ein feindliches Geschick hat schon früh mich mit der Kehrseite des Lebens bekannt gemacht. Aus Erfahrung, deren ich jetzt nur in tiefer Beschämung gedenke, weiß ich, wie einsam Gabriele auf der Höhe steht, die über ihr Geschlecht sie erhebt, wie ohne alle Ahnung dessen« –
Ein zürnender Ausruf Gabrielens unterbrach ihn. »Fürchten Sie nichts!« fuhr er bittend fort; »kein kühn ausgesprochnes Wort soll Sie beleidigen; möge der Himmel mich noch elender machen, als ich es bin, wenn je die hohe Ehrfurcht mich verläßt, die in Ihrer Nähe mich immer ergreift. Doch wenn Sie je – wenn jemals – ach! wie fange ich es an, um Ihnen gegenüber,[77] das was ich denke, was ich fühle, in Worte zu fassen? Wie soll ich Sie erbitten, es nicht Lästerung zu nennen, wenn ich bekenne, daß ich jetzt, von Ihrem holden Vertrauen beruhigt, ihn nicht mehr beneide, dessen nie zuvor geahnetes Daseyn schon gestern die Bosheit Ihrer Feindin und die unbedachte Vertraulichkeit Ihres Freundes mir verriethen. In nie gefühlten Qualen der Eifersucht jagte es mich in Wahnsinn und Tod.«
»Sie sollen ihn auch nicht beneiden, Sie sollen neidlos ihm nacheifern, Sie sind es werth, neben ihm zu stehen,« sprach Gabriele mit begütigendem Tone, doch Hippolit fuhr fort, wie nachdenkend vor sich hin, weiter zu sprechen.
»Dieß ruhige Gefühl wäre Liebe? Nein, ich wiederhole es, Gabriele hat nie die Liebe gekannt. O – kennten Sie dieses verzehrende Feuer, dieß Wünschen ohne Namen und Ziel, diese Unmöglichkeit, anders wo zu athmen, als in der Nähe des Geliebten! – O Gabriele, was soll aus mir werden? Was soll mich schützen vor Wahnsinn und Verzweiflung?« rief er, von seinem[78] Schmerz aufs neue überwältigt; »was kann mich retten?«
»Was auch mich und meinen Freund vor Untergang und Unwürdigkeit schützte,« erwiderte Gabriele fest und mild. Sie faßte die Hand, mit welcher er im wildem Unmuthe sein Gesicht verhüllte. »Blicken Sie mich an,« sprach sie; »glauben Sie, daß diese Augen nie weinten? Daß nicht auch meine Brust in schlaflosen Nächten nach Trost, nach Hoffnung, nach Beruhigung schmerzlich rang? daß nicht auch er? – o Hippolit, ich fordre ja nichts Unmögliches, nur was ich und er auch thaten und trugen.«
»Entfernung ist Tod!« rief Hippolit, alle Mäßigung vergessend, im wilden Schmerze.
»Und Sie glauben mich zu lieben? Kennt Liebe denn Trennung? Ist sie nicht ewige Nähe? Giebt es für sie Raum oder Zeit?« erwiderte ihm Gabriele.
Lange kämpfte sie mit ihm, erschöpfte Gründe und Bitten, um ihn zu einem Schritt zu bewegen, den sie im Fall seines unüberwindlichen Widerstandes entschlossen war, selbst zu thun.[79] Mit der Ueberzeugung von Hippolits wirklich leidenschaftlicher Liebe war ihr auch die Nothwendigkeit klar geworden, ihn aus ihrer Nähe zu entfernen. Sie fühlte unendliches Mitleid mit ihm in ihrem Herzen, es betrübte sie unsäglich, ihn wieder ganz allein seiner leidenschaftlichen Natur überlassen zu müssen, ihn Rath- und Hülflos in die ihm so gefährliche Welt hinauszustoßen. Auch dachte sie nicht ohne ein sehr schmerzliches Gefühl für sich selbst an die Trennung von ihm; sie war seiner Gegenwart so gewohnt worden, daß sie kaum wußte, wie sie es anfangen solle, um sich von ihm loszureißen. Der schönste Schmuck ihres jetzigen Lebens ging ihr mit ihm verloren, das konnte sie sich nicht verhehlen, und gestand es auch ihm, offen und wahr. Ihr Mitgefühl milderte die Wildheit seines Schmerzes und machte ihn fähig, Bitten und Gründen seine Aufmerksamkeit zu schenken. Mit der größten Zartheit lenkte Gabriele auch seine Blicke auf ihre eigne häusliche Lage, die er nur zu genau kannte, auf die Gefahr, in welche er in unbedachten Augenblicken sie stürzen[80] könnte, dieses Schattenbild von häuslicher Ruhe zu verlieren, das sie bisher mühsam erkämpft, mit unzähligen Opfern sich erhalten hatte. Selbst auf das Urtheil der Welt, das man ehren muß, ohne es achten zu können, machte sie in leisen Andeutungen ihn aufmerksam. Hippolit war es gewohnt, sie beinahe ohne Worte zu verstehen. Er konnte sich die Wahrheit dessen nicht verhehlen, was sie ihn mehr errathen ließ, als daß sie es ausgesprochen hätte, und der Gedanke, ihrer Ruhe dieß große Opfer zu bringen, ermuthigte ihn. Ihre bittenden Blicke besiegten ihn mehr als ihre Gründe; der gebietenden Herrin hätte er vielleicht noch lange Widerstand geleistet, der mit ihm fühlenden Freundin mußte er nachgeben. Und so gelangte er denn endlich zu dem Entschlusse, zuerst in Ungarn Freunde und Verwandte zu besuchen, seine Güter zu bereisen und dann nach Italien zu gehen. In Jahresfrist sollte er selbst entscheiden, ob er dann siegreich genug aus dem schweren Kampfe mit seinem Herzen hervorgegangen sey, um zu verdienen, wieder in Gabrielens Nähe zu leben.[81]
»Was ich mir und meinem fernen Freunde versagen mußte, darf ich Ihnen erlauben,« sprach sie zu ihm. »Ich bitte Sie sogar, mir wöchentlich zu schreiben. Ich will an allem theilnehmen, was Ihnen begegnet, und auch Sie sollen von mir zuweilen Kunde erhalten, obgleich ich nicht versprechen kann, jeden Ihrer Briefe regelmäßig zu beantworten. Der Reisende hat immer leichter schreiben als der, welcher zu Hause bleibt, doch will ich gern freundlich und rathend Ihnen auch aus der Ferne die Hand reichen. Uebrigens vertraue ich Ihrem eignen Gefühle, ich bin gewiß, Sie werden nur schreiben was ich lesen darf; Sie werden nie mich zwingen, einen Ihrer Briefe ganz unbeantwortet zu lassen, oder wohl gar alle zuletzt uneröffnet zurücksenden zu müssen. Hippolit wird so das Gemüth der Frau nicht verwunden, die ihn so gern und freudig ihren Edelknaben nannte,« setzte Gabriele, lächelnd unter Thränen, hinzu, indem sie ihm freundlich die Hand reichte, um so den vielleicht zu streng erscheinenden Ernst zu mildern, mit welchem sie diesen Ausspruch that.[82]
Hippolits endlicher Abschied von der hochgeliebten Frau duldet keine Beschreibung. Schon in der nächsten Stunde saß er auf seinem prächtigen, stolzen Araber, denn er wollte, nach seinen eignen und Gabrielens Wünschen, die noch am nehmlichen Abend von der Rothenburg zurückkehrende Gesellschaft vermeiden. Als er über den Schloßhof sprengte, sah er noch einmal zu Gabrielens Fenster auf; sie stand da und winkte ihm das letzte Lebewohl zu. Sein Herz zuckte, als wolle es brechen, da er sie erblickte. Er vermochte es nicht, ihren Gruß zu erwidern, sondern spornte sein edles Roß so, daß es hoch auf sich bäumte und dann, wie vom Sturmwind getrieben, mit ihm zum Schloßthor hinaus den steilen Felsweg hinunterflog. Die ihm am Thore nachsehenden Bedienten schrien alle vor Schrecken darüber laut auf; Gabriele lauschte bebend am Fenster, bis die Ruhe, mit welcher sie Alle sich dem Schlosse zuwenden sah, sie überzeugte, daß jede Gefahr vorüber sey und kein Unfall ihren jungen Freund betroffen habe.
Dann wandte sie sich langsam vom Fenster[83] ab, in stille Trauer und in wehmüthigem Andenken versunken.
Sowohl Gabriele als Hippolit waren gleich bei der Ankunft auf der Rothenburg von der Gesellschaft vermißt worden, und obgleich Herr von Aarheim seine Gemahlin durch die ihr plötzlich zugestoßne Unpäßlichkeit sehr umständlich zu entschuldigen suchte, so fehlte es dennoch nicht an mannigfaltigen Muthmaßungen über den sonderbaren Zufall, der zugleich auch Hippolits Abwesenheit veranlaßt habe. Eugenia, mehr vielleicht aus Gewohnheit als aus böser Absicht, trug redlich dazu bei, die Aufmerksamkeit der Gesellschaft so lange als möglich mit diesem Problem zu beschäftigen; Moritz selbst ward zuletzt dadurch angeregt, doch da niemand in seinem Beiseyn ganz verständlich sich auszudrücken wagte, so begriff er nicht recht, mas man eigentlich meinen mochte, und die ganze Geschichte machte keinen großen Eindruck auf ihn. Anders[84] wurde es als er, wenig Stunden nach Hippolits Abreise, wieder zu Hause angelangt war. Hier vernahm er, daß sein junger Freund, durch dringende Ursachen bestimmt, plötzlich nach Ungarn gereist sey, ohne sich vorher bei ihm zu beurlauben. Das halbverstandne Geflüster und Gezische auf der Rothenburg kam ihm wieder in den Sinn, und brachte ihn jetzt auf den albernen Gedanken, seine Gemahlin könne aus wunderlicher Eifersucht den Augenblick benutzt haben, um den einzigen Menschen, dessen Gesellschaft ihn ergötzte, von ihm zu entfernen. So lächerlich diese Vermuthung auch war, so ermangelte er doch nicht, Gabrielen deshalb anzuklagen, und ihr dadurch manche böse Stunde zu machen.
Der Verlust Hippolits und die Verpflichtung, die Fräulein Schöneck wieder in die Arme ihrer Mutter zu geleiten, mußten ihm jetzt zum Vorwande dienen, die Rückreise nach der Residenz zu beschleunigen.
Ida und Bella gingen mit eben der fröhlichen Erwartung dem Geräusch der Stadt entgegen,[85] mit der sie auf die romantische Einsamkeit der alten Burg sich gefreuet hatten. Mit nassem Auge und manchem unterdrückten Seufzer trennte sich Gabriele von dem geliebten Aufenthalte; Moritz hingegen vermaaß sich hoch und theuer in seinem Herzen, die Schwelle des alten verwünschten Schlosses nie wieder zu betreten; er fand jedoch für gut, diesen Vorsatz nicht laut werden zu lassen.
Mit einem sehr unbehaglichen Gefühle, zu welchem die jetzige Gestaltung ihres häuslichen Verhältnisses nicht wenig beitragen mochte, betrat Gabriele in der Residenz abermals die gewohnte Bahn im geselligen Leben der großen Welt. Nie war ihr diese freudenarmer und uninteressanter erschienen, und dennoch durfte sie ihr, um ihres Gemahls willen, nicht entsagen. Letzterer ward mit jedem Tage mürrischer und unleidlicher. Gegen die Freude an Gabrielens glänzender Erscheinung in der Welt, hatte die Zeit ihn abgestumpft; er bildete sich nicht mehr ein, die Bewunderung, welche sie überall erregte, mit ihr zu theilen, und sein ewiges Ausposaunen[86] ihrer Vortrefflichkeit quälte sie nicht, wie wohl ehemals. Dafür machte ihn aber die fürchterlichste Langeweile zum unerträglichsten Gesellschafter, bis er durch irgend eine schnell aufgefaßte Lieblingsidee wieder angeregt und in Thätigkeit gesetzt ward. Doch als er diese endlich am Spieltisch gefunden hatte, gewährte sie ihm nur neue Anreizung zum ärgerlichsten Mißmuthe. Sein Verlust an demselben konnte bei seinem großen Vermögen zwar nicht in Anschlag gebracht werden, aber leider bildete er sich ein, das Geheimniß erfunden zu haben, den Gang des Spiels im Voraus aus mancherlei Nebenumständen berechnen zu können, und das öftere Mißlingen seiner mühsamen Kalkulazionen versetzte ihn beinahe an jedem Abende in den allerwiderwärtigsten Humor.
Der Briefwechsel mit ihren entfernten Freunden gewährte Gabrielen wenig Erheiterung ihres jetzigen trüben Lebens. Ernesto ließ aus Italien selten von sich hören, und Frau von Willnangen mit ihrer Auguste waren selbst des Trostes bedürftig.[87] Denn der General fand für gut, Adelberten noch immer entfernt zu halten, und beide Frauen führten auf dem Lande, in Sehnsucht und banger Erwartung, ein sehr einförmiges Leben. Gabriele hatte ihrer Freundin die Ereignisse nicht mitgetheilt, welche Hippolits Entfernung aus ihrer Nähe herbeiführten, denn sie achtete sich nicht berechtigt, das Geheimniß ihres Freundes ohne Noth zu verrathen. Indessen hatte sich doch eine Art Zwang in den Briefwechsel der Freundinnen durch dieses Verschweigen eingeschlichen, den beide fühlten, ohne sich ihn zu gestehen. Stille Trauer über den Jüngling, den sie gezwungen hinaus in die Verbannung gestoßen, waltete noch immer in Gabrielens Gemüth; überall vermißte sie ihn, und seine Briefe, eigentlich das Tagebuch seines Lebens, waren fast die einzige Unterbrechung ihres bis zum Ueberdruß einförmigen Umhertreibens mitten im Geräusche.
[88]
»Ich muß fort,« schrieb Hippolit Gabrielen, wenige Wochen nach seiner Ankunft im Vaterlande, »ich muß fort, ich halte es so nicht länger aus. Ruhe zu hoffen, wäre lächerlich; so will ich denn Betäubung suchen. Betäubung andrer Art als mir die glänzenden Feste, die großen Jagdparthien geben, welche meine Verwandten mir zu Ehren hier anstellen. Wenn sich Abends, von unzähligen Fackeln beleuchtet, unsere oft aus zwanzig und mehr Wagen bestehenden Karavanen von dem Schloße eines Verwandten, wo wir einige Tage oder Wochen lang hauseten, zu dem Gute eines andern begeben, wo wir uns wieder im nehmlichen Kreise von Lustbarkeiten umherzutreiben gedenken, dann kommt mir unser Zug, dem die Landleute bewundernd nachstaunen, oft wie ein prächtiges Leichenbegängniß vor. Ich hörte einmal ein altes einfaches Lied singen, sein Anfang war:«
»Mein Herz, das ist begraben,
Tief und gar weit von hier«
Mein Gedächtniß hat von dem Liede nichts aufbewahrt als diese wenigen Worte, aber ich kann[89] sie nicht wieder los werden. Oft möchte ich meine Verwunderung laut darüber ausdrücken, daß man so viel Umstände mit mir macht, um mich zu ergötzen, aber die guten Leute wissen nicht, daß es eben sowohl Scheinlebende als Scheintodte gibt. Sie ahnen nicht, daß ich mit kalter, hohler Brust unter ihnen herumwandle, weil ich ohngefähr eben so aussehe wie alle andere Menschen, aber – ›Mein Herz, das ist begraben tief und gar weit von hier!‹
Eine freudige Regung, einen Strahl jugendlichen Lebens, hat mir denn doch das Wiedersehen, oder ich sollte lieber sagen, das Widerfinden, eines ehemaligen Jugendgefährten hier gewährt. Auf einer jener glänzenden Familienreisen führte unser Weg dicht neben dem Schlosse meines Oheims vorbei, dem ich als ein Unmündiger vom sterbenden Vater anvertraut ward, und der mich zum Lohne dieses Vertrauens für einen der Familie aufgedrungnen Bastard erklären lassen wollte, um mein reiches Erbtheil seinem eignen Sohne zuzuwenden. Seit einem halben Jahre ist der Oheim todt, aber ich mochte selbst den[90] Ort nicht wiedersehen, wo er mit heuchlerischer Freundlichkeit mich umfing, und mich Sohn nannte, während er im Herzen den Plan, mich zu verderben, umhertrug.
Sein Sohn, mein ehemaliger Spielgefährte, bewohnt jetzt das Gut, ich schlug indessen das Frühstück aus, das uns bei ihm erwartete, und bestand darauf, weiter zu fahren. Ich mochte die Brut des heuchlerischen Alten nicht sehen, die durch meinen Raub hatte bereichert werden sollen, und äußerte dieses ganz unverholen. Heute früh stand Vetter Max vor mir in meinem eignen Zimmer, ehe ich mich dessen versah, und bot mir die Hand zur Versöhnung. Ein einziger Blick in sein ehrliches, treuherziges Gesicht entwaffnete mich, und nun höre und sehe ich zu meiner unsäglichen Beschämung, was Max alles für mich gethan hat. Selbst mit Vernachlässigung seiner eignen Geschäfte, hat er Tag und Nacht nur dahin getrachtet, die Ordnung auf meinen Gütern wieder herzustellen; und daß ich, unerachtet der sinnlosen Verschwendung meiner[91] frühern Jugend, dennoch jetzt weit reicher bin als ich es je zu seyn glaubte, verdanke ich einzig ihm.
›Schweigt davon nur ganz stille,‹ antwortete mir der gute Max, als ich meinem Danke Worte geben wollte, ›ich that wohl etwas um Euch, mehr aber noch um des Vaters willen. Ich meine, wenn ich jetzt gut zu machen versuche, was er schlecht machen wollte, so soll das seiner armen Seele vielleicht besser frommen als etliche Dutzend Seelenmessen, die wir indessen auch nicht versäumen. Euch aber, Vetter! wenn ich Euch wirklich einen Gefallen that, bitte ich übrigens, da Ihr doch meines Vaters nicht im Guten gedenken könnt, so thut mir die Liebe, und denkt gar nicht an ihn. Er war doch mein Vater und hatte mich lieb, zu lieb; und das mag leicht sein größter Fehler gewesen seyn.‹
Morgen soll ich ganz allein mit Max herüber reiten, seine Frau und sein Kind zu sehen, er ist einige Jahre älter als ich und schon Hausvater.«
[92]
Am Abend des folgenden Tages.
»Maxens Kind heißt Gabriele! Gabriele, rief ich, Gabriele! und riß das kleine zweijährige Mädchen vom Arme der Mutter, so wie sie es mir genannt hatte. Ich konnte es nicht lassen, ich bedeckte es mit tausend glühenden Küssen, es streckte die Aermchen nach mir aus, es lächelte mich an, es wollte mich liebkosen und ich – Nein ich darf in diesem Momente nicht weiter schreiben – Gabriele! Gabriele! welch ein Zauber liegt in diesem Namen! Er ruft den Himmel und die Hölle in meinem Busen wach.«
Einige Wochen später geschrieben.
»Max ruhte nicht, ich mußte ihm hieher folgen, zum uralten hochgethürmten Sitze meiner Ahnen, am Fuße der Karpathen. Er meinte: wo ich eigentlich zu Hause sey und hingehöre, müsse doch endlich jener Trübsinn weichen, der in meiner Nähe sogar ihn, den immer Lebensfrohen, wie ein böser Geist ergreift, und ihn oft so seltsam beängstigt, daß er das Vorgefühl einer nahen schweren Krankheit zu empfinden glaubt.[93] Und dennoch will der gute treue Freund nicht von mir lassen; mag er denn immerhin meinen einstweiligen Aufenthalt wählen; ich bin froh, dieser Mühe überhoben zu seyn, ich gebe mich seiner Leitung hin, und um so lieber, da ich, mit ihm allein, endlich einmal freier athmen kann.
Ehegestern langten wir ziemlich spät gegen Abend hier an. Aus Hütten und Bauerhöfen strömte Jung und Alt uns schon auf dem Wege entgegen, mit Kränzen, mit grünen Zweigen, und endlosen gutgemeinten lateinischen Reden. Hörner und Trompeten lärmten da zwischen, und der Wiederhall aus den nahen Bergen sandte uns das luftige Losknallen der Feuergewehre, zum fernen Donner umgewandelt, zurück.
Max suchte mit seelenvergnügter Erwartung Freude über seine wohlgetroffnen Anstalten in meinen Augen zu lesen, während die trostloseste Erinnerung an unsern Einzug in Schloß Aarheim mir das Herz zerriß.
An unsern Einzug! Gabriele! an unsern! Wie war es möglich, daß dieser Ausdruck jetzt[94] mir entschlüpfen konnte? Unser! Die Seligkeit des Himmels umfaßte sonst für mich dieß kleine Wort, ich suchte tausendfältige Gelegenheit, es auszusprechen. Jetzt ists damit vorbei! Ich darf ja mit Gabrielen nichts mehr gemein haben als das Tageslicht. Doch still davon.
Ich stand denn ehegestern eine ziemliche Weile unter den hohen Bäumen vor dem Schlosse und war himmelweit von allen jenen Regungen entfernt, die Max in mir zu wecken gehofft hatte. Noch nie hatte ich so verwaist mich gefühlt als eben hier, in dem von meinen Vätern mir vererbten Eigenthume; noch nie war es mir so schwer aufs Herz gefallen, wie ich doch nirgend und zu niemanden mehr hingehöre, seit der Stern meines Lebens mir nicht mehr leuchtet.
Alle diese Menschen blicken hoffend zu mir auf, alle dünken sich, zu mir zu gehören, sie sind bereit, ihr Wünschen und Klagen und Bitten mir zu vertrauen, und ich will gern geben was ich kann; doch das, was sie eigentlich und mit Recht von mir fordern, vermag ich doch nicht, ihnen zu gewähren. Ich stehe, in Sitte,[95] Kleidung und Sprache ein Fremder, in meinem Vaterlande mitten unter meinem Volke.
Warum ließ mein Vater den mutterlosen Knaben nicht hier aufwachsen in diesen alten Mauern, unter diesen Menschen, die so große Ansprüche an ihn haben? Ich wäre dann einfachen Sinnes und doch treu und brav, wie mein Vetter Max; ich nähme, wie er, das Leben arglos hin, ohne große Ansprüche, wie es gerade käme. Es stände dann gewiß viel besser um meine Ruhe, und doch ergreift mich ein Schauder, wie vor dem Gedanken ewiger Vernichtung, wenn ich es mir recht ausmale, wie es mit mir seyn könnte, wenn Gabriele mir nicht erschienen wäre, wenn Kunst, Wissen und jeder verfeinerte Schmuck des Lebens für mich gar nicht existirten, wenn ich, versunken in farblose Apathie, so hinlebte von einem Tage zum andern, und die Jahre über mir hinrollten, ohne daß ich es anders als an meinen ergrauenden Haaren gewahr würde. Nein! nein! ich will fühlen, daß ich bin, sey es auch nur durch den Schmerz! Doch[96] zurück zu meiner Erzählung unsrer Ankunft. Sie wollen ja, ich soll erzählen.
Immer peinlicher ward das beängstende Gefühl, das unter meinen jubelnden Unterthanen mich ergriffen hatte. Immer unmöglicher ward es mir, ihrer Freude, die mit jedem Augenblicke lauter sich aussprach, wenigstens auf halbem Wege zu begegnen. Ich weiß was ich gesollt hätte; ich fühlte recht gut, welche Erwiderung die rührende Anhänglichkeit dieser Menschen, wenn auch nur an meinem, durch die Zeit ihnen heilig gewordnen Namen, von mir fordern durfte, und doch fürchte ich, theure Gabriele, ich fürchte, ich habe mich nicht benommen wie ich sollte. Ich konnte es nicht, weder mich zu freuen, noch Freude zu heucheln vermag ich, und so kam es denn wohl nicht ohne mein Zuthun, daß das muntre Getöse um mich her allmählig verstummte. Alles begann nach und nach, sich mit scheuem Blick, mit unsicherm Verneigen aus meiner Nähe zurück zu ziehen und endlich sich zu zerstreuen, ehe noch völlige Dämmerung eintrat.[97]
Max hat recht ernstlich mein Benehmen getadelt; ich stand beschämt vor ihm und wußte zuletzt nur körperliches Uebelbefinden zu meiner Entschuldigung anzuführen. Er meint es so gut, und obgleich er mich oft eigensinnig schilt, ist doch sein Herz voll Mitleid mit mir; aber wie könnte er je Wunden schonend behandeln, deren Möglichkeit er nie begreifen wird. Ich bat ihn also nur, bei einem Feste, das ich allen meinen Unterthanen zu geben Willens bin, mich als Wirth zu vertreten. Dieß stellte die treue Seele völlig zufrieden, nur mußte ich ihm noch versprechen, dabei zu erscheinen, sey es auch nur auf wenige Minuten.
Morgen also. Von Morgen an wird laute Freude drei Tage lang unten durch die weiten Hallen meiner Burg tosend dröhnen. Für mich hoffe ich indessen ein stilles Plätzchen zu finden, wohin kein Ton von dorther dringen kann, wo ich allein seyn mag mit meinen lieben Gedanken an ehemals, an Gabrielen.
[98]
»Sie tanzen, sie singen, sie lachen; wie das ferne Brausen des Meeres, tönt es selbst zu dem kleinen runden Eckthurm herüber, in welchen ich mich vor alle dem Lärmen geflüchtet habe. Ist das Freude? Die ungebändigste Lustigkeit eines Bauerngelages, so wie die ausgesuchtesten Feste der vornehmen Welt, was sind sie im Grunde anders als Schlachtmusik, die der arme Mensch sich macht, um nur nicht zu sehen und zu hören, wie der vernichtende Arm der Zeit die Sichel führt.«
»Schon beim ersten Eintritte in dieses Schloß kam alles so bekannt mir vor. Das altmodisch gestickte goldne Laubwerk auf den schweren rothsammtnen Gardinen meines Bettes, die vergoldeten Löwenköpfe, welche meinen Schreibtisch tragen, die hohen geschnitzten Stühle, die kolossalen unbeweglichen Tische. Mir war, als hätte ich vor langer Zeit das alles schon gesehen, und doch hatte ich dieses Schloß kaum jemals nennen[99] gehört; mein Vater besuchte es nie, so lange ich denken konnte, obgleich es unser Stammhaus ist. Von Unruhe getrieben, durchzog ich heute die lange Reihe unbewohnter Zimmer, die noch in ihrer alterthümlichen verbleichenden Pracht genau so wie schon vor hundert Jahren dastehen. Ein großer Saal am Ende derselben hielt mich endlich fest. Von seinen Wänden schienen die Bilder meiner Vorfahren aus ihren breiten kunstreich geschnitzten Rahmen auf mich, den letzten trüben Sohn ihres Stammes, mitleidig herabzublicken, und ich betrachtete sie der Reihe nach. Zuletzt stand ich beim Bilde meines Vaters still, sein trauriges Alter und die Tage meiner, nicht freudiger bei ihm verlebten Kindheit traten mir vor die Seele. Ich versank in immer tieferes Sinnen, so, daß ich über die Stimme des alten Kastellans wirklich zusammenfuhr, der, von mir unbemerkt hereingetreten war.
Er ist ein alter fast kindischer Greis, der hier, wo er sein ganzes Leben hinbrachte, in spielender Geschäftigkeit den Tod erwartet. Mit der Redseligkeit des Alters begann er, mir die Geschichte[100] aller Feste und großen Jagden, welche er zu meines Großvaters Zeiten hier erlebt hatte, herzuerzählen, bis ich, um ihn zu unterbrechen, nach einem Bilde fragte, von dessen Existenz der leere Raum neben dem meines Vaters zeugte, und das augenscheinlich aus der Reihe weggenommen war. Der Alte wiegte bedächtig das schneeweiße Haupt, ›ich hab's gerettet,‹ flüsterte er mir endlich zu und öffnete dann eine verborgne Tapetenthüre in einer Ecke des Saals. Beklemmend schlug mir die schwüle eingeschloßne Luft das wohl seit vielen Jahren nicht geöffneten dunkeln Zimmers entgegen, doch trat ich hinein, eigentlich ohne Neugier und ohne zu wissen warum. Der Alte öffnete die Fensterladen und ich sah mich in dem Kabinette einer Dame aus der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Auf dem mit Spitzen auf verblichner rosenfarbner Seide umkleideten Nachttische schimmerten noch die silbernen mit getriebner Arbeit gezierten Putzkästchen; ein dicht zugezogner Schleier von altmodischen Spizzen verhüllte den kleinen ebenfalls in silberne Schnörkel eingefaßten Spiegel und seitwärts stand[101] eine reich mit Perlmutter und Elfenbein geschmückte Wiege, auf deren seidner Decke wohl längst zerfallne Hände mit mühsamer Kunst eine Grafenkrone gestickt hatten.
In ganz eigner Bewegung betrachtete ich die kleine Schlafstätte und die prunkenden Anstalten, welche Mutterliebe und Eitelkeit zum Empfange des hülflosen kleinen Erdenbürgers hier getroffen hatten, den das Schicksal späterhin wohl schwerlich wieder so weich gebettet haben wird, ehe er zu jener Ruhestätte gelangte, die der spanische Dichter die zweite umgekehrte Wiege nennt, und die uns noch tiefern ruhigern Schlaf verheißt. Der Alte machte mich jetzt auf das über der Wiege hängende Bild einer jugendlich schönen Frau aufmerksam. Sie lächelte mit so bekannten Zügen mich an, daß ich den Blick nicht wieder zu wenden vermochte. Plötzlich fiel es wie ein Schleier mir von den Augen, ich stand vor dem Bilde meiner Mutter, ich erkannte dieß Kabinett, in welchem ich, ein glückliches Kind, bis in mein fünftes Jahr neben ihrem dicht daranstoßenden Zimmer gewohnt habe. Ich bin in[102] diesem Schlosse geboren, theure Gabriele, ich wußte es nur nicht, aber der Greis sagte es mir jetzt. Es war meine Wiege an der ich stand, in der auch mein Vater, vielleicht mein Großvater einst ruhten; denn seit einem Jahrhundert wenigstens ist hier nichts verändert worden. Die Morgensonne meines Lebens ging mir plötzlich wieder auf und leuchtete um mich her, so klar, daß ich alles, was mich umgab, in ihrem rosigen Abglanz wieder erkannte. Ich blickte auf zum Bilde meiner Mutter, in ihren Augen schienen mir jetzt Thränen zu glänzen, wie in jener Nacht, da ich, halb erweckt von ihren heißen Küssen, sie weinen sah und mit ihr weinend, wieder einschlief. Am Morgen nach dieser Nacht, erwachte ich das erstemal zum Schmerz der Trennung, der bängsten Sehnsucht nach einem geliebten entschwundnen Wesen.
Die Fenster des Kabinetts gehen in einen kleinen Nebenhof; ich erkannte jetzt auch in ihm die Stelle, wo vor beinahe zwanzig Jahren der Wagen hielt, in welchen ich von ganz fremden Leuten getragen ward und dann still weinend und,[103] bänglich neben dem ernsten schweigenden Vater sitzend, von allen Freuden meiner Kindheit Abschied nahm. Ich habe seit jener Nacht meine Mutter nicht wieder gesehen, nie hat man wieder mit mir von ihr gesprochen, und die unglückliche Ursache unsrer Trennung ist mir nie recht deutlich geworden. Ich weinte lange der Mutter nach, endlich vergaß ich sie doch nach Kinderart. Die Liebe blieb aber dennoch in meinem Herzen, und hielt ihr Bild darin fest; darum erkannte ich es in dem Gemälde gleich wieder, so wie dieses mir vor die Augen trat. Es ist das Einzige was von ihr übrig ist. Dank sey es dem alten treuen Kastellan, der es heimlich gerettet. Alle andere sie darstellenden Gemälde, die sich im Schlosse befanden, wurden nach der Entdeckung ihrer Flucht von uns, auf Befehl meines erzürnten Vaters verbrannt. Der Unglückliche! Das Eine Bild in seinem Herzen vermochte er doch nicht zu vertilgen, das wie ein unheilbringender Dämon ihn überall hin verfolgte, alle seine Tage trübte, ihn in Lebenshaß und Bitterkeit erstarren ließ. War es Schuld meiner Mutter, oder ihr Unstern, der[104] hier vorwaltete? Fern von mir sey es, hierüber forschen zu wollen. Sie hat mich einst geliebt, sie hat um mich geweint, dieß genügt meinem Herzen. Ich beziehe noch heut mein ehemaliges Kabinett, vielleicht senkt in der Wohnung meiner harmlosen Kindheit sich mir ein Strahl ehemaligen Friedens wieder in das wunde Herz.«
»Es ist vergebens. Auch hier, wo ich zuerst athmete, wohnt für mich keine Ruhe! Gabriele, hörten Sie je das Mährchen von jenem Unglückseligen erzählen, der seit langen Jahrhunderten rastlos umher wandert, ohne den Tod zu finden, von den Menschen geflohen, in deren Mitte auch ihm grimmiges Schauern erkältend bis tief in das innerste Herz dringt und dem müden Fuße keine Ruhestätte gönnt? Ich dachte lange nicht mehr daran, aber hier, in diesem Zimmer, wo ich als Kind mit ängstlichem Behagen darauf horchte, und es mir immer wieder und wieder erzählen ließ, hier fällt es mir oft recht grausenhaft ein.[105] Von jeher dünkte mir das Geschick dieses Rastlosen ganz über allen Ausdruck entsetzlich, und nun wandre auch ich so ohne Ruhe und Rast, und wohin ich mich wende, verstöre auch ich jedes glückliche Geschöpf. Lachen und Freude verstummen im Dorfe, so wie ich mich zeige; meine Bedienten schleichen leise wie Gespenster um mich her, wenn ihr Dienst oder der Zufall sie in meine Nähe bringt; die alten Leute, welche meinen Großvater, der stets hier gewohnt, noch gekannt haben, sehen meiner bleichen trüben Gestalt bedenklich nach, und flüstern einander mitleidige Bemerkungen, oder abentheuerliche Vermuthungen über mich zu, wenn sie bei meinen einsamen Spaziergängen mir begegnen. Glauben Sie mir es, Gabriele, ich möchte gern Ihrem Willen folgen, ich möchte mich wenigstens zwingen, auszusehen, als nähme ich das Leben wie andre Leute thun; doch kann ich dafür, daß alles, was ich ergreifen müßte, um zu seyn, wie jene, mir so schaal, so abgeschmackt vorkommt?«
[106]
»Jede Noth und jede Freude, jede Tugend und jedes Vergehen der Bewohner meiner Herrschaft, während der ganzen Zeit daß diese mein ist, möchte Max mir jetzt ans Herz legen, und quält mich dabei unaufhörlich, zu entscheiden, ob ich mit dieser oder jener seiner Einrichtungen zufrieden sey. Dazu wimmelt das Schloß von Nachbarn und Verwandten, die Max zwar allein besucht hat, weil er mit aller freundlichen Gewalt, die er über mich übt, es doch nicht vermochte mich mit sich zehn Meilen in die Runde umher zu schleppen. Doch da er mein Hierseyn nicht verschweigen konnte, hat er mein Nichtkommen durch den üblen Zustand meiner Gesundheit zu entschuldigen gesucht, und nun strömt alles in freundlicher Theilnahme herbei, den Kranken zu besuchen. Fremde, nie gesehne Gestalten umschwärmen mich, deren Namen ich zu meiner großen Beschämung alle Augenblicke verwechsele, und die doch durch Bande der Verwandtschaft oder des früheren nahen Umgangs mit meinen Eltern, bedeutende Ansprüche an mein Vertrauen und meine Zeit zu haben glauben. Nein, wenn es denn so seyn[107] muß, wenn ich denn im Geräusche leben soll, so will ich es doch lieber in einer großen lebensreichen Stadt, wo ich mitten im Getümmel mit meinem tiefen Herzeleid einsam und unbeachtet dastehen kann, und niemand fragt: was fehlt Dir? warum blickst Du so trübe? Ich folge den Einladungen meiner Verwandten, ich ziehe mit ihnen in ihren gewohnten Winter-Aufenthalt. – Und wenn ich nun dort seyn werde, was denn?«
»Die Sonne geht auf, die Tage sind so lang. Gottlob! sage ich Abends, nun wird es Nacht, aber die Nacht frommt mir nicht, denn nur die Glücklichen schlafen. Vor der Morgenröthe wecke ich meinen Bedienten, das ganze Haus kommt in Allarm, Pferde müssen herbeigeschafft werden, ein Kourier vorauf, ich habe Eile, fort! fort! nur[108] immer rasch vorwärts. Aber wohin? Die Wege, das Wetter sind entsetzlich, aber nur fort, und wohin? Weiß ich es denn? Gabriele! mußte es denn seyn? mußten Sie mich denn verbannen?
Ich will nicht klagen, ich unterwerfe mich Ihrem Willen, und wenn ich nur den Gedanken so recht innig, so recht lebendig zu fassen vermag, daß ich durch diese Unterwerfung vielleicht Ihnen einige trübe Minuten erspare, dann segne ich mein Elend.
Ja, unsre Altväter hatten Recht, welche die Fremde das Elend nannten, das fühle ich. Ich bin in der Fremde; ausgestoßen aus meiner süßen Heimath, zu der ich nie wiederkehren werde! und wie elend!«
»Nun habe ich es erjagt! Ich habe Ihren Brief noch nicht gelesen, ich kann das Siegel nicht brechen, ich muß Ihnen erst danken; ich habe sie, ich halte sie, die unschätzbaren Züge, die Gabrielens Hand für mich niederschrieb. Dieses[109] Papier hat sie berührt, ihr Athem wehte drüber hin, ihr Auge ruhte darauf; nein ich kann noch nicht lesen, das Gefühl dieser Seligkeit duldet es nicht.«
»Ich wußte, daß ich hier das einzige Glück meines jetzigen Lebens zu finden hoffen durfte, ich warf mich auf das schnellste meiner Pferde, die ich vorausgeschickt hatte, so wie ich die wohl bekannten Thürme von *** erblickte. So sprengte ich zum Thor hinein, die Straße hinauf vor das Posthaus; ich kenne die Stadt noch von vorigen Zeiten her. Am Ziel ergriff es mich mit tödtlicher Angst als wäre kein Brief an mich da. Eiseskälte in allen Gliedern, vermochte ich es kaum, eine Karte mit meinem Namen aus meinem Taschenbuch zu nehmen und hinzureichen. Da – da – o Gabriele! ich erkannte gleich das rosenfarbne Kuvert. Segen über Sie, tausendfältigen, daß Sie es wählten! Welche Masse von Seligkeit ruft dieses gefärbte Papier mir zurück! Es[110] war Regenwetter gewesen, mehrere Tage lang, und Ida und Bella und ich, wir mußten artig seyn und uns neben Ihnen sitzend mit nützlichem Fleiße beschäftigen. Ich Ungeschickter, ich konnte nichts brauchbares hervorbringen als diese Briefkuverts, und ward von den Mädchen verhöhnt, von Ihnen in Schutz genommen, und, o Gabriele! Sie haben die armen bunten Papierschnizzelchen nicht verworfen, Sie haben sie mit sich genommen, und nun fliegt eines davon zu mir herüber, von Ihnen gesandt, ein stummer Bote des Friedens und des Entzückens.
Ihr Brief ist ernst, er ist mehr als das, würde ich sagen, durchwehte ihn nicht bei aller anscheinender Strenge die himmlische Güte und Milde, die Sie niemalen verläßt. Ich hätte bei meinen Verwandten noch verweilen, ich hätte überall im Winter nicht reisen sollen! so war Ihr Wille. Theure Gabriele! hätte ich ihn gekannt, ich hätte ihn erfüllt und wäre ich auch zu Grunde darüber gegangen. So habe ich in meiner Unwissenheit von meinem Gefühl mich hinreißen lassen und wäre untröstlich, ohne die Ueberzeugung,[111] daß Sie mir selbst würden geheißen haben fortzureisen, wenn Sie mich und meine Umgebungen in der Nähe gesehen hätten. Nein! mit diesem wunden Herzen konnte Gabriele ihren armen Edelknaben nicht in den wildesten Strudel der Faschingslustbarkeiten stürzen wollen; nicht in jenes Tosen, wo der Schmerz am einsamsten sich fühlt, wo alle Wunden bluten, mit glühenden Krallen unnennbares Weh uns packt und hält und nicht losläßt, und fremdes Lachen um uns zum Larvenartigen Grinsen wird, das uns in stummer Angst von Ort zu Ort treibt, aus wüsten Träumen uns wach schmettert, bis der fürchterliche Kontrast zwischen Außen und Innen uns zu wahnsinnigem Thun treibt, in welchem wir Betäubung suchen, weil es keine Ruhe mehr auf Erden giebt.«
»Gottlob! der Winter ist überlebt, die Bäume knospen, die Natur erwacht! Alte liebe Bekannte suchen den armen Verbannten auch in der[112] Fremde auf; die Nachtigallen singen mir auch hier den einen, einen Namen zu, der alle Harmonie der Welt in seinen süßen Tönen vereint. Und die Pappeln! sie wiegen die grünlich goldigen Häupter hoch in der blauen Luft, und flüstern mit einander, wie jene am Bassin im kleinen Gärtchen – o Gabriele, Gabriele, wie selig und wie elend macht mich Erinnerung! – Verzeihung, ich wage keine Sylbe mehr. Aber zu Fuße will ich ganz allein die Schweiz durchstreifen, fortwandern, bis ich Abends in todtähnlicher Ermüdung hinsinke, und mir im betäubenden Schlummer vielleicht Vergessenheit wird auf wenige Stunden. So will ich das Ziel meiner Verbannung erreichen; Sie wollen es; es sey! Das Meer und mächtige Ströme und himmelhohe Alpen sollen zwischen uns treten, ich soll sogar der Luft des Landes entsagen, in dem Sie athmen und leben, sogar den mir so lieb gewordenen Tönen Ihrer Sprache. Es sey! Aber Gabriele, es hilft Ihnen nichts! Nachts leuchten mir und Ihnen dieselben Sterne, und wenn ich die Augen schließe, stehen zwei dunkele, blitzende[113] Sonnen vor mir, und strahlen mild und warm mir bis ins innerste Herz. Sehnsucht spottet des Meers und der Ströme und der Alpen, und zaubert ein unaussprechlich anmuthiges Bild auf allen meinen Wegen mir vor. Freilich schwindet es bald wieder, und ach! in welche dunkle hoffnungslose Nacht!«
»Mir war diesen Morgen so still, so ruhig zu Muthe; aller Jammer der Welt schien sich mir in sanfte Liebesklage auflösen zu wollen. Gewiß, theure Gabriele, auch Sie erlebten solche Stunden, wo jeder Schmerz eine Zeitlang verstummt, wo es wie Feiertag in uns wird und wir beschwichtiget und still in immer lieberes Träumen versinken. So lag auch ich heute früh in eine Ecke meines Wagens gedrückt; rollte viele Stunden weit über Berg und Thal, ich weiß selbst nicht wie lange, aber ich mochte mich nicht regen; es war, als ob flüsternde Engelstimmchen[114] mir leise zusängen: Bleibe still, sieh dich nicht um, öffne die Augen nicht; draußen steht der Schmerz, drum bleibe in dir selbst verhüllt.
Endlich hielt der Wagen. Mag er immerhin halten, dachte ich, und strebte in meiner süßen Abgeschiedenheit von der Außenwelt zu verharren, aber die überlauten bewundernden Ausrufungen meines Kammerdieners rissen mich wider Willen auf. Ich blickte um mich her, und fand mich zu meinem Erstaunen nur in den allergewöhnlichsten Umgebungen, mitten auf dem Marktplatze eines kleinen schwäbischen Landstädtchens. Verdrüßlich sprang ich zum Wagen heraus, ging einige Schritte vorwärts, und glaubte nun von neuem zu träumen, denn eine Zauberwelt, wie durch Feengunst mir aufgeschlossen, lag blühend und duftend im Morgenrothe vor meinen geblendeten Augen. Die ganze unabsehbare Reihe der hohen Schweizer-Gebürge bis zu den Tyroler-Alpen hinauf, stand in schimmernder Ferne vor mir, gleich himmelstürmenden Riesengebilden, in einen weiten feierlichen Halbkreis geordnet. Ihr Diadem aus ewigem Eise strahlte hell im Sonnenglanz[115] zu mir herüber, während der Morgenschein noch die niedrigen Felsengipfel röthete. An den Seiten der Berge, wo sie den menschlichen Wohnungen sich zuneigen, glaubte ich sogar die grünen Alpenmatten zu entdecken, so nahe schienen mir mit einemmale die Wunder jenes Landes entgegengerückt, dem Ihr Wollen mich zusendet. In Andacht und Bewunderung verloren, ward mir, als wandle ich in einem heiligen Tempel. Gabriele, ich war recht fromm in dieser Stunde, ich dachte Sie und mich und meine stille trübe Zukunft. Die Brust ward mir weit in hoher Zuversicht auf Den, dessen mächtige Hand diese Berge pflanzte und hält. Ich fühlte Muth und Kraft in mir sich neu beleben, und war in dem Momente gerüstet, jeder Bestimmung meines Lebens hoffend und vertrauensvoll entgegen zu treten, sey sie auch düstere Verborgenheit und ewiges Schweigen.
O Gabriele, warum konnte diese Stimmung meines Gemüths nicht dauernd bleiben? warum mußte sie verschwinden wie der Thau der Wiese vor der höher steigenden Sonne? Ach! nichts ist dauernd und treu als der Schmerz und die[116] Sehnsucht, das fühle ich mehr und mehr mit jedem Tage!
Ich war allmählig in ein offenstehendes duftendes Blüthengärtchen seitwärts, dicht neben der Stadt, hineingerathen, ich wußte selbst nicht wie. Von hier aus übersah ich ganz das tiefe tiefe Thal, das zwischen mir und jenen glänzenden Titanen-Gestalten noch eine weite Kluft bildete. Und welch ein Thal ist dieß! Gleich einem herrlich glänzenden Kleinode schimmerte zwischen Wald, Obsthainen und Weinbergen der prächtige Bodensee zu mir herauf, überall blitzten im Sonnenschein Städtchen, Klöster, Dörfer, einzelne Wohnungen durch das üppigste Grün. Nie und nirgend sah ich so das Anmuthigste neben dem Erhabnen im zauberhaften Verein, als hier in dem fast unbekannten Städtchen Heiligenberg.
Rechts dicht neben demselben thront ein ansehnliches weit in die Ferne hin leuchtendes Schloß, auf hohem, fast senkrecht aus der Tiefe aufsteigendem Felsen; es steht unbewohnt da, der Eigenthümer desselben sucht die Freude in London oder Rom oder Paris, genug in der weiten Welt,[117] wo sie so selten sich treffen läßt. O Gabriele, hier mit einem einzigen geliebten Wesen zu wohnen, einsam wie die Götter, im Angesicht aller dieser Pracht! Mir schwindelt und die Sinne vergehen mir, wenn ich mir recht ausmale, wie das seyn müßte. Und wenn ich mir denke, daß ein solches Leben möglich ist, daß es vielleicht schon einmal hier, an dieser nehmlichen Stelle heimisch war! Nein diese Last von Seligkeit wäre doch zu viel für ein sterbliches Daseyn, nur in Verzweiflung würde es enden, denn was kann der Himmel unserem beschränkten Geiste Höheres verheißen nach einem solchen Leben auf Erden? Was könnte über solches Scheiden trösten?
Unten am Ufer des Sees gestaltete sich alles zur höchsten idyllischen Anmuth, was oben so herrlich, so prachtvoll mir erschienen war. In einem kleinen, von einem einzigen Fischerknaben geführten Nachen schiffte ich einsam über dem Wasser hin, und überließ meinen Leuten die lärmende Sorge für das Herüberbringen der Pferde und Wagen. Der See war spiegelglatt, nur hie und da tauchten einzelne Wellen auf, spielten[118] ein paar Sekunden lang im Sonnenschein, und verschwanden dann schnell wieder. Die Insel Meinau, das Ziel meiner Schifffahrt, schwamm bald in dem grünen Frühlingsschmuck ganz nahe vor mir auf der silberhellen Fluth; das kleine Eiland liegt so still vertraut im leuchtenden See, und in immer lichterer Klarheit schwebte Gabrielens schönes Bild vor mir hin auf den Wogen! Ich glaubte in seliger Wehmuth zu vergehen.
Plötzlich sang es hell und wunderfremd über mir in der Luft, und halb flatternd, halb taumelnd sank ein Vögelchen mit müden, hängenden Flügeln zu meinen Füßen in den Kahn hin. Ich nahm das arme kleine Geschöpf auf, zu meiner Verwunderung war es ein Kanarienvogel, zahm und furchtlos wie Ihr kleiner Liebling, Gabriele, der mir so oft den guten Morgen entgegen sang. Damals! ach damals! – ›Hat auch Dich der Ausflug in die fremde Welt schon ermüdet, und Du sehnst Dich zurück in die warme Heimath?‹ fragte ich ihn. Das arme Ding neigte das Köpfchen zur Seite, und blickte so klug aus den schwarzen Korallenäuglein mich an, als verstände[119] es mich. Wir haben ein langes Gespräch mit einander geführt; Ihr Edelknabe, theure Gabriele, war wieder einmal recht kindisch, aber ich weiß, Sie schelten ihn deshalb nicht.
Wir landeten an der Insel und ich wendete mich, den kleinen Reisegefährten auf der Hand, den nahen schattenden Bäumen zu; da regte er sich, zwitscherte und flog plötzlich auf und davon. Ich blickte besorgt ihm nach und sah jetzt alle Zweige von unzähligen Vögeln seiner Art belebt; sie hatten ihre Nester dort erbaut und waren völlig wie daheim; leider zerstörte ungebeten ein vorübergehendes Mädchen die schöne Illusion des Augenblicks, die mich in andre Zonen versetzte. Sie erzählte mir: die Vögel würden Winters in einem nahen Hause verpflegt, zur Sommerzeit aber ließe man sie frei auf der Insel herumfliegen, da ihre schwachen Flügel es doch nicht vermöchten, sie über den breiten See der Insel fortzutragen. Ich blickte nach dieser Erläuterung mit wahrer Betrübniß die armen kleinen Fremdlinge an, die in ihrer Beschränktheit die ganze Welt sich zu Gebote wähnen.[120] Ach Gabriele, ist es denn mit uns anders? Auch uns halten unsichtbare Bande, und wehe uns, wenn wir den kühnen Flug über sie hinaus wagen wollen. Mit gelähmtem Fittig sinken auch wir dann nur zu bald dem lauernden Abgrunde zu, wenn nicht ein seltnes Wunder bei Zeiten uns rettet, wie jenen armen Vogel, den ein glücklicher Zufall über meinen Nachen wegführte.
Ich wandelte immer weiter und vermied sorgsam die menschlichen Wohnungen dieses kleinen Eilandes. Die hellen Mauern des Schlosses, einer ehemaligen Komthurei des Malteserordens, schimmerten noch durch die Bäume; ich wandte mich ab. Lange war mir es nicht sowohl ums Herz gewesen! An der, meinem Landungsplatze entgegengesetzten Seite der Insel warf ich mich ins hohe Ufergras. Niedern Wellen gleich, schlug es über mich zusammen, ich sah nicht Himmel, nicht Erde, nur grüne dichte Dämmerung um mich, und leise schlich es über den Wellen zu meinem Ohr heran, wie fernes Hörnertönen. Ich lauschte ihm mit stillem Entzücken.[121]
O Gabriele, da ward dieß Tönen immer lauter und lauter. Und Lachen und helles Jauchzen und kurzes, abgerißnes Singen scholl dazwischen. Ich sahe auf. Eine ganze Flotte von Kähnen zeigte sich dicht neben meinem Ruheplätzchen, fast schon im Begriffe, zu landen. Es war ein hochzeitlicher Zug, gewiß, gewiß, ich erkannte den Nachen, der die Braut trug, an den Blumenkränzen, die ihn schmückten, an den bunten fliegenden Wimpeln. Ich sah sie selbst, Arm in Arm mit dem Geliebten.
Da erwachte der Schmerz und riß mich fort, wie die Furien von Orest. Ich floh gemartert, verwildert vor den freudigen Tönen. In furchtsamer Hast, als folge das Verderben mir auf den Fersen nach, suchte ich nach einem Auswege, um dem Anblicke der Glücklichen zu entkommen; ich fand ihn, in einer Entfernung von wenigen Schritten, wo ein sehr langer schwankender Stieg mich über den dort schmäleren See zum festen Lande führte. Dort folgte ich dem ersten Wege, der sich mir bot. Nur fort! nur fort! weiter dachte ich nichts, aber kalte Thränen der Verzweiflung[122] füllten mein Auge. So gelangte ich nach Konstanz, ohne es zu wollen oder zu wissen.
Gabriele, Sie behaupteten einst, daß der Schmerz edlere Naturen noch mehr veredelt und erhebt, sie noch milder und gütiger macht, und wer, der Sie und ihr Geschick kennt, möchte daran zweifeln! Warum denn, o warum mußte mich der Anblick jener Beglückten so schmerzlich verletzen? Warum jenen Ingrimm in mir erregen, den der gefangene Verbrecher fühlt, wenn er aus dem Gitterfenster seines kalten Kerkers auf die Glücklichen schaut, die in der warmen, blühenden Welt in Freiheit sich ergehen? Neid, Haß, und alles diesem Verwandte waren meinem Herzen sonst so fremd! O Gabriele, soll ich auch noch mich verlieren, da ich alles verloren habe was mich beglückte? Ich flehe, lassen Sie mich nicht in mir selbst untergehen; Sie retteten mich von einem furchtbaren Abgrund, lassen Sie mich jetzt nicht wieder sinken, wahrlich nur die Gewißheit, daß Sie Ihre Hand nicht ganz von mir abziehen, daß Sie mich noch Ihrer Sorge werth achten, kann mich noch oben erhalten.[123]
Düster und einsam sitze ich jetzt in dieser düstern öden Stadt. Ich bin noch einmal an den See hinausgegangen, ich blickte hinüber zu jenen jetzt in Nebel verhüllten Bergen, die diesen Morgen mir im Sonnenstrahl so freudig entgegen glänzten. Jetzt konnte ich sie nur als die Scheidewand betrachten, die sich, von morgen an, zwischen mir und dem glücklichen Lande erhebt, wo Gabriele athmet. Morgen ergreife ich den Wanderstab, die Schweiz zu durchziehen. Auf einem andern Wege soll mein Wagen mir folgen, ich gehe zu Fuß. Die Entfernung zwischen mir und Ihnen wächst von nun an mir fühlbarer, mit jedem Schritte, den ich thue. Ich könnte darüber verzweiflen, doch ich befolge auf das Pünktlichste Ihren Willen; der Gedanke daran ist ja alles was mir übrig blieb. Selbst in dem Schmerze, der mir die Seele zerreißt, finde ich eine wilde Freude, denn Sie waren es, Sie Gabriele! die ihn mir auferlegte.«
[124] »Ich stand heut, wo die Aar die dunkeln Wellen von gräßlicher Höhe hinabstürzt. Felsen und Tannen erbeben rings umher, die Axe der Erde schien unter mir sich dröhnend umzuwälzen. Wie der Eingang zur Hölle, so schwarz und fürchterlich gähnt der entsetzliche Schlund am Fuße des Felsen, der die in Schaum, in Staub aufgelöste tobende Wassermasse aufnimmt. Von noch höherer senkrechter Höhe stürzt sich der Erlebach der Aar nach, rasch wie die Verzweiflung hinab, hinab in den nehmlichen Abgrund, den er, in Miriaden schimmernder Tropfen zertrümmert, zuletzt erreicht. Den Kampf der Fluthen dort unten verhüllen Dampfwolken jedem sterblichen Auge, aber tausendstimmige Donner verkünden ihn laut den zitternden Felsen rings umher. Ergrimmt faßt der mächtige Strom endlich den überwundnen Bach und schleudert in rasender Wuth die weißen Wogen wieder hinaus aus seiner Grotte, an die gegenüberstehende Felsenwand und höher hinauf den Wolken zu. Sie zerstäuben und sinken in ewigen[125] Nebeldämpfen nieder, gepeitscht vom heulenden Sturm, der nie abläßt, hier zu wüthen. Das laute ängstliche Geschrei meiner Führer, da ich, vielleicht ein wenig zu verwegen, auf den überhängenden Felsen hinkletterte, verhallte in diesem Aufruhr der Natur, gleich dem Zirpen einer Heuschrecke. Anbetend, wortlos, sank ich hin; ich ein Atom, ein Nichts in diesen, alle Sinne betäubenden Schrecknissen; und doch fühlte ich, selbst Angesichts ihrer, Kraft und Muth im glühenden Herzen, mich überselig, gleich jenem neidenswerthen Edelknaben, von dem des Dichters unsterbliches Lied uns singt, hinabzustürzen, und, wie er, den gräßlichen Kampf auf Tod und Leben mit dem empörten Element dort in der Tiefe zu bestehen, würde nur auch mir der hohe Preis geboten, den zu erringen, jener endlich unterging.«
[126] »Ein Strahl des Trostes ist mir hier geworden, hier wo ich ihn nimmer erwartet hätte. Ich bin nicht mehr so ganz verlassen, allein, denn ich höre Gabrielens geliebten Namen auch von andern Lippen als den meinigen.
Noch einmal, an dem zu meiner Abreise von hier bestimmten Tage, suchte ich das Dominikaner-Kloster neben der Kirche S. Maria delle Grazie auf; ich wollte von Leonardos Meisterwerk den letzten Abschied nehmen, wie von einem Freunde; eigentlich war er mir der einzige, den ich hier hatte und der mit jedem Tage mir immer lieber ward. Ich fliehe in meiner jetzigen Stimmung jede nähere Bekanntschaft mit Menschen; das zwecklose untheilnehmende Umhertreiben in ihrer Mitte verletzt mich auf tausendfache Weise, und ist mir entsetzlich. Aber im stillen Gebiete der freien Natur, im noch stilleren der Kunst, da finde ich Vertraute, und von der stummen Leinwand, von der verblichnen, durch Kerzendampf geschwärzten Wand, blickt es oft tröstend mich[127] an. Dann dünkt es mich, als umwehe mich mit lindem Fittig der stille Geist in seinem Heiligthume, der einst hier schaffend waltete, und darüber eine Welt voll Unruhe und Entbehrung gern vergaß; als hauche er mir Ergebung und höheres Hoffen in die wild bewegte Brust. Ach! und wie oft sehe ich mit Entzücken auch von der Leinwand einzelne Züge des Bildes mir entgegenstrahlen, was in unerreichbaren Farben ewig vor meinem innern Sinne schwebt!
Dießmal fand ich das Refektorium der guten Mönche nicht unbesucht wie ich es gehofft und gewünscht; ein junger Mensch saß vor dem wundervollen Bilde des heiligen Abendmahls, ämsig bemüht, seiner Mappe eine Kontur desselben einzuverleiben. Nun ist mir aber nichts verhaßter, als wenn ich dem ängstlichen, nüchternen Streben zusehen muß, das, was mich erhebt, begeistert, entzückt, schwarz auf weiß nach Hause zu tragen, damit man es sicher bei der Hand habe, und es sich haushälterisch auftrocknen und aufbewahren könne zu künftigem beliebigem Gebrauch. Mag meine, jede Anstrengung hassende Ungeduld,[128] die Sie so oft an mir tadelten, Schuld daran seyn und mich ungerecht machen, ich muß es doch bekennen, mich ärgert es immer, wenn die Herren und Damen, denen ich auf Reisen begegne, vor den hohen Wundern der Natur, wo sie anbeten oder doch wenigstens genießen sollten, sich mit einem Blättchen Papier und einem Stückchen Kreide zurecht setzen, um schülerhaft zu krizeln, was sie in jedem Bilderladen tausendmal besser kaufen können, als ihre arme Kunst es hervorzubringen vermag. Auch begreife ich nie, wie der vom ächten Geiste belebte Schüler der Kunst dadurch zum Künstler gebildet werden soll, daß er die Linien, welche die längst in Staub versunkne Hand des hohen Meisters einst zog, mühsam nachzuzirkeln sich abmüht. Mir dünkt, es wäre ihm gerathner, wenn er das Ganze im Geist aufzufassen strebte, dann demüthig und doch freudig nach Hause ginge, und im Gefühl der Schöpferkraft, die dem reich begabten Menschen von der Gottheit gegeben ward, selbst versuchte, jenen hohen Vorbildern sich zu nahen, ohne knechtisch sie nachzuahmen.[129]
Voll von diesem Gefühl, und dazu halb ärgerlich, hier nicht, wie ich es gehofft hatte, allein zu seyn, näherte ich mich dem Zeichnenden, und sah ziemlich verächtlich, ich will es nur gestehen, ihm über die Schulter auf seine Zeichnung. Eigentlich war ich nicht übel geneigt, meinem Verdrusse beim mindesten Anlasse dazu Luft zu machen, als ich ihn deutsch reden hörte mit seinem neben ihm stehenden Begleiter, einem ältlichen Manne von edler einnehmenden Gestalt, den ich jetzt erst bemerkte.
›Seyd doch froh,‹ sprach dieser zu dem jungen Künstler, der sich wohl über den leider wirklich sehr traurigen Zustand des Gemäldes beklagt haben mochte, ›seyd doch froh, daß die Zeichnung und die Anordnung des Ganzen uns erhalten ward; haltet euch an den Geist des Schöpfers, der ja noch immer hier in seinem edelsten Werke waltet, wenn gleich das Körperliche desselben fast nicht minder dahin geschwunden ist, als die Hand, die es schuf. O wie fällt alle Farbenpracht weg, gegen dieses alte edle schmucklose Werk! Nie und nirgend ausser Rafael hat einer diese Einfalt des[130] Herzens mit der hohen apostolischen Würde so zu einen gewußt!‹ setzte er halblaut hinzu, in tiefe Betrachtung des Gemäldes verloren. Nach einer kleinen Pause redete er weiter, nicht vor sich, nicht zu uns, gleichsam nur laut denkend, wie man wohl auch laut liest, was uns entzückt, wenn gleich niemand uns zuhört. Er sprach von der glücklichen Wahl des dargestellten Augenblicks der Handlung, durch welche die Einförmigkeit der Anordnung von dreizehn Personen hinter einer langen Tafel glücklich und schicklich vermieden ward. Mild, mit ruhigem Ernst spricht der Herr das bedeutende schwere Wort: ›Einer von denen, so mit mir sind, wird mich verrathen!‹ Er sieht vor sich nieder, um keinen seiner Jünger mit dem Blicke zufällig zu bezeichnen, aber alle fahren, wie von einem Wetterstrahl getroffen, bei diesem Ausspruch ihres Meisters in die Höhe, alle werden in Handlung gesetzt, einige der von ihm am entferntesten Sitzenden suchen sich ihm zu nähern und bilden so die mannigfaltigsten Gruppen. Gesicht, Stellung, Geberde bezeugen die Reinheit und Unschuld eines jeden unter ihnen, doch,[131] nur mit sich beschäftigt, bemerkt keiner den wilden trüben Blick des schreckhaft zurückfahrenden Judas. Nur dem dicht hinter diesem sitzenden Apostel scheint ein vorahnender Gedanke wie ein Blitz durch die Seele zu fahren.
Je länger der Fremde so sprach, je mehr fühlte ich von ihm mich angezogen. Ich wagte es endlich, ihm einiges zu erwidern und so gelang es mir, ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen. Von einem Apostel zum andern übergehend, gab er mir in wenigen treffenden Worten eine kurze Charakteristik eines jeden derselben. Nie zuvor habe ich jemanden über ein Kunstwerk und über die Kunst selbst so klar, so bedeutsam, und, bei so tiefer Kenntniß, so anspruchslos reden gehört. Immer lebendiger stieg in mir eine freudige wenn gleich dunkle Ahnung auf, er kam mir so bekannt vor, mir war, als sey in ihm ein alter lang entbehrter Freund mir begegnet, von dem ich nichts vergessen hatte als den Namen. Nennt ihn Ihr Herz Ihnen nicht Gabriele? Der immerfort ämsig Zeichnende nannte ihn endlich, obgleich er deutsch mit ihm sprach: ›Signor Ernesto.‹[132]
Mit einem lauten Freudenschrei hätte ich mich gern in seine Arme gedrängt, als ich mit diesem Namen ihn nennen hörte, doch bei aller Freundlichkeit liegt in seinem klugen dunkelblauen Auge, in einem scharfen Zuge seines Mundes, besonders wenn er halblächelnd spricht, etwas, das gebietet, in seiner Gegenwart sich zu bemeistern. Und so nahm ich mich denn zusammen, zog mein Taschenbuch hervor und überreichte ihm die Karte, mit welcher Ihre Güte mich für den Fall eines Zusammentreffens mit ihm ausrüstete. O Gabriele! wie hängt alles ewig an Ihnen, was einmal Sie erkannte! Hätten Sie den freudigen Strahl gesehen, der über das Gesicht des strengen ernsten Mannes sich verbreitete, während er die wenigen von Ihrer Hand an ihn gerichteten Zeilen las! Es war als ob ein heller Abglanz Ihrer eignen Anmuth von der kleinen Karte ausginge und die scharf gezognen Züge des würdigen, von Silberlocken umgebnen Antlitzes verklärte.
Als sey auch ihm ein längst vermißter Liebling seines Herzens unverhofft wiedergekehrt, so freudig begrüßte Ernesto mich nun. Er ergriff[133] meinen Arm, beurlaubte sich leichthin von dem Zeichnenden, mit dem er, wie ich jetzt sah, in keiner genauern Verbindung stand, und begleitete mich in meinen Gasthof, wo sogleich die Pferde wieder abgesagt und alle Anstalten zum längern Verweilen in Mailand getroffen wurden.
Mir traten die Thränen ins Auge, als er mit mir allein auf meinem Zimmer sich nun recht theilnehmend nach Plan und Zweck meiner jetzigen Reise zu erkundigen begann; freilich nicht eher, als bis er mich über Sie, Ihr Leben, Ihre nähern Verhältnisse, Ihre Gesundheit, Ihr Aussehen recht inquisitorisch abgehört hatte. So väterlich wie er, hat noch keiner zu mir gesprochen; stets war ich Elternlos, von meiner ersten Jugend an, wenn gleich nicht verwaiset durch den Tod. In diesem Augenblick fühlte ich recht lebendig, welch ein Glück ich so lange entbehrte, ohne je es gekannt zu haben. Mein Herz schloß sich auf im wahrhaft kindlichen Vertrauen zu dem weiseren, wohlmeinenden Freunde. Sie werden es verzeihen, Gabriele, Sie müssen es verzeihen, wenn, indem ich von Ihnen sprach, Auge und[134] Ton ihm vielleicht mehr als meine Worte gestanden. Wie wäre es möglich gewesen, diesen hellen Blick zu täuschen, der mir fühlbar bis in das tiefste Herz drang! Seit langen Monden zum erstenmal hörte ich Ihren Namen, und wie? o Gabriele! Wie ward er ausgesprochen! Jedes Wort Ernestos war der Nachhall meines eignen Gefühls.
Noch hatte ich keine Stunde mit ihm verlebt, als ich schon vor der Möglichkeit zu zittern begann, daß er, den ich nie wieder zu lassen sehnlichst wünschte, vielleicht auf der Rückreise wäre, nach Deutschland, zu Ihnen – Gabriele, zu Ihnen! Doch meine Furcht war vergebens, das zeigte sich bald. Ein bedeutendes Geschäft, das er für einen Freund hier abzumachen versprach, hatte ihn nach Mailand geführt; es war jetzt vollendet und er im Begriffe nach Florenz zu gehen, wo er den größten Theil des Sommers zu verleben gedachte.
Nun habe ich mir ihn gewonnen. Ich habe mich fest an ihn geklammert, und er stößt mich[135] nicht zurück, denn Gabrielens Name ist der Talisman, der ihn mir verbindet.
Langsam will er mit mir noch einmal Italien durchziehen, vielleicht wandern wir bis Syrakus ehe er mir Rom zeigt. Wahrscheinlich komme ich erst im folgenden Jahre dorthin, gegen die Zeit der großen kirchlichen Feste, welche die Ostertage herbeiführen.
So habe ich denn wieder eine Bestimmung, der ich entgegen gehe. Ernesto leitet mich wie er will, er nimmt meiner sich an, weil ich von Ihnen gesendet ihm scheine. Er hängt an Ihnen mit Jünglingsfeuer und somit auch an allem, was nur auf die entfernteste Weise Ihnen angehört. Wie besorgt ist er um Ihr Wohl! So wie die seine, denke ich mir die Liebe eines Schutzgeistes. Er ist ein seltner Mensch, aber trüge er auch keine Spur seines hohen, ungewöhnlichen Werthes, so müßte ich dennoch seinen Schritten folgen, denn ich kann mit ihm von Gabrielen sprechen und fürchte weder Hohn noch Mißverstehen.«
[136] »Nun weiß ich, wie es dem Schweizer ist, den, fern vom geliebten Vaterlande, ein Ton aus seinen heimathlichen Bergen traf und alle Qualen des Heimwehs über ihn rief! Ich stand an Ernestos Seite im Garten des Pallastes Boboli, oben auf der höchsten Terrasse. Die Sonne ging unter; als wäre der Aetna umgestürzt und schütte alle seine Gluthen aus, so flammte es in Westen und zwischen diesem Abendgolde und dem Aetherblau prangte der Horizont im herrlichsten durchsichtigen Grün, wie ich noch nie es sah. Die fernen Appeninen glühten dunkel-violet zu uns herüber, zu unsern Füßen glänzte die Stadt, das Schloß, der Garten und das ganze reiche herrliche Thal, welches der Arno durchströmt, alles wie verklärt im Lichte der brennenden Himmelspracht. Nur einen solchen Abend hier an Ihrer Seite! ich konnte den Wunsch dem Freunde nicht verhehlen, er theilte ihn mit mir, und ein liebes beruhigendes Gespräch, das nach Schloß Aarheim uns versetzte, hatte sich zwischen uns beiden entsponnen, als plötzlich der Ton Ihrer[137] Stimme, Ihrer Stimme, Gabriele, mein Ohr traf. Was ich rief, was ich that, weiß ich nicht, nur daß Ernesto mich beim Arm ergriff und sehr ernst mich zur Ruhe ermahnte. Dieß brachte mich wieder in leidliche äußre Fassung, obgleich ich seine Worte nur halb verstand.
Eine Gesellschaft Herren und Damen, lustwandelnd wie wir, näherte sich uns vom Pavillon her unter lautem Lachen und Gespräch, und immer tönte noch der Klang der süßen Stimme in ihrer Mitte. Ich zitterte, und als ich aufmerksamer hinblickte, glaubte ich zu vergehen. Sie waren es, Sie selbst, Gabriele, Sie traten hervor, Sie eilten auf uns zu. Signor Ernesto! riefen Sie in so bekanntem Ton! und doch waren Sie es nicht. Nein! wo hatte ich meine Augen gehabt? Sobald man die Gestalt genauer betrachtete, war außer dem Ton der Sprache kein Zug von Aehnlichkeit zwischen Ihnen und der blendendschönen Frau, die jetzt dicht vor mir stand. Diese dunkle Lockenpracht, dieß weitgeöffnete hohe blaue Auge voller Blitze, wie verschieden von der lichten Strahlenglorie,[138] die Gabrielens schönes Haupt umwallt, von dem sanften Mondlicht der frommen braunen Augen, die, gleich lieben freundlichen Sternen, süßberuhigend uns leuchten? Und dennoch hatte diese Ihnen so ganz entfremdete Erscheinung auch etwas in ihren Bewegungen, dem ich unverwendeten Blicks zusehen mußte, weil es eben wie der Ton ihrer Stimme mir Gabrielen vor die Sinne zauberte. Es zog mich an und stieß mich zurück, entzückte und betrübte mich, hundertmal in wenigen Minuten.
Nachdem die Dame ziemlich lange mit Ernesto geplaudert, und ich weiß nicht, welche Vernachlässigungen ihm mit scherzhaftem Tone vorgeworfen hatte, wandte sie den fragenden Blick mir zu und Ernesto konnte es nun nicht vermeiden, mich ihr vorzustellen. Er that es mit einer Art von Verlegenheit, die ich bis jetzt noch nie an ihm bemerkt hatte und ich mir nicht zu erklären weiß. Nach italienischer Sitte nannte er sie mir nur Signora Aurelia und erst da wir wieder allein waren, erfuhr ich, daß sie die Tochter der Gräfin Rosenberg und Ihnen nahe verwandt[139] sey. So war mir denn der Zauber der Aehnlichkeit zwischen ihnen beiden durch dieses Familienband erklärt. Ihre Kusine ist im Begriffe, mit einer englischen Familie eine Reise nach Griechenland anzutreten, weil ihr in Italien das Klima nicht zusagt. Ihr Gemahl lebt in Rom. »Haben Sie ihn jemals gesehen? Ernesto vermeidet von ihm zu sprechen; es muß eine eigne Bewandtniß mit diesem Menschen haben.«
»Was Ernesto durch Gründe, Bitten, Zureden nicht erhalten konnte, hat Aurelia ohne ein Wort darüber zu verlieren bewirkt. Ich gehe wieder in die Welt, die ich ewig meiden wollte, besuche Soiréen, Akademien, Konversaziones; denn nur da kann ich ungestört in irgend einem Winkel sitzend, mich mit verschloßnen Augen der süßesten Täuschung hingeben, während Aurelia zu den Andern spricht. Ihr selbst mich zu nahen, vermeide ich soviel ich es schicklicher[140] Weise kann, weil sie stets von Gabrielen mit mir sprechen will. Letzthin hat sie einen ganzen Abend hindurch mich über Sie ausgefragt. Ausgefragt, das ist das rechte Wort – für dieses neugierige, untheilnehmende Auskundschaften. Mir war dabei zu Muthe, als spräche jene Eugenia, die einst mit ähnlichen Redensarten mich dem Abgrunde entgegentrieb, von welchem nur die Hand eines Engels mich retten konnte.
Und doch hat diese Aurelia eine gewisse, mir so liebe Art, den Kopf ein wenig vorzubeugen und dann seitwärts aufzublicken! Im Gespräch hebt sie oft die zarte wunderschöne Hand, deren gleichen es nur noch einmal in der Welt giebt, und regt die rosigen Fingerchen so, daß ich nicht müde werden kann, ihr zuzusehen. Oft höre ich ihrer Stimme zu, und strenge mich an, auf ihre Worte nicht zu merken, dann träume ich mir, ein böser Zauber habe Gabrielen in diese Gestalt gebannt, und die Zeit desselben wäre nun um; ich blicke auf zu ihr und bei jeder Ihnen abgestohlnen Bewegung wähne ich, jetzt müsse die[141] fremde Gestalt verschwinden und meine Sonne mir aufgehen.«
»Was man so in der Welt liebenswürdig nennt, ist diese Aurelia, sobald sie es seyn will, in hohem Grade. Zu ihrer Ehre sey es gesagt, daß dieses oft der Fall ist, und doch giebt es Momente, in welchen sie mir sogar hassenswerth vorkommt, weil sie nicht Gabriele ist und sich doch unterfängt, ihr ähnlich zu scheinen. Dann graust mir vor ihr, wie vor einem Leben heuchelnden Wachsbilde.
Aber ist es nicht wunderbar, daß Ernesto, außer der Stimme, welche er allenfalls noch zugiebt, mir jede weitre Aehnlichkeit Aureliens mit Ihnen durchaus abläugnet? Er sucht sogar, und oft ziemlich auffallend mich von ihr fern zu halten, als fürchte er für mich in ihrer gefährlichen Nähe. Ahnet er denn gar nicht, daß es nur der Schatten von Gabrielens Schatten ist, was zu ihr mich zieht?«
[142]
»Ich weiß es, theure Freundin! Sie lachen über meine Bedenklichkeiten und Besorgnisse, aber ich lasse es mir gefallen und gebe ohne Widerstreben Ihrem gutmüthigen Spotte mich Preis, wenn ich nur nach gewohnter Art Ihnen vertrauen darf, was Herz und Sinne mir trübt. Und dieß ist jetzt Aureliens blendendschöne Erscheinung, ungeachtet ihres zuvorkommenden Betragens gegen mich, und des schmeichelnden Klanges ihrer Worte. Ich kann mich nun einmal des peinlichsten Gefühls in ihrer Nähe nicht erwehren, und seit ein Zufall, den ich durchaus boshaft und unheilbrütend nennen muß, uns hier in Florenz ihr entgegen warf, habe ich innerlich weder Ruhe noch Rast.
Schon seit sie aufhörte ein Kind zu seyn, spürte ich bei ihr etwas Unheimliches, das meinen Unmuth erregte, obgleich ihre äußere Liebenswürdigkeit mir oft recht hinreißend erschien.[143] Jetzt wird dieses Gefühl lauter in mir als je, ihr Lachen, ihr Scherzen klingen mir wie bittrer, dem Leben gesprochner Hohn, der sich nur in erzwungne Lustigkeit zu verkleiden sucht, und ihr ganzes Wesen hat in meinen Augen etwas so verstörtes, unheilweissagendes, daß ich weder mich selbst, noch die, welche ich liebe, in ihrer Nähe wissen mag. Vor allem ängstigt es mich, wenn ich Hippoliten, verloren in ihrem Anschauen und in dem Klange ihrer Worte, neben ihr sitzen sehe; dann drängt es mich, ihn von ihr fortzureißen, und müßte ich auch mit meinem geliebten Zöglinge von irgend einem Felsen herabspringen, wie einst der weise Mentor mit dem Sohne des Odysseus. Daß es übrigens mit dem Einflusse dieser neuen Kalypso bei meinem Telemach keine große Gefahr hat, weiß ich, gottlob; sie wird ihn mir weder bezaubern noch verhexen, obgleich sie zu beiden wohl Lust und auch Talent hätte, denn er steht zum Glücke unter höherem Schutze. Wäre mir dieß auch früher nicht schon klar geworden, so hätte mir es ein Lied gesagt, welches er sich schrieb mitten in einer rauschenden[144] Gesellschaft, wo Aurelia und andre schöne Frauen ihn aufforderten, mehr Theil an der Geselligkeit zu nehmen. Es war an dem Ufer eines kleinen Flusses, wo er sich unter überhängende Pinien setzte und in seine Schreibtafel die Worte aufzeichnete, die er mir beim Nachhausegehen als Antwort auf die Aufforderung der Damen stumm überreichte, die ich ihm wortlos zurückgab und die ich ihn seitdem oft nach einer Melodie singen höre, welche er dazu fand. Ich schließe die einfachen Worte diesem Briefe bei.
Trotz alle dem suche ich doch absichtlich aber unmerklich die Gelegenheiten zu entfernen, wo Hippolit mit Aurelien zusammentreffen kann; denn der Um gang mit Wesen ihrer Art bringt nichts Gutes, macht Niemanden besser; und darum soll man ihn nach meiner Ueberzeugung meiden, so viel man nur immer kann.«
[145] Laßt mich, ob ich auch still verglüh',
Laßt mich nur stille gehn;
Sie seh' ich spät, Sie seh' ich früh
Und ewig vor mir stehn.
Was ladet ihr zur Ruh' mich ein?
Sie nahm die Ruh' mir fort;
Und wo Sie ist, da muß ich seyn,
Hier sey es oder dort.
Zürnt diesem armen Herzen nicht,
Es hat nur einen Fehl:
Treu muß es schlagen bis es bricht,
Und hat deß nimmer Hehl.
Laßt mich, ich denke doch nur Sie;
In Ihr nur denke ich;
Ja! ohne Sie wär' ich einst nie
Bei Engeln ewiglich.
Im Leben denn und auch im Tod',
Im Himmel, so wie hier,
Im Glück und in der Trennung Noth
Gehör' ich einzig Ihr.
[146] »Ich fange an, recht tiefes Mitleid für diese Aurelia zu empfinden, die denn doch vielleicht etwas vorzügliches und glückliches hätte werden können, wäre ihr Gemüth minder verwarloset von Jugend an. Allein dieses Mitleid ist nicht jenes schöne, erwärmende Gefühl, mit dem ich Gabrielens gedenke, Schauder und Widerwillen mischen sich darein, und ich möchte auf immer von einem Wesen mich abwenden können, welches so ganz hoffnungslos in sich zerfallen ist, daß kein Gott und kein Sterblicher hier mehr rechten dauernden Trost gewähren kann.
Mit kalter Brust, mit einem Herzen, das nie, weder Liebe noch Haß empfand, das von frühester Jugend an nur mit der unersättlichsten Eigenliebe erfüllt war, stand Aurelia stets in hoher Selbstzufriedenheit da, auf eine Tugend gestützt, die bei ihr, so wie sie einmal ist, kaum noch den Namen derselben verdient. Wer ihr[147] nahte, huldigte ihrem Geiste, ihrer Schönheit, auch wohl oft nur dem Standpunkte, auf welchen das Schicksal und ihre in Eitelkeit versunkne Mutter sie gestellt hatten, und der Stolzen schien die Welt zu Füßen zu liegen. So sind bis jetzt die Jahre, eines nach dem andern, an ihr vorübergezogen, von ihr unbemerkt. Doch jetzt ist die Zeit des Erwachens endlich gekommen und das, woran sie früher in ihrem Leben nicht gedacht hatte, erfüllt sie mit ängstlichem Grausen vor einer Zukunft, der sie doch nicht auszuweichen vermag. Unter dem triumphirenden Lächeln, das sie noch immer beibehält, sehe ich deutlich ihre innere Herzensangst hervorblicken. Und wissen Sie, wem diese Angst gilt? Dem dreißigsten Geburtstage, dem fürchterlichen, der als Schreckbild am Lebenspfade aller Frauen steht, die Aurelien gleichen. Er naht unaufhaltsam mit schnellen Schritten, dieser entsetzliche Tag, denn Aurelia zählt wenigstens volle vier Jahre mehr als unsre Gabriele, und sie beneidet ihr gewiß keinen der übrigen Vorzüge so ganz von Herzen als diesen flüchtigsten von allen.[148]
Im Grunde quält sie sich viel zu früh, denn nie war ihre äußre Erscheinung brillanter. Auch ist die Klippe, die sie scheut, eigentlich nur im gewöhnlichen bürgerlichen Kreise des Frauenlebens recht gefährlich, wo es Tanten und Basen giebt, die über alle Familienereignisse Buch und Rechnung halten und alle Data nachzuweisen wissen. In der Welt, in welcher Aurelia lebt, gleitet man über alles leichter hin; man ist toleranter; man gewinnt kaum Zeit, an sich selbst zu denken, geschweige an Andre, und jeden, der sich nur geschickt zu benehmen weiß, läßt man gern für das gelten, wofür er sich geben will. Geist, Witz, Leichtigkeit und Vielseitigkeit im Umgange werden über alles geschätzt, darum trifft auch die glänzendste Periode im Leben berühmter schöner Frauen der großen Welt sehr selten mit ihrer ersten Jugendblüthe zusammen, denn man muß gelebt haben, wenn man sich aufs Leben genugsam verstehen will, um es wie ein Kunstwerk behandeln zu können. Aurelia weiß dieses alles so gut und besser als ich, aber sie denkt nicht daran, oder achtet es für einen traurigen Trost.[149] Sie ist noch immer von einer bewundernden Schar demüthiger Verehrer umgeben, über die sie nach Lust und Laune unumschränkt gebietet, aber sie fühlt dennoch ihren Thron unter sich wanken und ich sehe deutlich, wie das trübe Vorgefühl einer dunkeln, freudenarmen Zeit sie Tag und Nacht unablässig quält und nagt. Mit ängstlicher Hast wirft sie sich nun auf alles, wovon sie noch in spätern Jahren Glanz und Bewunderung sich versprechen zu können glaubt, auf Musik, Literatur, Kunststudium; sogar Chemie und Astronomie hat sie eine Zeitlang getrieben, weil diese Wissenschaften einmal zufälliger Weise Mode wurden. Ihr mangelt, wie Sie wissen, weder Geist noch Talent zu allem was sie unternehmen möchte, aber sie ist unfähig, irgend etwas sich selbst zum Trost fest zu halten. Ihre rastlose Natur trieb sie von jeher immer von einem zum andern und erlaubt ihr jetzt sogar kaum, länger als einige Monate an dem nehmlichen Orte zu verweilen. Daß sie in manchen Stunden die Unzulänglichkeit eines so zerstückelten Strebens tief empfindet, vermehrt noch[150] ihr Unglück auf jede Weise, denn dieses an sich peinigende Gefühl reizt und erbittert sie innerlich mehr und mehr, und treibt sie zu seltsamen, ihrem Zwecke ganz entgegenarbeitenden Launen.
Manche ihrer Anbeter, welche ihre wirklich zuweilen unwürdigen Mißhandlungen nicht ertragen mögen, ziehen sich allmählig zurück und dadurch wird das Uebel immer ärger. Sie muß mit ungewohnter Anstrengung die so Verlornen durch neue Eroberungen wieder zu ersetzen suchen, und sie treibt dieß mit einem Eifer, einer Ungeduld, die deutlich beweisen, wie anschaulich ihr jetzt mit einemmale die Flüchtigkeit der Zeit geworden ist. Die arme Frau geräth dabei oft außer Athem und Tackt, obgleich nicht jedermann dieß gewahr wird.
Daß mein glänzender Hippolit gleich auf ihre Liste kam, brauche ich Ihnen wohl nicht zu sagen. Bei seiner Jugend mußte sie ihn für einen vollkommnen Neuling in der Welt ansehen, und bei dem sichtbaren Eindrucke, den ihr erstes Erscheinen auf ihn machte, hielt sie seine Eroberung für ein leichtes Kinderspiel. Um so größer war[151] ihr Erstaunen als sie alle ihre kleinen Künste an ihm abgleiten sah. Ich bin überzeugt, daß sie bis diese Stunde noch nicht weiß, wie sie eigentlich mit ihm daran ist, doch eben dieser Zweifel giebt ihm in ihren Augen ein erhöhtes seltnes Interesse.
Ich sehe zuweilen mit wahrem Vergnügen dem kleinen Kriege zwischen beiden zu. Allen den haarfeinen Schlingen, die Aurelia mit unendlicher Klugheit und tiefer Berechnung ihm legt, weiß mein junger Held mit so unbefangnem Gesicht und so gewandt aus dem Wege zu gehen, daß es mir oft schwer wird, meinen innern Triumf darüber zu verbergen. Wenn ich ihn aber wiederum in den Assembléen hinter ihrem Sessel stehen sehe, wie er jede ihrer Bewegungen belauscht, jedes ihrer, nicht zu ihm gesprochnen Worte von ihren Lippen wegzuhaschen sucht, und dabei immer tiefer in sich selbst sich verliert, so daß zuletzt ausser Aurelien nichts mehr für ihn zu existiren scheint, dann werde ich wieder irre, auf Augenblicke wenigstens. Zwar weiß ich, Aureliens Zaubergewalt über Hippoliten liegt nur in einer nie[152] zuvor von mir bemerkten Familienähnlichkeit mit Gabrielen, die sich erst später entwickelt haben muß, und über die er im Stande ist, Stundenlang in Extase zu gerathen, aber solche Aehnlichkeiten haben doch auch ihre Gefahren, und ich wollte, wir oder Aurelia hätten die Terrasse des Gartens Boboli nie gesehen.«
»Wünschen Sie mir Glück, liebe Frau von Willnangen, ich athme freier! Aurelia hat heute in aller Frühe Florenz verlassen, um die große, lange beabsichtigte Reise durch Sicilien nach Griechenland endlich anzutreten, und es scheint mir, als ob Hippolit das trügerische Schattenbild Gabrielens, das in der letzten Zeit ihn wohl öftrer betrübt als erfreut haben mag, nicht ungern endlich schwinden sah. Ein kleiner Mißgriff, zu welchem Aurelien ihre Unsicherheit in Hinsicht seiner wohl verleitet haben kann, ist wahrscheinlich die nächste Veranlassung dieses plötzlichen Aufbruches gewesen. Vermuthlich ward sie ungeduldig[153] über seine anscheinende Blödigkeit, die ihn, wie sie meinte, verhinderte eine Bitte auszusprechen, welche sie ihm oft genug so nahe legte, daß ich kaum begreife wie er ihr ausweichen konnte, nehmlich die, sie auf der Reise nach Griechenland begleiten zu dürfen. Ihre Ungeduld brachte sie dahin ihm anzubieten, was sie freilich lieber seinen dringenden Bitten zögernd gewährt hätte, und nun stellen Sie sich das bittre Erstaunen vor, mit dem sie den so furchtsam gehaltenen Jüngling das Anerbieten von sich weisen sah, und zwar auf die feinste aber auch bestimmteste Weise! Ich gestehe Ihnen, ich selbst muß dieses feste Entsagen bewundern, denn sowohl die Reise als die Reisegesellschaft können schwerlich reizender erdacht werden.
Daß Aurelia nach der ersten bittren Sekunde, die sie benutzte, um sich von ihrem Erstaunen zu erholen, genug Fassung behielt, um aus dem ganzen Anerbieten einen gar nichts sagen wollenden Scherz zu machen, war ihr wohl zuzutrauen, doch scheint sie den Verdruß über Hippolitens Benehmen recht tief empfunden zu haben. Dieß[154] schließe ich unter andern auch aus der Eile, mit der plötzlich alle so lange vernachlässigte Reiseanstalten betrieben wurden, und aus ihren wiederholten Versicherungen, daß sie die englische Familie, mit der sie schon längst diese Reise verabredet hatte, unmöglich länger auf sich warten lassen könne. In der That hatte sie diese, unter allerlei nichtigen Vorwänden, von einer Woche zur andern hingehalten, und ich mußte schon längst die Geduld der guten Leute im Stillen bewundern.
Genug, die Wagen wurden gepackt und sie ist fort! So fahre sie denn hin! Recht glücklich – aber – wenn es seyn kann, auch recht weit und auf recht lange von uns und auch von meinem Ottokar, auf dessen Frieden ihre Gegenwart doch störender wirkt, als er es sich selbst vielleicht gestehen mag.
Ist es aber nicht entsetzlich, daß dieses durch so viele seltne herrliche Gaben ausgezeichnete Wesen weder glücklich ist noch glücklich macht? Wie weit steht Aurelia in dieser Hinsicht hinter ihrer Mutter, der Gräfin Rosenberg, zurück! so weit,[155] als diese wohl von jeher, selbst in ihren blühendsten Zeiten, in jeder andern Hinsicht hinter dem zurückgestanden haben mag, was Aurelia ist und war. Und doch ist die Mutter, selbst jetzt noch, schwerlich weniger gefallsüchtig und eitel als die Tochter, nur äußert sich diese ihre Gefallsucht auf andre Weise. Die Gräfin wollte von jeher nicht sowohl bewundert, als gesucht seyn, nicht sowohl blendend erscheinen als liebenswerth, und dieß giebt ihr bei allen ihren übrigen Schwächen einen Anstrich von Gutmüthigkeit, welche jedem wohlthut, der ihr nahen darf. Aurelien hingegen beten selbst ihre allerunterthänigsten Sklaven nur mit Furcht und Zittern an. Sie reizt, sie entzückt, aber wohl ist noch Keinem bei ihr geworden. Sie fahre hin.«
»Wunderbar! Dieses Zusammentreffen mit der gefährlichen Dame, das mir so viel Sorge ohne Noth machte, hat meinen Hippolit mir nur noch inniger verbunden, statt mir ihn zu[156] entfremden. Ich glaubte, je länger ich darüber dachte, seine Verweigerung, Aureliens Einladung zu folgen, zum Theil auf meine eigne Rechnung setzen zu dürfen, denn ich war nicht ausdrücklich darin mit einbegriffen gewesen. Ich wollte ihm darüber etwas freundliches sagen, und da gesteht er mir mit der liebenswürdigsten Offenheit, daß ich gar keinen Antheil an dieser seiner Entsagung habe, daß ich sie ihm überhaupt viel zu hoch anrechne; weil durch eine frühere Reise mit einer französischen Dame ihm jede ähnliche auf Lebenszeit verleidet sey. Mein Erstaunen über diese unerwartete Entdeckung brachte die Geschichte seines frühern Lebens zur Sprache. Guter Gott! in welches Labirinth von Gefahren und Verirrungen haben Unbedacht, Eitelkeit, jugendlicher Uebermuth, den zu früh sich selbst Ueberlaßnen geführt! Welch ein Glück, daß die Folgen einer frühern streng tugendhaften Erziehung seine, im Grunde doch sehr edle reine Natur, mitten in all der Verworrenheit bei Kräften erhielt, daß es nur einer hülfreichen Hand von außen bedurfte, um ihn aus dem Sumpfe von[157] Thorheit zu erretten, an dessen Rande er in jugendlicher Unvorsichtigkeit und kindischem Muthwillen herumgauckelte.«
Daß Gabriele dieser rettende Engel gewesen sey, brauchte Hippolit seinem weltklugen Freunde nicht zu vertrauen, um ihn davon zu überzeugen. Auch schwiegen beide über diesen Punkt, aber es entstand zwischen ihnen jenes zarte wortlose Verstehen, das einem wunden Gemüthe so wohl thut. Ernesto machte es sich von nun an zur heiligsten Pflicht, durch ernste Vorstellungen und anhaltendes Beschäftigen mit einem großen Gegenstande, den ihm mit jedem Tage werther gewordnen Jüngling dem muthlosen Schmerz, der trübsinnigen Verworrenheit zu entreißen, in die er nur zu oft noch versank. Der klassische Boden, den sie jetzt langsam durchzogen, bot ihnen Anlaß und Stoff zu geisterhebender Betrachtung einer kolossalen Vorwelt, und Ernesto benutzte alles, um seinen Liebling auf das gründlichste und vielseitigste[158] auszubilden. Es währte nicht lange, so entdeckte er in ihm einen jener Seltenen, von der Natur Hochbegünstigten, denen das Schwere leicht wird, denen das unerreichbar Scheinende von selbst zufällt, und die ohne Anstrengung, ja beinahe ohne Fleiß, alles Wissenswerthe nicht sowohl erlernen, als es sich aneignen mit Kraft und Geist. Dabei bemerkte er abermals mit großem Wohlgefallen, wie ihm Hippolits erste fast gelehrte Erziehung kräftig vorgearbeitet habe. Bei jedem Anlaß dazu entwickelte dieser Kenntnisse, von deren Besitz er kurz vorher kaum selbst eine Ahnung gehabt haben mochte; weil sie in ihm geschlummert, und nun, durch den Zufall geweckt, wie neu gewonnen ihm erschienen. So knüpfte jede mit einander verlebte Stunde beide fester an einander, und Ernestos Blick ruhte oft mit wahrhaft väterlichem Stolz auf dem geliebten Zögling, der ihn dafür, wie ein liebender Sohn, treu und innig verehrte.
[159]
Moritz zog indessen von einem Bade in das andre, um seine neuerfundene Theorie des Spieles zu vervollkommnen, jedoch ohne dabei auf Gabrielens Begleitung Ansprüche zu machen; eine Schonung, die sie ihm um so herzlicher verdankte, da sie dadurch zu der lange gewünschten Reise zu ihren Freundinnen in Lichtenfels Zeit gewann. Der kleine Kreis, in dessen Mitte sie einst so schöne Tage verlebte, fand sich dort wieder ungetrennt beisammen, denn der General hatte Adelberten mit dem Anfange des Frühlings den Seinigen wieder gegeben.
Alle empfingen Gabrielen, wie man ein lang vermißtes Glück empfängt, und das Leben ging im Aeußern wieder den lieben gewohnten Gang; doch im Innern war es anders geworden.
Adelbert und Auguste wandelten so still, mit so ängstlicher Schonung neben einander her, als wären sie von Todtkranken umgeben. Die Liebe war geblieben, aber das Vertrauen war entflohen, und eben weil es entflohen war, strebten sie sich zutraulicher als je zuvor gegen einander zu bezeigen, um nur keinem geliebten Herzen[160] wehe zu thun. Nur der von allen gleich verehrte Greis, der General Lichtenfels, trat mit gewohnter Sicherheit, fröhlich und nichts ahnend unter ihnen auf. Weil keine Klage laut ward, weil aller Blicke ihm lächelten, glaubte er jede Wunde geheilt. Und wenn er auch zuweilen das ehemalige rege Leben unter ihnen vermißte, so schob er dieses auf die zu große Einförmigkeit, in der sie so lange Zeit hingebracht hatten. Gastfrei, wie in glücklichern Tagen, suchte er diesem bald abzuhelfen; er öffnete von neuem sein Haus; Freunde und Bekannte strömten wieder herbei, und aufs neue wurde das frühere gesellige Treiben in Gang gebracht, das einst Augusten und Adelberten zusammenführte. Alles zeigte sich ihm heiter und fröhlich wie damals, und so glaubte er gern an ein Glück, das er so innig wünschte und so angelegentlich herbeizuführen sich bemühte.
In stiller Wehmuth betrachtete indessen Gabriele das zerstörte Lebensglück ihrer Freunde; obgleich man ihre Ehe nicht eigentlich unglücklich nennen konnte. Nie ward ein Zwiespalt zwischen ihnen laut, vielmehr suchte jedes von ihnen dem[161] unausgesprochnen Wunsche des andern mit geschäftiger Aemsigkeit zuvorzukommen. Mit ängstlicher Sorgfalt vermied Auguste jedes Wort, jede Miene, die in ihrem Gemahl den leisesten Argwohn erregen konnten, als gedenke sie noch jener Verirrung, die er so schmerzlich bereute und so streng zu büssen im Begriff gewesen. Adelbert war seinerseits ebenfalls lauter Liebe und Aufmerksamkeit und beide erschienen in der Gesellschaft als Muster des schönsten ehelichen Verhältnisses. Nur das scharfblickende Auge inniger Freundschaft konnte hier ahnen, daß jenes sonst sie beseligende Empfinden gegenseitigen Glücks, jenes Leben des einen in dem andern, den laut Gepriesnen auf ewig entschwunden sey. Sie liebten sich noch, aber wie Verstoßene aus dem Paradiese einer Unschuldswelt sich lieben können. Das stille, ruhige, vertrauensvolle Gefühl war zu einer Art Leidenschaft umgewandelt, die in Momenten des glühendsten Aufwallens oft in der Tiefe ihres Gemüthes einem verbissenen Hassen glich. Trotz aller Anstrengung konnte Adelbert nie vergessen, daß Auguste ihm vergeben[162] habe, so wie sie stets daran denken mußte, daß sie ihm etwas zu vergeben gehabt habe. Beide fühlten den Zwang, auf etwas achten zu müssen, was ihnen sonst nie in den Sinn gekommen war, auf ihr Benehmen gegen einander. Und so geschah es denn oft, daß sie mit ausbrechender Wehmuth sich von einander abwandten, wenn der Zufall sie ohne Zeugen einmal zusammen führte, und sich dann mit wilder Hast mitten im Strudel der Gesellschaft vor dem eignen Herzen zu retten suchten, welches ihnen ihre ehemalige Seligkeit und ihr jetziges Elend laut zurief.
Frau von Willnangen sah anfangs tief bekümmert dem Verhältnisse ihrer Kinder zu, dessen trübe Seite ihr nicht entgehen konnte. Bald aber bewährte sich von neuem ihr glückliches Talent, stets das Beste zu hoffen; sie gedachte ihrer eignen Ehe an der Seite eines über alles geliebten Gatten, dem sie mit Freuden ihr Leben weihte, und dadurch unendlich beglückt war, obgleich er ihre glühende Liebe nicht in eben dem Maaß zu erwidern vermochte. Ihre Fantasie[163] spiegelte ihr in dem jetzigen Verhältnisse ihrer Auguste eine trügerische Aehnlichkeit mit dem eignen früheren vor, und so kam sie nach und nach zu der beruhigenden Ueberzeugung, daß Zeit und Liebe zu den, mit jedem Tage sich anmuthiger entwickelnden beiden Kindern alles bald wieder auf das Schönste ordnen und beruhigen werde. Sie versuchte es auch, Gabrielen ihren heitern Glauben an die Zukunft mitzutheilen, und diese ließ ihr gern den beruhigenden Irrthum, dem sie selbst sich hinzugeben nicht vermochte.
Gabriele durchschaute zu klar die tiefe, nie wieder herzustellende Zerrüttung eines einst seltnen Verhältnisses, das, so wie die Dinge jetzt standen, sich höchstens nur noch zu etwas sehr Gewöhnlichem gestalten konnte, zu einer leidlichen Ehe, in der man aus Gewohnheit und um der Kinder willen einander gegenseitig erträgt. Ihr Herz blutete für Augusten, deren gegenwärtiges Loos ihr sogar trauriger als das eigne dünkte, weil der zur Armuth herabgesunkene Reiche weit beklagenswerther ist, als der in Dürftigkeit Geborne. Aber sie hütete sich eben so sehr, das[164] Herz ihrer mütterlichen Freundin durch diese ihre eigne Ansicht zu verwunden, als sie jedes Gespräch mit Augusten sorgfältig vermied, das zu irgend einer Erklärung über diesen Gegenstand führen konnte. Gabriele wußte aus eigner Erfahrung, daß es Seiten im menschlichen Herzen und Verhältnisse im Leben giebt, welche selbst die zarteste innigste Freundschaft nicht mit einem Hauche zu berühren wagen darf.
Den Schmerz um ihre Freunde abgerechnet, erfreute Gabriele sich indessen doch eines Zustandes, der mit den letzt vergangnen unruhvollen Jahren sehr angenehm kontrastirte. Augustens Kinder waren die Freude ihres Lebens, mit ihnen und in der stillen Beschäftigung mit sich selbst, welche ihr durch das zerstreute Leben in der Residenz so erschwert worden war, brachte sie die erste Hälfte des Tages in der ruhigen Einsamkeit ihres Zimmers zu. Der Abend wurde ihren Freunden geschenkt, besonders der Erheiterung[165] des freundlichen Oheims, den sie, seit sie ihn näher kennen gelernt hatte, gleich einer liebenden Tochter verehrte. Die Verlängerung von Moritzens Reise, die sich auf unbestimmte Zeit über den Winter hinaus ausdehnte, erlaubte ihr, den Bitten ihrer Freunde nachzugeben und bis zu seiner Rückkehr bei ihnen zu verweilen. Sie that dieses um so lieber, da sie wohl einsah, wie erfreulich ihre Gegenwart den armen Verstörten, wenigstens momentan, den Schein vergangner Glückseligkeit zurückgab.
Hippolits Tagebuch-ähnliche Briefe waren ihr jedesmal wie ein lieber Besuch, dem sie immer zur bestimmten Zeit mit froher Erwartung entgegen sah; und auch wenn er nicht schrieb, gedachte sie seiner mit einer eignen Rührung. Nie konnte ihr dankbares Gemüth des hochherzigen Jünglings zarte Aufopferung vergessen, mit der er ertragen hatte, was seiner kühnen Natur das Unerträglichste seyn mußte, um nur sie nicht in ihrer Freundin zu betrüben. Für die wilde Leidenschaftlichkeit, der er sich bis zur höchsten Verblendung überlassen hatte, fand ihre nachsichtsvolle,[166] alles gern ausgleichende Natur von jeher tausend Entschuldigungen und seine jetzigen Briefe bekräftigten diese. Aus jedem derselben leuchtete die höhere Entwickelung seines Geistes unter Ernestos Leitung hervor. Sie sah aus ihnen, wie der bis jetzt nur in seinen Gefühlen lebende Jüngling heranreifte zum festen edlen Manne, der mit hellem Blicke die Welt anschaut, und aufhört, sich und sein Herz für den Mittelpunkt derselben zu halten. Ihr selbst unbemerkt, regte sich dabei oft der Wunsch baldigen ruhigen Wiedersehens in ihrem Gemüth und ward allmählig zur süßen Sehnsucht, die ihrem Leben neuen Werth gab. Das Gefühl, dessen Bekenntniß Hippolits Entfernung veranlaßt hatte, schimmerte zwar noch fortwährend aus seinen Aeußerungen hervor, aber es glich einem goldnen Faden, der das ganze Gewebe seiner jetzigen Existenz zusammenhielt, und es schien, als sähe er es doch als seiner und ihrer unwürdig an, ihr länger nur von sich und seinen Empfindungen zu schreiben. Dabei waren seine Bemerkungen über Natur und Kunst, über Welt und Leben, von einer Tiefe[167] und Originalität, über die sie oft in freudiges Erstaunen gerieth.
Ernestos Briefe bestärkten von Zeit zu Zeit ihr frohes Hoffen von der Zukunft ihres jungen Freundes. »Sie sind noch immer die hohe Dame seiner Gedanken, an der er mit der tiefen Verehrung eines ächten Chevaliers der Tafelrunde hängt,« schrieb er ihr einst. »Leugnen Sie mir nicht ab, obgleich ich auch nicht fordre, daß Sie es mir gestehen sollen, daß ich Ihnen hiemit nichts neues verkünde. Machen Sie es wie er, geben Sie es mir schweigend zu. Weiß ich doch nicht, ob er mehr als ein solches schweigendes Geständniß auch gegen Sie jemals gewagt hat, obgleich ich es aus dem Stottern wohl schließen könnte, das ihn allemal befällt, wenn ich der nächsten Veranlassung seiner Reise nach Italien nachforschen will. Nicht minder aus einer gewissen reuigen Wehmuth, die ihn leicht bis zu Thränen bewegt, wenn er der letzten Tage gedenkt, die er in Schloß Aarheim verlebte. Dem sey wie ihm wolle, ich danke den Göttern, für ihn und mich, daß wir einander fanden. Was[168] ich für ihn thue, ist alles und nichts; das hohe Gelingen lohnt mir tausendfältig. Schön und traurig, wie ein Antinous, stand er vor mir bei unserm ersten Zusammentreffen, und erregte schon durch seine äußre Erscheinung das lebhafteste Interesse; aber sein Festhalten an mir, da er mich erkannte, sein Ergeben in meinen Rath, in meine Leitung gewann bald bei dieser seiner rüstigen Jugendkraft, etwas so unaussprechlich Rührendes, daß ich mich seiner hätte annehmen müssen, und hätte es mich auch das höchste Opfer gekostet. Und so entstand denn eine Verbindung, die mir jetzt gegen das Ende meiner irdischen Laufbahn die höchste Freude gewährt. Denn was kann belohnender seyn, als der Anblick einer edlen kräftigen Natur, die aus geistiger und irdischer Verirrung mancherlei Art sich tapfer loswindet, und dabei das selige Bewußtseyn, ihr hülfreich und schützend zur Seite zu stehn. Sie, Gabriele! mögen immer das schöne Gefühl mit mir theilen; Sie haben mir kräftig vorgearbeitet, so kräftig, daß ich oft Sie zu sehen und zu hören glaube, wenn er recht aus dem Herzen spricht oder handelt.[169] Und so ist es billig, daß auch Sie sich Ihres Werks erfreuen mögen.«
Still und ruhig hatte Ottokar indessen seit mehreren Jahren in Rom gelebt, in selbsterwählter Zurückgezogenheit von öffentlichen Geschäften und Ehrenbezeugungen, nur mit sich, seinem Knaben, der Natur, der Kunst, und wenigen auserwählten Freunden. Tausend sehr ernste Erfahrungen hatten ihn endlich überzeugt, daß nur in der Kunst, entsagen zu können, der ächte Stein der Weisen verborgen liegt. An Aureliens marmor-glatter und kalter Natur waren alle seine Versuche fruchtlos abgeglitten, sie sich und dem ächten Genuß des Lebens zu gewinnen. So hatte er sie denn endlich aufgegeben, und begnügte sich damit, seine Gemahlin nach der von ihr selbst gewählten Weise das Glück suchen zu lassen, indem er ihr Geld und Freiheit gab, so viel sie bedurfte oder verlangte. Ersteres machte sein großes Vermögen und eigne Genügsamkeit[170] ihm möglich, und daß Aurelia ihre unumschränkte Freiheit nie auf eine, seine Ehre verletzende Weise mißbrauchen könne, dafür bürgte ihm ihr Stolz auf die einzige Frauentugend, die sie eigentlich anerkannte, und zu deren strenger Richterin sie sich überall aufwarf. Der kleine Herrmann, Ottokars sehr anmuthig heranwachsender Knabe, gewährte ihm wenigstens einen Theil des häuslichen Glücks, nach dem er sich stets gesehnt und das er leider an Aureliens Seite nie hatte finden können. In der Freude über ihn, vergaß er gern alles, was die Welt sonst noch ihm versagt hatte. Er näherte sich jetzt dem Alter, in welchem die Stürme in der Brust, denen er früher mit Muth und Kraft entgegen kämpfen mußte, allmählig von selbst sich beschwichtigen. Seine Jugend lag hinter ihm, wie ein halb schöner, halb ängstlicher Traum, aus dem Gabrielens kurze Erscheinung gleich einem hellen Sterne hervorleuchtete. Er gedachte ihrer, wie einer himmlischen Gestalt, die auf irdischem Pfade ihm einst segnend vorüberschwebte und von höhern Sfären Kunde und Gewißheit verlieh.[171]
Von ihrem fernen Leben auf Erden seit jener Stunde wußte er nur wenig. Ernesto hatte immer vermieden, ihm genaueren Bericht davon zu geben; er wollte gern dem ohnehin auf mancherlei Weise Verletzten unnütze Schmerzen ersparen, und konnte es schweigend nur, da er ihm so wenig Erfreuliches zu melden hatte. Ottokar wußte nur daß Gabriele vermählt sey, daß sie mit diesem Schritte ihrem Vater und ihrer Pflicht ein schweres Opfer freudig und willig gebracht. Dieß war ja einst sein eignes Loos auch gewesen, und nach der ihn dafür beseligenden Ruhe seines eignen Bewußtseyns mußte er auch sie für beglückt halten. Freilich vergaß er dabei der Verschiedenheit des Verhältnisses, welches den Frauen das als eine sehr schwere drückende Last aufbürdet, was das freie glücklichere Loos der Männer diesen auf tausendfache Weise erleichtert.
So fand ihn Ernesto als er gegen Weihnachten mit seinem jungen Freunde in Rom anlangte. Denn die Reise nach Sicilien war aus mehreren bewegenden Gründen einstweilen aufgegeben. Bis jetzt hatte Ernesto sich von innerem Bangen immer[172] abhalten lassen, Hippoliten mit Ottokar bekannt zu machen. Von diesem Gefühle geleitet, hatte er sogar die Reise nach Rom so weit hinausgeschoben und Ottokars nur immer in sehr allgemeinen Redensarten gedacht. Eigentlich fürchtete er, daß Gabrielens Name, zur Unzeit genannt, bei Beiden Gefühle und Erinnerungen aufregen, ja vielleicht Scenen herbeiführen könne, die wenigstens ihrer mühsam errungenen Ruhe neue Gefahr brächten. Doch jetzt mußte er sich endlich entschließen, den Schritt zu wagen, den er nicht länger schicklicher Weise zu vermeiden wußte. Er führte beide einander zu, und hoffte dabei, weil er es wünschte, daß jeder von ihnen das heiligste Geheimniß seiner Brust wohl zu bewahren wissen werde.
Hippolit fühlte sich gleich in den ersten Minuten ihres Beisammenseyns von Ottokars Erscheinung mächtig ergriffen. Kein sterbliches Wesen, selbst Gabriele nicht, hatte sein Herz mit so unaussprechlicher Ergebung, mit so ganz rücksichtsloser reiner Neigung beim ersten Anblick erfüllt, als der schöne, ernste und dabei so unsäglich milde[173] Mann, aus dessen hell leuchtendem Auge jugendliche Kraft und Wärme sprach, während er, ausgerüstet mit aller Würde und allen Vorzügen des reifern Alters vor ihm stand.
Auch Ottokar ward von Hippolits liebenswürdigem und bescheidnem Wesen angezogen, dieser kam ihm, wie ein jüngerer Bruder vor, zu dessen vollendeter Bildung mitzuwirken, er mit der lebendigsten Theilnahme sich verpflichtet fühlte. Und so erbot er sich, mit Ernesto sein steter Begleiter zu allen jenen Wundern der Vorwelt zu werden, welche keine feindliche Macht dem heiligen Boden entführen konnte, der eine lange Reihe von Jahrhunderten hindurch sie treu aufbewahrte und aufbewahren wird. Innigst erfreut über Hippolits reges und richtiges Gefühl, schwelgte er an seiner Seite im frohen Nachempfinden jener Tage, in denen er selbst zuerst dieß klassische Land betrat. Dafür theilte Hippolit Ottokars Freude an dem kleinen Herrmann, der sich sehr schnell gewöhnte, ihn als seinen liebsten Spielgefährten zu betrachten. So ordnete sich bald ein für Alle sehr genußreiches Zusammenleben; nur Ottokars Nähe[174] schien Hippoliten noch gefehlt zu haben, um ihn ganz auf die Stufe der Bildung zu heben, für welche seine Natur ihn bestimmte; bei ihm fand er im glücklichsten Verein den würdevollen Ernst des vollendeten Mannes mit fast weiblich weichem Zartgefühl auf das innigste verbunden; und während Ernesto Hippolits Geist, dessen Verstand und Wissen mit alle dem Reichthum ausstattete, den er selbst in so hohem Grade besaß, würkte Ottokar nicht minder wohlthätig auf sein Gemüth. Er verhalf ihm zu jener Klarheit in seinem Empfinden, welche er selbst mühsam errungen hatte, und weihte ihn dadurch zu jedem Opfer, jeder Entsagung, welche das Leben im Laufe einer wahrscheinlich sehr langen Zukunft von ihm ferner noch heischen mochte.
So waren mehrere Wochen vergangen, während welchen sich Hippolit immer fester an Ottokar anschloß, als dieser zufällig von einer leichten Unpäßlichkeit gezwungen ward, einige Tage zu[175] Hause zu bleiben. Hippolit eilte auf die erste Nachricht davon herbei und fand ihn allein, in einem abgelegnen Kabinett, zu welchem sonst jedermann der Zutritt versagt ward, und das auch selbst er noch nie vorher betrat.
Eine einzige Zeichnung über dem Schreibtisch schmückte die mit grüner Seide ganz einfach bekleideten Wände des kleinen traulichen Gemachs, sie mußte dem Eintretenden gleich in die Augen fallen, und erstarrt, bleich wie ein Sterbender blieb Hippolit wie eingewurzelt vor Gabrielens Abbildung ihrer väterlichen Burg stehen; dem einzigen Angedenken von ihr, das Ottokar vor jedem fremden Blick hier wie ein Heiligthum aufbewahrte.
Ottokar fuhr, über den Zustand seines Freundes erschrocken, vom Divan auf, auf welchem er lag. Er mußte ihn von einem plötzlichem Uebel befallen glauben und wollte ihm zur Hülfe eilen, als dieser in aller früheren, mühsam bekämpften Heftigkeit seines Wesens in seine Arme sich warf und ihn fest umklammerte.[176]
»Ja Du bist es,« rief er, und das Weh eines ganzen Lebens lag in dem schmerzlichen Ton dieser Worte, »Du bist es! Wer anders konnte es seyn als Du? Wie war es möglich, daß ich Dich nicht gleich erkannte! Nun ist mir alles klar, ja nur Dich, nur Dich konnte Gabriele lieben, und nur Du konntest ihr entsagen. O ich Verblendeter! Daß ich erst jetzt dieses weiß!«
Auch Ottokar erstarrte als er diesen Namen von diesen Lippen so nennen hörte. »Gabriele!« rief er, »kennst Du Gabrielen? Kennst Du dieß Schloß?«
»Ob ich es kenne? ob ich Gabrielen, ob ich Schloß Aarheim kenne?« antwortete Hippolit; seine Augen blitzten und alles Blut aus seinem Herzen färbte die erblichnen Wangen in Purpurglut. Er sprang auf und riß sein Taschenbuch hervor, in welchem er eine kleine Kopie von Ernestos Virginia aufbewahrte, die er auf Schloß Aarheim heimlich zu zeichnen Gelegenheit gefunden hatte. »Sieh her,« rief er, »blick her, und Du, Du bist ja Icilius, unverkennbar; mein Gott! wie gehen mir jetzt erst die Augen auf!«[177]
Ottokar betrachtete das Blatt; auch er erbleichte, tief erschüttert, und kaum vermochte die zitternde Hand es fest zu halten; denn eine Ahnung des ganzen Umfanges von Gabrielens traurigem Geschick ging ihm zum erstenmal aus diesen Zügen auf. Mit einer Art Beschämung fühlte er plötzlich, wie vergleichungsweise glücklich er diese Reihe von Jahren verlebt hatte, während sie den bittersten Kampf mit dem Leben bestand. Schweigend standen beide einige Minuten einander gegenüber, doch dem geprüften festeren Manne gelang es eher, Fassung zu erringen als dem wild bewegten, sturmvollen Herzen des Jünglings. Ottokar nahm ihn an seine Brust, wie ein Vater sein liebes verwundetes Kind, er zog ihn zu sich, er sprach ihm liebkosend zu, mit seiner sanften beruhigenden Stimme. Hippolit erkannte die Töne, die einst auch in Gabrielens Herzen wiederhallten, er konnte ihrem Zauber nicht widerstehen, sie beschwichtigten allmählig das Toben in seinem Innern, und nun begann zwischen beiden edlen Menschen eine Scene des innigsten Vertrauens. Ihre Seelen, alle ihre Gedanken ergossen[178] sich in einander; was nie über ihre Lippen gekommen war, gestanden sie sich hier, offen, wahr, ohne Rückhalt, alles tief im Herzen Verborgne kam zur Sprache und diese Stunde, die bei minder Vorzüglichen vielleicht eine ewige Trennung bewirkt hätte, verband sie einander für Zeit und Ewigkeit.
Den ganzen Tag hindurch ließ Ottokar den jetzt ganz Gewonnenen nicht von seiner Seite. Ernesto kam hinzu, es war unmöglich ihm, was vorgegangen, zu verhehlen, und er sah mit freudiger Rührung neues, ihm unerwartetes Heil aus einer Entdeckung entstehen, die er nur deshalb so ängstlich abzuwenden gesucht hatte, weil die Erfahrung eines langen Lebens unter den Menschen ihn um den Glauben an die hohe Reinheit des Gemüths gebracht hatte, die ihm doch hier, fast am Ende seiner Laufbahn, aus der Brust seiner Lieblinge so hell entgegen strahlte.
[179]
Ottokar nachzustreben, in allem nur Erreichbaren, war von nun an Hippolits felsenfester Entschluß.
»Sie hat ihn geliebt und er konnte ihr entsagen,« sprach er in einer ernsten Stunde des reinsten Vertrauens zu Ernesto. »Auch ich entsage, ich der Ungeliebte, der, hoffnungsloser als je, doch ewig ihr Bild im Herzen tragen muß. Ich kann sie nie gewinnen, nun so sey all' mein Streben, ihrer werth zu werden, wie Ottokar es ist. Kein Laut, kein Blick verrathe von nun an meinen stillen Schmerz, auch Sie Ernesto, ich flehe darum, ehren ihn durch Schweigen.«
Andre Pläne, andre Hoffnungen reiften indessen in Ottokars edler Brust. Erst jetzt, durch die Zeichnung Ernestos zur Sprache gebracht, hatte er von diesem treuen Freunde vernommen, welche lange Reihe von Entsagungen und Opfern jeden Tag in Gabrielens Leben bis zu dieser Stunde bezeichnete. Seine reuige Wehmuth, wenn er den Abstand zwischen seinem und ihrem Geschick betrachtete, steigerte sich zu einer ängstlich drückenden Höhe, ihm war, als habe auch er[180] ihr Unglück mit verschuldet, und müsse jetzt nur suchen, sie zu erretten. In aller unerträglichen Lächerlichkeit und Widerwärtigkeit sah er Moritz neben Gabrielen, unablässig wie ein Schreckbild stand dieser vor seiner Fantasie. Er vermochte es nicht, sich von ihm abzuwenden; im Gegentheil ward er nicht müde, Ernesto über seine Persönlichkeit auszufragen, als hoffe er, dennoch endlich etwas zu vernehmen, das ihm Trost zu geben vermöchte. Und zuletzt blitzte wirklich während eines solchen Gesprächs wenigstens ein Hoffnung verheißender Strahl in ihm auf.
»Nein,« sprach er endlich, sich selbst zum Troste, »die Natur wird nicht ungerecht seyn, sie wird nicht die Lebenszeit des kränklichen Greises bis an die äusserste Gränze des menschlichen Lebens hinaus rücken, um die Qual jenes himmlischen Wesens zu verlängern. Gabriele wird frei, vielleicht bald, und wer wäre dann des Glücks würdiger die trübe Erfahrung ihres Lebens auszugleichen, jede qualvolle Erinnerung zu verlöschen, als dieser seltne Hippolit, mit seiner unendlichen Liebe! An sich selbst dachte Ottokar nicht dabei, von[181] jeher glich sein Gefühl für Gabrielen mehr der anbetenden Bewunderung, als irdischer Liebe. Jugendlich schön, fast noch in holder Kindlichkeit, wie sie in jener einzigen unvergeßlichen Stunde ihm erschienen war, um schnell wieder zu verschwinden, schwebte ihr Bild noch immer unverändert vor seinem inneren Sinn; es konnte ihm nicht einfallen sich selbst des Glücks noch würdig zu halten, ihr alle ihre Leiden zu lohnen, sogar wenn ein unerwartetes Geschick die Bande zerreißen sollte, die ihn an Aurelien fesselten, und die er selbst nie eigenmächtig zu lösen längst entschlossen war. Die bedeutende Reihe von Jahren die er vor Gabrielen vorauszählte, hatte ihn jener Zeit zugeführt, wo jedes jugendlich-wild-aufbrausende Gefühl in milderes Empfinden übergegangen ist. Gabrielen noch dereinst glücklich zu wissen, mit dem Bewußtseyn, selbst zu ihrem Glück beigetragen zu haben, ward ihm jetzt zum vorherrschenden Wunsch, der immer und überall ihn verfolgte. Hippolits unveränderte mit jedem Tage steigernde Liebe zu ihm, die ganze Liebenswürdigkeit seiner Natur, zogen ihn immer mehr[182] an, er gewöhnte sich, ihn nur mit Hinsicht auf Gabrielen zu betrachten. Bald kam er dahin, sich Beide schon jetzt als Eins zu denken, und so machte er es sich zum angelegentlichsten Geschäfte, ihm überall zur Seite zu stehen. Gabrielens Name ward nach jenen ersten Stunden heiligen Vertrauens nie wieder unter ihnen genannt, doch beide lasen ihn oft, eins in des andern Blicken. Auch Ernesto schwieg, und beruhigt durch Hippolits Herrschaft über sich selbst, gab er sich heiterer wie zuvor, der Freude an den Fortschritten seines Zöglings in allem Edlen, Guten und Schönen hin, ohne weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft ängstlich zu grübeln.
An der Seite seiner edlen Freunde, angeregt und ermuthigt durch Ottokars Nähe und Ernestos klaren welterfahrnen Sinn, gelangte Hippolit zu immer sicherer Gewalt über sich selbst. Das Jahr neigte sich zu Ende, und er fühlte jetzt im[183] gerechten Vertrauen auf sich, daß er es wagen dürfe, Gabrielen um die Erlaubniß zur Rückkehr zu bitten. Sie hatte sie ihm beim Scheiden unter Bedingungen versprochen, deren Erfüllung ihm zwar noch schwer, aber doch nicht mehr unmöglich dünkte.
So schmerzlich auch Ottokar die Trennung fühlen mochte, bestärkte dieser ihn doch durch seine Zustimmung in diesem Entschluß, und so wagte es Hippolit denn endlich, ihn gegen Gabrielen auszusprechen.
»Fürchten Sie keinen neuen Ausbruch jener vernichtenden Leidenschaftlichkeit mehr von mir, deren ich jetzt nur noch mit einem sehr beschämenden Gefühl gedenken mag,« schrieb er ihr. »Sie werden Ihren wilden Edelknaben in nichts wieder erkennen, als in der treusten Anhänglichkeit und unbedingten Ergebung in Ihren Willen. Mögen Sie ihn zum zweitenmal und auf immer verbannen, wenn je ein Wort, ein Blick, ein Athemzug jene trüben Tage Ihnen zurückruft, in denen er mit umdüsterten befangnem Sinn alles vergaß, was er Gott, sich selbst und Ihnen[184] schuldig ist. Gabriele! seyn Sie wieder mild und gütig, wie Sie es immer waren, Sie können es ohne Sorge, ich will ja nichts als in Ihrer Nähe seyn, Sie sehen, Sie hören. Sie selbst sollen bestimmen, wie oft, wie lange? Und wenn Sie mir nur eine Stunde, ja nur wenige Minuten des Tages vergönnen, ich will nicht murren gegen Ihr Gebot, das ich dankbar verehre.«
Wenige Wochen nach dem Empfange dieses Briefes stand Hippolit selbst vor Gabrielen.
Er fand sie allein in ihrem stillen Zimmer in der Residenz, wohin sie von Lichtenfels zur Pflege ihres Gemahls zurückkehren mußte, der vor einigen Monaten sehr krank von seinen ermüdenden Streifereien zu Hause angelangt war. Hippolit wankte zwar, als er Gabrielen zuerst wieder erblickte, doch half ihm die Bewegung, in die sie selbst in diesem Momente gerieth, dieß zu verbergen. Ihr Auge strahlte mit ungewohntem[185] Feuer, ein blühenderes Roth färbte ihre Wangen, ihre Gestalt schien noch ätherischer als sonst, die Zeit hatte ihrer Schönheit höheren Glanz verliehen und mit der ersten Blüthe früher Jugend ihr keinen Reiz geraubt. So erhob sie sich bei seinem Eintritte von ihrem Sessel und suchte vergebens nach freundlichen Worten, ihn damit zu begrüßen. Er wagte es nicht, die Hand zu berühren, die sie wie unwillkührlich ihm halb entgegenreichte, aber sein Herz sprach laut aus seinem gesenkten Blicke, aus der edlen und doch so demüthigen Stellung, in der er vor ihr, wie vor einem Götterbilde, sich ehrerbietig neigte. Der Edelknabe war zum Manne geworden, zum männlichschönsten, den ihr Auge je erblickte, aus dessen edlen, rein harmonischen Zügen jede Spur jenes wilden Feuers verschwunden war, von dem sie sonst so oft erschreckt worden. So hatte Ottokar ihren Jugendträumen vorgeschwebt, jetzt erblickte sie das Traumbild ins Leben gerufen, aber veredelt, verklärt, wie sie selbst in ihren fantasiereichsten Stunden es nie sich gedacht hatte.[186]
Beide schwiegen in den ersten Momenten; Hippolit fand zuerst den Muth, dieß Schweigen zu brechen. Er brachte Briefe, Zeichnungen, Kameen, Pasten, kleine Mosaiken, die Ernesto ihm für Gabrielen mitgegeben hatte, und kramte alle die glänzenden Gaben in liebenswürdiger Geschäftigkeit vor ihr auf dem Tische aus.
Von ihnen wendete sich das Gespräch auf sein Leben und seine Reisen in Italien. Er sprach viel von Ernesto, endlich wagte er es, sogar Ottokars Namen zu nennen und Gabrielen manches Angenehme von dessen jetzigem Leben mitzutheilen. Er that es mit etwas unsichrer Stimme und gesenktem Blick; ohne jedoch Ottokars in irgend einer genauern Beziehung zu Gabrielen zu erwähnen. Er sprach von ihm nur als von einem ihm sehr theueren Freunde, dem er unendlich viel verdanke. Es war das letzte schwerste Erproben seiner Standhaftigkeit, das er sich selbst auferlegt. Er hatte darin bestanden, aber jetzt vermochte er auch nicht mehr. Er erhob sich um Abschied zu nehmen, und bat[187] nur noch um die Erlaubniß, zu einer gelegenen Stunde auch Moritzen begrüßen zu dürfen.
Hippolit hatte während seines Besuchs beinah allein gesprochen, denn Gabriele vermochte es kaum über sich, dann und wann einige Worte der Schicklichkeit zu Liebe einzuschieben; sie war ganz Auge, ganz Ohr, hingerissen vom lebhaftesten Erstaunen über die unglaubliche Veränderung, die, in weniger als zwei Jahren, wie durch ein Wunder bewirkt, ihr hier entgegenleuchtete.
In tiefem Nachsinnen und doch fast ohne Worte für ihre Gedanken, blieb Gabriele lange wie in sich verloren. War das der Hippolit, welcher einst so keck und vorlaut an dieser nemlichen Stelle auftrat? War das der wilde rohe Jüngling, dessen ungebändigten Sinn sie unlängst mit so ernster Strenge zurecht zu weisen gezwungen war? Ihr Herz regte sich laut in ungestümen Schlägen, ihre Wangen glühten vor Freude, meinte sie, über diese glückliche Verwandlung. Eine ihr unerklärliche Unruhe hielt sie mitten in diesem frohen Gefühle befangen,[188] die bei dem Gedanken, ihn am Abend wieder zu sehen, in ihr ein Bangen erregte, wie sie kaum damals es empfunden hatte, als sie, ein Neuling in der Welt, zwischen Fürchten und Hoffen Ottokars Gegenwart im Salon ihrer Tante entgegenging.
Endlich am Abend erschien Hippolit in Moritzens Zimmer. Der mürrische Kranke empfing ihn mit bittern Vorwürfen über seine plötzliche Abreise von Schloß Aarheim, die Hippolit mit vieler Sanftmuth ertrug. Bald fühlte sich Moritz wieder von dem gewohnten Zauber hingerissen, den die Gegenwart seines ehemaligen Lieblings stets an ihm übte. Er wurde immer freundlicher, zuletzt war alles Unangenehme so weit vergessen, daß er nur aufs neue mit Bitten in ihn drang, sein Haus wie ehemals als sein eignes zu betrachten. Der ihm nun wieder ganz zugeneigte Alte trug ihm sogar eine Wohnung in demselben an, er drang sie ihm fast auf, und Hippolit bedurfte aller seiner Gewandheit im Leben, um dieß Anerbieten bescheiden von sich abzuweisen. Er that es, ohne dabei den Blick zu[189] Gabrielen zu erheben, die hocherröthend und schweigend der Verhandlung zuhörte, ohne die mindeste Aeußerung über sie zu wagen. Sie schämte sich innerlich ihrer Verlegenheit dabei, denn sie glaubte nun fest überzeugt seyn zu können, daß in Hippolits Gemüth keine Spur von jenem Gefühl mehr lebe, das sie einst zwang, ihn zu verbannen, und doch vermochte sie es nicht über sich, diese wunderbare, ihr selbst unerklärliche Befangenheit zu besiegen.
Von nun an war Hippolit aufs neue Gabrielens täglicher Gast. Sein Betragen blieb sich immer gleich. Immer erschien er gelassen, sanft, freundlich gegen Moritzen; voll inniger Theilnahme und ungeheuchelter Ehrfurcht gegen Gabrielen. Zuweilen fand er sie allein, öfter am Krankensessel ihres Gemahls, der von einem unheilbaren Asthma ergriffen, in manchen Augenblicken Todespein litt, von der er sich aber stets nach einigen qualvollen Minuten schnell wieder[190] erholte. Zufolge des Ausspruchs der Aerzte konnte er noch viele Jahre lang mit diesem Uebel kämpfen, ehe es ihn überwältigte.
Einst, nicht lange nach seiner Ankunft, überraschte Hippolit Gabrielen, eben da sie zitternd vor Frost, in der unfreundlichsten Jahreszeit, bei weitgeöffneten Thüren und Fenstern den athemlosen Kranken unterstützte, der für seine gequälte Brust nur in der fürchterlichsten Zugluft einige Erleichterung fand, und sie dabei in seinem bewußtlosen Zustand fest umklammert hielt. Der Anfall ging vorüber und Hippolit gewann Zeit und Kraft, Gabrielen zu betrachten, welche, mitleidige Thränen im schönen Auge, erschöpft hinsank.
Sein Herz stand still vor Entsetzen, da ihm in diesem Momente die Gefahr plötzlich entgegenstarrte, der sich dieses zarte Wesen täglich aussetzte. Und für wen?
Die auf ihren vorher so bleichen Wangen schnell erblühende tiefe Röthe, das ungewohnte Strahlen ihrer Augen bezeichnete sie seinem vorahnenden Herzen auf einmal als eines jener Opfer,[191] welche der langsam heranschleichende Tod erst mit überirdischer Schönheit schmückt, ehe er sie früh und auf immer erbleichen läßt.
Von ungeheurer Angst getrieben, ergriff er nun die erste einsame Stunde mit ihr, um sie um Schonung für sich selbst anzuflehen. Es war die erste Bitte, die er seit seiner Rückkehr aus Italien an sie wagte; wenn sie sie ihm gewährte, sollte es auch die letzte seyn, dieß gelobte er auf das Heiligste. Gabriele konnte sie ihm weder versagen noch gewähren, und Hippolit sah sich dadurch gezwungen, sie von nun an gleich einem theuern Kleinod argwöhnisch zu bewachen. Er beschloß, so viel Zeit als möglich in ihrem Hause zuzubringen, entstehe daraus was da wolle, um nur gleich zur Stelle zu seyn, wenn der Kranke so gefahrvollen Beistand verlange. Denn eigensinnig wie immer erklärte dieser, ihn nur von seiner Gemahlin oder Hippoliten annehmen zu wollen.
Die Welt, eigentlicher was man in großen Städten die Welt zu nennen pflegt, begann freilich hier und da des glänzenden Fremdlings[192] stete Anwesenheit im Aarheimischen Hause zum Ziel ihrer Bemerkungen zu machen; doch in der Abgeschiedenheit, in welcher Gabriele jetzt lebte, vernahm diese wenig davon. Weniger noch Hippolit. Denn sowohl sein Aeußeres, als die Erinnerung an sein Betragen gegen Adelberten waren ganz dazu geeignet, jedermann den Muth zu einem unziemenden Scherze gegen ihn zu benehmen.
Und so war Hippolit jetzt glücklicher als er es je zu werden gehofft hatte; er war es in der Ueberzeugung, daß es ihm wirklich gelänge, zur Erhaltung und Erleichterung des geliebten Wesens beizutragen, für das er mit Freuden sein Leben hingegeben hätte. Ein freundlicher Stern schien dabei sein Bemühen zu begünstigen, denn Moritz ward bald darauf scheinbar besser, wie das bei Kranken seiner Art zuweilen wohl auf kurze Zeit geschieht, und er ermangelte nicht, dieß einzig der treuen Pflege seines jungen Freundes zuzuschreiben. Seine beängstenden Anfälle verließen ihn einstweilen fast gänzlich, dafür aber stellte sich seine alte Feindin, die Langeweile, wieder ein, und er machte jetzt weit stärkere Ansprüche[193] als je zuvor auf Hippolits und Gabrielens Gesellschaft in den Abendstunden.
Um der Unterhaltung eine leidliche Wendung zu geben, trug Hippolit allmählig alle seine in Italien gesammelten Kunstschätze herbei. Gemälde, Zeichnungen, Kupferstiche, kleine Antiken gaben Moritzens Zimmer gar bald das Ansehen eines Museums. Wunderbarer Weise bildete dieser sich mit einemmale ein, ein großer Kunstkenner geworden zu seyn; da indessen seine Redseligkeit durch sein Uebel sehr gehemmt ward, so war er weit weniger störend als sonst, und blieb gewöhnlich nur ein größtentheils stummer Zuhörer von dem, was Hippolit und Gabriele mit einander sprachen. Er behauptete indessen sehr ernstlich, diese Unterhaltungen, besonders Hippolits Erzählungen ungemein ergötzlich zu finden, spielte aber dabei doch mit sich ganz allein eine Schachparthie nach der andern, wie Philadelphia sie in seinem Schachbuche vorschreibt, sammt allen Abänderungen jedes einzelnen Spieles. Triumfirend rief er sein »Matt!« aus, wenn die Weißen gewannen, die er nach seines Meisters Beispiel,[194] der die Schwarzen gewöhnlich schlecht spielen läßt, in besondern Schutz genommen hatte. Dabei glaubte er steif und fest, sich den ganzen Abend über einzig mit der Kunst beschäftigt zu haben.
Hippolits und Gabrielens Unterhaltung gewann durch dieses sonderbare Beisammenseyn einen ganz eignen Reiz, eine fast größere Freiheit, als wären sie ganz ohne Zeugen gewesen. Moritz vertiefte sich immer mehr in sein Studium des Schachspiels und mischte sich immer weniger in ihr Gespräch. Die Kunstwerke um sie her, und Hippolits in Italien, unter Ernestos Leitung sehr ausführlich geschriebnes Tagebuch gaben ihnen stets neuen unendlichen Stoff.
Gabriele ward in mancher Hinsicht jetzt wirklich die Schülerin ihres Freundes, anstatt daß er sonst in Schloß Aarheim von ihr lernte. Lächelnd erwähnte sie einst gegen ihn dieser seltnen Umwandlung.
»Bin ich nicht alles durch Sie?« erwiderte er ihr. »Sie allein erweckten mich ja zu diesem neuen erhöhten Leben. Sie öffneten mir ja zuerst[195] das Reich der Kunst und führten mich zur beseligenden Erkenntniß der ewigen Schönheit. O Gabriele, wüßten Sie, mit welchem Wonnegefühl ich mir täglich zurückrufe, was ich Ihnen alles verdanke! Möge nur ein günstiges Geschick mir erlauben, Ihnen stets zur Seite zu stehen wie jetzt, um mit jedem Athemzuge Ihnen zu beweisen, daß ich nur für Sie lebe, für Sie, die mich allein dem Sonnenlichte und der Hoffnung erhielt.«
Ein Monat nach dem andern verging auf diese Weise, und Hippolit fühlte mit immer tiefrer Ueberzeugung, daß weder Zeit noch Veränderung des Ortes seinem Gemüth in Hinsicht auf Gabrielen eine andre Richtung gegeben habe, noch geben könne. Sie nur thronte, gleich einem Götterbilde, in seinem Herzen, und die Einsamkeit war noch oft Zeuge seines Schmerzes. Unendliches Mitleid mit ihr, mit sich und auch mit Ottokar hielt manche bange lange Nacht hindurch den Schlummer fern von seinem Lager. Doch er hatte gelobt, sich zu beherrschen, und er führte es mit bewundernswerther Standhaftigkeit[196] aus. Er kam und ging, und kein Wort, kein Blick durfte sein Geheimniß verrathen. Er dachte wohl daran, daß Gabriele auf diese Weise seine frühere Liebe zu ihr als erloschen, und in ruhige Freundschaft umgewandelt betrachten würde, aber er war bereit, auch dieses zu tragen, um nur den innern Himmelsfrieden der hochgeliebten Frau nie wieder zu trüben.
Aechte Liebe und Bescheidenheit gehen stets Hand in Hand. Deshalb kam in Hippolits Seele keine Ahnung von dem, was in qualvoller Seligkeit ihn vielleicht zum Wahnsinn getrieben hätte, wäre es von ihm erkannt worden. Ach! jener Himmelsfriede, den er schonen wollte, war längst aus Gabrielens Brust gewichen und entfremdete sich ihr immer mehr und mehr mit jedem Tage, den Hippolit in ihrer Nähe verlebte. Während die unablässige Sorgfalt, mit der er in Gabrielens Gegenwart stets über sich selbst wachte, ihm keine Zeit ließ, sie anders als in[197] Hinsicht auf ihre Zufriedenheit mit ihm zu beobachten, entzückte ihn zwar die holde Freundlichkeit, mit der sie ihn gewöhnlich behandelte, aber er dachte dabei nur daran, sich dieses sein gegenwärtiges Glück zu erhalten, und war weit davon entfernt, zu kühnern Hoffnungen den Blick zu erheben.
Auch Gabriele blieb Wochen- und Mondenlang sich selbst ein Räthsel, dessen Auflösung sie, ohne sich dessen bewußt zu seyn, immer weiter hinaus schob. Vom Rückblick auf das frühere, von ihrer Seite so ruhige reine Verhältniß zu Hippoliten geblendet, glaubte sie, es sey noch wie ehemals. Sie ahnete nicht, was alles Blut ihres Herzens in heißen tobenden Strömen ihren Wangen zutrieb, wenn sie aus fast unhörbarer Ferne den Ton seiner Stimme, das Nahen seiner Schritte vernahm. Neues, nie zuvor geahnetes Leben war ihr aufgegangen, doch sie erkannte weder dessen Ursprung, noch das Stürmen und Wogen, welches ihre Brust mit süßem Schmerz beklemmte, himmelweit abweichend von jedem früheren Gefühl. Früh, wenn sie erwachte,[198] war Hippolit ihr erster Gedanke, Sehnsucht, ihn wieder zu sehen, ihr erstes Empfinden, und dennoch erschrak sie, und hätte es gern abgewendet, wenn sein Besuch ihr gemeldet ward. War er aber erst da, dann begann ein hohes genußreiches Leben. Seine Worte, seine Aeußerungen entwickelten ihr täglich eine zuvor nicht gekannte Liebenswürdigkeit, eine neue, höhere Achtung fordernde Eigenschaft an dem edlen schönen Manne, der dabei in ungeheuchelter Verehrung sich und jede seiner Handlungen ihrem Willen unterwarf. Sie hing an seinen Blicken, an jeder seiner Bewegungen, alles andre vergessend, bis irgend ein unbedeutender Zufall sie aufschreckte. Verlegen wandte sie sich dann von ihm ab, floh aus seiner Nähe oder suchte ihre, ihr selbst unbegreifliche, tiefe Beschämung hinter irgend einem kleinen Geschäft, das sie plötzlich unternahm, zu verbergen. Zwanzigmal des Tages fühlte sie sich auf diese Weise von ihm angezogen und fortgetrieben. Sie war von einer Unruhe, einer Unbestimmtheit ergriffen, die sie mit Angst erfüllten, die ihr nicht erlaubten, irgend etwas zu[199] unternehmen oder gar zu vollenden, als nur in Bezug auf Hippolit. Jene, ihr eignes Wesen wie die Welt, hellüberschauende Klarheit, war für den Moment gänzlich von ihr gewichen; Gedanken, Empfindungen stiegen in ihr auf, ihr so fremd, daß sie oft sich überredete: das Herannahen einer bedeutenden Krankheit vorzuempfinden. Ein Zufall mußte sie über sich selbst klar werden lassen, wenn gleich auf schmerzliche Weise.
Unerachtet ihres jetzt sehr merklich herannahenden höheren Alters hing Gabrielens Tante, die Gräfin Rosenberg, noch immer mit gewohnter Leidenschaftlichkeit an der Welt, an deren Freuden, und war keinesweges gesonnen, den Platz aufzugeben, den sie in ihr so lange ehrenvoll behauptet hatte. Mehr als je zuvor beruhte jetzt ihr Glück auf Glanz und Geräusch, denn sie bedurfte beides, um manchem ernsteren Gedanken zu entweichen, der sich zuweilen doch ungerufen ihr entgegendrängte. Ein einziger unbesuchter[200] Assembleeabend in ihrem Hause hätte ihr den Tod geben können. Dieß fühlend, und treu ihren früheren Grundsätzen, suchte sie daher bei Zeiten in dem sie umgebenden Kreise nach einem jungen liebenswürdigen Wesen, das fähig wäre, Gabrielens Alle herbeizaubernde Gegenwart ihr einigermaaßen zu ersetzen. Denn sie mußte leider diesen Winter über in ihrem Salon Gabrielen vermissen, weil die Pflicht diese an das Krankenzimmer des Gemahls gefesselt hielt.
Der Gräfin gewohnter Scharfblick fand gar leicht den geselligen Magnet, welchen sie suchte, in der im üppigsten Jugendreiz eben aufblühenden Ida von Schöneck, Gabrielens ehemaliger Begleiterin nach Schloß Aarheim. Seltne Schönheit und manches angenehme Talent hatten sich seit jener Zeit auf das schnellste und liebenswürdigste in diesem jungen Mädchen entwickelt. Die Gräfin konnte keine glücklichere Wahl treffen, denn der ewige Kampf zwischen einem unbegränzten Hange zum Vergnügen und sehr beschränkten häuslichen Verhältnissen machten die arme Ida zur Gefälligkeit selbst, was auch immer[201] von ihr gefordert werden mochte. Sie verließ das Haus ihrer Mutter und bezog ein Zimmer im Hotel ihrer neuen Beschützerin.
Alle Stunden, welche Toilette und Gesellschaft ihr übrig ließen, wurden dort mit unermüdetem Eifer auf den Unterricht gewendet, den ihr die Gräfin in Musik, Tanz und allen jenen Künsten geben ließ, welche in unsern verfeinerten Tagen den höchsten Schmuck der darüber selbst zur Kunst gewordnen Geselligkeit ausmachen. Von Eitelkeit gespornt, ersetzte der angestrengteste Fleiß, was hie und da die Natur versagt haben mochte, und die einmal der Dunkelheit entrißne, vor kurzem noch so unbedeutende Ida trat ganz unerwartet als eine leuchtende Sonne hervor, deren Glanz alle ihre Umgebungen überstrahlte. Der Gräfin Rosenberg Haus ward durch Ida wieder, was es stets gewesen war, der Mittelpunkt aller guten Gesellschaft in der Residenz, sie selbst schwamm in Seligkeit, und vergötterte beinahe die kleine Zauberin, welche alle diese Wunder bewirkte.
Zwar war Ida himmelweit davon entfernt,[202] Gabriele zu seyn; ihre Talente, ihr Wissen, waren nur ein oberflächlich Erlerntes, auf den Licht-Effekt berechnet; aber eben diese Licht-Effekte hatte sie meisterhaft studirt. Dazu besaß sie den Reiz der Neuheit, der frischesten Jugend und obendrein eine seltne Fähigkeit, fremde Liebenswürdigkeit sich anzueignen. Sogar das Mondenlange Zusammenleben mit Gabrielen hatte sie, wenigstens für das Aeussere, vortheilhaft zu benutzen gewußt, und nichts bezeichnet sie besser, als das französische Wort: je ne suis pas la Rose, mais j'ai habité avec elle.
Begleitet von diesem ihrem jungen glänzenden Lieblinge, trat nun die Gräfin eines Abends ganz unerwartet in Gabrielens Zimmer ein, um ihre vielgeliebte Nichte einmal wieder zu sehen, nach der sie sich, ihrer Versicherung nach, Mondenlang vergebens gesehnt hatte. Sie erklärte, den ganzen Abend bei ihr bleiben zu wollen und etablirte sich förmlich mit ihrer Knötchen-Arbeit auf dem Sopha, um dieses zu beweisen, denn der heutige Tag war eben ein allgemeiner Bußtag gewesen, der ohnehin still und mitunter auch wohl langweilig[203] selbst von denen zugebracht werden mußte, die wie die Gräfin und Ida im ewigen Wechsel des Vergnügens sich herumzudrehen gewohnt sind. Der seltne Besuch der Tante ward von Gabrielen mit gewohnter Holdseligkeit empfangen und auch Idas beinahe ungestüme Liebkosungen wurden so von ihr erwidert. Wie entzückt, warf sich diese ihr in die Arme, und ward nicht müde, ihrer Freude über dieses lang ersehnte Wiedersehen Worte zu geben.
Mit innigem Wohlgefallen und stiller Bewunderung betrachtete indessen Gabriele das, alle frühere Erwartungen weit hinter sich lassende Erblühen des jugendlichen Wesens, das noch in diesem Moment durch ein, bei Hippolits Anblick aufleuchtendes freudiges Strahlen der schönen Augen unendlich reizender ward. Sie ließ Ida lächelnd gewähren, wie man einem artig spielenden Kinde den Willen thut, als diese nun mit anmuthiger Geschäftigkeit sich der Verwaltung des Theetisches bemächtigte, dabei die in Schloß Aarheim selig verlebten Tage pries, und überhaupt alle ihre kleinen Künste spielen ließ, um[204] sich so interessant und liebenswürdig als möglich zu zeigen. In Gabrielens reine Seele kam noch immer keine Ahnung von diesen Künsten, unerachtet ihre genaue Bekanntschaft mit der Welt sie in dieser Hinsicht wohl hätte einsichtiger machen können. Sie aber war zu wahr geblieben, um an das Falsche oder Schlechte zu glauben, ehe Thatsachen davon sie unwidersprechlich überzeugten. Und so wie sie als sechszehnjähriges Kind die jugendliche frische Farbe ihrer schon damals mehr als vierzigjährigen Tante bewundert hatte, eben so ließ sie sich auch jetzt zehn Jahre später, von der gutgespielten kindlichen Naivetät eines achtzehnjährigen Mädchens blenden, ohne in ihr die geübte Schauspielerin zu erkennen. Das Vergnügen, mit dem sie dem anmuthigen Wesen zusah, stieg mit jeder Minute, ihr Auge suchte endlich Hippoliten auf, um auch ihn zur Theilnahme daran aufzufordern, doch sie ward gewahr, daß es dessen nicht bedürfe. Fest gebannt, alle seine Aufmerksamkeit ausschließend dem reizenden Geschöpfe zugewendet, sah sie ihn hinter Idas Stuhl stehen, die glänzenden Augen[205] nur auf diese geheftet, und ein ganz eignes stechendes Weh durchbebte in dem Momente ihre Brust.
Ida ward immer lebendiger in ihren Bewegungen und im Gespräche. Die ihr ganz eigne Grazie in all' ihrem Thun wurde immer sichtbarer, und Hippolit gerieth dadurch nach und nach in eine ihm jetzt seltne fröhliche Laune. Unter dem Vorwande, ihr wie wohl ehemals in Schloß Aarheim geschah, bei ihrem Geschäfte helfen zu wollen, rückte er sich einen Stuhl dicht neben den ihrigen, verwirrte lachend und schäckernd die Tassen, reichte ihr den Rum statt des Rahms, warf Zucker in die Tassen die dessen nicht bedurften, ließ sich von ihr ausschelten ohne sich deßhalb zu bessern, und trieb tausend kindische Possen, worüber sie herzlich lachen mußte, was ihr über die Maßen wohl stand, und ihn zu immer neuen lustigen Einfällen hinriß.
Die Gräfin sah dem artigen Spiele des schönen jungen Paars mit unverhehltem Vergnügen darüber zu, und begann nach Art älternder Frauen, auf diese Stunde Pläne für ihre Ida zu bauen,[206] die sie durch manchen heimlichen Wink auch Gabrielen mitzutheilen versuchte; doch diese war nicht gestimmt, sie zu verstehen.
Mit nie empfundner Angst fühlte sie in ihren Augen aufsteigende Thränen, sie wollte nach dem Beispiel der Andern den heimlichen Schmerz weglachen, aber es war ihr unmöglich. Je lustiger jene wurden, je ernster ward sie. Zum ersten mal in ihrem Leben dünkte sie sich launig, verdrüßlich zu seyn; sie strebte, ihre Verstimmung wenigstens zu verbergen, da sie nicht vermochte sie zu unterdrücken, und zuletzt hielt sie dieses sogar für überflüssig, denn sie glaubte zu bemerken, daß niemand sie beachte. Hippolit wie die Tante, hatten nur Augen für Ida, die ihren Muthwillen immer höher trieb, und dabei immer reizender ward, während Gabriele in immer steigender Angst den Abstand ihres innern Mißmuths mit der allgemeinen Stimmung empfand.
Es ist Besorgniß um Moritzen, was so mich quält, dachte sie endlich, er ist so verlassen, vielleicht schmerzlich leidend, in seinem einsamen Zimmer. Sie wünschte Hippoliten an ihn zu[207] erinnern, aber ein wunderliches Schämen hemmte ihre Worte. Sie dachte darauf, sich selbst auf einige Minuten bei der Tante zu beurlauben um nach ihm zu sehen, aber auch dazu fehlte ihr Entschlossenheit. So kämpfte sie eine ziemliche Weile mit sich selbst und ward immer ernster, als der vermeinte Gegenstand ihrer Sorge ihrer Ueberlegung ein ganz unerwartetes Ende brachte, denn Moritz selbst trat in ihr Zimmer, was er lange nicht gewagt hatte.
Heiter und wohl, wie er es seit Monden nicht gewesen, wollte er seine Gemahlin durch diesen Besuch angenehm überraschen, und ward selbst durch das lustige Treiben überrascht, in das er hier ganz unerwarteter Weise hineingerieth, und das ihm in diesem seinen Anflug von guter Laune höchst willkommen war.
Die Stunden flogen, der Abend verging ehe man es dachte. Idas naiver Witz zeigte sich unerschöpflich, ihre Fröhlichkeit unverwüstlich, so daß Moritz nach ihrer Entfernung nicht aufhören konnte, sie und den angenehmen Abend, den sie ihm gewährt hatte, zu preisen. Er erinnerte sich[208] mit einemmale, schon in Schloß Aarheim eine stille Neigung Hippolits zu dem reizenden Mädchen bemerkt zu haben, alle jene alten Neckereien und Anspielungen, mit denen er seinen jungen Freund dort oft genug gelangweilt hatte, wurden wieder hervorgeholt, und mit ernsten Ermahnungen begleitet, das Glück ja zu ergreifen und festzuhalten, so lange es ihm lächle.
Hippolit erwiderte wenig; er stand da, in ängstlicher Verlegenheit, die Moritzens Vermuthungen zu bestätigen schien, und dachte nicht daran, sich gegen Angriffe zu vertheidigen, die er kaum vernahm. Denn er sah Gabrielen bleich und leidend im Sofa hingesunken, ohne sichtbare Theilnahme an dem Geschwätz, in welches Moritzens lange nicht geübte Redseligkeit, überströmend von Albernheiten, sich ergoß. All sein Sinnen und Denken ging nur dahin, den überlästigen Schwätzer auf eine schickliche Art zu entfernen, um ihr, die er krank glauben mußte, endlich die nöthige Ruhe zu verschaffen. Es gelang ihm zuletzt, ihn auf sein Zimmer geleiten zu dürfen, aber noch in der Thüre wandte Moritz sich[209] um. »Allons Madame« rief er Gabrielen laut lachend zu, »ne faites pas la sainte Nitouche! Mustern Sie nur morgen mit Sonnenaufgang Ihre Mirthen und Rosen zum Brautkranze, ersinnen Sie ein recht elegantes Hochzeits-Cadeau; vous en aurez besoin; sehen Sie nicht hier das leibhafte Bräutigamsgesicht? Wie trübselig der arme Teufel da steht! Courage, mon ami! La petite non sarà crudele; Courage! faint heart never won fair Lady.«
Ein langer mühsam verhaltner Strom heißer bittrer Thränen machte Gabrielens gepreßtem Herzen Luft, sobald sie sich allein sah. Ernsteres Nachdenken folgte diesem während einer unendlich langen schlaflosen Nacht, bis hell und klar, wie die eben aufgehende Sonne der Abgrund von Unglück vor ihr lag, an dessen Rande sie bebte, ohne die Möglichkeit, sich abzuwenden.
Ja, sie mußte es sich endlich, ohnerachtet alles innern Widerstrebens, selbst gestehen, es war[210] Liebe was sie empfand, heiße glühende Liebe, die sie jetzt nur an ihren Qualen erkannte, und o wie himmelweit verschieden von jenem Ideale, mit welchem ihre sanfte, der unbedingtesten Hingebung geweihte Mutter schon in früher Kindheit ihr junges Herz erfüllt hatte! Wie fern stand ihr jetzt jener kindliche Glaube, daß Liebe in sich beglücke, und nur das unbedingte Glück des Geliebten fordere, um dieses irdische Leben zum seligen der Engel zu erheben. Ihr ungestüm pochendes Herz, sie konnte es sich nicht ableugnen, es forderte Gegenliebe, Treue, Nähe des Geliebten; ihr Auge verlor sich in undurchdringliches Dunkel, im welchem all' ihr Wünschen, ihr Sehnen, ihr Hoffen unausgesprochen und unaussprechlich verschwebte.
Reuevoll, mit schmerzlich gerungenen Händen, warf sie sich vor dem wehmüthig lächelnden Bilde ihrer Mutter hin, wie vor dem einer Heiligen, und betete zur ihr um Muth, um Kraft und Beistand, sich aus den mächtigen Zauberbanden loszuwinden, die sie umstrickt hielten. Sie überdachte alles früher mit Hippoliten Erlebte; sein[211] erstes Auftreten bei ihr, die Scene im Gärtchen, die spätere in der Kapelle; vergebens! Aus dem Ideal von Hoheit und Schöne, das jetzt vor ihr stand, war jede Spur jenes wilden unbesonnenen Knaben gewichen, ihn konnte sie zurückstoßen, doch dieses mußte sie lieben, mit all der schwärmerischen Anbetung, die ihr sonst nur als Dichtertraum erschienen war.
Um sich zu retten, rief sie Ottokars Andenken herauf aus ihrem Herzen, es sollte ihr helfen zum Sieg über eine Leidenschaft, deren verzehrende Glut sie mit Schrecken erfüllte. Alle frühere Erinnerungen ihrer Jugend wurden von ihr hervorgesucht, vor allem jenes Tagebuch, dessen Blätter auch das flüchtigste Empfinden ihres Gemüths während jener Zeit, die sie mit Ottokar verlebte, treu aufbewahrten. Sie wollte sich der Untreue gegen ihn anklagen, sie las, und sah mit Erstaunen, je weiter sie las, daß sie dem ersten geliebten Freunde ihres neuen jugendlichen Herzens nicht untreu sey. Was er ihr gewesen, war er ihr noch immer; der Stern ihres Lebens, zu dem sie ohne Wunsch hinaufblickte in Freude[212] und Leid, dessen bloßes Daseyn sie tröstete in allem Zweifel, allem Bangen, allem Ueberdrusse ihres freudenarmen Lebens. Zu ihm allein hätte sie sich mit allen ihren Schmerzen flüchten mögen, ohne Furcht ihn zu beleidigen, in aller Zuversicht des reinsten Vertrauens, um von ihm zu lernen, wie man über sich selbst Macht gewinnt.
Immer klarer ward sie, je weiter sie in ihrem Tagebuche las; sie gewann es über sich, ihr ganzes Ich als ein Fremdes deutlich zu erkennen, so wie auch den Unterschied zwischen Jetzt und Damals, als sie in eine fremde Welt gestoßen ward, noch halb ein Kind, mit jugendlich-neuen Sinnen, das Herz voll Sehnsucht nach Liebe, welche die nur in ihrer Ideenwelt lebende Mutter viel zu früh in ihr erweckt hatte. Verlassen, unbemerkt, auch wohl verspottet stand sie damals da, ohne Schutz, ohne Sicherheit, in furchtsamer Verlegenheit mitten unter fremden Gestalten, die kalt und achtlos an ihr vorüber rauschten, bis er erschien. Er, Ottokar! so hoch über alle jene Figuranten erhaben, daß sie in ihrer Unerfahrenheit ihn wie eine göttergleiche Erscheinung nur[213] aus der Ferne bewundernd verehrt hätte, wär' er ihr nicht zugleich auch der erste Mann gewesen, den sie mild und gütig sah, und hätte sie nicht einzig deshalb sich ihm näher als Alle verwandt wähnen müssen. Ihr durch den Tod einer angebeteten Mutter tief verwundetes Gemüth bedurfte eines Gegenstandes für die ängstlich suchende verwaiste Liebe, von der es überfloß, und wo war ein würdigerer zu finden als Ottokar? Sie nahte ihm in fast kindlicher Verehrung, sie wagte es, ihn zu lieben – so wie sie ihre Mutter geliebt hatte; und wähnte ihre Bestimmung erfüllt. Sie kannte ja keine andre Liebe, und konnte keine kennen als aus ihren Dichtern, deren Gebilde, von ihrer Mutter gewarnt, sie weit entfernt war in der Wirklichkeit zu suchen. Aber auch er schien achtlos an ihr vorüberzugehen, wie die übrigen, der Schmerz darüber täuschte ihr Bewußtseyn, und führte endlich jene feierliche Stunde voll Wonne und Schmerzen herbei, deren Andenken sie bis jetzt in einem schönen Irrthum über sich selbst erhalten hatte.
Und nun! Zu neuem, nie geahnetem Leben[214] war sie erwacht, zu nie gedachten Schmerzen und Wonnen. Jetzt erst verstand sie ihre Dichter, jetzt erst die Natur um sich her. Eine neue Sprache, neue Begriffe und Ansichten waren mit diesem neuen Leben ihr gewonnen, ihr war, als erhöbe sie sich aus langem, traumbewegten Schlummer zum Licht. Mit richterlichem Ernst überblickte sie ihre Vergangenheit; sie wollte sich schuldig finden, aber sie konnte nie ungerecht seyn, auch nicht gegen sich selbst. Ihr heller Geist hatte endlich den rechten Standpunkt gefunden, und sie gestand sich, einer Gefahr erlegen zu seyn, die sie nicht erkannt hatte, und ihrer Natur nach nicht erkennen konnte. Sie fühlte sich schuldlos an dem Irrthum ihres reinen, nichts ahnenden Gemüths; sie fühlte, daß schon ein Grad von Verderbtheit dazu gehört, um ewig sich selbst zu bewachen und Gefahren zu fliehen, deren Möglichkeit wahre Unschuld nie sich denken kann, und ihre unbedachte Sicherheit, die sie nicht verdammen konnte, obgleich sie sie als den Quell ihres Unglücks betrachten mußte, flößte ihr Mitleid mit sich selbst ein.[215]
Dieß reine Bewußtseyn ermuthigte sie endlich wieder zu der Festigkeit und Kraft des Gemüths, die schon so oft in ihrem Leben ihr aus jener schmerzlichen Versunkenheit emporhalf, in welcher Schwächere untergehen.
»Herr meines Empfindens bin ich nicht, und kann es nicht seyn, doch Herr meiner Handlungen will ich seyn!« sprach sie, und fühlte sich in dem Momente erhaben über sich und ihr Geschick.
Den ganzen langen Tag, den sie unter dem Vorwande eines leichten Uebelbefindens ganz einsam in ihrem Zimmer verlebte, verwendete sie zum ernsten Ueberdenken, wie das Unabänderliche würdig zu bestehen sey. Hippoliten abermals von sich zu entfernen! Wüthender unaussprechlicher Schmerz durchzuckte sie bei dem bloßen Gedanken an dieses Opfer, das ihr schwerer als der Tod dünkte, aber sie hielt ihn fest. Doch wie? wie sollte sie ihn entfernen? unter welchem Vorwande? ihn, der durch sein Betragen sie auch nicht auf die entfernteste Weise zu einem solchen Schritte berechtigte, der in inniger ehrfurchtsvoller Ergebung nichts wollte, als in ihrer[216] Nähe athmen; der keine Aufopferung scheute ihr dieses zu beweisen und daneben ihr trübes Leben auf tausendfältige Weise zu schmücken! Wahrscheinlich hatte er jene jugendliche leidenschaftliche Aufwallung längst auf ewig besiegt, wohl gar vergessen, die er einst für die Bestimmung seines Lebens hielt, und von deren Daseyn seit seiner Rückkehr aus Rom, jede Spur in seinem Betragen gegen sie verschwunden war. So verwandelt wie sein ganzes Wesen, war vielleicht auch sein Herz, und nur Mitleid, Dankbarkeit und hoher Edelmuth fesselten ihn noch an sie. Ihre Liebe, die einst das höchste Ideal von Seligkeit ihm schien, würde jetzt vielleicht nur in wehmüthiger Trauer über ihre Schwäche ihn niederdrücken; und wenn gerade ihre Bitte sich zu entfernen ihm ihr Geheimniß verriethe, wenn er dadurch entdeckte – Gabriele vermochte es nicht den Gedanken zu vollenden; mit hohem Erröthen, mit dem ängstlichsten Gefühle der tiefsten Beschämung verhüllte sie sich vor dem Lichte des Tages, vor sich selbst, und träumte dabei doch eine Minute lang von der Himmelsseligkeit, ihm einmal[217] nur sagen zu dürfen: »dich habe ich geliebt!« und dann zu sterben!
Schaudernd wie vor einem Verbrechen, eilte sie, von diesem Gedanken sich loszureißen. Sie wußte es, sie mußte leben, sie war bestimmt, den blutigen Pfeil im Busen zu tragen und gleichgültig dazu lächelnd, ihren Weg zu gehen, wenn er gleich zum Untergange führte.
Mit möglichster Gelassenheit begann sie jetzt, über ihr künftiges Verhalten gegen Hippoliten nachzudenken; sie wollte eine Richtschnur ihres Lebens in seiner gefahrvollen Nähe ersinnen, und sah bald ein, daß beinah alles bleiben mußte wie es war, wenn sie nicht in ihm und vielleicht auch in ihrem Gemahle Aufmerksamkeit, sogar Argwohn erregen wollte. Im Aeussern war so wenig abzuändern, und in ihrem Innern, das fühlte sie mit Ueberzeugung, konnte es nie anders werden. Trennung von ihm konnte sie zwar vor Verrath ihres heiligsten Geheimnisses bewahren, aber sein Bild stand auf ewig in unverlöschlichen Zügen ihrem Herzen eingegraben, und Abwesenheit oder Gegenwart galten hier gleich.[218]
Schnell wie ein Blitzstrahl durchzuckte sie plötzlich der Gedanke: wie wenn auch ihn heilige Pflichten bänden! wenn er, glücklich an der Seite eines geliebten Wesens, von selbst sich nach und nach entfernte, und beseligt durch alle die süßesten Bande des häuslichen Lebens, nun immer seltner käme, zuletzt ganz ausbliebe? Tausendmal schöner und reizender als sie gestern Ida gesehen hatte, schwebte diese ihrem Geiste vorüber; abermals sah sie Hippolit in Bewunderung des anmuthigen Wesens verloren, der ganze Abend des vergangenen Tages, selbst Moritzens plumpe Scherze und Anspielungen kehrten ihr zurück, und alle Schmerzen der fürchterlichen Nacht, die darauf folgte, wurden wieder in ihrem Busen wach. Ida ward das Gebilde ihrer Fantasie, das sie zu ihrer eignen Qual mit jedem Liebreize verschwenderisch sich schmückte. Je länger sie es betrachtete, je überzeugter ward sie, daß nur dieses jugendlich schöne Wesen werth sey, den Gegenstand ihrer eignen glühenden Liebe zu beglücken, daß es für ihn geschaffen, einzig bestimmt, von ihm geliebt zu seyn. Ein neuer schwerer Kampf[219] erhob sich in ihrem Gemüthe, aber auch aus diesem trat ihr besseres Selbst bald wieder siegreich hervor. Edlen Seelen gilt die schwerste Pflicht oft für die Einzige, daher ward auch bald in Gabrielens Gemüthe der Entschluß fest: Hippoliten selbst zu einem Schritt aufzufordern, zu welchem ihre Einwilligung zu erbitten, ihm vielleicht der Muth gebrechen möchte. Ihr Gefühl bei dem Gedanken an die Ausführung dieses Entschlusses läßt sich nicht in Worten aussprechen, aber sie schwelgte in ihrem Schmerz, ohne Linderung zu suchen, als in dem Bewußtseyn, das Rechte erwählt zu haben, für sich und für ihn.
Eine zweite, wenn gleich minder stürmisch, doch nicht minder schmerzlich durchwachte Nacht führte endlich den Morgen herbei, den Gabriele dem höchsten Opfer geweiht hatte, das sie der Pflicht und dem Glück des Hochgeliebten bringen zu müssen glaubte.
Die bängste Sorge um sie, die er ernstlich[220] krank glaubte, trieb indessen Hippoliten lange vor der sonst gewohnten Stunde an Gabrielens Thüre. Er war die ganze Nacht hindurch bis zum grauenden Morgen vor ihrem Hause auf- und abgegangen, hatte zu ihren Fenstern hinaufgeblickt und diese mit unaussprechlicher Angst von einem weit helleren Licht erleuchtet gesehen, als die verschleierte nächtliche Lampe geben konnte, deren schwachen Schimmer er in ruhigen Nächten so oft von dieser Stelle aus beobachtet hatte. Er sah an den herabgelassenen grün-seidenen Rouleaus Gabrielens Schatten einigemal vorüberschweben; er hielt ihn für den ihrer, um sie beschäftigten Frauen, und dachte vor ungeduldiger Sorge dabei zu vergehen. Um so freudiger überraschte ihn jetzt die kaum gehoffte Erlaubniß, sie sehen zu dürfen; denn die kurze Trennung eines einzigen Tages dünkte dem Verwöhnten, schon unerträglich lange gewährt zu haben.
Anfangs stockte das Gespräch. Gabriele schwieg oft und lange; sie schien bleich und erschöpft, Hippolit glaubte sie noch immer körperlich leidend, und verhielt sich ebenfalls still und[221] in bescheidner Entfernung, um ihr nicht lästig zu werden; er war ja zufrieden, sie nur zu sehen.
Mit der äußersten Anstrengung ihrer geistigen Kraft begann Gabriele endlich, das, was in ihr so stürmisch wogte, ruhig zur Sprache zu bringen. Idas Name glitt zuerst fast unverständlich über ihre Lippen, doch nach und nach ermuthigte sie sich. Immer lebhafter werdend, sprach sie endlich von ihr, ihrer Schönheit, ihrer Anmuth, ihren geistigen Vorzügen, wie eine Begeisterte; auch war sie es in diesem Moment durch das Bewußtseyn des mit fast übermenschlicher Kraft errungnen Sieges über sich selbst.
Hippolit hörte ihr indessen mit lächelndem Beifall zu, wie man etwa die geistreiche Beschreibung eines schönen Gemäldes anhört. Er war so himmelweit davon entfernt, nur eine Ahnung von dem zu haben, was Gabriele mit ihren Worten eigentlich meinte, daß er sogar nur jetzt erst durch sie wieder an Idas liebliche Erscheinung erinnert ward, die ihn zwar während eines flüchtigen Moments recht angenehm beschäftigen konnte, die aber sammt den Ereignissen[222] des mit ihr verlebten Abends, über der Besorgniß um Gabrielen von ihm gänzlich vergessen worden war. Die unerwartete Gegenwart der Gräfin Rosenberg hatte ihn damals wie immer sehr unangenehm berührt, denn er ward durch sie stets an Herminien und an einen Abschnitt in seinem Leben erinnert, dessen er nie ohne tiefe Beschämung und Reue gedenken konnte. Bewacht von ihren scharfen stehenden Augen, die ihn immer verfolgten, als wollten sie seine geheimsten Gedanken erspähen, mochte er es in ihrem Beiseyn kaum wagen, Gabrielen anzusehen, doch da er gern unbefangen und heiter erscheinen wollte, so war er darüber in jenen ihm sonst fremden Ton gerathen, in welchen Ida so meisterhaft einzufallen wußte, daß sie ihn viel weiter mit sich fortriß als er es anfangs gemeint hatte.
Jeder von uns hat ja wohl im Leben erfahren, wie leicht man gerade in recht trüber Stimmung, um diese zu verbergen, sich den Schein ungewohnter Lustigkeit zu geben sucht, die dann leicht in ein wildes freudenloses Toben ausartet,[223] und späterhin in nur noch herberen Schmerz sich auflöst.
Gabriele, durch Hippolits schweigende Aufmerksamkeit in ihrer Ansicht immer mehr bestärkt, begann indessen immer deutlicher das anzudeuten, was sie meinte, ohne daß Hippolit sie verstand. Und als er endlich denn doch aufmerksam ward, Gabrielen einiges erwiderte, und ihre Antworten ihn immer mehr ins Klare setzten, da suchte er nur den Zweck eines Scherzes aufzufinden, der so ganz dem bittersten Ernste glich, und den er dafür zu nehmen sich doch unmöglich entschließen konnte. Zum erstenmal erschien Gabriele ihm fremd und unbegreiflich; er gerieth dadurch in eine peinliche Spannung, die sie ebenfalls verkannte, weil auch sie, vom Gange ihrer eignen Ideen hingerissen, ihn nicht mehr verstand. Seine immer steigende Verwirrung, seine unzusammenhängenden Reden schienen ihr ein Bekenntniß, das ihm, sie fühlte dieß in seiner Seele, freilich schwer werden mußte, vor ihr auszusprechen. Ihr Herz brach dabei, aber ihre Stimme, ihre Blicke blieben fest, ihre Augen trocken, als sie[224] nun endlich in deutlichen Worten sich erbot, selbst für ihn bei Ida zu sprechen.
Als wäre aus blauer Luft ein Blitzstrahl vor ihm niedergeschmettert, so, von bleichen Schrecken ergriffen, fuhr Hippolit jetzt von seinem Sessel auf; sie sank völlig erschöpft zurück, und eine bange Pause entstand, während welcher kein Laut den bebenden Lippen beider sich zu entringen vermochte.
»Ist es möglich?« rief endlich Hippolit mit unendlich schmerzlichem Ton und Blick. »Gabriele! was habe ich verbrochen, daß Sie so mich strafen? Jetzt erst verstehe ich Ihre Meinung; ich werde zum zweitenmal verbannt. Doch weshalb? und warum so? O Gabriele! und warum eben so? Wie ist es möglich, daß ich so ganz und gar keiner Schuld mir bewußt bin, und doch schwer genug gefehlt habe, um dieses zu verdienen? Ich sehe es wohl, gnädige Frau! ich habe Ihre Achtung, mein einziges Glück verscherzt, denn Sie, Sie sonst so wahr und offen gegen jedermann, Sie sind es nicht mehr gegen mich!«[225]
Vom Schmerz überwältigt, wandte sich hier Hippolit mit verhülltem Gesicht von Gabrielen ab, während sie vergebens nach Athem rang zu beruhigenden tröstenden Worten.
»Gnädige Frau,« begann Hippolit wieder mit einem ganz eignen, an Verzweiflung gränzenden Ausdrucke, »ich flehe,« rief er halb knieend, »ich flehe darum wie ein Schwerverwundeter um den Tod, sagen Sie mir: ich sey unwürdig in Ihrer Nähe zu athmen, sagen Sie mir, ich soll fort, ich soll aus der Welt, ich will nicht mehr fragen, warum? denn sie können nicht ungerecht seyn; aber sagen Sie es mir nur unumwunden, geben Sie es mir nur nicht so zu verstehen, nur nicht so! O mein Gott, nur nicht so!«
»Ich wollte – ich will Ihr Glück!« hauchte Gabriele fast unhörbar.
»Mein Glück!« erwiderte Hippolit, »Sie wollten mein Glück! und zeigen mir deshalb, daß es noch ein höheres Unglück für mich giebt als das, von Ihnen verbannt zu seyn, ein Unglück, dessen Möglichkeit ich vor einer Stunde noch nicht ahnen konnte! Gabriele achtet mich[226] nicht mehr ihrer Befehle würdig, sie will mich nicht ausdrücklich verbannen, sie will mich vertreiben. Dagegen freilich ist Verbannung Seligkeit!« rief er, wie außer sich. Doch mitten im höchsten Sturme seines empörten Gemüths fiel ein Strahl aus Gabrielens jetzt überquellenden Augen auf ihn und er verstummte. Gefaßter näherte er sich ihr nach einigen Augenblicken, und betrachtete sie mit immer steigender Wehmuth.
»Oder wäre es möglich? konnten Sie wirklich wähnen?« fragte er jetzt so sanft und leise als er es nur vermochte, »konnten Sie es? Nein es ist unmöglich! eben so unmöglich, als daß Sie zu einer Ehe ohne Liebe mich führen, mich zum Heuchler, zum Meineidigen herabwürdigen wollten. Verzeihung, daß ich in dieser Trostlosigkeit einen Gedanken nur zu berühren wage, der Ihnen so fern steht. Einmal nur noch würdigen Sie mich Ihres Vertrauens, um meine Zweifel zu lösen,« setzte er bittend hinzu, »Ihr Schweigen treibt mich sonst dem Wahnsinn entgegen, ich flehe darum, erklären Sie mir, was[227] meine schwachen Sinne zu begreifen nicht vermögen.«
Gabriele sammelte jetzt alle ihre Kraft, um ihm mild und begütigend die zitternde Hand wie zur Versöhnung zu reichen. Er hielt sie, doch wagte er es nicht, sie an seine Lippen zu drücken, sein Auge ruhte in angstvoller Erwartung auf dem ihrigen. »Ich wollte Ihr Glück,« wiederholte sie endlich, »ich will es stets, ich werde es immer wollen, möge dieß Ihnen genügen, forschen Sie nicht weiter.«
»Mein Glück?« rief er sehr bewegt. »Und wo ist es außer bei Gabrielen? O lassen Sie es stets nur bleiben wie es war! ich verlange ja nichts Höheres. Lassen Sie mich nur in Ihrer Nähe, nur täglich Sie sehen, mehr will ich nicht, doch hieran hängt mein Leben.«
»Gabriele!« fuhr er nach einer kleinen Pause fort, »Sie sind bewegt, erschöpft, und alles in dieser Stunde Vorgegangne ist mir so unbegreiflich! doch ich frage nicht, ich forsche nicht. Nur ein Blick, ein Wink sage mir, daß auch Sie des Gegenstandes dieser Unterredung nie wieder[228] erwähnen wollen, nur dieß gewähren Sie mir, und ich bin wieder ruhig.«
Mit schmerzlichem Lächeln hob Gabriele das trübe Auge zu Hippoliten auf und senkte hocherröthend schnell es wieder.
Ein Blick drückte Hippolits Dank aus. Ruhiger setzte er dann hinzu: »Ich sehe es aus Ihrem Schmerze, ich fühle es in meiner Brust, es war nicht Gabriele selbst, die vorhin jene entsetzlichen Worte zu mir sprach, aus dieser reinen Seele konnten sie nicht kommen. Ich ahne fremde Einwirkung; vielleicht war es Ihr Gemahl, vielleicht sogar – nein ich frage, ich forsche nicht weiter,« setzte er schnell hinzu, da er Gabrielens Bewegung bei diesen Worten bemerkte; »ich will sogar jetzt Sie der Ruhe überlassen, deren Sie so sichtlich bedürfen, ich gehe freudig, denn ich darf zur glücklichen Stunde wieder kommen, und bin nicht verbannt.«
[229]
Der Zustand, in welchem Gabriele nach Hippolits Entfernung allein zurückblieb, läßt sich kaum in Worte fassen. Lange ruhte sie in jener stillen wehmüthigen Ermattung, der treuen tröstenden Nachfolgerin zerreißender Schmerzen, in der wir es nicht wagen, uns zu regen, kaum zu athmen, und nur ganz leise, leise uns sagen: es ist überstanden!
Vieles war in der That überstanden. Die Qualen gehässiger, dem Neide und dem Mißtrauen doch immer nah verwandter Eifersucht waren aus Gabrielens reiner Brust gewichen; das Opfer, welches sie der Pflicht und dem Glücke des Geliebten mit brechendem Herzen zu bringen bereit gewesen, wurde nicht von ihr gefordert und er war unwandelbar derselbe geblieben, in verschwiegner Liebe, stiller Ergebung und fester Treue! Das freudige Gefühl gänzlich niederzukämpfen, das bei diesem Bewußtseyn unter Schmerzen und Wonnen in ihr rege werden mußte, überstiege wohl jede menschliche Kraft.
Doch allmählig gelangte sie zu hellerem Ueberdenken dessen, was die so ganz veränderte Ansicht[230] ihres Verhältnisses und selbst der nächste Moment von ihr fordern mochten. Sie rief sich mit aller möglichsten Treue ihr Betragen und jedes ihrer Worte während der eben durchlebten erschütternden Scene zurück, und gewann wirklich die beruhigende Ueberzeugung, sich und ihr Geheimniß Hippoliten auf keine Weise verrathen zu haben. So konnte sie denn mit der Vergangenheit zufrieden seyn; für die Zukunft blieb ihr kein Ausweg, als nach Hippolits Beispiel ihr Inneres fest zu verschleiern und übrigens, getreu der Tugend und ihrem eignen innern Gefühl des Rechten, muthig und getrost auf der gewohnten Bahn fortzugehen. Ihr klarer Sinn erkannte zu gut den Unterschied zwischen Schuld und Unschuld, zwischen Pflicht und überspannter Unnatur, als daß sie bei diesem Entschlusse sich der Unwahrheit gegen Hippoliten oder ihren Gemahl hätte zeihen können. Und so war sie denn abermals bereit, ihrer eignen Ueberzeugung gefaßten Sinnes zu folgen.
[231]
Jene innere Feigheit, die uns verleitet, einem unausweichbarem Schmerze so lange als möglich aus dem Wege zu gehen, war Gabrielens entschloßnem Gemüth stets fern geblieben, daher gewann sie es auch diesesmal über sich, Hippoliten noch am Abend des nehmlichen Tages in Moritzens Beiseyn wieder zu sehen. Er fand sie wie sonst, freundlich und mild, wenn gleich übrigens ermattet und bleich, und war zu glücklich im Gefühle des alten unzerstörten Verhältnisses zu ihr, als daß er sich beobachtenden Muthmaßungen über die nächste Vergangenheit hätte hingeben mögen. Beide wandelten eine Weile neben einander so hin, er ohne Hoffen, fast ohne Wunsch, weil jeder seinem der innigsten Ergebung geweihten Gemüthe anmaßend dünkte. Sie in aller Wonne des Bewußtseyns, so geliebt zu seyn, in aller Qual eines ewigen fruchtlosen Kampfes mit sich selbst, in ewiger Anstrengung, jeden ihrer Blicke, jedes ihrer Worte zu bewachen, um nicht zu verrathen, was ihre bewegte Brust oft bis zum Zerspringen erfüllte.
Das Letztere gelang ihr so, daß in Hippolits[232] Seele keine Ahnung dessen kam, was sie ihm verbergen wollte; ihr Geist siegte unter dem heiligen Schutze der Tugend, doch ihre körperliche Kraft erlag der ungeheuern Anstrengung. Moritzens höchst beschwerliche Pflege während seiner langen Krankheit mochte ohnehin ihre sonst so blühende Gesundheit untergraben haben, sie erkrankte, und die herbeigerufnen Aerzte erklärten ihr Uebel für um so bedeutender, da man sogar nicht einen Namen dafür sogleich aufzufinden wußte.
Fast zu gleicher Zeit kehrte auch Moritzens peinliches Leiden mit verdoppelter Heftigkeit zurück, und Hippolit sah sich zwischen beiden Krankenzimmern in einer ganz unbeschreiblichen Lage. Während Herr von Aarheim durch alle die vielen Ansprüche an ihn seine Geduld aufs äußerste brachte, hätte Hippolit jede Minute mit einem Tage seines künftigen Lebens erkaufen mögen, in der es ihm vergönnt gewesen wäre, Gabrielen nur aus der Ferne zu sehen. Aber das Herkommen, das man so gern strenge Sitte nennt, hielt unerbittlich Wache an ihrer Thüre,[233] und übergab die angebetete Frau der Pflege gemietheter Hände. Gabriele, in deren Bewunderung sich sonst alles erschöpfte, wenn sie, von Glanz und Pracht umgeben, sich zeigte, sie, der sonst überall die innigsten Freundschaftsversicherungen entgegenstürmten, sie fand jetzt in der ganzen großen volkreichen Stadt keine einzige liebende Seele, die sich ihrer Pflege angenommen hätte. Daß der Tante längst bekannte Scheu vor Krankenzimmern diese und auch Ida von diesem ebenfalls entfernt hielt, versteht sich von selbst; aber auch die treue Annette war nicht zugegen, denn sie lebte jetzt in Lichtenfels, wo sie an einen der dortigen Beamten recht glücklich verheurathet war.
Hippolit schrieb in seiner Todesangst an Ottokar, an Ernesto, an Frau von Willnangen, die er gar nicht kannte, er hätte mit einem einzigen Schrei die ganze Welt zu Hülfe rufen mögen, und mußte sich begnügen, an der Thüre ängstlich zu lauschen, bis der Arzt oder jemand von Gabrielens Bedienung heraustrat und ihm versicherte, daß sie noch athme. Die Aerzte wichen[234] ihm aus, wo sie nur konnten, denn er quälte sie mit Fragen und Bitten, denen sie nichts bestimmtes entgegen zu setzen hatten. Oft wenn es ihm im Hause zu enge ward, lief er hinaus auf die Straße und starrte hinauf zu denen verödeten Fenstern, aus welchen so manches freundliche Grüßen und Winken ihm sonst entgegengelächelt hatte, bis die vorübergehenden Leute stille standen und ihn verwundert angafften. Dann erschrak er beschämt über seine Unvorsichtigkeit, eilte fort und nahm sich von neuem vor, so lange Gabriele athme, strenge zu halten was er ihr gelobte.
Endlich kam ihm Trost, denn noch ehe die Antwort auf Hippolits Brief zu erwarten gewesen wäre, erschien Frau von Willnangen selbst. Sie hatte sich gleich nach dem Empfang desselben in ihren Wagen geworfen. Hippolit empfing sie wie man einen Rettung und Heil verkündenden Engel empfängt; er hätte gern dankbar ihre Knie umfaßt, da sie ihm entgegentrat. »Nun wird alles, alles gut, und Gabriele uns wiedergeschenkt!« rief er beinahe jubelnd aus, während[235] er sie bis zur Thüre des Zimmers der geliebten Kranken mehr trug als geleitete.
Hippolit hatte mit prophetischem Geist gesprochen. Freude über das unverhoffte Wiedersehen der theuern Beschützerin ihrer Jugend, vielleicht auch sorgsamere Pflege von der Hand der Freundschaft übten an Gabrielen eine höchst wohlthätige Wunderkraft aus, so daß die Aerzte sie nach wenigen Tagen für gerettet erklären konnten. Freilich vergingen von nun an noch Wochen, bis sie, völlig hergestellt, das Zimmer verließ, doch Hippoliten war es unter dem Schutze der Frau von Willnangen jetzt zuweilen erlaubt, sie zu sehen, und mehr bedurfte es nicht, um ihm das Leben wieder liebzumachen.
Der Tag, an dem sie am Arme ihrer Freundin zum erstenmal aus ihrem Zimmer hervorging, war ihm ein heiliges Fest. Unwillkürlich beugte er das Knie, als die rührende Gestalt, leicht und ätherisch, wie eine Auferstandne ihm entgegenschwebte. Sie wollte ein paar freundliche Worte ihm lächelnd sagen, aber der Athem fehlte ihr; nur ein leises Roth, wie der Abglanz, den[236] die vollblühende Zentifolie auf die neben ihr stehende silberweiße Lilie wirft, überflog mit einem flüchtigen Hauche das schöne Gesicht, während Hippolit, ebenfalls schweigend, die Hand der Frau von Willnangen dankbar an seine Lippen drückte und nur den feuchten glänzenden Blick zu Gabrielen erhob.
Gabriele fand ihren Gemahl mit Anstalten zu einer großen Reise vollauf beschäftigt. Die Bäder von Pisa und die wärmeren italienischen Lüfte waren ihm als einziges Rettungs- und Linderungsmittel verordnet worden, und er hatte Gabrielens Herstellung bis jetzt mit der größten Ungeduld erwartet, weil er auf ihre Begleitung rechnete. Doch ihre fortdauernde Schwäche schien die Möglichkeit derselben auf viele Monate hinausschieben zu wollen, und er, der wenig Zeit zu verlieren hatte, sah sich deßhalb durch den Ausspruch der Aerzte genöthigt, einstweilen, wenn gleich ungern, darauf zu verzichten. Ein geschickter[237] angehender Arzt, der gerne diese Gelegenheit benutzte, Italien zu sehen, erbot sich indessen, während der Reise die Pflege des Kranken zu übernehmen, und sein Erbieten wurde um so lieber angenommen, da ihn Moritz schon seit geraumer Zeit als einen vorzüglich heitern Gesellschafter und ausgezeichnet-guten Schachspieler kannte.
Nach der Abreise ihres Gemahls blieb Gabriele in so wunderbar-schwankendem Zustande zurück, daß Frau von Willnangen es gar nicht wagen mochte, ihre Rückreise nach Lichtenfels zu den Ihrigen nur zu erwähnen. Zwar war Gabriele eigentlich nicht mehr krank zu nennen, denn kein merkliches Fieber, kein entschieden-schmerzhaftes Empfinden quälte sie am Tage oder raubte ihren Nächten den Schlaf. Ihr Auge strahlte heller als je, ihr ganzes Wesen zeugte von erhöhtem innern Leben, aber eine unerhörte Mattigkeit lähmte und hemmte jede, noch so wenig anstrengende Aeußerung desselben, und zwang sie oft Stundenlang, nur mit den Augen zu ihren Lieben zu sprechen. Jeder Tag schien sanft[238] und linde die Lösung eines nahen Bandes der gefesselten Psyche zu beginnen, die schon jetzt freier sich bewegte und, halb der ewigen Heimath zugewendet, dem schwindenden Erdenleben noch wie zu guter Letzt alle Liebe und Theilnahme zeigte, die sie ihm noch zuzuwenden vermochte.
Abends sank Gabriele oft wie halb vernichtet hin, wenn die fragelustige Schar gewöhnlicher Besuche an ihr vorübergerauscht war, denen sie jetzt während der Entfernung ihres Gemahls wenigstens auf ein paar Stunden des Tages ihre Thüre öffnen mußte, wollte sie um der Welt willen sie nicht auch zugleich Hippoliten verschließen.
Die Kunst der berühmtesten Aerzte der Residenz wurde aufgeboten; Frau von Willnangen wachte mit unermüdlicher Sorgfalt über die geliebte Tochter ihres Herzens, und war nur bedacht, Unangenehmes oder Schädliches von ihr zu entfernen. Hippolit brachte alles herbei, war es noch so selten, noch so schwer zu erhalten, was er nur irgend zur Erquickung oder Pflege[239] der geliebten Leidenden ersinnen konnte; doch ihr Zustand blieb immer und unabänderlich derselbe. Früh, beim ersten Morgengruße, fand Frau von Willnangen sie oft in wehmüthigem Nachdenken versunken, aber so wie die Freundin sich zeigte, erglänzte ihr Blick wie gewöhnlich; sie winkte sie zu sich und lehnte schmeichelnd das Haupt voll lichter Locken an ihre Brust; ein liebseliges Lächeln glitt über dem bleichen Gesichte hin, wie ein winterlicher Sonnenstrahl über ein Schneegefilde, und die durchsichtig zarte blendende Hand strich freundlich unter beruhigenden Schmeichelworten jede sorgliche Falte von der Stirne der geliebten mütterlichen Frau. So blieb Gabriele gewöhnlich den ganzen Tag über, bis sie Abends, gänzlich erschöpft, dem Schlummer sich zuneigte, stets liebevoll, freundlich und ihren Freunden in heitrer Aufmerksamkeit zugewendet. Nur wenn ihr Blick auf Hippoliten, von ihm ungesehen, ruhen konnte, dann zuckte zuweilen ein schmerzliches, dem Weinen nahverwandtes Lächeln um die sanftgeschloßnen Lippen. Eine ängstlich unbestimmte Ahnung ergriff dann oft das Herz der[240] Frau von Willnangen, denn ihrem stets wachen Blicke durfte auch nicht die kleinste Bewegung ihres Lieblings entgehen. Zuweilen stiegen aber auch in solchen Momenten freudigere Hoffnungen in ihr auf, ähnlich denen, welche Ottokar sich zum Troste ersann. Ernestos frühere Briefe aus Italien hatten die edle Frau längst zur Vertrauten Hippolits gemacht, ohne daß dieser es ahnete, und sie bemerkte jetzt in schweigender Bewunderung, wie treu er seine glühende Liebe und seine bange Sorge mit gleicher Anstrengung und, wie sie glaubte, auch mit gleichem Glücke Gabrielen zu verbergen suchte. Nur wenn der Zufall die Freundin der Heißgeliebten mit ihm allein zusammenbrachte, dann rief ein einziger zitternder Druck seiner Hand, ein einziger schmerzenvoller Blick ihr seine innere Qual weit deutlicher zu, als Worte es vermocht hätten. Doch blieb jede laute Klage fern von ihm; denn, wo hätte er anfangen sollen und wo enden? Aber das weiche Herz der Frau von Willnangen zerfloß dennoch in Mitleid mit dem Armen. »Lassen Sie uns auf den Frühling hoffen, guter Graf[241] Hippolit!« sprach sie in solchen Stunden ihm oft zum Troste. »Im Frühlinge richten alle Blumen sich wieder auf, auch unsre schöne Freudenblume wird in ihm wieder erblühen, lassen Sie uns nur getrost die nahe Zeit erwarten.«
Der Frühling kam, mit seiner Herrlichkeit, mit seinem milden belebenden Hauche. Ueberall sproßten neue Blumen, überall erwachte das schlummernde Leben, aber Gabrielens Zustand blieb sich gleich, ohne alle merkliche Abänderung weder zum Schlimmern noch zum Guten, und die bange ängstliche Besorgniß ihrer Freunde stieg peinlicher mit jedem Tage.
Endlich kam es dahin, daß den Aerzten nichts übrig blieb, als die gewöhnliche Zuflucht in Fällen, wo ihre Kunst sie verläßt, der Rath: Heil und Genesung in einem ruhig ländlichen Aufenthalte und in frischer Waldesluft zu suchen.
»Ja auf dem Lande!« rief, als sie dieses vernahm, Gabriele mit ungewohnter Lebendigkeit.[242] »Ja auf dem Lande, da werde ich genesen; in Schloß Aarheim, wo ich geboren ward! Dorthin liebe Frau von Willnangen, dorthin bringen Sie mich, dort wird es mit mir besser werden, ich weiß es. In den Armen meiner zweiten Mutter werde ich in Schloß Aarheim alles Weh schwinden sehen, und ein neues Leben beginnen!«
Eine eigne Bangigkeit bemächtigte sich der Frau von Willnangen bei diesen, in fast prophetischer Begeisterung ausgesprochnen Worten, so tröstlich sie übrigens klangen, und auch Hippolit, der eben zugegen war, fühlte sich sonderbar dabei ergriffen. Gabriele bemerkte es, und strebte durch erheiterndes Gespräch den Eindruck wieder zu verlöschen, den sie unwillkührlich bei ihren Lieben erregt hatte. Sie sprach viel von der wilden ernsten Pracht ihres Gebürges und von dem ehrwürdigen Ansehen und Alter ihrer Burg.
»Sie können mich jetzt doch nicht verlassen!« setzte sie hinzu, den bittenden Blick zur Frau von Willnangen erhoben. »Sie müssen ja die Wiege ihres Kindes sehen, und den Ort, wo meine Mutter lebte; ach! wie werden meine armen[243] alten Burgbewohner sich wundern und freuen, wenn sie die Nievergessene in ihrem hochverehrten Ebenbilde wieder unter sich wandeln zu sehen glauben werden!«
»Mein Kind, mein herzliebes Kind, meine Gabriele!« rief Frau von Willnangen und nahm sie recht liebend in ihre Arme; »wie könnte ich jetzt von Dir gehen, so lange Du meiner Pflege noch bedarfst? Mögen die Meinigen noch immer mich ein Weilchen entbehren; Auguste hat ihre Kinder und den Oheim, die geben ihr Freude und Beschäftigung, wenn gleich Adelbert, von mancherlei Geschäften behindert, jetzt wenig daheim ist. Ich weiß, sie selbst würde mich schelten, wenn ich ohne die Gewißheit deiner völligen Genesung zurück käme.«
Beide Frauen vertieften sich nun im Gespräche über die Vorkehrungen zu dieser kleinen Reise, die sie, von Gabrielens sehnsüchtiger Ungeduld getrieben, gleich in den nächsten Tagen anzutreten beschlossen. Hippolit blieb dabei ein stummer Zuhörer, während Gabrielens hochklopfendes Herz ihr nicht erlaubte, ihm nur einen Blick, vielweniger ein Wort, zuzuwenden. In banger Ungewißheit[244] sprach sie immer fort, sie wußte kaum was, bis Frau von Willnangen, die nur zu gut sie verstand, sie aus dieser Verlegenheit zog.
»Und Sie, Graf Hippolit! wo bleiben Sie?« fragte diese, den freundlichen Blick ihm zugewendet, da Gabriele eben von der Wahl des Fuhrwerks sprach.
»Und ich!« erwiderte er mit einem Ton, in welchem all sein Wünschen, sein Hoffen, sein sehnendes Erwarten lag.
Gabriele fühlte in den tiefsten Tiefen ihres Herzens diesen Ton wiederhallen. »Mag Frau von Willnangen entscheiden, ob wir in Abwesenheit meines Gemahls den Grafen nach Schloß Aarheim einladen dürfen;« fiel sie hoch erröthend ein, und wagte es nicht die Augen dabei aufzuschlagen, um durch keinen Blick den Ausspruch der Freundin zu leiten.
»Ich sehe nicht recht ein, warum wir es nicht dürften,« erwiderte nach sehr kurzem Bedenken Frau von Willnangen, mit möglichster Gleichgültigkeit, und blickte dabei recht ämsig auf ihre Arbeit, um beide zu schonen; doch niemand antwortete[245] ihr. Es entstand eine für den Moment recht drückende Pause, der Frau von Willnangen nur dadurch ein Ende zu machen wußte, daß sie begann, etwas umständlich ihre Meinung von dem q'uen dira-t-on, und von der Nachgiebigkeit, die man ihm schuldig ist, aus einander zu setzen.
»Diese sogenannte Welt,« sprach sie, »der wir von Kind auf so manches schwere Opfer bringen müssen, ist doch beim Lichte besehen, ein sehr schwankendes Kameleonartiges Wesen; jeder von uns hat seine eigne, die Hofdame wie die Schneidersfrau, so wie man sagt, daß auch jeder seinen eignen Regenbogen hat; jeder ehrt nur die seine und ignorirt alle übrigen, und am Ende läuft es mit allen diesen ideellen Welten, wie mit dem Regenbogen auch, nur auf eine optische Täuschung hinaus. Millionen Regentropfen, von denen ein einzelner doch nur sehr wenig ist, setzen vor unsern Augen das stattliche Fantom zusammen, das im kühnen Bogen die halbe Erde zu umfassen scheint, und wenn wir die einzelnen Glieder der Menge betrachten, deren gesammtes[246] Urtheil uns so bedeutend dünkt, daß wir es zur Richtschnur unsrer Handlungen erheben, so möchte die Mehrzahl derselben wohl auch nicht viel größern inneren Gehalt haben als solch ein kleiner farbloser fader Wassertropfen.«
»Sie sprechen aus meiner Seele,« rief Hippolit mit ungewohnter Lebhaftigkeit. »Warlich ja, Sie haben recht! Wir brauchen nur die Einzelnen recht ernstlich ins Auge zu fassen, die wir, in unsrer Idee zu einem Ganzen versammelt, als Richter über Glück und Unglück anzusehen uns gewöhnten, um verachtend, und über unsre bisherige Verblendung lachend, aus der schimpflichen Knechtschaft zu scheiden.«
»Sachte, sachte, junger Freund,« erwiderte freundlich wenn gleich mit aufgehobnem drohendem Zeigefinger Frau von Willnangen. »Was ich andeuten wollte, war nicht ganz so gemeint, wie Sie es nehmen. Nie soll man, ohne die äußerste Noth der öffentlichen Meinung den Krieg ankündigen. Eine große Masse, sie sey zusammengesetzt wie sie wolle, ist immer etwas Furchtbares und hat Ansprüche auf unser Nachgeben[247] in billigen Dingen; sie rächt sich schwer und sicher, wenn wir es ihr versagen. Indessen muß ich mich aber doch zu dem Glauben bekennen, daß es Fälle geben kann, in welchen es erlaubt, sogar billig ist, einmal eine Ausnahme von der großen Regel zu machen und sich nicht viel um das zu kümmern, was die andern etwa sagen möchten. Zum Glück aber sind diese Fälle obendrein gewöhnlich solche, bei denen gerade diese aus Leuten zusammengesetzte Welt, trotz ihrer gewohnten Kälte und ziemlicher Absurdität, dennoch zuletzt sich bewogen findet, uns beizustimmen.«
Frau von Willnangen schwieg hier, doch da niemand das Gespräch fortzusetzen den Muth bezeigte, nahm sie nach einer kleinen Pause es wieder auf. »Ich glaube,« sprach sie, »daß die Frage, ob der Graf uns nach Schloß Aarheim begleiten soll oder nicht, gerade zu jenen Fällen gehört, deren ich eben erwähnte. Man hat sich seit langem schon gewöhnt, ihn als zu uns gehörend zu betrachten, man hat sich schon tausend mal darüber so müde gesprochen und gewundert,[248] daß man vielleicht sogar recht erfreut wäre, durch sein Hier blieben während wir fortgehen, neuen Anlaß zur Verwunderung und zu Muthmaßungen zu erhalten. Ueberdem bin ich überzeugt, daß das, was man über seinen Besuch auf Schloß Aarheim sagen könnte, so wenig von dem verschieden seyn wird, was man bis jetzt wahrscheinlich schon gesagt hat, daß es deshalb wohl schwerlich der Mühe verlohnen möchte, uns ein Entbehren aufzulegen, welches wir alle Drei doch schmerzlich empfinden müßten.«
»Ich bitte, lassen Sie uns in dieser Stunde noch nichts entscheiden,« nahm jetzt Gabriele das Wort. »Morgen sind wir ruhiger, dann sehen wir alle heller, was zu thun ist, was nicht? Ich würde es dann vielleicht am liebsten Hippolits eigner Entscheidung überlassen, ob er sogleich in diesen Tagen uns begleiten will, oder ob er es für besser hält später meiner Einladung zu folgen wenn –« eine kleine augenblickliche Schwäche verhinderte sie hier zu vollenden und zwang sie Ruhe zu suchen.
[249]
Ernestos höchst unerwartete erfreuliche Erscheinung machte am folgenden Tage allem Zweifel und allem Berathen über diesen Gegenstand ein Ende. Er stand plötzlich in der Mitte seiner Freunde, ohne daß einer von ihnen seine nahe Ankunft nur geahnet hatte, denn der Brief, der sie Hippoliten verkünden sollte, war verspätet oder vielleicht verloren; ein gar nicht ungewöhnlicher Fall auf den italienischen Posten. Hippolits beängstende Darstellungen von Gabrielens Zustand, vereint mit Ottokars dadurch veranlaßter und mit jedem Tage wachsender Besorgniß um sie, hatten ihn aus seinem geliebten Rom getrieben. Er wollte selbst sehen, helfen, retten, trösten wo es Noth that, und nun schien bei seinem lange entbehrtem Anblicke Gabrielen neues Leben zu durchströmen. Sie eilte auf die erste Nachricht seiner Ankunft ihm entgegen, fröhlich und leicht, fast wie ehemals; ihre bleichen Wangen röthete die Freude und ihr ganzes Wesen schien mit einemmale alle bange Besorgnisse ihrer Freunde vernichten zu wollen.
Ernesto und Frau von Willnangen erklärten[250] scherzend den Anstand für völlig abgefunden, jetzt da die Damen nicht mehr nur einen, sondern zwei Männer des Glückes würdigten, sie begleiten zu dürfen, und Gabriele hatte ihre eignen stillen Gründe, ihren Freunden hierin nicht zu widersprechen.
Die Reise ging vor sich, wenige Tage nach Ernestos Ankunft, und unter den frohesten Hoffnungen, zu denen Gabrielens fortwährendes Wohlbefinden Alle zu berechtigen schien. Die Luft ihres Geburtsortes, die Ruhe, die Stille, der balsamische Waldeshauch bewirkten augenscheinlich ein Wunder, dessen Anblick alle Bewohner der Burg mit unbeschreiblicher Freude erfüllte. Nur Ernesto hatte dem kleinen Kreise dieser durch die innigsten Bande vereinigten Menschen noch gefehlt; mit ihm war erst das rechte Leben unter sie gekommen, im ernsten Scherze und frohem Ernste, in ewig rascher Theilnahme und stetem unterhaltendem Wechsel der sie aufregenden Gegenstände. Ihnen selbst schien ihr Glück unermeßlich. Doch leider sank es nur zu bald wieder, wie alles Glück dieser Erde.[251]
Gabriele vermochte nur kurze Zeit alle den Wonnen und Schmerzen zu widerstehen, die stärker als je zuvor heimlich auf sie einstürmten. Ihre Kräfte schwanden eben so schnell, als sie wiedergekehrt waren, und ihre Lieben begannen von neuem, sie und einander mit immer hoffnungsloserem Blicke zu betrachten; besonders Ernesto. Er allein las deutlich in Gabrielens Herzen alles unausgesprochne Weh, unter dessen Last es erlag, und sein eignes drohte vor Schmerz und Reue zu zerspringen, wenn er daran dachte, daß er Jahre vorher mit prophetischem Geiste alles vorhergesagt habe, was jetzt in trauriger Erfüllung ihn der Verzweiflung nahe brachte, und daß er doch dabei verblendet genug gewesen sey, um nicht Hippolits Rückkehr zu Gabrielen aus allen Kräften zu verhindern. Er begriff es nicht, wie es ihm möglich gewesen, später die Gefahr zu übersehen, welche die Nähe des schönen liebenswerthen Mannes, verbunden mit seiner heißen, edlen, alles opfernden Liebe ihrem Frieden, ja ihrem Leben bringen mußte. Die drei Jahre, welche, wie er wußte, Gabriele mehr[252] zählte als Hippolit, hatten freilich aus der Ferne ihm ihr Verhältniß zu diesem verschoben und ihn einem Irrthum zugeführt, den Gabriele mit ihm theilte, bis auch sie zu spät ihn erkannte. Das Einzige, woran er sich noch aufrecht zu halten vermochte, waren jetzt Ottokars, auf Moritzens baldigen Tod gebaute Hoffnungen, die er diesem bis jetzt aus Schonung des Freundes nur halb zugegeben hatte.
Indessen ward in dieser Zeit das Leben in Schloß Aarheim das rührendste und erfreulichste, das schmerzlichste und seligste, das man zu erdenken vermag. Gabriele wandelte unter ihren Lieben wie ein schöner verklärter Geist, der schmerzensfrei nur die Seligkeit empfindet, welche die Gegenwart der geliebtesten Freunde zu gewähren vermag. Niemand wagte es, in ihrem Beiseyn nur durch einen Blick den bangen vorahnenden Schmerz auszusprechen, der allen am Herzen nagte, ja sie vergaßen ihn oft, in[253] ihrer erhebenden Nähe. Es war als ob Gabriele jetzt am Rande des Grabes noch die Quintessenz des Lebens genießen wollte, denn sie sammlete alles, was jemals es ihr verschönt hatte, mit zartem Sinn und fern von aller Ziererei um sich her: erheiterndes Gespräch, bildende Kunst, Poesie und Gesang. Sie nahm an allem Theil mit ewig frischem jugendlichem Geist; nichts, was Trauer bezeichnet, keine noch so ferne Andeutung von Scheiden, von Trennung durfte ihr nahen. Ihre innre Heiterkeit stieg mit jedem Tage, je tiefer ihre körperlichen Kräfte sanken, ihr ganzes Wesen bezeichnete nur die innigste Liebe zu ihren Freunden und die reinste Freude an dieser schönen Welt. Ihre Blumen, ihre Vögel, alles was schon ihre Kindheit beglückt hatte, mußte wieder um sie her gestellt werden, und sie liebte das alles und pflegte es, soviel es ihr möglich war, wie sonst. So genoß sie lächelnd, wie zur Zeit ihrer herrlichsten Blüthe, jede kleinere Freude, welche die Natur beut, und verlor sich in bewunderndem Entzücken vor der höheren Pracht, die mit unendlichem Reichthum[254] in den wilden Umgebungen ihres Wohnortes sich täglich neu entfaltete.
Hippolit ertrug den Schmerz, den keine Sprache nennen kann, mit unbeschreiblicher Gewalt über sich selbst. Er ging ganz in den Geist der Hochgeliebten ein, lebte nur in ihr, lächelte wenn sie lächelte, und schien nur von dem Licht ihrer Augen Worte und Bewegung zu empfangen. Nie wich er von ihrer Seite, so lange es ihm vergönnt war, bei ihr zu weilen. Ihr nahe, vermochte er es, sein Herz zusammen zu drücken, und seinen unaussprechlichen Schmerz wie seine glühende Liebe zu beherrschen; denn Gabrielens heilige Gegenwart erhob ihn über Tod, Trennung und Grab. Keine Klage kam über seine Lippen, keine Thräne in seine Augen, bis die Nacht ihn und seinen ausbrechenden Jammer verhüllte.
Gabriele bewachte minder ängstlich als sonst ihr Benehmen gegen ihn und suchte nicht mehr ganz so wie ehemals ihm den Grund ihres Gemüths zu verschleiern. Manche Ahnung des ganzen Umfangs der unnennbaren Seligkeit, die[255] ihm hier vor seinen Augen unterging, durchschauerte den Armen mit allen Freuden des Himmels und versenkte ihn in selige Träume, aus denen er leider mit dem Gefühl des Unglücklichen wieder auffuhr, der im Schlafe den Himmel offen sah, und aufgerüttelt zu jahrelanger Pein, im Kerker wieder erwacht.
Nicht minder unaussprechlich als Hippolits Schmerz war auch das tiefe, unsägliche Mitleid, welches Gabriele für ihn empfand, denn sie fühlte für ihn den unendlichen Jammer seines treuen liebenden Herzens. Sie selbst war beglückt in der seligsten Hoffnung, und die nahe Trennung, deren Gewißheit ihr an jedem Morgen deutlicher entgegentrat, erschien ihr nur als ein Schritt aus dem Dunkel zum Lichte, zur sicheren, ewigen Vereinigung, deren nahe Seligkeit sie schon hier vorempfand. Abends, wenn wieder einer ihrer Tage zur Ewigkeit hinabsank, wiederholte sie jetzt in der unbelauschten Einsamkeit ihres Zimmers oft die einfachen Worte eines Liedes, welches sie unter den Papieren ihrer verehrten Mutter gefunden hatte. Hier ist es:
[256] Zur letzten Tages-Stunde
Flammt goldner noch das Licht,
Spricht mit dem Purpur-Munde;
»Ich gehe schlafen nicht;
Unsichtbar, zu dem Osten
Zieh' ich den Sternen-Pfad;
Auch Du sollst Aether kosten,
Den frisch der Morgen hat.«
Wenn all' die Welten schlafen,
So ist's die Lieb', die wacht,
Und landet sie im Hafen,
Sagt sie: »Welt, gute Nacht!«
Ich mußte still verschließen
Was Schmerzreich mich entzückt,
Was tödtlich mich beglückt
In tiefster Brust verschließen.
Ich mußt' im Dunkel gehen
Als hell es draußen war,
Nun Schatten mich umwehen,
Nun wird es licht und klar;
Aus Sonnenschein gewoben
Mein Aether-Kleid so blank,
Die Sprache bald Gesang
In blauen Sfären droben;
[257]
Wo mich der Engel-Flügel
Leicht trägt auf lichtem Steg',
Wo Sonnen sind mein Weg
Fern von der Erde Hügel.
Ich möchte mehr noch singen
Aus meiner tiefsten Brust,
Was Niemand war bewußt,
Es sollten's Töne klingen;
Es möchte mehr noch sagen
Die Lippe treu und bleich,
Doch sieh', es will schon tagen
Herauf aus licht'rem Reich'.
Denn, wenn die Welt geht schlafen,
Ist's Liebe noch, die wacht.
Mein Herz erblickt den Hafen;
Zu tausend gute Nacht.
Früher schon verdankte Gabriele diesem Liede oft wehmüthigen Trost und erleichternde Thränen; jetzt klangen sie in ihrem Innern wie Jubelgesang, wenn gleich die athemlose Brust ihm nur leise Töne noch zu leihen vermochte.[258]
So lebte sie hin in stiller Freundlichkeit. Nur wenn sie Hippolits gedachte, des Verlassenen, dann wollte ihr das Herz brechen bei dem Gedanken an den langen, einsamen, freudenarmen Lebensweg, der von nun an öde und düster sich vor dem Freunde durch eine unabsehbare Wüste hoffnungslos ausdehnen mußte; und all ihr Streben ging nun dahin, seine Zukunft ihm wenigstens mit frohen Erinnerungen auszustatten, zu schmücken. Daher zeigte sie sich Hippoliten wie seine stille Ergebung es glorreich verdiente. Sie war ihm die liebendste Schwester, die innigste theilnehmendste Freundin, und jeder Tag brachte ihm neue rührende Beweise des reinsten, von keinem irdischen Hauche befleckten Vertrauens.
Die Tage schwanden, der Sommer flog vorüber, immer tiefer senkte sich die Sonne und der Wald schmückte sich abermals mit Purpur und Gold. Wieder ging der Sterbetag von[259] Gabrielens Mutter auf, doch dießmal feierte sie ihn in frommer stiller Heiterkeit, gleich einem Feste der Auferstehung, nicht des Todes. Der kalte Stein, der die geliebte Hülle bedeckte, ward nach ihrer Angabe mit einer Fülle reicher Blumenkränze geschmückt, statt der Zypressen, die sie einst mit frommer Hand gewunden hatte. Von ihr selbst blieben ebenfalls alle ihr sonst an diesem Tage gewohnten äußern Zeichen der Trauer entfernt, und kein langes schwarzes Gewand, kein dichter Kreppschleier verhüllte sie. Wie immer in blendendes Weiß gekleidet, saß sie am Abend des festlichen Tages an ihrem gewohnten Platze in einem großen Bogenfenster; die seitwärts in das Eckzimmer fallenden letzten Strahlen der untergehenden Sonne verklärten ihre blonden Locken zur himmlischen Glorie, genau wie an jenem für Hippolit unvergeßlichen Abende, da dieser fast an der nehmlichen Stelle bewundernd ihr nachsah, als sie den dunkeln Lindengang hinabschwebte. Sie blickte hinaus in die herbstliche Wolkenpracht, die rosig und golden im tief-blauen Aether verglühte; überirdisches[260] Lächeln schwebte auf dem verklärten Angesicht, ihr dunkelstrahlendes Auge haftete mit dem Ausdrucke des unaussprechlichsten Entzückens auf der schimmernden Ferne, als schwebe aus ihr eine geliebte Gestalt herbei, und ihre Lippe regte sich unhörbar leise wie im Gebet.
Ernesto und Frau von Willnangen hatten es nicht vermocht, der heitern Feier dieses Tages länger zuzusehen, deren Deutung sie nur zu wohl verstanden; sie hatten beide sich entfernt, um in gegenseitigen Klagen neue Kraft zu suchen, und niemand war bei Gabrielen geblieben als Hippolit. Schweigend betrachtete er sie, und wagte es kaum zu athmen, um sie nicht zu wecken. Auch er ahnete, von ihrem Gefühl durchdrungen, welche Gebilde ihrem Auge jetzt vorüberschweben mochten; ihm war, als empfinde auch er die Nähe der an diesem Tage zur ewigen Freude eingegangnen Mutter, der halb schon Verklärten, und kalt und geheimnißvoll hauchten Schauer aus einer andern Welt ihn, den Lebenden, an.
Wie ein Engel, der vom Himmel herabschwebt, um Sterblichen von seinen Freuden[261] Kunde und Gewißheit zu geben, wandte Gabriele sich dem geliebten Freunde endlich wieder zu; sein Herz erwärmte sich an ihrem Blick, es war, als wolle sie zu ihm sprechen, als wolle sie irgend etwas wichtiges ihm vertrauen, doch schien sie bald wieder anders entschlossen, und bat ihn nur mit den Augen, ihr die Harfe zu reichen, die seit mehreren Tagen von ihr unberührt in einer Ecke lehnte. Hippolit gehorchte wie immer ihrem Winken, und nun begann unter ihren schwachen zarten Händen leise und langsam ein fremdartiges Tönen, gleich dem Nachhall himmlischer Lieder. Endlich erhob sich auch ihre süße Stimme, lieblicher, herzdurchdringender als Hippolit sie jemals gehört hatte, wenn gleich unendlich zart und leise. Es war gleichsam ein innerliches Singen, ein wunderbar-ergreifendes Heraufklingen aus der Tiefe ihres Herzens.
In kurzen abgerissenen Sätzen, oft unterbrochen von Harfenklängen, die, der Erdensprache erst Bedeutung gebend, wie zur Erläuterung forttönten, wenn diese wortarm verstummen mußte,[262] sang Gabriele ein regelloses Lied, von der Begeisterung des Augenblicks eingegeben.
Nie hatten ihre Freunde diese Gabe der Dichtkunst in ihr vermuthet, die jetzt erst neu in ihr erwacht, der halb schon dem irdischen Leben Entschwebten eine nie zuvor von ihr geübte Sprache lieh. Gleich dem Schwane, der nur dann zum erstenmale mit süßen Klängen die Sterne begrüßt, wenn sie zum letztenmale die stille Fluth ihm versilbern, auf welcher er sterbend wogt.
Gabrielens Lied sang alles Hoffen, Sehnen, Erwarten ihrer in Himmelswonne vergehenden Brust. Es waren Worte, es waren Töne, welche der Unsterblichkeit angehören und der schwache Hauch des Erdenlebens wiederzugeben nicht vermag.
Sie sang, bis sie erbleichend, verstummend in ihren Lehnstuhl erschöpft zurückfiel. Noch eine Weile flüsterten die Harfentöne, endlich verstummten auch sie. Die zarten Lilienfinger entglitten matt den goldnen Saiten und Gabrielens Auge schloß sich einige Minuten lang wie im Schlummer;[263] doch bald öffnete es sich wieder und suchte Ihn, der, zum erstenmal in ihrer Gegenwart vom Schmerz überwältigt, in einer Ecke des Zimmers in der trostlosesten Stellung hingesunken war.
»Mein Freund! mein theurer herzlich lieber Freund! warum so?« sprach sie zu ihm. »Ich dachte Muth und Hoffnung in Ihre Seele zu singen, denn ich selbst bin sehr freudig, sehr hoffnungsreich in meinem Gemüthe. Das Leben ist nicht minder kurz als schön, darum sollten wir nie die köstlichen Stunden der Gegenwart in voreiliger Trauer über eine vielleicht nahe, dunklere Zukunft verschwenden. Denken Sie daran daß ohne Trennung kein Wiedersehen möglich wäre. Und welches Wiedersehen erwartet uns dort über jenen glänzenden Welten, die durch unsre kurze Erdendämmerung leuchten!«
Es war zum erstenmale, daß Gabriele auf die Nähe ihres Scheidens so hindeutete. Hippolit glaubte dabei in neuem nie gefühltem Schmerze zu vergehen, denn das ausgesprochne unheilverkündende Wort ist weit furchtbarer als[264] unsre trübesten Gedanken es seyn können. Doch übte er auch in dieser bangen Stunde die gewohnte Kraft über sich selbst. Er erhob sich und nahete ihr mit Ergebung in seinen Zügen.
»Das Singen hat mich ein wenig angegriffen, weit mehr als ich es vermuthete,« sprach Gabriele sehr freundlich. »Und doch sind wir so ungestört, so traulich beisammen! ich möchte die Zeit nützen, recht gern, recht viel mit Ihnen reden, auch wohl etwas von Ihnen erbitten; ich werde ganz leise flüstern müssen. Doch das thut nichts, setzen Sie sich nur recht nahe zu mir, damit Sie mich verstehen, recht nahe, ich bitte.«
Hippolit schauerte vor innerer ihm selbst unerklärlicher Angst, denn er hatte Gabrielen schon weit ermatteter gesehen als sie es in diesem Augenblicke zu seyn schien; aber er nahm sich zusammen, zog ein Taburett aus dem Fenster herbei und setzte sich dicht zu ihren Füßen. Sein Auge ruhte in ihrem, ihre Hand lag kalt und regungslos in der seinen, während sie mit der ihm so bekannten anmuthigen Beugung des schönen[265] Hauptes sich gegen ihn hinneigte, und ganz leise und vertraulich zu ihm sprach.
»Sehen Sie, wie das Abendroth sich noch so glänzend dort in den Fenstern der Kapelle spiegelt? Ist es nicht genau so, wie heute vor vier Jahren –«
»Guter Gott, theure Gabriele, an welche Stunde erinnern Sie mich in diesem Momente!« rief Hippolit erbleichend aus, von unwiderstehlichem Grauen und Schrecken ergriffen.
»Ruhig, ruhig, mein Freund!« erwiderte ihn beschwichtigend Gabriele, »Sie können ja jener Stunde immer nur mit Dank und Rührung gedenken, so wie ich es auch thue. Gott würdigte mich damals des Glücks, Sie von einer großen Gefahr zu erretten,« setzte sie mit einem durch die Wolken hindurch leuchtenden, zum Himmel gerichteten Blick hinzu. Dann wandte sie sich wieder an ihn, der, mit seinem Gefühle sichtbar kämpfend, jetzt wieder ruhiger da saß. »Die Vorsehung führte Sie damals vom Rande des[266] furchtbarsten Abgrundes, in den wir Verblendete versinken können, hin, auf den Weg, der zum neuen, erhöhten Daseyn Sie gelangen ließ. Gottes Führungen sind unbegreiflich und gütig wie er selbst. Wer hat das anschaulicher erfahren als wir beide? Darum, lieber Hippolit! wollen wir auch nie uns Eigenmächtigkeit oder Widerstand erlauben. Wir wollen immer vertrauen, immer, immer, auch wenn es recht dunkel um uns wird; jeder Nacht folgt ein hell leuchtender Tag, der alles Grauen verscheucht.«
Sie schwieg einige Minuten, dann begann sie von neuem. »Vergeben Sie, wenn ich Ihnen wehe that durch die Erinnerung an jenen großen Wendepunkt ihrer Existenz, von dem alles Gute und Edle und Schöne ausgeht, das Sie seitdem sich aneigneten. – Ich wollte es nicht, doch was ich von Ihnen bitten wollte, hängt zu genau damit zusammen, und ich bin verlegen und weiß nicht wie ich es aussprechen soll. – Jenes Fläschchen, jener Kristall, der damals Ihren Händen entsank, den ich wenige Minuten später[267] Ihrer Bewahrung anvertraute, bewahren Sie ihn noch? und wo?«
»Ich bewahre ihn, auf meinem Herzen,« erwiderte nach kurzem Schweigen Hippolit, mit fast unhörbarem klanglosem Tone.
»Hippolit!« rief Gabriele mit ungewohnter Kraft, und richtete sich plötzlich hoch und ernst in ihrem Sessel empor. »Sie tragen das Entsetzliche auf ihrem Herzen? und seit wenn?«
»Seit – seit den letzten Wochen unsers Hierseyns,« entgegnete Hippolit, und verhüllte sein Gesicht in die weiten Falten ihres herabhängenden Shawls.
»Muth, armer Freund, und Friede Ihrem bangem Herzen,« sprach Gabriele, ihre schwachen Hände strebten ihn aufzurichten, und eine warme Thräne sank auf seine Stirne. »Ach Hippolit!« sprach sie mit unendlich sanfter Stimme weiter, wie oft vergessen wir auf den Himmel zu bauen, wenn uns das Leben hier unter die ernste dunkle Seite zuwendet! Darum sollten wir es wo möglich[268] nie in unsere Macht stellen, der gefährlichen Wirkung des Augenblicks folgen zu können. Wir Schwache sollten schon von Ferne der Gefahr ausweichen, die ein einziger unbewachter Moment über unser Haupt rufen kann. – Der Tod,« fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, »der Tod ist immer unserm Herzen nah; warum, lieber Hippolit, warum ihn noch auf demselben tragen?«
Hippolit vermochte nicht, ihr zu antworten. Nach einigem Schweigen fuhr sie fort zu reden.
»Jenes furchtbare Fläschchen, ich habe viel darüber nachgedacht und weiß jetzt, daß es ein Eigenthum meines Vaters war. Sie fanden es dort in den Ruinen, die, seinem letzten Wunsch gemäß, in sich selbst versinken müssen, mit allem was sie bedecken; ist es nicht so?«
Hippolit bejahte die Frage mit einer stummen Neigung des Hauptes.
»Nichts von allem, was dort auf ewig begraben ward, darf das Licht des Tages wieder bescheinen; so wollte es mein sterbender Vater,«[269] fuhr Gabriele fort. »Darum bitte ich Sie mein Freund, ich bitte recht ernstlich, recht dringend, geben Sie der Finsterniß wieder was ihr geweiht ward. Tragen Sie noch heute, noch diesen Abend Ihren schauerlichen Fund zurück zu jenem geheimnißvollen Gemäuer, versenken Sie ihn dort in tiefe, selbst Ihnen unzugängliche Kluft. Dort mag er ruhen, in dem weiten Grabe wo so vieles ruht. Wollen Sie es? Wollen Sie mir die Freude gönnen, den letzten Wunsch meines Vaters auch im kleinsten Punkt erfüllt zu sehen?«
»Noch heute, noch in dieser Stunde,« erwiderte Hippolit, und drückte seine brennenden Augen auf ihre liebe Hand. »Wie könnte ich je Ihrem ausgesprochnen Willen widerstreben!«
»Dank Ihnen, innigen Dank,« erwiderte Gabriele, mit einem fast unfühlbaren Händedruck. »Sie haben Nachsicht mit meiner Schwäche,« setzte sie matt lächelnd hinzu, »Sie spotten nicht einer vielleicht kindischen Ehrfurcht gegen den Willen der Todten. Aber das Zuviel ist hier in unserm Dunkel[270] doch noch immer dem Zuwenig vorzuziehen; nicht wahr lieber Hippolit?«
»Gabriele! himmlisches Wesen! nicht diese Engelmilde gegen mich, wenn ich nicht ganz vernichtet werden soll!« rief Hippolit tief erschüttert. »Ich fühle alles, was Sie mir verbergen und andeuten, vergebens suchen Sie es mir zu verschleiern um auch nur die Idee eines Vorwurfes von Ihnen mir zu ersparen. Jene noch immer roth schimmernden Fenster der Kapelle, Ihre eigne verklärte Gestalt, sogar die Dämmerung um uns her rufen mir die Vergangenheit zurück. Alles ist wie es war, alles heute wie damals! Und doch, wie ist es auch so furchtbar anders! Kindischer Thor der ich war! daß ich damals schon das Unglück zu kennen wähnte!«
»Sie kannten es damals nicht,« fiel Gabriele ein; »und glauben Sie mir, es kommt ein Tag, wo alles, was Ihr Herz heut so schwer belastet, Ihnen eben so erscheinen wird, als jetzt jener Schmerz, der damals Sie in Tod und Verzweiflung jagte, Ihnen erscheint. O mein theurer Hippolit, es kommt eine Stunde, in welcher die[271] Erde mit all ihrem Weh unter uns zusammen sinkt und der Himmel mit seinen Freuden sich uns öffnet. Wie leicht, wie klein sehen wir dann alles, was uns vor kurzem noch so schwer, so unübersteiglich groß dünkte! Geloben Sie mir, mein geliebter Freund, geloben Sie mir, diese meine Worte nie zu vergessen. Lieber lieber Hippolit, sie nicht zu vergessen, in keiner noch so dunkeln schweren Stunde Ihres Lebens. Ach Sterben ist oft so viel leichter als Leben! Wer würfe nicht gern alles, was uns belastet, von sich, um einer geliebten entschwebenden Seele durch alle Himmel zu folgen? Doch mein edler Freund wird das Schwerere wählen, und es tragen, so lange die ewige Vorsicht es will.« Gabriele streckte ihre rechte Hand gegen ihn aus, doch er legte nicht versichernd die seine hinein. Dunkel, fast verzweifelnd starrte sein Blick hinaus in die Dämmerung, durch welche die Fenster der Kapelle noch immer im Abendschimmer röthlich erglänzten.
»Undurchdringliche Nacht verhüllt uns das Jenseits,« sprach jetzt mit bewegter Stimme[272] Gabriele, wir ahnen seine Schrecken wie seine Seligkeit, und es ist verwegen, mit sterblicher Zunge von Göttlichem stammeln zu wollen. Doch den Rand des Grabes vergoldet ein purpurner Schein, der den ewigen herrlichen Ost uns verkündet; er heißt Hoffnung des Wiedersehens! Ach und doch wäre es möglich, daß eigenmächtiges Eingreifen in den Willen der Vorsicht eine Kluft risse, die dieses Hoffen vielleicht vernichtet, vielleicht auf Jahrtausende hinausschiebt. Längre Prüfung in andern Welten erwartet vielleicht den, der ungerufen diese verläßt. – Schrecklich, schrecklich muß es seyn, furchtbar über alle Beschreibung,« sprach sie lauter und heftiger; »es würde mir den Tod erst zum Tode machen, wenn ich entschlummern müßte, ohne die beruhigende Zuversicht, daß alle, die ich liebe, vertrauend, wenn gleich weinend mir nachblicken werden, und daß keines von ihnen sich vom Schmerz zu einem Schritt verleiten lassen wird, der mein Hoffen eines nahen seligen Wiedersehens in der ungemessenen Ewigkeit vernichten könnte.«[273]
An allen Kräften erschöpft, bleich, leblos beinah, sank Gabriele mit diesen Worten in ihren Sessel zurück, aber ihr bittendes Auge haftete noch immer mit unaussprechlichem Ausdruck auf Hippoliten.
»Heilige! Verklärte!« rief jetzt dieser, außer sich vor unaussprechlicher Angst, und warf sich, ihre Knie umfassend, vor ihr nieder. »O entschwebe mir noch nicht! Nimm mein Gelübde mit, daß ich Deinen Willen erfülle, sey es noch so schwer; daß ich keine Kluft ewiger Trennung zwischen uns reißen will. Ja ich will noch leben, weil Du es gebeutst, ich will noch leben und athmen so lange ich kann, auch wenn Du –« Thränen erstickten seine Worte. Gabriele vermochte es nicht ihm zu antworten, aber ihre Hände ruhten segnend auf seinem Haupte, ein dankbares Lächeln umspielte ihre Lippen, und ihr gen Himmel gerichtetes glänzendes Auge erhob sich betend für ihn.
[274]
Bange, leise, wehmüthig einander zulächelnd, und doch unfähig jeder ausgesprochnen Mittheilung ihres Gefühls, wandelten in den nächstfolgenden Tagen Gabrielens Freunde neben einander her. Im Schlosse herrschte eine bange schwüle Stille, wie vor einem Gewitter, und auch draußen war es so in der Natur. Alle Gipfel ruhten, kein Lüftchen spielte in den goldigen Blättern, sie fielen von selbst leise und langsam, man hörte das flüsternde Rieseln ihres Niedersinkens, weil kein stärkerer Ton durch den schweigenden Wald rauschte.
Gabriele blickte täglich aus ihrem Bogenfenster hinaus in die herbstliche Pracht, denn weiter zu gehen verstattete ihr ihre große, wenn gleich schmerzlose Mattigkeit nicht mehr. Mit jeder Stunde beinah sahen ihre Freunde die schöne Blume bleicher und immer bleicher sich neigen, aber ihr Geist loderte immer sichrer und heller auf, ihre Theilnahme an dem Leben ihrer Freunde entwickelte sich immer freudiger. Diese durften sie jetzt fast gar nicht mehr verlassen, denn sie[275] schien mit jeder Minute des Beisammenseyns noch geizen zu wollen und wendete alle ihr noch immer zu Gebote stehende Liebenswürdigkeit daran, sie alle so lange als möglich in ihrer Nähe festzuhalten. Ihr Auge wandte sich in dem kleinen Kreise mit unaussprechlicher Liebe von einem zum andern. Lächelnd suchte es den treuen Ernesto, der liebenden Freundin Muth und Licht in die Seele zu strahlen; dann ruhte es wehmüthig auf Hippoliten, der, ganz in sich verloren, sich und den Schmerz, und jede Klage, selbst Zukunft und Vergangenheit in ihrem Anblick vergaß, während Frau von Willnangen und Ernesto nur mit der mühsamsten Anstrengung aller ihrer Kräfte ihrem tiefen Schmerz gebieten konnten.
Gabriele redete in diesen Tagen ungewöhnlich viel von Ottokar, und von einer frohen Ahnung seines nahen Wiedersehens nach so langer Trennung. »Ernesto war nur sein Vorläufer, gebt Acht, unversehens ist er da!« sprach sie mit einer eignen Art von Gewißheit, für die sie doch selbst keinen rechten Grund anzugeben wußte,[276] denn er hatte nur kürzlich geschrieben, und den Willen, Rom zu verlassen, auf keine Weise geäußert.
Am dritten Morgen nach dem Todestage ihrer Mutter ließ Gabriele etwas früher als gewöhnlich Hippoliten zu sich entbieten. Er eilte herbei. Alles im Zimmer hatte ein eignes festliches Ansehen. Wölkchen von Wohlgerüchen durchkräuselten es in bläulichem Duft, Gabriele schien auf ihrem gewohnten Sessel im Fenster wie in einer Blumenlaube zu ruhen, denn aller Schmuck des sinkenden Jahres stand in schönen Vasen zierlich um sie her geordnet und Blumen und Früchte fügten sich im gefälligsten Vereine um ihre Umgebung zu verherrlichen. Die durch die herabgelaßnen rothen Vorhänge gemilderten Sonnenstrahlen verbreiteten ein lieblich-rosiges Scheinen im ganzen Gemach und liehen auch der bleichen Gabriele noch einmal den flüchtigen Schimmer der Gesundheit. Sie selbst hatte mit mehr[277] als gewohnter Sorgfalt wie zu einem Feste sich schmücken lassen, ihre reichen Zöpfe waren zierlicher aufgeflochten, ihre Locken umkräuselten die schöne Stirn in gewählterer Form, und ein weiter, kostbarer Shawl von himmelblauer Farbe umwallte in reichen Falten die im zierlichsten weißen Morgenkleide ruhende schlanke Gestalt. Nie war Gabriele schöner gewesen als in diesem Moment, doch war ihre Schönheit nicht mehr von dieser Welt.
Freundlich winkte sie dem Eintretenden, näher zu kommen. Er that es und sank unwillkürlich zu ihren Füßen hin, in Anbetung und Liebe verloren. Eine eigne Freudigkeit des Herzens hatte sich seiner bei ihrem Anblick bemächtigt, sie leuchtete aus seinen Augen, während er bewundernd die Hochgeliebte betrachtete. »Hippolit,« flüsterte sie leise, »theurer, geliebter Hippolit! ja ich fühle es, Sie werden durch ungestümen Schmerz die heiligste schönste Stunde meines Lebens mir nicht stören; sie ist die Krone unsers Daseyns, ihr darf keine andre folgen. Auch gehöre ich den[278] Lebenden nicht mehr an; – erschrick nicht so über dieses Wort, erschrick nicht, daß ich gewiß weiß, ich werde die Sonne, die jetzt uns leuchtet, nicht mehr sinken sehen.«
Mit einem kaum unterdrückten Schrei fuhr Hippolit in die Höhe, der Thüre zu, als wolle er Beistand, Hülfe herbei rufen oder suchen, doch ihre sanfte Gewalt, ihr flehendes Auge und die innre Ueberzeugung, daß jeder Versuch, zu helfen, hier nur quälend mißlingen könne, zogen ihn wieder zu ihren Füßen hin. Sein starrendes Auge, sein Beben, sein tödtliches Erbleichen machten ihn einem Sterbenden weit ähnlicher als Gabriele es war.
»Erwache, o erwache,« rief sie, »geliebtester aller Menschen, erwache und segne mit mir diese Stunde, die den lange gehegten einzigen Wunsch meines Herzens, den Lohn alles meines Strebens mir gewährt. Die Sterbende darf gestehen, was der Lebenden strenge Pflicht war, tief in der Brust, unter unsäglichen Schmerzen zu vergraben.«[279]
Ihr Auge strahlte von neuem himmlischen Feuer, ihre Wangen färbten sich, alle ihre Züge verklärten sich zu unaussprechlicher Schönheit. »Ja Dich, Dich habe ich geliebt!« sprach sie mit vor Entzücken bebender Stimme, »Dich liebe ich, Dich allein, Du Einziger, Geliebtester, Du mein Hippolit, nur Dich! ich liebe Dich wie Du mich liebst, und lange schon trage ich Dein Bild im Herzen. Ich sterbe, weil ich Dich liebte, ich sterbe beglückt, daß ich nur einmal mein Herz Dir öffnen darf, entzückt, beglückt, und nun laß mich enden. Die Erde beut mir nichts mehr nach dieser Stunde, die alle meine Fesseln zerreißt! Ich darf dem Leben nicht mehr angehören, aber ich gehöre Dein! Dein! von nun an, und an diesen Moment gränzt eine wonnevolle Ewigkeit!«
Das seligste Entzücken, der zerreißendste Schmerz, Gabrielens geliebte Stimme rief Hippolit schnell wieder zu klarem Bewußtseyn; in Thränen, Seufzern, Blicken mehr noch als in Worten, tauschten die Liebenden alles Weh und alle Wonnen ihres Daseyns gegen einander aus.[280] Die Stunde, die sie so mit einander zubrachten, gehört nicht ins irdische Leben, keine Vergangenheit, keine Zukunft begränzt sie; sie steht da, einzig, für sich allein gleich der Ewigkeit, jedem Versuch, sie zu schildern, unerreichbar.
Es war stille im Zimmer geworden, ganz still. Ernesto trat leise herein, ihm folgte Frau von Willnangen. Die Geschichte eines großen unverhofften frohen Ereignisses glänzte in Beider Augen, schwebte sichtbar auf Beider Lippen. Sie fanden Hippoliten auf dem Taburett neben Gabrielens Sessel knieend, ihr Haupt ruhte an seiner Brust, einer ihrer Arme hielt ihn umschlungen, die Hand des andern hielt er in der seinen, ein liebes Lächeln umspielte ihre Lippen, sie schlummerte tief und süß. Hippolit regte sich nicht beim Eintritt seiner Freunde. Sie winkten ihm, sie riefen leise seinen Namen, er achtete nicht darauf oder ward es nicht gewahr.[281] Endlich nahte sich ihm Frau von Willnangen leise und behutsam. »Sie schläft,« flüsterte sie, »wie sanft, wie fest, doch auch wie unbequem; sehen Sie, wie ihr Arm, ihre Wange gedrückt werden.« Mit diesen Worten versuchte sie es, Gabrielen mit großer Sorgfalt, wie ein unter Spielen eingeschlummertes Kind, zurück in die Kissen zu legen. Es gelang. Hippolit ließ es ohne Widerstand geschehen, und Gabriele erwachte nicht.
Ernesto nahte und zog Hippoliten in die fernste Ecke des Zimmers, Frau von Willnangen blieb gleich einer über die Wiege ihres kranken Kindes gebeugten Mutter neben Gabrielen stehen und bewachte ihren Schlummer; Hippolit folgte gelassen dem Freunde, wohin er ihn führen wollte.
»Gabrielen steht beim Erwachen eine große Erschütterung bevor,« flüsterte Ernesto Hippoliten mit freudig glänzenden Augen zu. »Da gilt es Vorsicht und die sorgsamste Behutsamkeit. Lieber Hippolit! weiß ich doch kaum wie ich Dir es entdecken soll. Gabrielens Prophezeihung[282] ist eingetroffen, Ottokar ist wirklich da und harrt der Erlaubniß, ihr zu nahen. Was er bringt, wird sie weit später, nach und nach erfahren müssen; es ist ein Glück, aber es wird ihr sanftes Gemüth doch verwunden. Ottokar kommt von Pisa. Lieber Hippolit! Moritz ist gestorben, ach! nun kann alles noch sehr gut werden, und –«
»Gabriele ist tod!« schrie Frau von Willnangen mit dem klanglosen Tone des wildesten Schreckens, und sank neben ihr hin.
Was läßt sich von den Ueberlebenden ferner sagen? Allein, von niemanden gesehen, verweilte Ottokar eine Weile neben der geliebten Todten, der untergesunknen Sonne seiner Jugend; dann schloß er den unglücklichen Freund in seine Arme, der bewußtlos und starr ohne Thränen, ohne einen Laut, kaum noch dem Leben anzugehören schien. Seinen mit ihm gekommnen Sohn übergab Ottokar dem treuen Ernesto, und bat ihn,[283] den armen, mit den Weinenden ängstlich weinenden Knaben zurück nach Rom zu begleiten, dort seiner Zurückkunft zu harren. Er selbst nahm den durchaus in nichts widerstrebenden Hippolit an seine Brust, führte ihn in den noch dastehenden Reisewagen, in welchem er eben gekommen war, und fuhr mit ihm fort, gleichviel wohin.
Man sagt, Ottokar sey nach etwas mehr als Jahresfrist traurig und ganz allein wieder in seinem Hause in Rom angelangt, eben noch früh genug, um den treuen Ernesto zur Piramide des Cestius zu geleiten.
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