|
[107] Dem Raben gleich, dem grausen Unheilsboten,
Deß Schnabel ist des Kranken Sterbeglöcklein,
Der in dem Schatten stiller Nächte
Ansteckung von dem schwarzen Fittich schüttelt,
So eilt verwirrt, gemartert Barrabas
Mit Todesflüchen zu den Christen hin.
Der Jude von Malta.
Man hörte noch lange fernes Summen der scheidenden und lebhaft plaudernden Volkshaufen, die auf verschiedenen Straßen hinzogen.
Durch die Dunkelheit, die nun hereinbrach, glühte das Feuer vieler Oefen und kündigte die Arbeit der Waffenschmiede an, die die ganze Nacht hindurch thätig sein mußten, um bis zum Morgen die beschädigten Rüstungen herzustellen, die von neuem gebraucht werden sollten.
Eine starke Wache von Geharnischten, die alle zwei Stunden abgelöst wurde, umgab die Schranken und hielt sie während der Nacht unter strenger Obhut.
Der enterbte Ritter fand ein Unterkommen für die Nacht in einem der Zelte, das die Marschälle ihm höflich zur Benutzung überließen. Kaum war er in dies Zelt getreten, als Knappen und Pagen in Menge ihm ihre Dienste anboten, um ihn der Rüstung zu entledigen, ihm einen andern Anzug zu reichen und die Erfrischung des Bades anzubieten. Ihr Eifer wurde vielleicht durch die Neugierde erhöht; denn jeder war begierig zu erfahren, wer denn eigentlich der Ritter sei, der so viele Lorbeeren geerntet und sich doch geweigert hatte, das Visier zu öffnen oder seinen Namen[108] zu nennen. Allein diese dienstfertige Neugier wurde diesmal nicht befriedigt. Der enterbte Ritter lehnte alle Unterstützung ab, außer der seines eigenen Knappen, eines finster aussehenden Mannes, der, in ein dunkelfarbiges, schlechtes Gewand gehüllt, und Kopf und Gesicht zur Hälfte in eine normännische Mütze von dunklem Pelzwerk begraben, seine Verkleidung eben so streng behaupten zu wollen schien als sein Herr selbst. Nachdem sich alle übrigen aus dem Zelte entfernt hatten, nahm ihm sein Diener die lästigsten Theile seiner Rüstung ab, und setzte ihm Wein und Speise vor, die ihm die Anstrengungen des Tages höchst schmackhaft machten.
Kaum hatte er sein hastiges Mahl geendet, als man ihm meldete, daß fünf Männer, von denen jeder ein Schlachtroß am Zügel führe, ihn zu sprechen wünschten. Der enterbte Ritter hatte seine Rüstung jetzt mit einem langen Gewande vertauscht, welches Leute seines Standes gewöhnlich zu tragen pflegten, und das mit einer Art Kappe versehen war, durch die man das Gesicht nach Gefallen eben so verbergen konnte, wie durch das Visier des Helmes; indessen hätte die Dunkelheit eine solche Verhüllung unnöthig gemacht, es müßte denn jemand die Züge des andern sehr genau gekannt haben.
Der enterbte Ritter begab sich demnach sogleich vor das Zelt und fand hier die Knappen der Herausforderer, die er sogleich an ihrer röthlichen und schwarzen Kleidung erkannte, und von denen jeder das Schlachtroß seines Gebieters führte, beladen mit der Rüstung, in der jeder an diesem Tage gefochten hatte.
»Gemäß den Gesetzen der Ritterschaft,« sagte der erste von ihnen, »biete ich, Balduin de Oyley, Knappe des gefürchteten Ritters Brian de Bois-Guilbert, Euch, der Ihr Euch selbst den enterbten Ritter nennt, das Roß und die Rüstung an, welche besagter Brian de Bois-Guilbert an diesem Tage des Turniers benutzt hat, entweder um selbige zu behalten oder ein Lösegeld zu bestimmen, nach Euer Gnaden Gefallen, denn solches ist das Gesetz der Waffen.«
Die andern Knappen wiederholten fast dieselbe Formel und erwarteten hierauf die Entscheidung des Ritters.
»Für euch, ihr vier Knappen,« versetzte der Ritter, indem er sich an die wendete, welche zuletzt gesprochen hatten, »und für eure[109] ehrenwerthen und tapferen Herren habe ich nur eine gemeinsame Antwort. Empfehlt mich den edlen Rittern, euren Herren, und sagt ihnen, ich würde übel thun, wenn ich sie ihrer Rosse und Rüstungen berauben wollte, welche nie von tapferern Männern besessen werden können. Ich wünschte, ich könnte hier meinen Auftrag an diese tapferen Ritter endigen, allein, da ich, wie ich mich selbst nenne, in Wahrheit der Enterbte bin, so muß ich eurer Herren Anerbieten insofern annehmen, daß es ihnen gefallen möge, wenigstens ihre Rüstungen auszulösen, denn die, welche ich trage, kann ich in der That kaum mein eigen nennen.«
»Wir sind beauftragt,« erwiderte der Knappe Reginald Front de Boeufs, »jeder hundert Zechinen zur Auslösung dieser Rosse und Rüstungen anzubieten.«
»Es ist hinreichend,« sagte der enterbte Ritter. »Die Hälfte der Summe nöthigt mich mein gegenwärtiges Bedürfniß anzunehmen; die andere Hälfte mögt ihr theils unter euch selbst, theils unter die Herolde und andere Dienstleistende bei dem Feste vertheilen.«
Das Barett in der Hand und mit tiefen Verbeugungen drückten die Knappen ihren Dank für eine Artigkeit aus, welche selten, am wenigstens in solchem Maße, vorzukommen pflegte. Der enterbte Ritter wandte sich hierauf eigens an Balduin, den Knappen Brian de Bois-Guilberts, und sagte zu ihm: »Von Eurem Herrn nehme ich weder Waffen noch Lösegeld an. Sagt ihm in meinem Namen, unser Kampf sei noch nicht beendigt, nicht eher, als bis wir noch mit Schwert und Lanze gefochten haben, sowohl zu Fuß als zu Roß. Zu solchem Kampfe auf Leben und Tod hat er mich selbst herausgefordert, und ich werde diese Herausforderung nicht vergessen. Daher meldet ihm, daß ich mich gegen ihn nicht so benehmen kann, wie gegen einen seiner Gefährten, sondern nur wie gegen jemanden, der mich auf Tod und Leben gefordert.«
»Mein Herr,« entgegnete Balduin, »versteht sich darauf, Verachtung mit Verachtung, Streich mit Streich, sowie Höflichkeit mit Höflichkeit zu erwidern. Da Ihr es verschmäht, von ihm eine Lösung anzunehmen, die Ihr für die Waffen der andern Ritter angenommen habt, so muß ich Euch seine Rüstung und sein Roß hier lassen, denn ich bin überzeugt, daß er sich beider nie wieder bedienen wird.«[110]
»Wohl gesprochen, treuer Knappe,« sagte der enterbte Ritter, »wohl und kühn, wie es sich ziemt, für seinen abwesenden Herrn zu sprechen. Allein Pferd und Rüstung laßt doch nicht hier! Stellt sie Eurem Herrn wieder zu, und verschmäht er dennoch, sie anzunehmen, so behaltet sie, mein Freund, zu Eurem eignen Gebrauch. Insofern sie mir gehören, sind sie Euch geschenkt.«
Balduin machte eine tiefe Verbeugung und entfernte sich mit seinen Gefährten. Der enterbte Ritter kehrte in sein Zelt zurück.
»So weit, Gurth,« sagte er, indem er sich zu seinem Diener wandte, »hat der Ruhm der sächsischen Ritterschaft durch mich nicht gelitten.«
»Und ich,« sagte Gurth, »ich dächte, für einen westsächsischen Schweinehirten hätte ich die Rolle eines normännischen Knappen nicht übel gespielt.«
»Ja, aber,« entgegnete der enterbte Ritter, »Du hast mich in fortwährender Angst erhalten, daß Dein tölpelhaftes Benehmen Dich verrathen möchte –«
»Still doch!« sagte Gurth, »ich fürchte von niemand entdeckt zu werden, als von meinem Kameraden Wamba, dem Narren; denn ich weiß noch immer nicht, ob er mehr Schelm als Narr ist. Indeß konnte ich mich doch kaum des Lachens enthalten, als mein alter Herr so nahe an mir vorüberging und sichs gar nicht anders träumen ließ, als daß Gurth noch seine Schweine einige Meilen davon in den Wäldern und Sümpfen von Rotherwood hütet. Wenn ich entdeckt werde –«
»Genug,« erwiderte der enterbte Ritter, »Du kennst ja mein Versprechen.«
»Nun, daran liegt mir nichts,« sagte Gurth, »ich werde aus Furcht, daß mir das Fell gegerbt werden könnte, meine Freunde wahrlich nicht verlassen. Ich habe eine ziemlich dicke Haut, die verträgt die Peitsche so gut, wie die eines Ebers in meiner Heerde.«
»Ich lohne Dir jede Gefahr, der Du Dich mir zu Liebe aussetzest,« erwiderte der enterbte Ritter, »doch nimm einstweilen diese zehn Goldstücke.«
»Nun bin ich reicher,« sagte Gurth, sie in die Tasche steckend, »als je ein Schweinehirt oder Leibeigner im ganzen Lande gewesen.«
»Trage diesen Beutel mit Geld nun nach Ashby,« fuhr sein[111] Herr fort, »suche Isaak, den Juden von York, auf, und laß ihn sich selbst bezahlt machen für das Roß und die Rüstung, die er mir geliehen.«
»Nein, beim heiligen Dunstan,« versetzte Gurth, »das thue ich nimmermehr.«
»Was, Kerl,« sagte sein Herr, »Du willst meinen Befehlen nicht gehorchen?«
»Ja, aber sie müssen vernünftig und christlich sein,« entgegnete Gurth; »aber dieser ist es nicht! Dulden, daß ein Jude sich selbst bezahlt mache, wäre nicht redlich, denn das hieße meinen Herrn berauben, es wäre unvernünftig, und nur ein Narr oder Nichtchrist könnte so handeln; es hieße ja einen Gläubigen plündern, um einen Ungläubigen zu bereichern.«
»Nun so sieh, wie Du ihn befriedigst, Du Dickkopf!« sagte der enterbte Ritter.
»Gut,« sagte Gurth, den Beutel unter den Arm nehmend und das Zelt verlassend. »Ich will gehen,« murmelte er für sich; »ich werde ihn schon mit einem Viertel seiner Forderung befriedigen.«
Der enterbte Ritter versank in düstere Gedanken; warum? dürfen wir unsern Lesern vorläufig noch nicht entdecken.
Wir müssen jetzt die Scene nach dem Dorfe Ashby, oder vielmehr nach dem Landhause in der Nähe desselben verlegen, welches einem reichen Juden gehörte, bei dem sich Isaak mit seiner Tochter und seinen Dienern einquartiert hatte.
In einem kleinen aber mit Verzierungen im morgenländischen Geschmack reichlich ausgestatteten Zimmer saß Rebekka auf mehreren über einander gelegten Kissen, welche längs einer Erhöhung, die rings um das Zimmer lief, angebracht waren, und die gleich der Estrada der Spanier statt der Stühle und Sessel dienten. Sie beobachtete die Bewegungen ihres Vaters, der mit niedergeschlagener Miene und unregelmäßigen Schritten im Zimmer umherging, mit kindlicher und ängstlicher Aufmerksamkeit. Zuweilen schlug er die Hände zusammen, zuweilen erhob er die Augen zur Decke, wie jemand, der sich in großer Unruhe befindet.
»O Jakob!« rief er aus, »und all ihr zwölf Erzväter unseres Stammes, was ist das für ein Unglück für einen armen Mann,[112] der doch jeden Buchstaben im Gesetz Mosis treulich beobachtet hat! Fünfzig Zechinen mit einem Griffe mir entwendet zu sehen, und durch die Finger eines Tyrannen?«
»Aber, Vater,« sagte Rebekka, »es schien doch, als gäbet Ihr dem Prinzen das Geld willig und gern« –
»Willig, sagst Du, willig? Ja, eben so willig, als da ich in dem Meerbusen von Marseille meine Waaren über Bord warf, um das Schiff leichter zu machen bei dem heftigen Sturme; und war denn das nicht eine Stunde voll unaussprechlichen Elends, obgleich ich selbst das Opfer brachte?«
»Es geschah aber doch, um unser Leben zu retten, Vater,« versetzte Rebekka, »und der Gott unserer Väter hat seitdem Euer Waarenlager und Euern Handel gesegnet.«
»Ja,« entgegnete Isaak, »aber wenn der Tyrann nun Beschlag darauf legt, wie heute, und mich zwingt zu lächeln, indem er mich plündert! O, Tochter! enterbt und unstät wie wir sind, ist doch das größte Uebel, das unsern Stamm trifft, daß alle Welt uns auslacht, wenn wir gemißhandelt und geplündert werden; wir müssen unser erlittenes Unrecht verbeißen und geduldig lächeln, wo wir wünschten, uns muthig zu rächen.«
Während dieser Unterredung war es dunkel geworden, als ein jüdischer Diener ins Zimmer trat und zwei silberne Lampen mit wohlriechendem Oel auf den Tisch setzte. Die köstlichsten Weine und ausgesuchtesten Erfrischungen wurden zugleich von einem anderen Diener auf einen kleinen elfenbeinernen, mit Silber ausgelegten Tisch niedergesetzt, denn in ihren Häusern versagten sich die Juden keinen Aufwand. Der Diener meldete Isaak zugleich, daß ein Nazarener, so nannten die Juden die Christen unter sich, ihn zu sprechen wünsche. Wer vom Handel lebt, muß immer und für jeden zu sprechen sein, der Geschäfte mit ihm machen will. Isaak setzte daher den schon erhobenen Becher mit griechischem Weine wieder auf den Tisch, rief seiner Tochter zu: »Verschleiere Dich, Rebekka!« und ließ den Fremden eintreten.
Gerade als Rebekka einen Schleier von Silbergaze, der ihr bis zu den Füßen reichte, über ihr schönes Gesicht hatte fallen lassen, öffnete sich die Thüre, und Gurth trat herein, in seinen weiten normännischen Mantel gehüllt. Sein Aeußeres hatte eher[113] etwas Verdächtiges als Einnehmendes, zumal da er die Mütze, statt sie abzunehmen, noch weiter ins Gesicht zog.
»Bist Du Isaak, der Jude von York?« fragte Gurth in sächsischer Sprache.
»Der bin ich,« erwiderte der Jude in derselben Sprache, denn sein Verkehr hatte ihm die damals in England geredeten Sprachen geläufig gemacht, »und wer bist Du?«
»Das geht Dich nichts an,« antwortete Gurth.
»Eben so viel als mein Name Dich angeht,« erwiderte Isaak, »denn wenn ich den Deinen nicht weiß, wie kann ich mit Dir Geschäfte machen?«
»Sehr leicht,« versetzte Gurth, »denn wenn ich Geld bezahlen will, muß ich die rechte Person kennen, der ichs ausliefere; Dir, der Du es empfängst, kann es ziemlich gleichgültig sein, wer Dir es zahlt.«
»Ei sieh doch!« sagte der Jude. »Du willst mir Geld bezahlen? Heiliger Vater Abraham! Das ändert die Sache. Und von wem bringst Du es denn?«
»Von dem enterbten Ritter,« sagte Gurth, »dem Sieger im heutigen Turniere. Es ist der Preis für die Rüstung, die ihm Kirjath Jairam von Leicester auf Deine Empfehlung geliehen. Der Zelter ist wieder in Deinem Stalle. Ich wünschte nun zu wissen, wie viel ich für die Rüstung zu zahlen habe?«
»Sagt ichs nicht, er sei ein guter Junge?« rief Isaak voller Freude. »Ein Becher Wein wird Dir nicht schaden,« setzte er hinzu und schenkte dem Schweinehirten einen volleren Becher ein als er selbst ihn vorher hatte trinken wollen. »Und wie viel hast Du denn mitgebracht?«
»Heilige Jungfrau!« sagte Gurth und setzte den Becher nieder, »welchen Nektar trinken die ungläubigen Hunde, indeß redliche Christenleute Gott danken, wenn sie so dickes und trübes Bier haben, wie das Spülicht, das die Schweine bekommen. Wie viel ich mitgebracht habe? Nun, es ist eben nicht viel; aber Du sollst doch etwas erhalten! Wie, Isaak, Du mußt doch auch ein Gewissen im Leibe haben, wenn es auch nur ein jüdisches ist?«[114]
»Ja,« sagte der Jude, »aber Dein Herr hat ja treffliche Pferde und reiche Rüstungen mit der Stärke seiner Lanze und seiner Hand gewonnen; und er ist ein guter Mensch! Der Jude will diese an Zahlungs statt annehmen, und ihm den Ueberschuß herausgeben.«
»Mein Herr hat schon darüber verfügt,« sagte Gurth.
»Ach, das war Unrecht,« sagte der Jude, »das war ein thörichter Streich! Kein Christ kann doch so viel Rosse und Rüstungen bezahlen, auch kein Jude außer mir wird ihm die Hälfte des Werthes geben. Doch, Du hast gewiß hundert Zechinen da unten,« sagte der Jude und that einen Griff unter Gurths Mantel, »der Beutel ist schwer.«
»Ich habe Bolzenspitzen darin,« erwiderte Gurth sofort.
»Wenn ich sagte, ich wollte achtzig Zechinen für das gute Pferd und die reiche Rüstung annehmen, so hätte ich nicht einen Pfennig Profit. Habt Ihr wirklich Geld zu zahlen?«
»Zur Nothdurft,« sagte Gurth, obwohl die verlangte Summe billiger war, als er erwartet hatte, »aber dann wird mein Herr ganz und gar bloß. Ist es indeß Eure letzte Forderung, so muß ich zufrieden sein.«
»Schenke Dir noch ein Glas Wein ein,« sagte der Jude, »aber achtzig Zechinen sind doch zu wenig; da büße ich noch die Zinsen von dem Gelde ein; und überdies kann ja auch das Roß Schaden genommen haben. Es war ein gar zu hartes Zusammentreffen. Mann und Roß rannten ja wie wilde Stiere aufeinander los. Das Pferd muß Schaden genommen haben.«
»Und ich sage,« versetzte Gurth, »es ist gesund an Lunge und Gliedern, Du kannst es besehen im Stall. Auch sage ich noch, daß siebzig Zechinen genug sind für die Rüstung. Wollt Ihr siebzig nehmen? Wo nicht, so nehme ich den Beutel wieder mit zu meinem Herrn.« Bei diesen Worten schüttelte er denselben, daß der Inhalt klang.
»Nein, nein,« sagte der Jude, »lege nieder die Talente, die Seckel, die achtzig Zechinen, und Du sollst sehen, ich werde Dich freigebig bedenken.«
Gurth ließ sichs endlich gefallen, und indem er die achtzig Zechinen auf den Tisch zählte, stellte ihm der Jude eine Quittung[115] über den Empfang der Zahlung aus. Seine Hand zitterte vor Freude, als er die ersten siebzig Goldstücke einstrich. Die letzten zehn überzählte er mit mehr Ueberlegung, er pausirte dabei und sprach etwas, sowie er jedes einzelne Stück vom Tische nahm und in seinen Beutel fallen ließ. Es schien, als ob sein Geiz mit seiner bessern Natur kämpfte und ihn antriebe, Zechine nach Zechine einzustreichen, während seine Großmuth ihn nöthigte, wenigstens etwas seinem Wohlthäter zurückzugeben.
Seine Worte lauteten ungefähr wie folgt: »Einundsiebzig – zweiundsiebzig – Dein Herr ist ein guter Junge – dreiundsiebzig – ein vortrefflicher Junge – vierundsiebzig – das Stück ist ein wenig beschnitten – fünfundsiebzig – und das scheint etwas zu leicht zu sein – sechsundsiebzig – wenn Dein Herr Geld bedarf, so mag er nur zum Isaak von York kommen – siebenundsiebzig – so viel muß ich selber dafür zahlen.« Hier machte er eine beträchtliche Pause, und Gurth hoffte, die drei letzten Stücke möchten dem Schicksal ihrer Kameraden entgehen, aber die Zählung wurde fortgesetzt. – »Achtundsiebzig – Du bist ein guter Kerl – neunundsiebzig – Du verdienst etwas für Deine Mühe.«
Hier machte der Jude wieder eine Pause und betrachtete die letzte Zechine, ohne Zweifel in der Absicht, sie Gurth zu schenken. Er wog sie auf der Spitze des Fingers und ließ sie auf dem Tische klingen. Hätte sie matt geklungen, oder wäre sie nur um ein Haar zu leicht ausgefallen, so hätte wahrscheinlich der Edelmuth gesiegt, aber unglücklicherweise für Gurth war der Klang voll und rein, die Zechine stark, von schönem Gepräge und hielt noch einen Gran übers Gewicht. Isaak vermochte sich daher nicht von ihr zu trennen und ließ sie in den Beutel fallen, wie in einer Art von Geistesabwesenheit, indem er sagte: »Achtzig macht die Zahl voll! Ich denke, Dein Herr wird Dich schon ansehnlich belohnen! Gewiß,« setzte er mit einem forschenden Blick auf den Beutel hinzu, »hast Du noch mehr Geld in diesem Beutel.«
Mit grinsendem Lächeln erwiderte Gurth: »Fast eben so viel, als Du jetzt so sorgfältig gezählt hast.« Dann legte er die Quittung zusammen, steckte sie unter seine Mütze, schenkte sich ungebeten noch einen dritten Becher Wein ein und verließ ohne Complimente das Zimmer.[116]
»Rebekka,« sagte der Jude, »dieser Ismaelite hat mich doch überholt! Indeß, sein Herr ist dennoch ein guter Junge, und es ist mir lieb, daß er hat Seckel voll Gold und Seckel voll Silber gewonnen durch die Schnelligkeit seines Rosses und durch die Stärke seiner Lanze, die, wie Goliaths des Philisters, mit einem Weberbaum wetteifern könnte.«
Als er sich umwandte, Rebekkas Antwort zu vernehmen, bemerkte er, daß sie unterdeß das Zimmer verlassen hatte.
Inzwischen war Gurth die Treppe hinabgestiegen, und als er die dunkle Vorhalle erreicht hatte, tappte er umher, den Eingang zu suchen; da erblickte er beim Schein einer silbernen Lampe eine weiße Gestalt, die ihm nach einem Seitengemache winkte. Gurth trug Bedenken, der Einladung zu folgen. Ungestüm und rauh, wie ein wilder Eber, wenn er nur menschliche Kräfte zu fürchten hatte, war er doch, wie alle Sachsen, voll Furcht vor Gespenstern, Kobolden und weißen Frauen. Es fiel ihm ein, daß er im Hause eines Juden sei, und diese wurden zu jener Zeit für Schwarzkünstler und Zauberer gehalten. Trotzdem besann er sich doch nur einige Augenblicke und folgte der Gestalt wirklich in das Gemach.[117]
»Mein Vater scherzte nur mit Dir, guter Mann,« sagte Rebekka, »er verdankt Deinem Herrn viel mehr, als diese Waffen und das Roß werth sind. Welche Summe hast Du jetzt meinem Vater gezahlt?«
»Achtzig Zechinen,« antwortete Gurth, erstaunt über diese Frage.
»In diesem Beutel wirst Du hundert finden,« sagte Rebekka. »Gib Deinem Herrn zurück, was sein ist, und behalte das übrige für Dich. Schnell fort! Keinen Dank! Und nimm Dich in Acht, daß Du glücklich durch die überfüllte Stadt kommst, wo Du leicht Deine Beutel und Dein Leben verlieren könntest. – Ruben,« setzte sie hinzu, indem sie in die Hände schlug, »leuchte dem Fremden und dann vergiß nicht, Schloß und Riegel hinter ihm zuzumachen.«
Ruben, ein schwarzäugiger und schwarzbärtiger Israelit, folgte dem Befehl mit einer Fackel in der Hand. Er öffnete die Hausthür, führte Gurth über einen gepflasterten Hofraum und wies ihn durch ein kleines Pförtchen im Thorwege, das er dann wieder hinter sich mit so starken Riegeln und Ketten verschloß, daß man den Ort für ein Gefängniß hätte halten können.
»Beim heiligen Dunstan!« sagte Gurth, als er in der dunklen Allee weiterstolperte, »das ist keine Jüdin, sondern ein Engel vom Himmel! Zehn Zechinen von meinem braven jungen Herrn, und zwanzig von dieser Perle Zions! O, häppig daeg! Glücklicher Tag! Noch ein solcher, Gurth, und Du kannst Dich frei machen von Deiner Hörigkeit so gut wie ein anderer. Dann aber lege ich das Horn und den Stab des Schweinehirten nieder, nehme wie ein freier Mann Schwert und Schild und folge meinem jungen Herrn bis in den Tod, ohne meinen Namen oder mein Gesicht zu verbergen.«
Ausgewählte Ausgaben von
Ivanhoe
|
Buchempfehlung
Anders als in seinen früheren, naturalistischen Stücken, widmet sich Schnitzler in seinem einsamen Weg dem sozialpsychologischen Problem menschlicher Kommunikation. Die Schicksale der Familie des Kunstprofessors Wegrat, des alten Malers Julian Fichtner und des sterbenskranken Dichters Stephan von Sala sind in Wien um 1900 tragisch miteinander verwoben und enden schließlich alle in der Einsamkeit.
70 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.
444 Seiten, 19.80 Euro