Meinem Freund R ...

[140] Am großen Freiheitstage geweiht.


Ha, die große Freiheitsstunde

Kommt einmal, mein Freund, für dich!

Mit dem Jubel aus dem Munde

Schwebt sie! Bräutlich zeigt sie sich!

Von des Engels Hauch zerschmelzen

Schwere Fesseln, deren Last

Du, gekettet an den Felsen

Deiner Wand, getragen hast.


Ach! sie führt mit Lilienhänden

Dich vom Thränenberg herab,

Dem Gefangenen, Elenden,

Schauervoller als das Grab.

Kerkerstaub entfliegt dem Kleide,

Und der goldnen Freiheit Licht

Hängt an seinem Saum; die Freude

Röthet wieder dein Gesicht.


Weggeschwunden, o du Lieber!

Weggeschwunden ist die Nacht,

Die dir oft die Seele trüber,

Als der Nächte Schau'r gemacht.

Deine Thränen sind verflossen,

Die du oft im Kerkergrab

Vor dem Engel hingegossen,

Den dir Gott zum Schutze gab.


Keine Schlösser, keine Riegel

Rasseln mehr vor deiner Thür';

Und der Schwermuth Rabenflügel

Schattet nimmer über dir.

Nimmer steigt durchs Eisengitter

Dein Geächz': O Vater, nimm

Diesen Kelch, so schwer, so bitter,

So gefüllt mit deinem Grimm.[141]


Deine Brüder siehst du nimmer

Schleppen ihrer Ketten Last;

Hörst nicht mehr ihr Angstgewimmer

In den Nächten ohne Rast.

Siehst nicht mehr die Weidengerte

In des Kriegers Blut getaucht;

Nimmer siehst du, wie die Erde

Von Verzweiflungszähren raucht.


Freiheit! Freiheit! hörst du tönen

Aus dem alten Eichenhain,

Wandelst bald mit Deutschlands Söhnen

Wieder an dem freien Main.

Freiheit! Gottes größter Segen!

Freiheit, ach, wann wandelst du

Mir Bestürmten auch entgegen?

Bringst mir wieder Seelenruh'?


R ..., Trauter, sieh mich weinen

Mit verhülltem Angesicht.

Geh, umarme nun die Deinen;

Aber Freund, vergiß mich nicht!

Sprich zu deinen Lieben: droben

Fault in seinem Kerkergrab

Schubart, der mir manche Proben

Seiner Lieb' und Freundschaft gab.


R ..., nicht mehr auf dieser Erde,

Einst im Himmel seh' ich dich!

O dann bleibst du mein Gefährte,

Ewig! ewig liebst du mich!

Und in Paradieseslauben,

Wo kein Menschenhenker quält,

Schweben wir, wie Zwillingstauben,

Die die Sympathie vermählt.

Quelle:
Christian Friedrich Daniel Schubart: Gedichte. Leipzig [o.J.], S. 140-142.
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