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[320] Noch einmal in die Bresche, lieben Freunde!
Sonst füllt mit todten Englischen die Mauer!
– Ihr auch, wackres Landvolk,
In England groß gewachsen, zeigt uns hier
Die Kraft genoss'ner Nahrung; laßt uns schwören,
Ihr seid der Pflege werth. –
König Heinrich V.
(Grote'sche Shakespeare-Ausgabe Bd. I, S. 520.)
Obschon Cedric kein großes Vertrauen in Ulricas Worte setzte, so unterließ er doch nicht, den schwarzen Ritter und Locksley mit ihrem Versprechen bekannt zu machen. Es war ihnen lieb, jemand im Schlosse sich geneigt zu wissen, der im Nothfall im Stande sei, ihnen das Eindringen zu erleichtern, und bald kamen sie mit dem Sachsen dahin überein, daß man auf jeden Fall einen Sturm versuchen müsse, als das einzige Mittel, die Gefangenen zu befreien, die der grausame Front de Boeuf in seiner Gewalt hatte.
»Alfreds königlicher Nachkomme ist in Gefahr,« sagte Cedric.
»Die Ehre einer edlen Jungfrau ist in Gefahr,« sagte der schwarze Ritter.
»Und beim heiligen Christophorus, den ich hier am Gurt trage,« sagte der Landsasse, »gäb es auch keinen andern Grund als die Rettung Wambas, dieser guten, treuen Haut, ich wollte ein ganzes Bein aufs Spiel setzen, eh' ihm ein Haar gekrümmt würde.«
»Und ich auch,« sagte der Mönch. »Nämlich, Herren, ich habe[321] die Ueberzeugung, seht ihr, daß ein Narr – versteht mich recht – ich meine ein Narr, der freigesprochen ist von seiner Zunft und Meister in seinem Gewerbe – daß ein solcher Narr gar viel dazu beitragen kann, einen Schluck Wein und ein Stück Schinken schmackhaft zu machen. – Darum sag ich, liebe Brüder und Andächtige, daß solch einem Narren es niemals an einem Pfaffen fehlen müßte, um für ihn zu beten, oder ihn heraus zu hauen, wenn er in der Klemme sitzt – wenigstens nicht, so lange ich noch eine Messe lesen und eine Streitaxt schwingen kann.« –
»Und wäre es nicht gut, Locksley,« sagte der schwarze Ritter, »daß der edle Cedric die Sturmcolonne befehligte?«
»Ich nicht!« versetzte dieser, »ich bin auf Normannenschlösser nicht einstudirt, die man erst in diesem unglücklichen Lande errichtet hat, aber fechten will ich unter den ersten. Alle meine Nachbarn wissen, daß ich nicht im Kriegsdienst oder im Angriff von festen Burgen geübt bin.«
»Da es denn so mit dem edlen Cedric steht,« sagte Locksley, »so bin ich bereit, die Anführung der Bogenschützen zu übernehmen, und man soll mich an meinem eigenen Gerichtsbaum aufknüpfen, wenn ich es dulde, daß sich die Vertheidiger auf den Mauern zeigen, ohne daß sie von unsern Pfeilen gespickt werden, wie die Braten um Weihnachten mit Gewürznelken.«
»Wohl gesprochen, braver Landmann,« sagte der schwarze Ritter, »und wenn ich bei dieser Gelegenheit eine Rolle übernehmen soll, so bin ich gern bereit, das zu thun. Sobald ich unter diesen tapfern Männern einige finde, die freiwillig einem treuen Ritter folgen wollen, will ich sie mit so viel Geschicklichkeit, als ich durch Uebung erworben habe, zum Angriff auf diese Mauern führen.«
Nachdem so die Rollen unter den Anführern vertheilt worden waren, begann der erste Sturm, dessen Ausgang die Leser bereits vernommen haben.
Als der Wachtthurm genommen war, schickte der schwarze Ritter dem wackern Locksley Nachricht zu und bat ihn zugleich, er möge nun das Schloß so genau beobachten, daß die Belagerten nicht im Stande seien, ihre Streitkräfte zu einem plötzlichen Ausfalle zu vereinigen und das Außenwerk wieder zu nehmen. Dies wollte der Ritter besonders deshalb vermeiden, weil er wußte, daß[322] die Mannschaft, die er führte, nicht gehörig bewaffnet und disciplinirt war und daher bei einem plötzlichen Angriffe von geübten und alten Kriegern, die trefflich gerüstet waren, sehr im Nachtheil sein müßte. Der Ritter benutzte die Zwischenzeit zum Bau einer schwimmenden Brücke oder langen Fähre, auf der er über den Graben setzen konnte. Dies währte freilich einige Zeit, indeß bedauerten die Anführer dies um so weniger, als Ulrica dadurch Zeit gewann, ihren Plan, welcher es auch sein mochte, zu ihrem Vortheil in Ausführung zu bringen.
Als aber die Floßbaute fertig war, rief der schwarze Ritter: »Nun, Freunde, nicht länger gewartet! Schon neigt sich die Sonne dem Untergange zu, und ich kann wegen eines wichtigen Unternehmens nicht noch einen Tag warten. Außerdem wäre es ein Wunder, wenn die Reiter von York nicht über uns herfielen, dafern wir unser Vorhaben nicht schleunig ausführen. Geh also Einer zu Locksley und heiße ihn auf der andern Seite des Schlosses eine tüchtige Salve abzugeben und zugleich wie zum Sturme vorzurücken. Ihr aber, treue englische Seelen, haltet euch zu mir und werft das Floß in den Graben, sobald die Pforte sich öffnet. Folgt mir nur kühn! wir sprengen auf das Ausfallsthor, das zum Hauptwall führt. Wer nicht Lust dazu hat, der stelle sich auf den Außenwall und schieße nieder, was sich oben Lebendiges zeigt. Edler Cedric, willst Du diese Leute befehligen?«
»Ich nicht, bei der Seele Herewards!« sagte der Sachse. »Mich treffe der Fluch meiner Nachkommen im Grabe, wenn ich Dir nicht unter den ersten folge. Der Kampf ist der meine,« sagte er, »und es geziemt mir wohl, stets im Vordertreffen zu stehen.«
»Aber, edler Sachse,« entgegnete der Ritter, »bedenke, Du hast weder Sturmhaube noch Panzer, nur einen leichten Helm, Schild und Schwert.«
»Desto besser,« erwiderte Cedric, »um so leichter klimme ich die Mauern hinan. Ihr sollt heute sehen – verzeiht mir die Prahlerei – wie die nackte Brust eines Sachsen eben so kühn den Gefahren der Schlacht Trotz bietet, als der Stahlpanzer eines Normannen.«
»In Gottes Namen denn,« sagte der Ritter, »öffnet das Thor und laßt die schwimmende Brücke hinunter!«[323]
Sogleich wurde die Pforte geöffnet, die von dem Außenwerke zum Graben führte und dem Ausfallsthore in der Hauptmauer des Schlosses gegenüberstand, und in demselben Augenblick auch das Floß in den Graben gelassen, auf welches sich sogleich der schwarze Ritter und Cedric warfen, die glücklich die andere Seite erreichten. Der erstere fing nun sogleich an, mit der Streitaxt gegen das Thor zu donnern. Er und Cedric fanden einigen Schutz an den Ueberresten der ersten Zugbrücke, welche die Belagerten beim Rückzuge aus dem Außenwerke zerstört hatten; doch die, welche ihnen folgten, standen unbeschützt, und so wurden zwei davon sogleich mit Bolzen erschossen, und zwei andere stürzten in den Graben, die Uebrigen zogen sich in den Thurm des Außenwerks zurück.
Die Lage des Ritters und Cedrics war jetzt sehr gefährlich und würde es noch mehr gewesen sein, wenn nicht die Schützen in dem Außenwerke mit Ausdauer auf die Vertheidiger der Schloßmauern geschossen und so ihre Aufmerksamkeit von den beiden Stürmenden abgelenkt hätten. Dennoch stieg ihre Gefahr mit jedem Augenblicke.
»Schämt euch!« rief de Bracy endlich seinen Kriegsleuten zu, »wollt ihr Bogenschützen sein und laßt die beiden Hunde ihre Stellung unter den Mauern des Schlosses behaupten? Hebt die Steinkappen von der Zinne – oder besser, hinunter mit einem ganzen Mauerstück auf die Unbesonnenen! Holt Spitzhacken und Hebebäume!«
In diesem Augenblicke aber erblickten die Belagerer die rothe Fahne auf der Ecke des Thurmes, die Ulrica dem Cedric angedeutet hatte. Locksley war der erste, der sie bemerkte, indem er zu dem Außenwerk eilte, um den Fortgang des Sturmes zu beobachten.
»Heiliger Georg!« rief er, »zum Angriff, kühne Landsassen! – Warum überlaßt ihr es dem wackern Ritter und dem edlen Cedric, den Zugang allein zu stürmen? Gott und sein England! Drauf, toller Pfaff! Zeige, daß Du für Deinen Rosenkranz fechten kannst! – Drauf, drauf, wackere Landsassen! – Das Schloß ist unser – wir haben Freunde drinnen! – Seht dort die Flagge – das verabredete Zeichen! – Torquilstone ist unser! Denkt an die Ehre, an die Kriegsbeute! – Nur noch ein Vorstoß, und der Platz ist unser!«[324]
Dabei spannte er seinen gewaltigen Bogen und jagte einem der Bewaffneten, die unter de Bracys Anleitung ein Stück von der Mauer losbrechen wollten, einen Pfeil durch die Brust. Ein anderer Soldat, der dem Gefallenen das Brecheisen aus der Hand nahm, womit er das Mauerwerk losbrechen wollte, erhielt einen Pfeil durch die Sturmhaube und stürzte todt in den Schloßgraben. Die andern Soldaten entsetzten sich, denn keine Rüstung schien diesem furchtbaren Schützen widerstehen zu können.
»Weicht ihr, feige Buben?« rief de Bracy. »Gebt mir die Brechstange!« Und nun versuchte er den schon wankenden Mauerblock hinabzustürzen. Wäre es ihm gelungen, so würde er sowohl den Rest der Zugbrücke, die die beiden ersten Stürme deckte, wie auch das Floß zertrümmert haben. Alle bemerkten die Gefahr, und selbst die Herzhaftesten, ja, der Eremit selbst, wollte den Fuß nicht auf dasselbe setzen. Drei Pfeile schoß Locksley auf de Bracy, und alle drei prallten unwirksam von seiner gutgestählten Rüstung ab.
»Verfluchter spanischer Panzer!« rief Locksley, »hätte ihn ein englischer Waffenschmied gemacht, diese Pfeile müßten ihn durchbohrt haben, als wäre er von Seide oder Leinwand gewesen.« Dann rief er: »Kameraden, zieht euch zurück! Laßt das Mauerstück stürzen!«
Doch die Warnungsstimme blieb ungehört. Das Getöse, welches der schwarze Ritter durch seine Schläge an die Thüre verursachte, hätte zwanzig Schlachttrompeten übertönt. Der treue Gurth sprang indeß vorwärts auf das Floß, um Cedric entweder zu retten, oder dessen Schicksal zu theilen. Allein seine Hilfe würde doch zu spät gekommen sein; schon wankte das furchtbare Mauerstück auf seinem Grunde, und schon war de Bracy nahe daran, seinen Zweck zu erreichen, wenn nicht des Templers Stimme ihm plötzlich ins Ohr gedonnert hätte:
»Alles ist verloren! de Bracy, das Schloß brennt!«
»Bist Du toll?« versetzte der Ritter.
»Alles steht in Flammen auf der westlichen Seite; umsonst habe ich jedes Mittel zum Löschen versucht.«
Mit der finstern Kaltblütigkeit, welche den Grundzug seines Charakters ausmachte, theilte Brian de Bois-Guilbert diese schreckliche Nachricht mit, die von seinem erstaunten Gefährten nicht so ruhig angehört wurde.[325]
»Heilige des Paradieses,« rief de Bracy, »was ist zu thun? Ich gelobe dem heiligen Nikolas von Limoges einen Leuchter vom reinsten Golde – wenn – –«
»Spare Deine Gelübde und höre mich an,« sprach der Templer. »Führe Deine Leute hinab, als wolltest Du einen Ausfall machen. Oeffne die geheime Pforte; es stehen nur zwei Mann auf dem Floß, wirf diese in den Graben und dringe dann nach dem Außenwerke vor. Ich will durch das Hauptthor hervorbrechen und das Werk von der Außenseite angreifen! Wenn wir diesen Posten wieder erobern können, so sei versichert, wir halten uns dort, bis wir Hilfe bekommen, oder wir erhalten von ihnen gute Bedingungen.«
»Ein guter Gedanke!« sagte de Bracy; »ich spiele meine Rolle, aber Du mußt mich nicht verlassen, Templer!«
»Hand und Handschuh! Ich werde es nicht,« versetzte de Bois-Guilbert, »aber, eile, eile um des Himmels willen!«
De Bracy zog schnell seine Leute zusammen und stürzte hinab nach dem Pförtchen, das er sogleich öffnen ließ. Allein kaum war dies geschehen, so bahnte sich auch die ungeheure Stärke des Ritters einen Weg in das Innere, trotz allem Widerstande von Seiten de Bracys und seiner Begleiter. »Hunde!« rief er seinen Leuten zu, »wollt ihr die beiden den einzig sichern Ausgang gewinnen lassen?«
»Er ficht wie ein Teufel!« sagte ein alter Gewappneter und wich vor den grimmigen Schlägen des schwarzen Gegners.
»Und ist es der leidige Satan selbst,« erwiderte de Bracy, »müßt ihr darum vor ihm in den Höllenrachen fliehn? Das Schloß brennt hinter uns, ihr Schufte, laßt mich an ihn!«
De Bracy behauptete seinen gewaltigen Kriegsruhm, den er in den Bürgerkriegen jener Zeit erworben.
Die gewölbte Halle, in der sie nun Mann gegen Mann fochten, ertönte von den gewichtigen Streichen des Schwertes, welches de Bracy, und der Streitaxt, welche der schwarze Ritter führte. Endlich empfing der Normann einen Hieb, daß er der Länge nach zu Boden stürzte. Ein Glück für ihn, daß er einen Theil des Streichs noch mit dem Schild auffangen konnte, sonst hätte er nicht mehr geathmet.[326]
»Ergib Dich, de Bracy!« rief der schwarze Ritter, indem er sich über ihn beugte und ihm den Dolch vor das Visir hielt (mit dem die Ritter ihre Feinde vollends zu tödten pflegten und den man daher den Gnadendolch nannte), »ergib Dich, Moritz de Bracy, auf Gnade oder Ungnade, oder Du bist ein Mann des Todes.«
»Ich ergebe mich keinem unbekannten Sieger,« sagte de Bracy mit matter Stimme, »nenne mir Deinen Namen oder tödte mich! Man soll nicht sagen, daß sich de Bracy einem namenlosen Wichte ergab.«
Der schwarze Ritter flüsterte dem Besiegten etwas ins Ohr.
»Ich bin Dein Gefangener auf Gnade oder Ungnade,« sagte der Normann, indem er den Ton entschlossener Hartnäckigkeit in den der tiefsten Unterwürfigkeit verwandelte.
»Geh in das Außenwerk,« sagte der Sieger in gebieterischem Tone, »und erwarte dort meine Befehle!«
»Aber erst laß mich Dir sagen, was Dir wichtig ist zu wissen,« sagte de Bracy. »Wilfred von Ivanhoe liegt verwundet und gefangen hier und muß ohne schleunige Hilfe in den Flammen umkommen.«
»Wilfred von Ivanhoe?« rief der schwarze Ritter, »jedes Mannes Leben im Schlosse soll mir für das seinige haften, wenn ihm ein Haar versengt wird! Zeige mir sein Gemach!«[327]
»Steige jene Wendeltreppe hinauf, sie führt zu dem Zimmer! Willst Du mich nicht zum Führer nehmen?«
»Nein, ins Außenwerk, und erwarte dort meine Befehle! Ich traue Dir nicht, de Bracy.«
Während des Kampfes und des kurzen Gesprächs, welches darauf folgte, drang Cedric an der Spitze eines Haufens, unter dem sich der Mönch auszeichnete, über die Brücke nach dem geöffneten Pförtchen und trieb die entmuthigten Begleiter de Bracys zurück, von denen manche um Gnade baten, manche einen vergeblichen Widerstand versuchten und der größte Theil nach dem Schloßhofe floh. De Bracy erhob sich vom Boden, und indem er einen schmerzlichen Blick auf den Sieger richtete, sagte er: »Er traut mir nicht! Habe ich denn auch etwas Besseres verdient?« Dann nahm er sein Schwert von der Erde und den Helm ab, zum Zeichen der Unterwerfung, und begab sich in das Außenwerk, wo er das Schwert dem Locksley übergab, dem er zufällig begegnete.
Als das Feuer um sich griff, wurden die Spuren desselben auch bald in dem Gemache sichtbar, wo Ivanhoe von der Jüdin bewacht und gepflegt wurde. Er war durch den Lärm der Schlacht aus seinem kurzen Schlummer erweckt worden, und seine Wärterin, die sich auf sein dringendes Begehren wieder an das Fenster gestellt hatte, um ihm von dem Gange des Angriffs Nachricht zu geben, wurde daran auf einige Zeit gehindert durch die sich immer vermehrenden und erstickenden Dünste. Endlich machte sie die große Masse des eindringenden Rauches und das Geschrei nach Wasser, welches das Getöse durchdrang, auf die wachsende Gefahr aufmerksam.
»Das Schloß brennt!« rief Rebekka. »Was können wir thun, uns zu retten?«
»Fliehe, Rebekka, und rette Dein eigenes Leben,« sagte Ivanhoe, »denn menschliche Hilfe kann mich nicht retten.«
»Ich fliehe nicht,« versetzte Rebekka, »wir retten uns, oder gehen zusammen zu Grunde. Aber, Gott im Himmel! mein Vater! mein Vater! Was wird dessen Schicksal sein?«
In diesem Augenblicke wurde die Thür des Gemaches geöffnet, und der Templer trat herein – ein furchtbarer Anblick, denn seine vergoldete Rüstung war zerbrochen und blutig, und der Federbusch[328] auf seinem Helm theils zerhauen, theils verbrannt. »Ich habe Dich!« sagte er zu Rebekka, »Du sollst nun sehen, daß ich mein Wort halten werde, Wohl und Wehe mit Dir zu theilen. Es gibt nur noch einen Weg zur Rettung, ich habe ihn mir durch fünfzig Dolche bis zu Dir gebahnt! – Auf, und folge mir augenblicklich!«
»Allein folge ich Dir nicht,« entgegnete Rebekka. »Wenn Du vom Weibe geboren bist, wenn noch ein menschliches Gefühl in Dir lebt, wenn Dein Herz nicht, wie Dein Panzer, von Stahl ist, so rette meinen alten Vater, rette den verwundeten Ritter!«
»Ein Ritter, Rebekka,« entgegnete der Templer mit seiner gewöhnlichen Kälte, »ein Ritter muß seinem Schicksale zu begegnen wissen, sei es in Gestalt des Schwertes oder der Flamme, und wen kümmert es, wann und wo den Juden das seinige ereilt?«
»Wilder Krieger,« sagte Rebekka, »eher will ich in den Flammen umkommen, als Rettung von Dir annehmen.«
»Du hast keine Wahl, Rebekka; einmal hast Du mich getäuscht, aber keinem Sterblichen gelingt dergleichen zum zweiten Mal.« Mit diesen Worten ergriff er das erschrockene Mädchen, welches die Luft mit ihrem Geschrei erfüllte, und trug sie aus dem Zimmer, ohne auf die Drohungen zu achten, welche Ivanhoe gegen ihn ausstieß.
»Hund von einem Templer! Schandflecken Deines Ordens! laß das Mädchen frei! Verrätherischer Bois-Guilbert! Ivanhoe befiehlt es Dir, der sich nach Deinem Herzblut sehnt!«
In demselben Augenblick trat der schwarze Ritter ins Gemach und sagte: »Ich hätte Dich nicht gefunden, Wilfred, wenn ich Deine Stimme nicht gehört hätte.«
»Bist Du ein echter Ritter,« sagte dieser, »so denke nicht an mich; verfolge den Räuber, rette die Lady Rowena, siehe nach dem edlen Cedric!«
»Wenn die Reihe an sie kommt,« entgegnete der schwarze Ritter; »Du bist zuerst dran.«
Hierauf ergriff er Ivanhoe und trug ihn ebenso leicht davon, als der Templer Rebekka fortgetragen hatte; eilte mit ihm nach der Pforte, und nachdem er seine Bürde hier an zwei Bogenschützen abgegeben hatte, kehrte er ins Schloß zurück, um die übrigen Gefangenen zu befreien.[329]
Ein Thurm brannte schon hell, und die lichten Flammen brachen schon aus den Fenstern und Schießscharten hervor. Allein an andern Stellen widerstanden die starken Mauern und gewölbten Gemächer dem Fortschritt der Flammen, und hier triumphirte noch die Wuth der Menschen, als das schrecklichste aller Elemente; denn die Belagerer verfolgten die Vertheidiger von Gemach zu Gemach und stillten ihren Blutdurst, der sie lange gegen die Söldlinge des tyrannischen Front de Boeuf gestachelt hatte. Die meisten von der Besatzung baten um Gnade, aber keiner erhielt sie; die Luft erschallte vom Geheul, vom Gewimmer und vom Klirren der Waffen – die Fußböden waren schlüpfrig vom Blut der verzweifelnden, sterbenden Unglücklichen.
Mitten durch diese Scenen eilte Cedric, Rowena aufzusuchen, begleitet von dem treuen Gurth, der durchaus nicht von ihm ließ und sein eigenes Leben nicht achtete, um die Streiche, die auf seinen Herrn geführt wurden, abzuwenden. Der edle Sachse war so glücklich, das Gemach seiner Mündel zu erreichen, eben als diese schon alle Hoffnung zur Rettung aufgegeben hatte und, das Bild des Erlösers ans Herz gedrückt, jeden Augenblick den Tod erwartete. Er übergab sie Gurths Obhut und ließ sie in das Außenwerk bringen, wohin der Weg von Feinden frei und von den Flammen noch nicht erreicht war. Hierauf suchte der redliche Cedric seinen Freund Athelstane auf, entschlossen, alles zu wagen, um in ihm den letzten Sprößling des sächsischen Königsstammes zu retten. Allein ehe noch Cedric bis zu der alten Halle gelangte, worin er selbst gefangen gesessen, hatte Wambas erfinderisches Genie bereits ein Mittel zu seiner und seines Unglücksgefährten Rettung gefunden.
Als das Getöse des Kampfes am stärksten war, fing der Narr aus Leibeskräften an zu schreien: »Heiliger Georg mit dem Drachen! Heiliger Georg für das lustige England! Das Schloß ist genommen!« diese Worte verstärkte er dadurch, daß er einige alte Waffenstücke zusammenschlug, welche in der Halle umherlagen.
Ein Wächter im Vorgemache, dessen Furcht schon ziemlich groß war, wurde durch Wambas Geschrei vollends alles Muthes beraubt; er stürzte fort, um dem Templer zu melden, daß Feinde in die alte Halle gedrungen wären, und ließ die Thür offen. Unterdessen fanden die Gefangenen keine Schwierigkeit, zu entkommen[330] und sich in den Schloßhof zu retten, der der Schauplatz des letzten Gefechtes war. Hier befand sich nämlich der Templer zu Pferde, umgeben von einigen der Besatzung zu Fuß und zu Roß, die sich dem berühmten Führer angeschlossen hatten, um den letzten Versuch zum Entkommen und zur Rettung zu machen. Auf seinen Befehl war zwar die Zugbrücke niedergelassen worden, allein der Ausgang war besetzt; denn die Bogenschützen, die bisher dem Schlosse auf dieser Seite bloß durch ihre Geschosse zugesetzt hatten, sahen nicht sobald die Flammen hervorbrechen und die Zugbrücke sich senken, als sie sich auch in den Ausgang drängten, theils um die Garnison nicht entkommen zu lassen, theils um auch Theil an der Beute zu haben, ehe das Schloß gänzlich niederbrennen möchte. Auf der andern Seite eilten die, welche durch die geheime Pforte eingedrungen waren, in den Schloßhof und griffen mit Wuth den Rest der Vertheidiger an, die sich auf beiden Seiten zugleich angegriffen sahen.
Von Verzweiflung ergriffen und durch das Beispiel ihres unbezwinglichen Führers ermuntert, focht die noch übrige Besatzung des Schlosses mit der größten Tapferkeit, und da sie wohl bewaffnet war, gelang es ihr mehrmals, die an Zahl überlegenen Stürmenden zurückzutreiben. Rebekka, vor einen der Saracenensklaven aufs Pferd gesetzt, befand sich in der Mitte dieses kleinen Haufens, und Bois-Guilbert war ungeachtet des Getümmels mit aller Aufmerksamkeit für ihre Sicherheit besorgt. Beständig war er ihr zur Seite, und seiner eigenen Vertheidigung nicht achtend, hielt er ihr seinen dreieckigen, stahlbelegten Schild vor; dessenungeachtet ließ er seinen Schlachtruf fortwährend ertönen und streckte den nächsten Vordringenden zu Boden, indem er zugleich den Zügel des Rosses hielt.
Athelstane, der, wie der Leser weiß, träg aber nicht feig war erblickte die weibliche Gestalt, die der Templer so sorgsam beschützte, und zweifelte nicht, daß es Rowena sei, die der Ritter alles Widerstandes ungeachtet fortführen wolle.
»Bei der Seele des heiligen Eduard,« sagte er, »ich will sie aus der Gewalt des stolzen Ritters befreien, und er soll von meiner Hand sterben.«
»Bedenke, was Du thust!« rief ihm Wamba zu, »eine vorschnelle[331] Hand denkt, sie fischt, aber krebst bloß. Bei meiner Schellenkappe! das ist nicht Lady Rowena – sieh nur ihre langen dunkeln Locken! – Wenn Du nicht schwarz von weiß unterscheiden kannst, magst Du immerhin Anführer sein, ich aber folge Dir nicht – ich lasse mir die Gebeine nicht anders zerschlagen, als wenn ich weiß für wen. – Und noch dazu ohne Rüstung! – Bedenkt, Euer seidenes Barett hält keine stählerne Klinge aus. – Nun denn, wer absichtlich zum Wasser geht, mag ertrinken. – Deus vobiscum! tapferer Athelstane!« – Mit diesen Worten ließ er das Gewand des Sachsen fahren, welches er bis dahin festgehalten hatte.
Einen Streitkolben vom Boden heben, wo er eben einer sterbenden Hand entfallen war, auf des Templers Haufen losstürzen, rechts und links um sich schlagen und mit jedem Hiebe einen Krieger zu Boden strecken, war jetzt für Athelstanes durch ungewöhnliche Wuth erhöhte Stärke das Werk eines Augenblicks. Bald war er dem Bois-Guilbert bis auf zwei Schritte nahe und forderte ihn im lautesten Tone heraus.
»Zurück, falscher Templer! Laß sie los, die Du zu berühren nicht würdig bist! Hieher gewendet. Du Glied einer mörderischen und heuchlerischen Räuberbande!«
»Hund!« sagte der Templer, mit den Zähnen knirschend, »ich will Dich lehren den heiligen Orden des Tempels von Zion schmähen!« Mit diesen Worten hob er sich in den Steigbügeln, wandte sein Roß gegen den Sachsen und führte einen furchtbaren Schlag auf Athelstanes Haupt.
Richtig war Wambas Bemerkung gewesen, daß ein seidenes Barett keine stählerne Klinge aushält. Des Templers Schwert war so scharf, daß es den zähen, mit Eisen beschlagenen Handgriff des Streitkolbens wie einen Weidenzweig durchschnitt und noch so heftig den Kopf des Sachsen traf, daß er zu Boden stürzte.
»Ha, Beau-seant!« rief Bois-Guilbert, »so möge es allen ergehen, welche die Tempelritter schmähen! – Wer sich retten will, folge mir!« rief er dann laut, benutzte den Schrecken, welchen Athelstanes Fall verbreitet hatte, drang über die Zugbrücke vor und zerstreute die Bogenschützen, die ihn aufhalten wollten. Seine Saracenen und fünf bis sechs Bewaffnete, die ihre Pferde bestiegen[332] hatten, folgten ihm. Der Rückzug wurde durch die Menge der auf ihn abgeschossenen Pfeile äußerst gefährlich; doch dies hinderte ihn nicht, rund um das Außenwerk zu reiten, in dessen Besitz de Bracy möglicher Weise noch sein konnte.
»De Bracy! De Bracy!« rief er, »bist Du da?«
»Ich bin hier,« versetzte de Bracy, »aber ich bin gefangen.«
»Kann ich Dich befreien?« rief Bois-Guilbert.
»Nein,« versetzte de Bracy. »Ich habe mich auf Gnade oder Ungnade ergeben. Ich bleibe meinem Worte treu. Rette Dich – die Falken sind los – mache, daß die See zwischen Dir und England liegt – mehr darf ich nicht sagen.«
»Gut,« antwortete der Templer, »wenn Du hier bleiben willst, so erinnere Dich, daß ich mein Wort und meinen Handschuh ausgelöst habe. Mögen die Falken sein, wo sie wollen, so werden doch die Mauern des Präceptoriums zu Templestowe mir sichern Schutz gewähren, und dorthin will ich eilen.«
Hierauf galoppirte er mit seinen Begleitern davon.
Nach der Entfernung des Templers fochten die noch im Schlosse Zurückgebliebenen mehr, um Pardon zu erhalten, als zu entkommen; dazu war keine Aussicht. Das Feuer verbreitete sich mit großer Schnelligkeit durch alle Theile des Schlosses, als Ulrica, die es zuerst angezündet, auf einem Thurme erschien, ganz in der Gestalt einer Furie, und einen Schlachtgesang ertönen ließ, der denen der sächsischen Skalden auf den Gefilden des Todes glich. Ihr langes graues Haar flatterte, zerstreut im Winde um ihren Nacken; die Freude gesättigter Rache vermischte sich in ihren Augen mit dem Feuer des Wahnsinns, und in der Hand schwang sie den Rocken, als wäre sie eine der Schicksalsschwestern, die den Lebensfaden spinnen. Einige dieser wilden Strophen lauteten:
1.
Wetzt euern Blankstahl,
Ihr Drachensöhne!
Zünde die Fackel,
Tochter des Hengest!
Nicht blitzet der Stahl wie zum Schnitt beim Festmahl,
Hart ist er und breit und scharf gespitzt.
Nicht leuchtet die Fackel der Braut zur Kammer,
Sie lodert bläulich von Schwefel und dampft.[333]
Wetzet den Blankstahl! es krächzet der Rabe;
Zündet die Fackel! der Kriegsgott ruft.
Wetzt euren Blankstahl,
Ihr Drachensöhne!
Zünde die Fackel,
Tochter des Hengest!
2.
Auf des Edlings Hofburg sinkt schwarz die Wolke,
Auf ihr hin fährt der Adler und kreischt.
Kreische nicht, – grauer Reiter der Wolke!
Schweig und warte, – Dein Mahl ist bereitet!
Aus schaun alle Jungfraun Walhallas,
Gäste ja sendet Hengests Geschlecht.
Schüttelt, Valkyren, die schwarzen Locken!
Greift in die Harfe und singet das Schlachtlied!
Nach euren Hallen schreitet der Stolze,
Nach euren Hallen neigt sich sein Haupt.
3.
Nacht sinkt grausig aufs Schloß des Edlings,
Dunkle Wolken sammeln sich rings.
Roth sind bald sie wie Blut des Tapfern,
Der Holzvertilger hebt bald seinen Kamm
Den rothen Kamm entgegen den Wolken.
Der helle Verzehrer der hohen Paläste
Hebt bald sein Banner und breiter Lohe,
So roth, so breit, so qualmig
Ueber dem Kampfe der Männer;
Freut sich am Schwertklang, am Bersten der Schilder
Lecket mit Gier dann das zischende Blut,
Wenn es der Wunde so warm entquillt.
4.
Alle gehn unter!
Es spaltet das Schwert die glänzenden Helme
Es sauset die Lanze durch starke Panzer;
Feuer verschlinget der Fürsten Gemächer,
Donnernd sprengen die Widder das Haus.
Alle gehn unter!
Hengests Geschlecht – es ging von hinnen,
Horsas Name wird nimmer gehört.
Laßt nicht ab von dem Rachegerichte,
Söhne des Schwertes – Sachsensöhne,
Trinke wie Wein eure Klinge das Blut![334]
Labet euch all' an dem Mahle des Mordens,
Labt euch beim Lichte der lodernden Halle!
Sei euer Schwert stark, während das Blut heiß,
Schont aus Erbarmen nicht, schont nicht aus Furcht.
Nur einer Stunde Genuß hat die Rache,
Im Rachengenießen erschöpft sich der Haß –
Auch mich ruft der Tod!
Die Flammen schlugen in wilder Lohe zum Himmel empor und erleuchteten weit umher die Gegend. Ein Thurm nach dem andern stürzte zusammen, und die Streitenden wurden endlich von dem Schloßhofe vertrieben. Die Besiegten, von denen indeß wenige das Leben behielten und entkamen, zerstreuten sich in dem nahen Walde. Furchtlos, aber mit Staunen betrachteten die Sieger die schauderhaften Flammen, von denen ihre eigenen Rüstungen in dunkelrothem Lichte glänzten. Ulricas, der Sächsin, schreckliche Gestalt war noch lange auf der höchsten Spitze der Gebäude sichtbar, und sie schien mit wildem Jauchzen der Zerstörung zuzusehen, die sie als Gebieterin beherrschte. Endlich brach auch dieser Thurm mit donnerndem Getöse zusammen; sie selber versank in der Gluth und verschwand. Mit stummem Erstaunen starrte jeder noch lange nach dem Orte hin, und jede Hand bewegte sich, um das Zeichen des Kreuzes zu schlagen. Jetzt erhob Locksley seine Stimme: »Frohlockt, meine Leute! – Die Höhle des Tyrannen ist zerstört! Laßt jeder seine Beute zu dem bestimmten Platze bei dem Gerichtsbaume im Harthill-Walk bringen; denn morgen mit Tagesanbruch soll sie dort unter uns und den würdigen Verbündeten unserer Rache zur Theilung gelangen.«
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Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro