Kapitel XVII.

[181] Und Abends in dem stillen Studienwinkel

Schlag ich das erzbeschlagne Buch auf, das

Geziert mit Bildern ist von frommen Thaten

Der heil'gen Märtyrer, die Himmelslohn

Im Jenseits krönt. Und brennt die Kerze dunkel,

Sing ich den Psalter vor dem Schlafengehn.

Wer würfe wohl die Pracht der Welt hinweg,

Um meinen Stab, mein grau Gewand zu nehmen

Und dieses stille Eremitenleben

Dem Lärm der Welt dort draußen vorzuziehn?


Warton.


Trotz der Vorschrift des genialen Einsiedlers fand der willige Gast es doch nicht so leicht, die Harfe richtig zu stimmen.

»Mich dünkt, heiliger Vater, dem Instrument fehlt eine Saite, und die übrigen sind falsch behandelt worden.«

»Aha, merkst Du das?« versetzte der Eremit, »das zeigt, daß Du ein Meister in der Kunst bist. – Wein und Schmaus!« setzte er ernst hinzu, wobei er die Augen nach oben kehrte, »alles die Folge von Wein und Schmaus! Ich sagte es Allan vom Thal, dem Minstrel aus Norden, gleich, daß er die Harfe ruiniren würde, wenn er sie nach dem siebenten Humpen spielte, aber er ließ sich nicht zureden. – Freund, ich komme Dir hier eins auf das glückliche Gelingen!«

Dabei ergriff er mit Feierlichkeit den Becher und schüttelte zugleich das Haupt über die Unmäßigkeit des Minstrels aus Norden.

Inzwischen hatte der Ritter die Saiten in Ordnung gebracht[182] und fragte nach einem kleinen Vorspiel seinen Wirth, ob er ein sirviente in der langue d'oc, d.h. ein südfranzösisches, oder ein lai (einen Laich) in der langue d'oui, ob er ein virelai oder eine Ballade in sächsischer Mundart hören wolle.

»Eine Ballade, eine Ballade, ân treóvlîc seaxna lioth, ein echtes Sachsenlied! Zum Teufel mit den fränkischen ocs und ouis! Dûnriht seaxan ic eom, ich bin ein gerader, schlichter Sachse, Herr Ritter; ein schlichter Sachse war mein Schutzpatron, der heilige Dunstan, und haßte die ocs und ouis wie des Teufels Hufspäne – Dûnrihte seaxan lióth âne sculon beón sungen in thisum hâlgum hûse, nur schlichte Sachsenlieder sollen in dieser Zelle gesungen werden.«

»So will ich,« sagte der Ritter, »eine Ballade versuchen, die von einem gleóman, einem echten sächsischen Sänger, gedichtet wurde, den ich im heiligen Lande kennen lernte.«

Es zeigte sich sofort, daß, wenn der Ritter nicht ein vollendeter Meister in der Sangeskunst war, er doch seinen Geschmack unter den besten Lehrern veredelt hatte. Sein Lied lautete folgendermaßen:


Des Kreuzfahrers Rückkehr.

Nach mancher ritterlichen That

Vom heil'gen Land der Kämpfer naht,

Das Kreuz, das seine Schulter trägt,

Hat mancher rauhe Sturm gefegt.

Sein Schild, von manchem Hieb zerhaun,

Läßt eben so viel Schlachten schaun,

Und unterm Fenster seiner Maid

Singt leise er zur Dämmerzeit:


»Heil sei Dir, Maid! Dein Rittersmann

Langt heut vom goldnen Lande an;

Er bringt nicht Gold, er bringt nicht Pracht.

Nur Roß und Waffen aus der Schlacht.

Die Sporen, in den Feind zu jagen,

Und Lanz und Schwert, ihn todt zu schlagen.

Dies sind die Früchte seiner Mühn,

Und – seiner Thekla Wangenglühn.«


Heil sei der Maid – denn ihre Lieb

Zur Heldenthat den Ritter trieb;

Auch sie bleibt dann nicht ungenannt

Beim Volke wie beim Ritterstand.[183]

Der Minstrel singt, der Herold spricht:

»Schaut ihr die holde Maid dort nicht?

Sie ists, für die ihr Rittersmann

Die Schlacht bei Ascalon gewann!«


Ihr Lächeln schaut – es hat gemacht,

Daß heut manch Türkenweib nicht lacht,

Daß Mahoms Macht und Zauber wich,

Der Sultan unterm Streich erblich.

Seht, wie ihr Haar – hell wie die Sonne

Zeigt und versteckt des Busens Wonne.

Jedwedes Löcklein, das so strahlt,

Ein Paynim hats mit Blut bezahlt.


Heil sei der Maid! – ihr sei die Ehr!

Ich gebe Ruhm und Namen her.

Doch ach, du Traute, laß mich ein,

Schon fällt der Thau, beim Sternenschein,

Gewöhnt an Syriens Sonnengluth,

Raubt mir der Nord des Lebens Muth,

Besieg die Liebe Deine Scham –

Um den, der Dich zu freien kam.


Während des Vortrags gebarte sich der Eremit ganz wie ein heutiger Kritiker ersten Ranges beim Anhören einer guten neuen Oper. Er lehnte sich mit halb geschlossenen Augen auf seinem Sitze zurück; dann schien er mit verschlungenen Daumen und gefalteten Händen in Aufmerksamkeit versunken, und bald darauf bewegte er wieder gleichmäßig seine ausgebreiteten Hände und schwang sie im Tact zur Musik. Als das Lied zu Ende war, erklärte der Eremit es für eine treffliche Leistung und schön vorgetragen. Die damaligen Kritiker, wenn sie auch selbst Künstler waren, kannten den Neid und die kleinliche Eifersucht noch nicht, und selbst mancher gefürchtete Criticus unserer Tage hätte von ihnen in diesem Punkte lernen können.

»Und dennoch, dünkt mich, haben sich meine angelsächsischen Landsleute lange genug mit den Normannen gemein gemacht, um in den Ton ihrer melancholischen Liedlein zu verfallen. Was führte denn unsern biedern Rittersmann aus der Heimath hinweg? Oder was konnte er bei seiner Heimkehr denn anders erwarten, als seine Braut mit einem begünstigten Nebenbuhler verlobt oder gar verheirathet zu finden? Nichtsdestoweniger, Herr Ritter, bringe ich Euch[184] diesen Ganzen und trinke ihn auf das Glück aller treuen Liebhaber! – Ich hoffe, Ihr seid da nicht mit inbegriffen,« fügte er hinzu, als er sah, daß der Ritter seinen Wein mit Wasser mischte.

»Nun,« versetzte der Ritter, »sagtet Ihr mir nicht, dies Wasser käme aus dem Born Eures geheiligten Schutzpatrons Dunstan?«

»Ei freilich! und manch hundert Heiden hat er damit getauft, aber ich hörte nie, daß er auch davon getrunken habe. Ein jeglich Ding sollte immer in der Welt seine eigene und bestimmte Verwendung finden. St. Dunstan kannte so gut wie einer die Vorrechte eines heiteren Klosterbruders.«

Mit diesen Worten griff er nach der Harfe und unterhielt seinen Gast mit folgendem charakteristischen Liede, bei dem nur der Chorus, der den nach uralter Form gedichteten Refrain zu singen hat, hinzugedacht werden muß.


Das ehrwürdige Barfüßerlein.

Ein Jahr, guter Bursch, oder zwei geb ich Dir,

Such mir in Europa, im ganzen Revier

Von Byzanz bis nach Spanien – Wer glücklich mag sein?

Du findest doch stets nur das Barfüßerlein.


Der Ritter sprengt fort für die Dame zum Strauß,

Am Abend bringt man ihn erstochen nach Haus,

Er beichtet in Eile – Die Dame in Pein,

Sie findet den Trost nur beim Barfüßerlein.


Der König? – Ja prosit! man weiß ja recht gut,

Es stak in der Kutte manch fürstliches Blut,

Doch statt eines Mönches ein König zu sein,

Das wünschte noch niemals ein Barfüßerlein.


Das Mönchlein spazieret, und wo es zu schaun,

Da sind ihm zu eigen die Felder und Aun;

Er schweift, wo er will, kehrt, wo er will, ein,

Es gehört jedes Haus ja dem Barfüßerlein.


Am Mittag erwartet ihn Jung und auch Alt,

Der Hochsitz bleibt leer und die Suppe wird kalt,

Denn das beste Stück Fleisch und der Lehnstuhl allein

Gebühren mit Recht doch dem Barfüßerlein.


Am Abend gar warten Pasteten und Bier,

Gefüllt ist der Krug, und er trinkt wie ein Stier.

Der Ehmann muß Nachts in den Kuhstall hinein,

Denn weich muß es liegen, das Barfüßerlein.


Lang lebe Kapuze, Sandale und Strick,

Und der Glaub an den Teufel, bei dir, Katholik!

Denn Rosen pflückt, ohne gestochen zu sein,

Von allen doch stets nur das Barfüßerlein.
[185]

»Meiner Treu,« sagte der Ritter, »Du hast wacker und gar fröhlich gesungen, und Deinem Orden zu hohem Preis. Und, da Ihr doch auch vom Teufel redet, frommer Mann der Kirche, fürchtet Ihr nicht, er könnte Euch einen Besuch machen während Eures ungeistlichen Zeitvertreibs?«

»Ich und ungeistlich!« antwortete der Eremit. »Pfui! über die Beschuldigung. – Dreimal pfui – ich besorge den Dienst meiner Kapelle treu und ehrlich. – Täglich zwei Messen – Morgens und Abends – Früh-, Mittag- und Abendgebet: aves, credos, pater noster.«

»Ausgenommen an Mondscheinabenden, wenn die Jagdzeit angegangen ist,« sagte sein Gast kaltblütig.

»Exceptis excipiendis« erwiderte der Eremit, »wie unser alter Abt mich's sagen gelehrt hat, wenn ein unverschämter Laie mich etwa fragen sollte, ob ich die Ordensregel pünktlich halte.«

»Ganz richtig,« heiliger Vater; »aber der Teufel ist auf solche excepta erpicht; Du weißt ja, er geht umher wie ein brüllender Löwe und –«

»Laß ihn brüllen, laß ihn brüllen, ein Streich von meinem Stricke wird ihn so laut brüllen machen, wie es kaum die Folter des heiligen Dunstan vermocht hätte. Ich habe mich nie vor Menschen gefürchtet, geschweige denn vor dem Teufel und seiner Großmutter. St. Dunstan, St. Dubric, St. Winibald, St. Winfrid, St. Swibert, St. Willich und St. Thomas von Kent nicht zu vergessen, und mein eignes geringes Verdienst dazu – ich trotze jedem Teufel, mag er mit kurzem oder langem Schwanz ankommen. – Aber, um Euch ein Geheimniß anzuvertrauen, ich spreche nie von solchen Dingen, außer nach der Frühmesse.«

Er änderte plötzlich die Unterhaltung. Immer rascher und toller wurde ihre Lustigkeit, und mancher ausgelassne Gesang wechselte zwischen ihnen, – da, auf einmal wurde ihr Zechgelage durch ein lautes unheimliches Pochen an der Thür der Eremitage unterbrochen. Der Wirth und sein Gast fuhren auf. Der Ankömmling und unsere freundlichen Leser müssen eine Weile warten, bis geöffnet wird, indeß wir letztern mit den Schicksalen einer andern Gruppe von Charakteren unseres Dramas bekannt machen.

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 181-186.
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