6.

[90] Es ist dieses auch nohtwendig zu mercken / Ob wol etzliche bißhero erinneret / daß viele Wörter / welche schon dem Buchstabe nach eine gantz gleiche Endung oder Reim-endung haben / dennoch aber nicht solten in Versen kůnnen gereimet werden; aldieweil sie etwa der Scherfe / Gelinde / oder Gethöne nach / nicht überal gleichlautend außgesprochen würden: Wie denn Opitz saget / daß sich nicht reimen künte ehren und nehren: Buchner aber / Glaßreime sich nicht mit naß: Cæsius meinet auch Nachreime sich nicht mit bach etc Aber sothaner Erinnerung von wolerwehnten Authoren ist bißhero noch nicht Lehrsatzweis erwiesen und bewehret worden; Nemlich / welche und wie viel Wörter / die dem Buchstabe und Reimlaute nach gleich seyn / im außreden solten ungleich und also zur Reimung unbequem seyn. Denn es scheinet fast ein gar unthünliches und vergebenes zu seyn / daß man richtig beweisen könne / welche und wie viel Wörter /wie auch / und an welchen örteren in Teutschlande /sothaner weise im außreden und geleute etwas ungleichlautend weren / zum eintzigen Exempel / wenn einer wissen wolte / wie[90] die Schlesiere / Meisnere /Oberländere / Nieder-Sachsen etc. doch außredeten Ehren / behren / fehren / lehren / mehren / sehren /nehren / kehren / weren / scheren / schweren / etc. Gewiß was dieser Per Eta / wird jener E außsprechen / und das dieser ä ein ander hinwieder ee: also daß in diesem / solcher massen / ein lauter ungewisses und gar zu genaues demselben entstehen wolte / So dem nachzusinnen / und einigen Grund durchgehender gewißheit zulegen versuchen möchte. Und ob schon die Meißnere / oder vielmehr etzliche deroselben nach jhrer Meinung / etwa jhren gewissen Ausspruch hetten / wie ohn zweiffel nicht zu leugnen / kan doch solches den anderen Teutschen zu keinem nachtheile oder einiger Irrung gereichen. In anderen Sprachen auch ist die Außrede nicht überal ebenlautend und gleiches Thones / solches aber / wan man sonst im Grunde recht einig und der Sprachen mechtig ist /wird nicht sonderlich geachtet / noch einiges tadels bezüchtiget. Die Meinung ist gar grundbrüchig und hinfällig / welche hievon etzliche also haben / daß sie hoffen dürfen / den Thon der Teutschen Wörter nach jhrer eingebildeten oder angemasseten Ausrede zu rechtfertigen oder zuverdamnen. Nach dem Grunde ist dieses / was schon gesetzt / richtig und wahr / daß /so offt der Reimlaut durch die vordersten Letteren wird verendert / daß so ofte auch eine gute Teutsche Reimung entstehe: Darüm denn kan man gar wol reimen aß / Glaß / Graß / naß / Paß / faß / saß etc. Weil der Reimlaut aß richtig verändert wird. Item: Ach /Bach / dach / nach / krach / fach / schach / etc. Weil Ach gleichfals besagter massen geendert wird. Etwa eine vermeinete[91] Härte oder Gelindigkeit wird weniger als nichtes zur Sache thun / denn was nach eines Meinung hart / würde nach jenes Gehörmaas gelind seyn /was diesem weich / würde dem andern hingegen scharff klingen / und so forthan. Und ob schon in einem und anderen der Unterscheid mercklich und bleiblich sein möchte / gibt sich dennoch deswegen keine wichtige Erheblichkeit an die hand / diesem fast weitleufftigen dinge / welches doch / Krafft der gegebenen Regel in seiner sicheren bleibenden durchgehenden richtigsten Gewißheit sein und bleiben kan /eine oder andere Ungewißheit und Laut-deuteley anzuwerfen. Es ist auch weder von Herrn Opitz noch anderen Teutschen Poeten / wie hin und wieder offenbarlich zusehen / dieses in acht genommen / und hat Herr Opitz klüglich dafür gehalten / in dem er selbsten saget / daß man durch die Reimung das wort an sich so schwer und ungewiß nicht machen müste.

Quelle:
Justus Georg Schottel: Teutsche Vers- oder Reimkunst. Lüneburg 1656, S. 90-92.
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