Kapitel XXI.

[211] Wie viele Jahre sind dahin geschwunden,

Seit Menschen hier um diese Tafel saßen,

Und Lamp' und Kerze darauf brannten!

Mich dünkt, ich hör den Ton vergangner Zeit

Noch murmeln über uns in dem Gewölbe,

Dem dunklen, gleich den Stimmen jener Menschen,

Die in des Grabes Tiefe längst geschlummert.


Orra, ein Trauerspiel.


Während diese Maßregeln zur Befreiung Cedrics und seiner Gefährten getroffen wurden, führten die Bewaffneten ihre Gefangenen nach dem Orte, wo sie festgehalten werden sollten. Es wurde bald dunkel, und die Waldpfade schienen den Räubern doch nur wenig bekannt zu sein. Sie mußten daher oft Halt machen und mehr als einmal umkehren, um sich auf ihrem Wege wieder zurecht zu finden. Der Sommermorgen brach an, ehe sie mit voller Sicherheit wußten, ob sie auf dem rechten Wege wären. Mit dem Tageslichte kehrte ihr Vertrauen zurück, und der Zug rückte mit schnellen Schritten vorwärts. Unterdessen entspann sich zwischen den beiden Anführern der Raubgesellen folgendes Gespräch:

»Nun, Moritz,« sagte der Templer zu de Bracy, »ist es wohl Zeit, daß Du uns verläßt, um den zweiten Theil Deines Schauspiels anzuordnen. Du mußt nun bald den befreienden Ritter spielen.«

»Das hab ich mir besser überlegt,« sagte de Bracy, »ich verlasse Dich nicht, bis der Preis glücklich in Front de Boeufs Schloß in Verwahrung gebracht ist. Dort will ich vor Rowena in meiner eignen Gestalt erscheinen, und ich denke, sie wird die Gewaltthat,[212] der ich mich schuldig gemacht habe, mit der Heftigkeit meiner Leidenschaft entschuldigen.«

»Und warum änderst Du Deinen Plan, de Bracy?« fragte der Templer.

»Das geht Dich nichts an,« war die Antwort.

»Ich will doch hoffen, Ritter,« sagte der Templer, »daß diese Aenderung in Deinen Maßregeln nicht von einem Verdachte gegen meine Ehrlichkeit herrührt, den Dir Fitzurse einzuflößen versucht hat?«

»Meine Gedanken gehören mir,« versetzte de Bracy, »der böse Feind lacht, sagt man, wenn ein Dieb den andern bestiehlt; und man weiß schon, daß, wenn er auch Feuer und Schwefel spiee, ein Templer sich nicht von seiner Neigung abbringen läßt.«

»Noch der Führer einer Freischaar,« entgegnete der Templer, »von der Furcht vor einer Ungerechtigkeit von Seiten seines Kameraden und Freundes, die er selbst gegen jedermann ausübt.«

»Ich kenne schon die Moral des Tempelordens,« sagte de Bracy, »und ich will Dir gerade keine Gelegenheit geben, mich um die schöne Beute zu betrügen, um derentwillen ich so viel aufs Spiel gesetzt habe.«

»Pah!« versetzte der Templer, »was hast Du denn zu fürchten? Du kennst die Gelübde meines Ordens.«

»Gut genug; ich weiß aber auch, wie sie gehalten werden. Die Gesetze der Galanterie lassen in Palästina eine liberale Auslegung zu, und in diesem Falle mag ich mich Deinem Gewissen nicht gerade anvertrauen.«

»Nun, so höre denn,« sagte der Templer, »die blauäugige Schönheit bekümmert mich nicht. Es ist eine in dem Zuge, die mir weit besser behagt.«

»Wie? Zu einer Magd wolltest Du Dich herablassen?«

»Nein,« sagte der Templer stolz, »gewiß nicht! Ich habe unter den Gefangenen einen Preis gefunden, der dem Deinen nichts nachgibt.«

»Bei der heiligen Messe! Du meinst doch nicht etwa die schöne Jüdin?«

»Und wenn ich sie meinte wer will mir entgegen sein?«

»Niemand, so viel ich weiß, es müßte denn Dein Gelübde[213] sein, oder eine Anwandlung von Gewissen ob der Intrigue mit einer Jüdin.«

»Des Gelübdes hat mich unser Großmeister entbunden,« sagte der Templer; »und das Gewissen anlangend, so braucht ein Mann, der dreihundert Saracenen getödtet hat, nicht jeden kleinen Fehltritt zu beichten, wie ein Landmädchen am Charfreitag.«

»Du mußt Deine Vorrechte am besten kennen,« sagt de Bracy; »indeß hätte ich schwören wollen, Dein Augenmerk wäre mehr auf des Wucherers Geldbeutel gerichtet gewesen, als auf die schwarzen Augen seiner Tochter.«

»Ich bewundere beides,« erwiderte der Templer; »der alte Jude aber ist nur eine halbe Beute für mich, denn seinen Geldsack muß ich mit Front de Boeuf theilen, der uns den Gebrauch seines Schlosses nicht umsonst überlassen wird. Ich muß auch etwas für mich allein haben bei unserm Scharmützel, und dazu habe ich mir die schöne Jüdin ausersehen. Nunmehr kannst Du ruhig Deinen ersten Plan ausführen, da Du meine Absicht kennst, Du hast, wie Du siehst, nichts von meiner Dazwischenkunft zu fürchten.«

»Nein! nein!« versetzte de Bracy, »ich bleibe meiner Beute zur Seite. Was Du sagst, ist ja vollkommen wahr, – aber mir gefallen die Privilegien nicht, die der Großmeister ertheilt, und das Verdienst wegen der dreihundert erschlagenen Türken ebensowenig. Bei so großen Ansprüchen auf Vergebung wirst Du Dich wegen einiger kleiner Sünden nicht sehr bedenken.«

Während dieses Gesprächs versuchte Cedric aus denen, die ihn bewachten, ein Geständniß über ihr Vorhaben und ihre Gesinnungen herauszulocken. »Ihr wollt Engländer sein,« sagte er zu ihnen, »und doch stürzt ihr als Räuber auf eure Landsleute, gleich als wenn ihr wahrhafte Normänner wäret. Als meine Nachbarn solltet ihr auch meine Freunde sein, denn welche von meinen englischen Nachbarn hätten Ursache es nicht zu sein? Ich sage euch, Leute, auch die, welche das Loos der Achtserklärung getroffen hat, konnten sich meines Schutzes erfreuen. Ich habe Mitleid mit ihrem Elende gehabt und die Unterdrückung der tyrannischen Edelleute verflucht. Was habt ihr also gegen mich? Oder wozu kann euch eure Gewaltthätigkeit helfen? Ihr seid schlimmer als rohes Vieh in euren Handlungen, wollt ihr auch so stumm sein wie dieses?«[214]

Vergebens setzte Cedric seinen Wachen mit solchen und ähnlichen Worten zu; sie hatten zu gute Gründe, bei ihrem Stillschweigen zu beharren, als daß sie sich auf diese Art dahin hätten bringen lassen, es zu brechen.

Sie eilten daher nur schneller mit ihm fort, bis sich endlich am Ende einer Allee hoher Bäume Torquilstone, das altersgraue Schloß Reginald Front de Boeufs, erhob. Es war eine Feste von nicht großem Umfange und bestand aus einem hohen viereckigen Thurme, den wieder hohe Gebäude umgaben, die den innern Hofraum umschlossen. Um den äußern Wall zog sich ein tiefer Graben, der von dem nahen Flüßchen Wasser erhielt. Front de Boeuf, der infolge seines Charakters mit seinen Feinden immer in Fehde lag, hatte das Schloß noch fester gemacht, indem er auf den äußern Wall hatte Thürme bauen lassen, um ihn von jeder Ecke aus bestreichen zu können. Der Eingang war wie gewöhnlich bei den Burgen jener Zeit in einer Wölbung der Außenwerke angebracht, die auf jeder Ecke in einem Thürmchen endigten, von dem aus sie vertheidigt wurden.

Kaum hatte Cedric die Thürme von Front de Boeufs Schloß erblickt, die im Morgenlichte durch die Dunkelheit des Waldes schimmerten, als ihm auch eine ziemlich genau zutreffende Ahnung von der Ursache seines Mißgeschicks aufzudämmern begann.

»Ich that den Räubern und Geächteten dieses Waldes Unrecht,« sagte er, »wenn ich glaubte, solche Banditen gehörten zu ihren Genossen; ich hätte ebenso gut die Füchse in diesen Löchern mit den hungrigen Wölfen Frankreichs verwechseln können. Sagt mir, ihr Hunde, ist es mein Leben oder mein Vermögen, worauf euer Herr zielt? Ists schon zu viel, daß zwei Sachsen, ich und der edle Athelstane, Grundeigenthum besitzen in einer Gegend, die einst unserm Geschlechte ganz und gar zugehörte? Schleppt uns zum Tod und nehmt uns das Leben, wie ihr es unsern Freiheiten genommen habt, damit eure Tyrannei voll ständig werde. Wenn der Sachse Cedric England nicht befreien kann, so stirbt er gern für dasselbe. Sagt eurem tyrannischen Herrn, ich ließe ihn nur bitten, Lady Rowena unverletzt und in Ehren zu entlassen. Sie ist ein Weib, von ihr hat er nichts zu fürchten, und mit uns werden auch alle die sterben, welche es wagen, für ihre Sache zu fechten.«[215]

Die Begleiter blieben gegen diese Anrede ebenso stumm wie gegen die vorige. Jetzt stand man vor dem Schloßthore. De Bracy stieß dreimal ins Horn, und die Bogen- und Armbrustschützen, welche auf dem Walle erschienen waren, um ihre Ankunft zu beobachten, ließen nun eiligst die Zugbrücke herunter, um sie einzulassen. Die Gefangenen wurden von der Wache genöthigt abzusteigen, und in ein Gemach geführt, wo ihnen in Eile ein Mahl angeboten ward, das jedoch außer Athelstane keiner berührte. Aber auch der Sprößling Eduards des Bekenners hatte nicht eben viel Zeit, der guten Mahlzeit vor ihm ihr Recht widerfahren zu lassen, denn die Wache gab ihm und Cedric zu verstehen, daß sie von Rowena getrennt in einem andern Zimmer in Gewahrsam gehalten werden sollten. Widerstand war vergeblich; sie mußten daher in ein großes Gemach folgen, das, auf rohen sächsischen Pfeilern sich erhebend, den Refectorien und Kapitelhäusern glich, die sich noch jetzt in den ältesten Partien ehemaliger Klöster finden.

Lady Rowena wurde von ihrem Gefolge getrennt und mit Artigkeit zwar, doch ohne jede Berücksichtigung ihrer etwaigen Wünsche in ein entferntes Zimmer geführt. Eine ebenso beunruhigende Auszeichnung wurde auch Rebekka zu Theil, trotz der dringenden Bitten ihres Vaters, der sogar Geld bot, um sie bei sich behalten zu können. »Ungläubiger Schuft,« versetzte einer von der Wache, »wenn Du Dein Loch gesehen hättest, würdest Du Deiner Tochter nicht zumuthen, es zu theilen.« Und ohne alle weitere Erörterung wurde der alte Jude fortgeschleppt. Die Dienerschaft kam, nachdem sie durchsucht und entwaffnet worden, in einen andern Theil des Schlosses, und Rowena mußte sogar des Trostes entbehren, ihre treue Kammerzofe Elgitha bei sich zu haben.

Das Gemach, in welches die sächsischen Oberhäupter gebracht wurden, war ehedem die große Halle des Schlosses gewesen, jetzt war es eine Art von Wachtstube. Der jeweilige Besitzer hatte unter andern Verbesserungen und Verschönerungen auch eine neue Halle in edlem Stil erbaut, deren Decke auf leichten und eleganten Pfeilern ruhte, und in jener reichen Manier verziert war, wie sie die Normänner damals bereits in die Baukunst eingeführt hatten.

Cedric schritt in dem Gemache hin und her, erfüllt von Unwillen und Zorn über das Vergangene und Gegenwärtige, indeß[216] sein Gefährte durch seine Apathie sich über alles, außer über die Unbequemlichkeit des gegenwärtigen Augenblicks zu trösten wußte. Ja er fühlte selbst diese so wenig, daß er nur von Zeit zu Zeit durch Cedrics leidenschaftliche Aeußerungen zu einer Antwort bewogen wurde.

»Ja,« sagte Cedric, halb mit sich selbst sprechend, halb zu Athelstane gewendet, »in der nämlichen Halle saß mein Vater beim festlichen Mahle mit Torquil Wolfganger, als er den tapfern und unglücklichen Harald bewirthete, der damals gegen die Norweger zog, welche sich mit dem Rebellen Tosti vereinigt hatten. In dieser Halle gab Harald dem Abgesandten seines rebellischen Bruders die großmüthige Antwort. Oft habe ich meinen Vater bei der Erzählung dieser Geschichte aufflammen sehen. Tostis Gesandter ward eingelassen, als dieser Raum kaum die Menge edler Sachsenführer fassen konnte, die rund um ihren Monarchen blutrothen Wein zechten.«

»Ich hoffe doch,« sagte Athelstane, durch diesen Theil der Rede seines Freundes etwas bewegt, »sie werden nicht vergessen, uns zu Mittag Wein und Erfrischungen zu senden; wir hatten ja kaum eine Minute zum Frühstück, und mir bekommt das Essen nun einmal nicht, wenn ichs unmittelbar nach dem Absteigen vom Pferde genieße, ob es gleich manche empfehlen.«

Cedric fuhr in seiner Geschichte fort, ohne auf die Bemerkungen seines Freundes zu achten.

»Tostis Gesandter ging die Halle entlang,« sagte er, »ungerührt ob des drohenden Ansehens aller um ihn her, bis er vor dem Throne des Königs Harald seine Ehrfurcht bezeigte. – Welche Bedingungen, sagte er, Herr König, hat Dein Bruder Tosti zu erwarten, wenn er die Waffen niederlegt und um Frieden fleht? – Eines Bruders Liebe, rief der edelmüthige Harald, und die schöne Grafschaft von Northumberland. – Und nimmt Tosti diese Bedingungen an, fuhr der Gesandte fort, welches Land soll sein treuer Verbündeter Hardrada, König von Norwegen, erhalten? – Seofon feet of Engla eorthan, sieben Fuß englischen Bodens, versetzte Harald mit Stolz, oder, da Hardrada ein Riese sein soll, so bewilligen wir ihm vielleicht zwölf Zoll mehr. – Die Halle ertönte vom Beifallsruf, und Becher und Trinkhorn wurden geleert, auf daß der Norweger bald in den Besitz seines englischen Bodens komme.«[217]

»Mit Freuden hätte ich ihnen Bescheid gethan,« sagte Athelstane, »denn mir klebt die Zunge am Gaumen.«

»Der verhöhnte Gesandte,« fuhr Cedric fort, ob sich gleich sein Zuhörer nicht sehr für die Erzählung interessirte, »entfernte sich, die bedeutungsvolle Antwort seines beleidigten Bruders dem Tosti zu hinterbringen. Nun sahen die fernen Thürme von York und der blutige Fluß Derwent jenen schrecklichen Kampf, in welchem nach den unglaublichsten Thaten bewährter Tapferkeit der König von Norwegen und Tosti mit zehntausend ihrer beherztesten Begleiter fielen. Wer hätte denken sollen, daß an dem großen Tage, wo diese Schlacht gewonnen ward, derselbe Wind, der die siegenden Banner der Sachsen blähte, auch die normännischen Segel schwellen und sie an die unselige Küste von Sussex treiben würde? Wer hätte denken sollen, daß Harald binnen wenigen Tagen selbst nicht mehr von seinem Reiche besitzen würde als die paar Schritte, die er in seinem Zorne dem norwegischen Eindringling bewilligen wollte? Wer hätte denken sollen, daß Ihr, edler Athelstane, Ihr, ein Abkömmling von Haralds Blut und ich, dessen Vater wahrlich nicht der schlechteste Vertheidiger der sächsischen Krone war, eines elenden Normanns Gefangene sein würden, in derselben Halle, wo unsere Vorfahren ein solches Festmahl hielten?«

»Es ist freilich traurig,« versetzte Athelstane, »allein ich denke, wir werden mit einem mäßigen Lösegelde davon kommen. Auf alle Fälle aber können sie uns doch nicht geradezu Hungers sterben lassen, wiewohl ich, da es doch schon hoch am Tage ist, immer noch keine Zubereitungen zum Mittagsmahle erblicke. Schau doch einmal durchs Fenster, edler Cedric, und sieh nach der Sonne, obs noch nicht ganz Mittag ist.«

»Es ist möglich,« erwiderte Cedric; »allein ich kann das gefärbte Gitter nicht ansehen, ohne daß andere Betrachtungen in mir erwachen, die sich eben nicht auf den Augenblick und unsern gegenwärtigen Mangel beziehen. Als das Fenster angebracht wurde, mein edler Freund, da kannten unsere rauhen Väter die Kunst, Glas zu machen oder es zu färben, ganz und gar nicht. Wolfgangs stolzer Vater brachte einen Künstler aus der Normandie mit, um diese Halle auf die neue Art zu verzieren, welche das goldene Licht des Tages in so mancherlei phantastische Farben[218] bricht. Der Fremde kam arm, bettelhaft und kriechend hieher und kehrte reich und stolz zurück, seinen Landsleuten von dem Reichthume und der Einfalt der edlen Sachsen erzählend. Wir machten diese Fremdlinge zu unsern Busenfreunden, zu unsern Vertrauten, wir nahmen ihre Künstler und Künste auf und verachteten die edle Einfalt und Rauhheit unserer Vorfahren, so wurden wir durch normännische Künste längst entnervt, ehe wir unter den Waffen der Normänner fielen. O, wie viel besser war doch unsere vaterländische Kost, in Frieden und Freiheit verzehrt, als die üppige Schwelgerei, der zu Liebe wir nun Leibeigene und Sklaven des fremden Eroberers geworden sind!«

»Mir,« versetzte Athelstane, »würde jetzt die schlechteste Kost zu essen Schwelgerei scheinen, und ich wundere mich, edler Cedric, daß Ihr Euch so genau vergangener Geschichten erinnern könnt, daß Ihr die Essenszeit darüber ganz zu vergessen scheint.«

»Vergebene Mühe,« sagte Cedric für sich voller Unwillen, »mit dem von etwas anderem zu reden, als was seinen Magen betrifft. Hardicanuts Seele muß in ihn gefahren sein, denn er kennt kein Vergnügen als schlingen und schlucken, und immer nach mehr rufen. Ach!« setzte er mit einem mitleidigen Blicke auf Athelstane hinzu, »daß eine so dumpfe Seele in einer so gefälligen Gestalt wohnen muß, daß ein solches Unternehmen wie Englands Neugestaltung in einer so schwachen Angel sich drehen soll! Zwar dürfte Rowenas edlere Seele, wenn er sich ihr vermählt hat, die bessere, nur schlummernde Natur in ihm erwecken, aber wie soll dies geschehen, da Athelstane, Rowena und ich selber Gefangene des rohen Räubers sind, und vielleicht deshalb, weil unsere Freiheit ihm für die angemaßte Herrschaft seiner Nation gefährlich scheint?«

Während der Sachse sich in diese quälenden Gedanken versenkte, ging die Thür des Gefängnisses auf, und es trat ein Vorschneider mit seinem weißen Amtsstabe ein. Die wichtige, gravitätisch eintretende Person hatte vier Begleiter, welche einen mit allerlei Speisen besetzten Tisch trugen, deren Anblick und Geruch Athelstane ein hinreichender Ersatz für das erduldete Ungemach zu sein schienen. Alle Personen, welche bei Tische aufwarteten, waren maskirt und verhüllt.[219]

»Was soll dies Mummerei?« sagte Cedric. »Denkt ihr, wir wissen nicht, wessen Gefangene wir sind, wenn wir uns in diesem Schlosse befinden? Sagt Reginald Front de Boeuf, eurem Herrn, er mag seine Raubsucht befriedigen wie ein Räuber! Sagt ihm, er soll das Lösegeld für uns bestimmen, und er soll bezahlt werden, wenn es unsere Kräfte nicht übersteigt.«

Der Vorschneider gab keine Antwort und verbeugte sich nur.

»Und meldet Reginald Front de Boeuf,« sagte Athelstane, »daß ich ihn auf Tod und Leben fordere, zu Fuß oder zu Pferde, an einem sichern Orte, binnen acht Tagen nach unserer Befreiung, die er unter solchen Umständen uns nicht wagen wird zu verweigern.«

»Ich werde dem Ritter Eure Herausforderung überbringen,« erwiderte der Vorschneider, »unterdessen überlasse ich Euch Eurer Mahlzeit.«

Athelstanes Herausforderung kam nicht eben sonderlich glücklich zu Tage, denn er hatte den Mund voll Speise und brauchte beide Kinnbacken äußerst nöthig zum Zermalmen derselben, indessen machte sie doch auf Cedric einen guten Eindruck, so daß er, dem vorher schon die Geduld zu reißen begann, sich über den neu erwachten Muth des Edlings freute.

Die Gefangenen hatten ihre Erfrischungen nicht lange genossen, als ihre Aufmerksamkeit von dieser ernsten Beschäftigung durch die Töne eines Hornes abgelenkt wurde, welche sich vor dem Thore hören ließen. Es wurde dreimal mit solcher Gewalt geblasen, als rührten die Klänge von dem Ritter her, der vor dem bezauberten Schlosse hielt und Hallen, Thürme, Schanzen und Zinnen mit einem Stoße umblies.

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 211-220.
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