(I.)

[146] Mein erstes Gefühl war Erstaunen über die Erfüllung eines schon vor acht Jahren gehabten Traums. Eben diesen halb abgebrochnen Thurm, dieß schwarze Gewölbe, dieses harte Lager, dieß Eisengitter, und eben diesen Mann hier, meinen Befehlshaber Rieger; – all dieß, was mir mein Genius lange zuvor im Schlaf vorgezeichnet hatte, fand ich hier ganz genau, Bild vor Bild, Zug vor Zug, dargestellt, ins Leben gedrukt. Wie ich damals durch glühende Asche watete; so war mirs als ich auf dem Exerzierplaze des Asbergs im Angesicht des Fürsten in diesen Kerker geführt wurde. – O ihr Thoren, die ihr alle Träume verlacht, was sagt ihr zu solchen Beispielen? – Als die Betaubung mit ihrem eisernen Arm von mir abließ; da versank ich in die tiefste, dicht an Verzweiflung granzende Schwermut.[146] Ich saß ganze Stunden starr und unbeweglich auf meinem Strohbette, betrachtete die öde, schweigende Wand und den eisernen Ring, der drein gemauert war, um mich nach dem Befehle des Fürsten daran zu ketten, wenn ich nur im geringsten was versehen sollte. Ich sah mich schon in der Kette, und hörte sie rasseln am zitternden Arm und klirren am bebenden Fuße. – Für mein freies Gefühl war nichts Schreklichers als die Kette. – Nichts war weit um mich herum, was mich tröstete. Die Menschen, die mir mein Tränenbrod und das Zisternenwasser brachten, hatten den strengsten Befehl, nicht ein Wort mit mir zu sprechen. Kein Buch, kein Klavier, nicht Dinte, Feder, Bleistift und Papier – und ach! keine Mutter, kein Weib, kein Kind, kein tröstender Freund! – Alles war stumm um mich her, wie das Grab um einen Todten. Von dem Gipfel der lautesten Freude in diese Gruft voll stummer Verzweiflung, von der heitersten Geselligkeit in diese trübe menschentodte[147] Einsamkeit; von der Freiheit zur Kette herabgesunken: – welch ein plözlicher, schreklicher Umschwung! Mit einer so feurigen Seele, einer so kühnen, meist schaurichten Fantasie, mir diesem Drange des Menschengefühls, mit dieser oft ungestümen Thätigkeit – allein! ohne Hofnung allein!! – O du mein Erhalter im Himmel! Dir, nur dir hab' ichs zu danken, daß ich nicht rasend wurde und mich dadurch unfähig machte, meine Sünden zu beweinen, und Gnade bei dir zu suchen! –

Erst nach einigen Tagen borst mein Herz, und goß eine Flut von heissen Tränen aus. Ich wagte es, einige Seufzer zu Gott zu schiken; aber der Gedanke donnerte mich nieder: du hast Jahrelang nicht gebetet; nun wird dich Gott gleich erhören, da du im Elend bist! – Feige Seele, schäme dich deiner Malefikantenbuße! Solltest du wie ein Opfer mit der Kette vor den Altar geschleppt werden? – Bete nicht, denn[148] Gott erhöret dich nicht! – du bist verworfen, zum schreklichen Beispiel für andere weggeworfen, und dank' es Gott, wenn kein Jenseits ist. –

»Ich bin Gott und nicht ein Mensch!« flisterte es einmal in einem solchen Verzweiflungsanfalle in meinem Herzen; und ich sank, wie von Gott ergriffen, in Kerkerstaub nieder; und betete das erstemal ein heisses, aufschluchzendes Tränengebet. »Du bist Gott und nicht ein Mensch! – Du hast dein empörendes Volk gehört, als es in Babel zu dir schrie; hast den abgöttischen Manasse gehört, als er in der Kette dich um Erbarmung anflehte; – ja, du würdest den Teufel hören, wenn er beten könnte, denn du bist gnädig! barmherzig bist du! willst nicht den Tod des Sünders! bist die Liebe!« Mit dergleichen Gedanken bewahrte mich Gott vor der Verzweiflung, der ich sehr nahe war. Der Tod, den ich sonst nie ohne Schauder dachte, wurde mir[149] nun sehr angenehm. Ich schrieb an die Wand mit Ruß: »Denk an den Tod!« und so oft ich mein Stroh aufschüttelte, seufzt' ich: »Ach wenn eine barmherzige Hand so die Spane in meinem Sarg aufschüttelte!« – Daß nur schwere trübe Leiden einem den Tod erleichtern müssen, daß man nicht mitten im Genusse der Freiheit, des Lebens und des Wohlstandes auch mit Paulus sagen kann: »Ich habe Lust abzuscheiden und bei Christus zu seyn«! ...

Die Langeweile war die erste Geissel, die ich aufs empfindlichste fühlte. Ich zählte nicht mehr Tage, sondern Stunden, und hörte oft Minuten auftreten, so leise wurde mein Gehör für die Zeit. Ein zurükgelegter Tag, war für mich ein vom Herzen abgewälztes Felsenstük. Ich zählte meine Tritte, meine Pulsschlage, alle Spalten und Rizen im Kerkergewölbe, die Faden an der Matraze, womit ich mich dekte. Ich wiederholte nach dem Alphabet alles, was ich ans verschiednen[150] Wissenschaften und Künsten wußte; aber dieser Zeitvertreib verleidete mir am ersten, denn alle Wissenschaft ist ohne die Wollust der Mitteilung Qual für die Seele. Da ich Menschen hörte, ob ich sie gleich nicht sah; so war dieß meine erste, liebste Unterhaltung, daß ich auf ihre Stimmen horchte, und einen Versuch machte, wie viel sich vom physischen, intellektuellen und sittlichen Karakter des Menschen aus der Stimme errathen lasse. Es ist mir bei manchen gelungen, wie ich nachher erfahren habe. So wie sich das Alter nach seinen verschiedenen Stufen in der Stimme des Menschen abbildet: so gibt der Mensch auch nicht selten den Ton seiner innern Fähigkeiten und Herzensstimmung an. Klarheit und Dumpfheit, Tiefe und Höhe, Dike und Dünne, heller und finsterer Ton, Schnelligkeit und Trägheit, Einklang und Tonwechsel, hoher klingender Diskant und tiefer tragender Baß, mit einem Wort: der ganze Umfang des Tons vom ersten kaum hörbaren Laut an, bis zum[151] Schlage des hallenden Donners hat seine bestimmte Deutung, und der Mann wird noch kommen, der mit dem Ohre fast eben so sicher, als Lavater und noch schärfere Physiognomen mit dem Auge, über den Karakter des Menschen zu urteilen fähig seyn wird. –

So empfand ich in meiner traurigen Einöde die Tirannei der Langweile ... Wie schön und helle wurde mir nun die Stelle im Messias, wo Thoas Seele in geschöpflose Einsamkeit verbannt wird:


.... »Sie war allein, war

Ganz von allen Wesen verlassen! war nicht in der Schöpfung!

Nicht auf der Erde der Sterblichen, nicht auf ihrer! Sie sahe

Keines Unsterblichen Antliz! vernahm, in der bitteren Wehmut

Keines Himmlischen Stimme! Sie dachte wie ehmals; auch konnte

Sie sich bewegen, doch blieb, auch bewegt, sie stets in der Oede.

Ach, vor ihr war jeder Schauplaz neuer Erkenntniß[152]

Weggesunken; sie hatte nur Voriges, und sich selbst! war

Freundelos, ohn' einen Laut Antwort auf die bange

Frage: Wann sein Gericht der Richter endigen werde?

Nur daß ihr aus den alten bisweilen Gedanken entstanden,

Welche, doch dieses wußte sie nicht, die ihren nicht waren.«


O wie wahr! wie wahr! dacht' ich mit glühender Stirne. Ich sah die Einsamkeit, nach Klopstoks treflicher Schilderei, vor mir stehen:


»Mit dem Becher der Freud' in der Rechten!

In der Linken dem Dolche! –

Dem Glüklichen reicht sie den Becher der Freude;

Dem Elenden den blinkenden Dolch!«


Ja mir reichte sie den blinkenden Dolch, und oft hob ich den Arm, um mit einem wütenden Stosse die Qualen meines Herzens zu enden. Aber mein schüzender Engel wand mir den Dolch aus der Hand, und ließ mich sogar – wiewohl erst nach vielen durchjammerten Monden – einige Tropfen[153] aus dem Becher der Freude schlürfen ... Mit einem Worte, Bruder, der du erfahren hast, was ich erfuhr, oder es noch erfahren kannst,


»Einsamkeit ist eine schwere Last,

wenn du Gott nicht bei dir hast!«


Quelle:
Schubart, Christian Friedrich Daniel: Schubart’s Leben und Gesinnungen. Zweiter Theil, Stuttgart 1793, S. 146-154.
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