Kapitel XLIV.

[479] So ists zu Ende wie ein Weibermärchen.


Webster.


Als die ersten Eindrücke der Ueberraschung geschwunden waren, fragte Wilfred den Großmeister, ob er männlich und rechtlich seine Pflicht in dem Kampfe gethan habe?

»Männlich und rechtlich ist sie gethan worden,« erwiderte der Großmeister; »ich erkläre daher das Mädchen für frei und schuldlos. – Die Waffen und der Leichnam des entseelten Ritters stehen zur Verfügung des Siegers.«

»Ich mag ihn seiner Waffen nicht berauben,« sagte der Ritter von Ivanhoe, »auch wünschte ich seinen Leichnam nicht beschimpft zu sehen. Er hat für das Christenthum gefochten; Gottes Hand, nicht menschliche Gewalt hat ihn zu Boden gestreckt. Aber laßt ihn im Stillen beerdigen, wie einen, der in einem ungerechten Streite gefallen ist. – In Ansehung des Mädchens –«

Hier wurde er durch den Hufschlag von Rossen unterbrochen, die so schnell und in solcher Anzahl herbeieilten, daß der Boden unter ihnen zu beben schien. Der schwarze Ritter sprengte in die Schranken. Ihn begleitete eine zahlreiche Menge Bewaffneter und mehrere Ritter in voller Rüstung.

»Ich komme zu spät!« sagte er, um sich schauend. »Ich hatte Bois-Guilbert für mich ausersehen. Ivanhoe, war es recht, solch ein Abenteuer zu übernehmen, da Du Dich kaum selbst im Sattel halten konntest?«

»Der Himmel,« versetzte Ivanhoe, »hat sich diesen stolzen[480] Mann zum Opfer erkoren. Er sollte die Ehre nicht haben, so zu sterben, wie Ihr es gewollt.«

»Friede mit ihm,« sagte Richard, indem er ernst auf den Leichnam schaute, »sei es, wie es wolle, er war tapfer, und ist in seiner Rüstung echt ritterlich gestorben. Allein wir dürfen keine Zeit verlieren. – Bohun, thue Deine Pflicht!«

Aus des Königs Gefolge trat sogleich ein Ritter hervor, und indem er seine Hand auf Albert Malvoisins Schulter legte, sagte er: »Ich verhafte Dich wegen Hochverraths!«

Der Großmeister hatte bisher verwundert dagestanden, jetzt sprach er:

»Wer ist es, der es wagt, einen Ritter des Tempels von Zion innerhalb des Umkreises seines eigenen Präceptoriums und in Gegenwart des Großmeisters selbst zu verhaften? Und auf wessen Befehl geschieht diese kühne Beleidigung?«

»Ich bewirke die Verhaftung,« versetzte der Ritter, »ich, Heinrich Bohun, Graf von Essex, Lord Großconnetable von England.«

»Und er verhaftet Malvoisin,« sagte der König, indem er sein Visir aufhob, »auf Befehl Richard Plantagenets, der hier gegenwärtig ist. Conrad Mont-Fichet, es ist gut für Dich, daß Du nicht mein geborner Unterthan bist. Aber Du, Malvoisin, Du stirbst nebst Deinem Bruder Philipp, ehe die Welt um acht Tage älter ist.«

»Ich widersetze mich dem Urtheile!« sagte der Großmeister.

»Stolzer Templer!« versetzte der König, »das kannst Du nicht. Blicke auf und sieh die königliche Fahne Englands auf Deinen Thürmen, an Stelle der des Tempels! Sei klug, Beaumanoir, und versuche keinen vergeblichen Widerstand! Deine Hand liegt in des Löwen Rachen!«

»Ich werde nach Rom gegen Dich appelliren,« erwiderte der Großmeister, »wegen Kränkung der Freiheiten und Vorrechte unsers Ordens.«

»Meinetwegen!« sagte der König, »aber um Deiner selbst willen mahne mich jetzt nicht daran. Löse Dein Kapitel auf und ziehe mit Deinen Gefährten nach dem nächsten Präceptorium, wenn Du eins finden kannst, das sich noch keiner hochverrätherischen Verschwörung[481] gegen den König von England schuldig gemacht hat. Oder willst Du bleiben, so theile unsere Gastfreundschaft und bezeuge unsere Gerechtigkeit.«

»Soll ich ein Gast sein in dem Hause, wo ich befehlen müßte?« sagte der Templer; »nie, niemals! Kaplan, stimme an den Psalm: Quare fremuerunt gentes? Ritter, Knappen und Anhänger des heiligen Tempels, bereitet euch, dem Banner Beau séant zu folgen!«

Der Großmeister sprach mit einer Würde, die Englands König selbst in Verlegenheit setzte, und seinen erstaunten und erschrockenen Anhängern Muth einflößte. Sie drängten sich um ihn her, wie die Schafe um den Wächterhund, wenn sie den Wolf heulen hören. Allein sie bewiesen keineswegs die Furchtsamkeit der Schafe, sondern man bemerkte finstere Stirnen und Blicke, welche mit Feindseligkeiten drohten, die sie nicht wagten in Worten zu äußern. Sie zogen sich in eine dunkle Reihe von Speeren zusammen, aus welcher die weißen Mäntel der Ritter unter den schwarzen Kleidern ihrer Diener wie die hellen Säume dunkler Wolken hervorschimmerten. Die Menge, welche ein lautes Geschrei des Mißfallens ausgestoßen, schwieg und betrachtete stumm die furchtbare und erfahrene Kriegsschaar, die der König so unvorsichtig herausgefordert hatte, und scheu wich sie zurück.

Der Graf von Essex, als er die versammelte Macht vor sich sah, drückte seinem Rosse die Sporen in die Seiten, und sprengte vor- und rückwärts, um seine Gefährten zum Widerstand gegen eine so furchtbare Schaar zu sammeln; Richard allein, gleich als liebe die Gefahr, die seine Gegenwart erzeugt hatte, ritt langsam an der Front der Templer hinunter und rief: »Wie, ihr Herren? Unter so tapfern Rittern will nicht einer eine Lanze mit Richard brechen? Ihr Herren des Tempels, eure Damen müssen sehr von der Sonne verbrannt sein, wenn ihr sie nicht des Splitters einer Lanze werth haltet!«

Der Großmeister der Templer ritt auf diese Worte vor und sprach:

»Die Brüder des Tempels fechten nicht um so eitler und profaner Zwecke willen, auch nicht mit Dir, Richard von England, soll in meiner Gegenwart ein Ritter eine Lanze brechen. Der Papst und die Fürsten Europas mögen entscheiden, ob ein christlicher[482] Fürst wohlgethan hat, eine Sache so zu verfechten, wie Du es heute gethan hast. Unangegriffen entfernen wir uns, niemanden angreifend. Deiner Ehre vertrauen wir die Waffen und Effekten des Ordens, die wir nicht mitnehmen können, und auf Dein Gewissen wälzen wir das Aergerniß und die Kränkung, die Du heute dem Christenthum zugefügt hast.«

Mit diesen Worten und ohne eine Antwort zu erwarten, gab der Großmeister das Zeichen zum Aufbruch. Die Trompeter bliesen einen wilden Tusch nach orientalischer Art als das gewöhnliche Signal der Templer zum Abmarsch. Sie bildeten ihren Nachtrab zu einer Kolonne und ritten langsamen Schrittes fort, gleich als wollten sie zeigen, daß es nur der Wille ihres Großmeisters, keineswegs aber Furcht vor der ihnen gegenüberstehenden Macht sei, was sie zum Abzug bewege.

»Bei der heiligen Jungfrau!« sagte König Richard, »es ist Schade, daß die Templer nicht so zuverlässig, als tapfer und disciplinirt sind.«

Die Menge, gleich einem furchtsamen Hunde, der erst bellt, wenn der Gegenstand, der ihn beleidigte, den Rücken gewandt hat, ließ ein Geschrei vernehmen, als die Schaar den Platz verließ.

Während des Lärms, den der Rückzug der Templer verursachte, sah und hörte Rebekka nichts von alle dem, was sie umgab. Sie lag bewußtlos in den Armen ihres alten Vaters, der sie endlich durch sein Zureden aus ihrer Betäubung erweckte.

»Laß uns von hinnen, mein theures Kind,« sagte er, »mein wiedergefundener Schatz, laß uns gehen und uns dem edlen Jüngling zu Füßen werfen!«

»Nein, nein,« sagte Rebekka, »ich darf es jetzt nicht wagen, mit ihm zu reden. O, ich möchte noch mehr sagen, als – nein, mein Vater, laß uns augenblicklich diesen bösen Ort verlassen.«

»Aber, liebste Tochter,« entgegnete Isaak, »ihn zu verlassen, der so weit hergekommen ist, als ein tapferer Mann mit Speer und Schild, sein eigenes Leben nicht achtend, wenn er Deine Gefangenschaft nur löste, und Du, Du, die Tochter eines verachteten Volkes, ihm ganz fremd, o, das ist ein Dienst, der dankbar erkannt werden muß.«

»Ja, ja, dankbar, demüthigst erkannt, das soll er werden, doch[483] jetzt nicht, nur jetzt nicht! Um Deiner geliebten Rahel willen, schlage mir diese Bitte nicht ab, – jetzt nicht.«

»Aber,« sagte Isaak, noch immer in sie dringend, »sie werden uns für undankbarer halten als schnödes Vieh« –

»Siehst Du denn nicht, theurer Vater, daß König Richard zugegen ist, und daß« –

»Du hast Recht, meine gute, meine kluge Rebekka! Fort von hier! Fort von hier! – Er durstet nach Geld, gewiß; denn er ist erst aus Palästina und, wie man sagt, aus dem Gefängnisse zurückgekehrt – und einen Vorwand dazu wird er schon finden, weil ich mit seinem Bruder Johann verkehrt habe. Fort, laß uns von hinnen eilen!«

So zog er seine Tochter mit sich aus den Schranken fort und brachte sie, da er schon Pferde in Bereitschaft hatte, glücklich in das Haus des Rabbiners Nathan.

Kaum hatte sich die Jüdin, deren Schicksal das Hauptinteresse des Tages ausmachte, unbemerkt entfernt, so wandte sich die Aufmerksamkeit des großen Haufens auf den schwarzen Ritter. Die Luft erscholl nun von dem Rufe: »Lange lebe Richard der Löwenherzige! Nieder mit den Templern!«

»Ungeachtet dieser Lippentreue,« sagte Ivanhoe zu dem Grafen von Essex, »war es doch gut, daß der König die Vorsicht brauchte, Dich mitzunehmen, edler Graf, und noch einige Deiner treuen Begleiter.«

Der Graf lächelte und schüttelte den Kopf.

»Tapferer Ivanhoe, kennst Du denn unsern Herrn so wenig, daß Du ihn im Verdacht hast, eine so weise Vorsichtsmaßregel zu ergreifen? Ich wollte mich eben nach York begeben, weil ich gehört hatte, daß Prinz Johann dort eine Partei bilde, da traf ich König Richard, gleich einem irrenden Ritter hieher eilend, um bloß mit seinem einzigen Arm das Abenteuer des Templers und der Jüdin zu enden. Ich schloß mich ihm fast wider seinen Willen an.«

»Und was bringst Du neues von York, tapferer Graf?« fragte Ivanhoe; »werden die Rebellen uns Trotz bieten?«

»Nicht mehr als der Decemberschnee der Julisonne trotzt,« sagte der Graf; »sie zerstreuen sich, und glaubst Du wohl, daß Johann uns selbst die Nachricht davon gebracht hat?«[484]

»Der Verräther! Der undankbare Verräther!« sagte Ivanhoe, »hat ihn Richard nicht ins Gefängniß werfen lassen?«

»O, er empfing ihn,« sagte der Graf, »als wenn sie sich nach einer Jagdpartie begegnet wären; und indem er auf uns und unsere Bewaffneten deutete, sagte er: Du siehst, Bruder, ich habe ein paar hitzige, aufgebrachte Leute bei mir; Du thust am besten, zu unserer Mutter zu gehen und dort zu bleiben, bis die Gemüther besänftigt sind.«

»Und das war alles, was er sagte?« entgegnete Ivanhoe; »sollte man nicht behaupten, Richard ermuthige durch seine Milde die Verrätherei?«

»Ja,« sagte der Graf, »wie man sagen kann, derjenige fordere den Tod heraus, der mit einer gefährlichen, ungeheilten Wunde es unternimmt, ein Gefecht zu bestehen.«

»Der Scherz sei Dir verziehen, Graf,« sagte Ivanhoe; »allein bedenke, ich wagte nur mein eigenes Leben, Richard setzt die Wohlfahrt seines Reiches aufs Spiel!«

»Diejenigen,« versetzte der Graf, »welche sich ihre eigene Wohlfahrt nicht sehr angelegen sein lassen, bekümmern sich in der Regel auch nicht viel um die anderer. Aber laß uns zum Schlosse eilen, Richard will einige der untergeordneten Mitglieder der Verschwörung bestrafen, obgleich er ihrem Anführer verziehen hat.«

Aus den gerichtlichen Untersuchungen, die bei die ser Gelegenheit geführt wurden, scheint so viel zu erhellen, daß Moritz de Bracy über das Meer entkam und in die Dienste Philipps von Frankreich trat; Philipp von Malvoisin und sein Bruder Albert, der Präceptor von Templestowe, wurden hingerichtet. Waldemar Fitzurse, obgleich die Seele der Verschwörung, kam mit der Verbannung davon.

Kurz nach dem erwähnten Zweikampfe wurde Cedric der Sachse an den Hof Richards beschieden, der sich zu York aufhielt. Cedric schüttelte zwar den Kopf zu dieser Botschaft, fand sich aber doch ein. In der That hatte Richards Rückkehr jede Hoffnung in ihm erstickt, die sächsische Dynastie in England wiederhergestellt zu sehen; denn so bedeutend auch der Anhang der Sachsen bei einem bürgerlichen Kriege gewesen sein möchte, so war es doch klar, daß sie unter der unbestrittenen Herrschaft Richards nichts ausrichten[485] konnten, da er durch seine persönlichen Eigenschaften und seinen kriegerischen Ruhm die Herzen des Volkes gewonnen hatte.

Athelstane gab die Bewerbung um Rowenas Hand auf. Als Cedric einen letzten Versuch machte, ihn für sein Projekt zu gewinnen, fand er ihn in einem wüthenden Kampfe mit den Mönchen, die ihn lebendig beerdigt hatten. Er schonte keine Glatze, deren er habhaft wurde, und ließ jeden Mönch drei Tage lang – fasten.

Kaum war Cedric sieben Tage am Hofe gewesen, als er auch schon seine Einwilligung zur Vermählung seiner Mündel Rowena mit seinem Sohne Wilfred von Ivanhoe gegeben hatte.

Die Trauung unseres Helden wurde in einem der erhabensten Tempel, dem Münster zu York, gefeiert. Der König selbst wohnte ihr bei, was die Sachsen höchst zuversichtlich stimmte. Die römische Kirche entfaltete dabei all den Pomp, den sie noch jetzt mit so günstigem Erfolge zu benutzen weiß, um die Gemüther zu gewinnen und zu fesseln.

Gurth, stattlich ausstaffirt, folgte seinem jungen Herrn, dem er so treu gedient hatte, als Knappe, und der großmüthige Wamba trug an diesem Tag eine neue Kappe und einen ungeheuren Schmuck von silbernen Glöckchen. Sowie sie Wilfreds Unglück und Gefahren redlich getheilt hatten, blieben sie auch im Glück seine Gefährten.

Außer diesem Dienergefolge wurde die Hochzeit noch verherrlicht durch den Besuch vornehmer Normänner und Sachsen, die den allgemeinen Jubel der niederen Stände theilten, welche in dieser Verbindung ein Pfand künftigen Friedens erblickten. Cedric lebte noch so lange, um den Anfang dieser Verschmelzung zu bemerken; allein erst unter der Regierung Eduards des Dritten wurde die Mischsprache, die jetzt englisch heißt, am Hofe zu London gesprochen, sowie auch erst von dieser Zeit an der feindliche Unterschied zwischen Normannen und Sachsen gänzlich verschwunden zu sein scheint. Doch sprach man bis zum Jahre 1400 in den oberen Schichten des Volkes noch französisch, wenn auch sehr vom Pariser Accent abweichend.

Am zweiten Morgen nach ihrem Hochzeitstage wurde der Lady Rowena von ihrer Zofe Elgitha gemeldet, daß ein junges Mädchen da sei, welches mit ihr ohne Zeugen zu sprechen wünsche. Rowena[486] wunderte sich darüber, wurde aber neugierig, ließ das Mädchen hereinkommen, und befahl ihren Leuten, sich zu entfernen.

Sie trat ein – eine edle, imposante Gestalt. Der lange, weiße Schleier, der sie umfloß, beschattete mehr die Anmuth und Majestät ihres Wesens, als daß er sie verhüllte. Ihr Benehmen war höchst achtungsvoll, doch ohne den mindesten Schatten von Furcht, oder das Bestreben, sich Rowenas Gunst zu erwerben. Rowena war stets bereit, fremde Ansprüche anzuerkennen und fremde Gefühle zu theilen. Sie stand auf, und würde sogleich den liebenswürdigen Besuch zu einem Sitze geführt haben, aber dieser sah Elgitha an, und äußerte abermals den Wunsch, mit Lady Rowena allein zu reden. Elgitha war nicht so bald verschwunden, als zum Erstaunen der Lady von Ivanhoe die schöne Fremde sich auf ein Knie vor ihr niederließ, ihre Hand vor die Stirn legte, dann das Haupt zur Erde beugte, und trotz Rowenas Widerstand den gestickten Saum ihres Kleides küßte.

»Wozu das?« fragte die überraschte junge Frau; »warum beweiset Ihr mir eine so ungewöhnliche Verehrung?«

»Weil ich Euch, Lady von Ivanhoe,« sagte Rebekka aufstehend und ihre gewohnte ruhige Würde wieder annehmend, »gesetzlich und ohne Zurückweisung die Schuld der Dankbarkeit abtragen kann, die der Ritter von Ivanhoe von mir zu fordern hat. Ich bin, verzeiht die Kühnheit, womit ich Euch die Huldigung nach der Sitte meiner Nation darbringe, ich bin die unglückliche Jüdin, für die Euer Gemahl in den Schranken von Tempelstowe sein Leben wagte.«

»Mädchen,« sagte Rowena, »Wilfred von Ivanhoe hat an jenem Tage nur in geringem Maße Eure unermüdete Theilnahme bei Pflege und Heilung seiner Wunden vergolten. Sprich, kann ich, kann er Dir in etwas dienen?«

»Nein,« versetzte Rebekka ruhig, »doch bitte ich Euch, ihm mein dankbares Lebewohl zu bringen.«

»Ihr wollt also England verlassen?« sagte Rowena, die sich kaum von dem Erstaunen über diesen seltsamen Besuch erholen konnte.

»Ich verlasse es, Lady, ehe der Mond wieder wechselt; mein Vater hat einen Bruder, der bei Mahomed Boabdil, dem Könige[487] von Granada, in großer Gunst steht. Dorthin gehen wir, des Friedens und Schutzes sicher gegen Zahlung eines Tributs, den die Muhamedaner von unserm Volke zu fordern pflegen.«

»Und seid ihr denn nicht eben so geschützt in England?« sagte Rowena. »Mein Gemahl steht bei dem Könige in Gunst, der König selbst ist gerecht und edelmüthig.«

»Lady,« sagte Rebekka, »daran zweifle ich nicht; aber Englands Volk ist ein stolzes Geschlecht, immer mit seinen Nachbarn, oder unter sich selbst uneinig, und stets bereit, das Schwert einander in die Brust zu stoßen. Das ist kein sicherer Aufenthalt für die Kinder meines Volkes. Ephraim ist eine muthlose Taube, Isaschar ein überbürdeter Sklav, der zwischen zwei Lasten einherschreitet. In keinem Lande des Krieges und Blutes, umgeben von feindlichen Nachbarn und durch innern Zwiespalt zerrissen, kann Israel hoffen, auf seiner Wanderung Ruhe zu finden.«

»Aber Du, Mädchen,« sagte Rowena, »Du hast doch gewiß nichts zu fürchten! Sie, die am Krankenbette Ivanhoes als Arzt und Pflegerin wachte, sie kann nichts zu fürchten haben in England, wo Sachsen und Normannen sich wetteifernd bemühen werden, ihr die meiste Ehre zu beweisen.«

»Eure Rede ist schön,« entgegnete Rebekka, »und Eure Absicht noch schöner. Aber es kann nicht sein, eine Kluft ist zwischen uns befestigt. Unsere Geburt, unser Glaube verbietet uns, sie zu überschreiten. So lebt denn wohl! Doch ehe ich scheide, gewährt mir noch eine Bitte! Der bräutliche Schleier bedeckt Euer Angesicht, erhebt ihn, und laßt mich das Gesicht schauen, von dem der Ruf so bewundernd spricht.«

»Es ist des Anschauens kaum werth, allein ein Gleiches von meinem Gaste erwartend, hebe ich den Schleier auf.«

Sie that es, und theils im Bewußtsein ihrer Schönheit, theils aus Scham, erröthete sie dergestalt, daß Wangen, Stirn, Nacken und Busen wie mit Purpur übergossen waren. Rebekka erröthete gleichfalls, allein es war nur eine vorübergehende Empfindung, und bald von tieferen Gefühlen ergriffen, entschwand die Röthe aus ihren Zügen, wie die Purpurwolke ihre Farbe verliert, wenn die Sonne unter den Horizont hinabsinkt.

»Lady,« sagte sie, »das Antlitz, welches Ihr mir gezeigt habt,[488] wird lange in meinem Gedächtnisse bleiben. Anmuth und Güte sind darin vereinigt, und wenn sich ein Anstrich von dem Stolze und der Eitelkeit der Welt mit einem solchen Ausdrucke von Liebenswürdigkeit vermischen sollte, wie mögen wir tadeln, daß das, was von der Erde stammt, die Farbe seines Ursprungs trägt? Lange werde ich mich Eures Gesichts erinnern, und gebe Gott, daß ich meinen edlen Befreier verlasse, vereinigt mit« –

Sie stockte – ihre Augen füllten sich mit Thränen. Schnell aber trocknete sie dieselben und antwortete auf Rowenas besorgliche Erkundigung nach ihrem Befinden: »Ich befinde mich wohl, Mylady, ganz wohl; aber mein Herz schwillt mir im Busen, wenn ich an Torquilstone und an die Schranken von Tempelstowe denke! Lebt wohl! – Doch einer, der geringste Theil meiner Pflicht ist noch unvollbracht. Nehmt dieses Kästchen und seid nicht ungehalten über seinen Inhalt.«

Rowena öffnete das kleine, mit Silber beschlagene Kästchen und erblickte einen Halsschmuck und diamantene Ohrgehänge von unermeßlichem Werthe.

»Unmöglich,« sagte sie, das Kästchen zurückgebend, »ein Geschenk von solchem Werthe darf ich nicht annehmen.«

»O, nehmt es doch,« versetzte Rebekka; »Ihr habt Macht, Rang, Einfluß; wir haben Reichthum, die Quelle unserer Kraft und unserer Schwäche; der Werth dieser Spielereien würde nicht halb so viel auszurichten vermögen, als Euer leisester Wunsch; Euch ist diese Gabe von geringer Bedeutung, mir aber von noch geringerer. Laßt mich nicht glauben, daß Ihr so niedrig von meinem Volke denkt, wie der gemeine Haufe Eurer Landsleute; denkt Ihr auch, daß ich diese flimmernden Steine höher schätze als meine Freiheit? Oder daß mein Vater sie nur der Rede werth hält, im Vergleich mit der Ehre seines einzigen Kindes? Nehmt sie, Lady, mir sind sie ohne Werth, denn nie werde ich wieder Edelsteine tragen.«

»Seid Ihr denn so unglücklich?« fragte Rowena, ergriffen von der Art und Weise, in der Rebekka diese letzten Worte aussprach. »O, bleibt bei uns! Der Rath heiliger Männer wird Euch von Eurem unglücklichen Gesetze befreien, und ich will Eure Schwester sein!«[489]

»Nein, Lady,« entgegnete Rebekka, mit derselben sanften Schwermuth in ihrem schönen Gesichte und ihrer milden Stimme, »das kann nicht geschehen. Ich kann den Glauben meiner Väter nicht wechseln wie ein Kleid, das nicht für das Klima paßt, unter dem ich wohnen will, und unglücklich, Lady, will ich nicht sein. Er, dem ich mein künftiges Leben weihe, wird mein Tröster sein, wenn ich seinen Willen thue.«

»Habt Ihr denn Klöster, in deren eins Ihr Euch zu begeben gedenkt?« fragte Rowena.

»Nein, Mylady,« sagte die Jüdin, »aber unter unserm Volke hat es seit Abrahams Zeiten Frauen gegeben, welche ihre Gedanken dem Himmel weihten, und ihre Handlungen der Menschenliebe; sie pflegten den Kranken, speisten den Hungrigen und trösteten den Elenden. Unter diese soll Rebekka gezählt werden. Das sage Deinem Herrn, wenn er nach dem Schicksal derjenigen fragen sollte, deren Leben er einst rettete.«

Es war ein unwillkürliches Beben in Rebekkas Stimme, und eine Zartheit in ihrem Tone, die vielleicht mehr verriethen, als sie wünschte. Sie eilte, von Rowena Abschied zu nehmen.

»Lebt wohl, lebt wohl,« sagte sie. »Möge der, welcher Juden und Christen schuf, seine schönsten Segnungen über Dich ausschütten. Das Schiff, welches uns von hier tragen soll, möchte vielleicht unter Segel gehen, ehe wir den Hafen erreichen können.«

So schlüpfte sie aus dem Zimmer und ließ Rowena in Erstaunen zurück, gleich als sei ein Traumgesicht an ihr vorübergegangen. Die schöne Sächsin erzählte die wunderbare Unterredung ihrem Gemahl, auf dessen Gemüth sie einen tiefen Eindruck machte. Er lebte lange und glücklich mit Rowena; denn beide waren einander mit der reinsten Liebe zugethan, welche sehr erhöht wurde durch das Andenken an die Schwierigkeiten, die sich ihrer Verbindung entgegengestellt hatten. Indessen würde es vermessen sein, zu fragen, ob die Erinnerung an Rebekkas Schönheit sich nicht öfter bei ihm erneute, als der schöne Sprößling König Alfreds es gern gesehen.

Ivanhoe zeichnete sich in Richards Diensten bedeutend aus und erhielt fernere Beweise seiner königlichen Gunst. Er würde sich wohl noch höher aufgeschwungen haben, hätte nicht der frühe[490] Tod Richards vor dem Schlosse Chalez bei Limoges dies verhindert. Mit dem Leben eines edelmüthigen, aber feurigen und romantischen Monarchen scheiterten alle Pläne, die sein Ehrgeiz und sein Edelmuth entworfen hatten, und auf ihn lassen sich mit geringer Veränderung die Verse anwenden, die Johnson auf Karl den Zwölften von Schweden dichtete:


Ihm ward der Tod verhängt am fremden Strand –

Vor einer kleinen Burg von niedrer Hand;

Erbleichend staunte man den Namen an –

Stoff für Moral – doch Stoff auch zum Roman.
[491]

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 479-492.
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