Kapitel VIII.

[85] Dann stößt der Forderer mit grimmem Trotze

In die Trommete; der Geforderte

Antwortet ihm; es dröhnen die Gefilde,

Des hohen Himmels Wölbung hallt es wieder.

Visiere zu, die Lanzen eingelegt,

Gerichtet auf des Feindes Helm und Helmbusch,

So sprengen von den Schranken beide fort

Und mindern rasch den Raum, der sie geschieden.


Palamon und Arcite.


In der Mitte seines Weges hielt Prinz Johann plötzlich an, wandte sich an den Prior von Jorvaulx und erklärte, das vorzüglichste Geschäft des Tages sei vergessen worden.

»Bei meiner Seligkeit, Herr Prior,« sagte er, »wir haben vergessen, die Herrin der Liebe und Schönheit zu ernennen, durch deren weiße Hand die Palme ertheilt werden soll. Ich meines Theils bin in meinen Ansichten freisinnig, und es soll mir gar nicht darauf ankommen, meine Stimme der schwarzäugigen Rebekka zu geben.«

»Heilige Jungfrau,« antwortete der Prior, indem er mit Entsetzen die Augen aufschlug, »einer Jüdin! Wir verdienten mit Steinen aus den Schranken gejagt zu werden, und ich bin noch nicht alt genug zum Märtyrer. Uebrigens schwöre ich bei meinem Schutzpatron, daß sie der liebenswürdigen Sächsin Rowena bei weitem nachsteht.«

»Sachse oder Jude,« antwortete der Prinz, »Sachse oder Jude, Hund oder Schwein, was ist da für ein Unterschied? Ich[86] sage, ernennt Rebekka, und wäre es auch nur, um die Sachsenlümmel zu kränken.«

Ein Murren erhob sich jetzt sogar unter seinen nächsten Gefolgsleuten.

»Das geht über den Spaß, Mylord,« sagte de Bracy; »kein Ritter wird seine Lanze einlegen, wenn man einen solchen Schimpf beabsichtigt.«

»Es wäre das reine Uebermaß der Beleidigung,« sagte einer der ältesten und einflußreichsten Begleiter des Prinzen Johann, Waldemar von Fitzurse, »und wenn Ew. Hoheit dennoch den Versuch dazu machen, kann derselbe für Eure Pläne nur verderblich werden.«

»Ich geb Euch Unterhalt, Herr,« sagte Johann und zog den Zügel seines Rosses an, »als meinem Gefolgsmann, nicht als meinem Rathgeber.«

»Diejenigen, welche Ew. Hoheit auf den Wegen folgen, die Ihr wandelt,« sagte Waldemar mit gedämpfter Stimme, »erwerben sich das Recht von Rathgebern. Ihre eigne Sicherheit und ihr Interesse ist dabei eben so sehr im Spiele wie das Eure.«

Aus dem Tone, mit welchem der Mann sprach, ersah Johann die Nothwendigkeit, nachzugeben. »Ich habe ja nur gescherzt,« meinte er, »und ihr fahret gleich auf mich los wie Nattern. Ins Teufels Namen, ernennt wen ihr Lust habt, und handelt wie ihr wollt.«

»Nein, nein,« sagte de Bracy, »lasset den Thron der schönen Herrscherin unbesetzt bleiben, bis der Sieger bestimmt ist, und dann mag dieser die Dame wählen, die ihn einnehmen soll. Es wird seinem Triumph einen zweiten hinzufügen, und die schönen Damen lehren, die Liebe tapfrer Ritter zu schätzen, die sie zu solcher Auszeichnung zu erheben vermögen.«

»Wenn Brian de Bois-Guilbert den Preis gewinnt,« sagte der Prior, »so will ich meinen Rosenkranz verwetten, daß ich die Königin der Liebe und Schönheit zu nennen weiß.«

»Bois-Guilbert,« antwortete de Bracy, »führt eine gute Lanze; doch es sind andere beim Turnier, Herr Prior, die nicht fürchten, ihm zu begegnen.«

»Still, ihr Herren,« sagte Waldemar, »und lasset den Prinzen[87] seinen Sitz einnehmen. Die Ritter und Zuschauer sind beide ungeduldig; die Zeit verrinnt, und es ist in der Ordnung, daß das Waffenfest jetzt beginne.«

Obgleich Prinz Johann noch kein Monarch war, so hatte er doch an der Person des Fitzurse all Unbequemlichkeiten eines begünstigten Ministers, der, indem er seinem Souverän dient, es stets in seiner eignen Weise thun muß. Der Prinz willigte ein, obgleich seine Stimmung genau der Art war, daß er sich über Kleinigkeiten ärgerte; er nahm seinen Thron ein, und gab, umringt von seinen Begleitern, den Herolden das Signal, die Gesetze des Turniers zu verlesen, die in Kürze folgendermaßen lauteten:

Erstens: die fünf Herausforderer sollten es mit allen aufnehmen, die sich ihnen stellten.

Zweitens: jeder Ritter, welcher kämpfen wollte, könnte einen von den Herausforderern als seinen Gegner dadurch erwählen, daß er dessen Schild mit seiner Lanze berührte. Thue er das mit der umgekehrten Lanze, so solle der Kampf mit den sogenannten Höflichkeitswaffen geschehen, das heißt, mit Lanzen, an deren Spitzen ein Brettchen mit der flachen Seite befestigt war, so daß keine andere Gefahr entstand, als die, welche der Stoß für Pferd und Reiter mit sich brachte. Würde jedoch der Schild mit dem scharfen Ende der Lanze berührt, so sollte der Kampf auf Leben und Tod geführt werden, das heißt, die Ritter sollten dann mit scharfen Waffen wie in der wirklichen Schlacht fechten.

Drittens: wenn die gegenwärtigen Ritter ihr Gelübde dadurch erfüllt hätten, daß jeder fünf Lanzen gebrochen, so sollte der Prinz den Sieger im Turnier des ersten Tages proclamiren, der als Preis ein Schlachtroß von ausgesuchter Schönheit und unvergleichlicher Stärke erhalten solle; und außer dieser Belohnung der Tapferkeit, wurde jetzt erklärt, solle er die besondere Ehre haben, die Königin der Liebe und Schönheit zu ernennen, die am folgenden Tage den Preis auszutheilen hätte.

Viertens wurde verkündigt, daß am zweiten Tage ein allgemeines Turnier stattfinden solle, woran alle gegenwärtigen Ritter, die begierig wären Ruhm zu erwerben, Theil nehmen könnten. Die erwählte Königin der Liebe und Schönheit sollte dann den Ritter, den der Prinz am folgenden Tage für den tapfersten erklären[88] werde, mit einer Krone, die aus dünnen Goldplatten in Gestalt eines Lorbeerkranzes gefertigt war, krönen. An diesem zweiten Tage sollten die ritterlichen Spiele enden. Am dritten Tage sollte noch ein Bogenschießen, Stierhetzen und andere Volksbelustigungen stattfinden.

Auf diese Weise suchte Prinz Johann den Grund zur Volksgunst zu legen, die er aber immer wieder durch unüberlegte herausfordernde Handlungen verscherzte, mit denen er die Gefühle und Vorurtheile des Volks verletzte.

Die Herolde schlossen ihre Proklamation mit dem gewöhnlichen Ruf: »Largesse, Largesse, tapfere Ritter!« und Gold- und Silberstücke regneten von den Gallerien auf sie nieder, da es ein Ehrenpunkt der Ritterschaft war, Freigebigkeit gegen diejenigen an den Tag zu legen, welche jenes Zeitalter zugleich als die Secretäre und die Archivare des Ruhms ansah. Die Freigebigkeit der Zuschauer wurde durch den gewöhnlichen Zuruf anerkannt: »Liebe den Damen – Ehre den Großmüthigen – Ruhm den Tapfern!« wozu die geringeren Zuschauer ihren Ruf und ein zahlreiches Musikchor einen Tusch kriegerischer Instrumente hinzufügten. Als Schweigen eingetreten war, zogen sich die Herolde in bunter und schimmernder Procession aus den Schranken zurück, in denen niemand zurückblieb, außer den Marschällen, welche vom Kopf bis zum Fuß geharnischt, zu Pferde, bewegungslos wie Statuen an dem entgegengesetzten Ende der Schranken standen. Unterdessen füllte sich der umfriedigte Raum am nördlichen Ende der Schranken, so groß er war, ganz mit Rittern an, welche ihre Geschicklichkeit gegen die Herausforderer beweisen wollten. Von den Gallerien betrachtet, gewährten sie den Anblick eines wogenden Meeres von Federbüschen, untermischt mit blitzenden Helmen und langen Lanzen, an deren äußersten Spitzen zuweilen ein schmales Fähnlein flatterte, das die Lebendigkeit des Gemäldes sehr erhöhte.

Endlich öffneten sich die Barrieren, und fünf durchs Loos gewählte Ritter zogen langsam auf den Kampfplatz; einer an der Spitze, die andern paarweise folgend. Alle waren glänzend bewaffnet. Wie umständlich auch die sächsischen Quellen alle Sinnsprüche, Farben und Stickereien selbst an den Schabracken der Pferde beschreiben, ist es doch unnöthig, hier auf alle Einzelnheiten einzugehen.
[89]

Der Ritter ward zu Staube,

Sein Schwert dem Rost zum Raube,

Und selig er, das ist mein Glaube.


Längst sind ihre Wappenschilde von den Mauern ihrer Schlösser herabgefallen, ihre Schlösser selbst nur noch Ruinen, oft kaum die Stelle noch bekannt, wo sie einst gestanden, und manche Generation ist seitdem ausgestorben und vergessen in demselben Lande, wo sie einst als mächtige Lehensträger und Besitzer herrschten. Was könnte es dem Leser helfen, jetzt ihre Namen oder die schwindenden Symbole ihres kriegerischen Ranges kennen zu lernen?

Unbeeinflußt durch den Gedanken an die Vergessenheit, die sie und ihre Thaten erwartete, ritten die Kämpfer durch die Schranken, ihre muthigen Rosse anhaltend und sie zu langsamer Gangart nöthigend, indeß sie zugleich alle Geschicklichkeit und den Anstand guter Reiter zeigten. Als der Zug in die Schranken trat, ließ sich eine wilde barbarische Musik hinter den Zelten der Herausforderer, wo die Musiker verborgen waren, vernehmen. Sie war morgenländischen Ursprungs, aus dem gelobten Lande mit zurückgebracht, und schien in der Vermischung mit Cymbeln und Glöckchen den Eintretenden ein Willkommen und die Herausforderung zugleich entgegenzurufen. Unter den auf sie gerichteten Blicken einer unermeßlichen Menge von Zuschauern ritten die fünf Ritter der erhöhten Stelle zu, wo die Zelte der Herausforderer standen. Hier sich trennend, berührte jeder einzelne mit der umgekehrten Lanze leicht den Schild desjenigen Gegners, den er sich erlesen hatte. Die niedere Klasse der Zuschauer im allgemeinen, ja sogar manche von höherem Stande, und man sagt, selbst einige Damen wären unzufrieden gewesen, daß die Kämpfer nur die Waffen der Höflichkeit gewählt hatten. Denn dieselbe Art Leute, die gegenwärtig dem grausigsten Trauerspiele den meisten Beifall schenkt, interessirte sich zu jener Zeit für ein Turnier meistens nach dem Grade der Gefahr, dem sich die Kämpfenden dabei aussetzten.

Als die Kämpfer einander ihre friedliche Absicht zu erkennen gegeben hatten, zogen sie sich an das Ende der Schranken zurück, wo sie in einer Linie aufgestellt blieben. Die Herausforderer aber, jeder aus seinem Zelte hervortretend, bestiegen ihre Rosse und ritten, angeführt von Brian de Bois-Guilbert, die erhöhte Ebene[90] hinab, indem sie sich jeder einzeln den Rittern entgegenstellten, die ihre Schilde soeben berührt hatten.

Beim Schalle der Hörner und Trompeten sprengten sie jetzt auf einander los, und die Geschicklichkeit oder das Glück der Herausforderer war so groß, daß diejenigen, welche auf Bois-Guilbert, Malvoisin und Front de Boeuf stießen, sogleich zu Boden geworfen wurden. Der Gegner Grantmesnils, statt seine Lanze an dem Helm oder dem Schild seines Gegners zu zerbrechen, irrte dergestalt von der geraden Linie ab, daß er dieselbe quer an der Person des Feindes zerbrach, ein Umstand, der für noch schimpflicher gehalten wurde, als aus dem Sattel geworfen zu werden. Der fünfte Ritter allein rettete die Ehre der Partei, und im Zusammentreffen mit dem Johanniterritter zersplitterten beide Lanzen, ohne daß einer einen Vortheil davon hatte.

Das Freudengeschrei der Menge, nebst den Ausrufungen der Herolde und dem Klange der Trompeten verkündigten den Triumph der Sieger, sowie die Niederlage der Besiegten. Die erstern zogen sich in ihre Zelte zurück, und die letztern, so gut es gehen wollte, sich zusammenraffend, entfernten sich beschämt und verhöhnt aus den Schranken, um sich mit den Siegern wegen des Lösegeldes für ihre Rüstungen und Rosse zu besprechen, die nach den Turniergesetzen verwirkt waren; der fünfte allein weilte lange genug in den Schranken, um den Beifall der Zuschauer einzuernten, und zog sich zum Verdruß seiner Gefährten langsam von dem Kampfplatze zurück.

Es rückte nun eine zweite und dritte Partei von Rittern ins Feld; und ob sie gleich manchen Vortheil errangen, so blieb doch im ganzen der Vorzug auf der Seite der Herausforderer, da nicht einer aus dem Sattel gehoben wurde oder fehlgestoßen hatte, ein Unglück, das dem einen oder dem andern ihrer Gegner bei jedem Zusammentreffen begegnet war. Der Kampfesmuth war daher auch sehr gesunken. Beim vierten Gange erschienen nur drei Ritter, und diese begnügten sich, die Schilde von Bois-Guilbert und Front de Boeuf vermeidend, die der drei andern Ritter zu berühren, welche lange nicht so viel Kraft und Geschicklichkeit bewiesen hatten. Diese listige Auswahl störte indessen das Schicksal des Kampfes nicht, die Herausforderer blieben immer im Vortheil. Die Gegner[91] wurden alle drei besiegt, indem der eine aus dem Sattel gehoben wurde und die andern fehlstießen, d.h. Helm und Schild der Gegner nicht fest und sicher trafen.

Nach diesem vierten Gange erfolgte eine beträchtliche Pause. Es schien, als wolle niemand weiter den Kampf erneuern. Die Zuschauer murrten unter einander, denn unter den Herausforderern waren Malvoisin und Front de Boeuf wegen ihres Charakters beim Volke nicht beliebt, und die andern waren es als Fremde und Ausländer eben so wenig.

Keiner aber empfand das Gefühl des allgemeinen Mißvergnügens tiefer als Cedric der Sachse, der in jedem erneuerten Triumphe der Normänner einen wiederholten Sieg über Englands Ehre sah. Seine eigene Erziehung hatte ihm keine Geschicklichkeit in den Ritterspielen verliehen, ob er gleich mit den Waffen seiner sächsischen Vorfahren sich bei manchen Gelegenheiten als ein tapferer und entschlossener Krieger bewiesen hatte. Aengstlich blickte er auf Athelstane, der die Vorzüge seiner Zeit sich zu eigen gemacht hatte, als wünsche er, dieser möchte doch einen Versuch machen, den Sieg wieder zu erringen, der jetzt in die Hände des Tempelherrn und seiner Gefährten gekommen war; allein obgleich wacker an Muth und kräftig von Person, hatte Athelstane doch eine zu große Neigung zu Unthätigkeit, und war zu wenig ehrgeizig, um Versuche zu machen, wie sie Cedric von ihm zu erwarten schien.

»Der Tag ist gegen England, Mylord,« sagte Cedric mit ausdrucksvollem Tone, »fühlt Ihr keine Neigung, die Lanze zu ergreifen?«

»Morgen,« versetzte Athelstane, »morgen will ich einen Gang im Mêlée thun, heute ists nicht der Mühe werth, mich zu waffnen.«

Zweierlei mißfiel Cedric an der Rede. Sie enthielt das normännische Wort Mêlée, um den allgemeinen Kampf auszudrücken, und dann verrieth sich darin eine gewisse Gleichgültigkeit gegen die Ehre des Vaterlandes. Doch sie kam von Athelstanew, und den hielt er so hoch, daß er auch seine Schwächen nicht zu tadeln wagte. Auch hatte er nicht Zeit, eine Bemerkung zu machen, denn Wamba fiel mit der Aeußerung dazwischen, daß es besser, aber schwerlich leichter sei, der beste unter hunderten als der beste von zweien zu sein.

Athelstane nahm dies für ein ernsthaftes Compliment, aber[92] Cedric, der seines Narren Meinung besser verstand, warf diesem einen strengen und drohenden Blick zu. Es war ein Glück für Wamba, daß Zeit und Ort seinen Herrn verhinderten, ihm fühlbarere Zeichen seines Zornes zu geben.

Die Pause in dem Turnier war noch nicht unterbrochen, außer von den Stimmen der Herolde, welche riefen: »Liebe der Damen! zersplitterte Lanzen! Tretet vor, tapfere Ritter, schöne Augen sehen auf eure Thaten!«

Auch die Musik der Herausforderer schmetterte von Zeit zu Zeit kräftige Töne des Triumphes oder Hohns in die Lüfte, während das Volk murrte, daß dieser Feiertag in Unthätigkeit vergehe, und alte Ritter und Edle flüsternd über den Verfall des kriegerischen Geistes klagten, von den Triumphen ihrer jüngern Tage sprachen, aber eingestanden, daß das Land jetzt keine Damen von so glänzender Schönheit liefere, wie sie früher die Turniere belebt und verherrlicht hätten. Prinz Johann sprach schon zu seinen Begleitern davon, Anstalten zu dem Bankett zu treffen, und von der Nothwendigkeit, Brian de Bois-Guilbert den Preis zuzuerkennen, der mit einer einzigen Lanze zwei Ritter zu Boden geworfen und einen dritten entwaffnet hatte.

Als endlich die saracenische Musik ein Stück schloß, mit dem sie das Schweigen in den Schranken unterbrochen hatte, wurde dasselbe von einer einzigen Trompete beantwortet, die vom nördlichen Ende her einen Herausforderungstusch blies. Aller Augen richteten sich dorthin, um den neuen Kämpfer zu sehen, den diese Töne ankündigten. Dieser ritt, sobald die Schranken geöffnet waren, in den Kampfplatz. So weit man einen Mann in Rüstung beurtheilen kann, war der neue Abenteurer nicht viel über mittlerer Größe und schien eher schlank als stark gebaut zu sein. Sein Harnisch war von Stahl, reich mit Gold ausgelegt, und die Devise auf dem Schilde war ein junger Eichbaum, der mit der Wurzel ausgerissen war, mit dem spanischen Worte Desdichado, der Enterbte. Er ritt ein muthiges schwarzes Roß, und auf dem Wege durch die Schranken begrüßte er anmuthig die Damen, indem er seine Lanze senkte. Die Gewandtheit, mit der er sein Roß tummelte und ein[93] Grad von jugendlicher Grazie, den er in seinem Benehmen zeigte, gewannen ihm die Gunst der Menge, welche einige von den niedern Klassen in Worten ausdrückten, indem sie ihm zuriefen: »Berührt Ralph de Viponts Schild, berührt des Hospitaliters Schild; er sitzt am wenigsten sicher im Sattel, den habt Ihr am billigsten.«

Indessen sprengte der Reiter weiter die Platform hinauf, ritt zum Erstaunen aller gerade auf das mittlere Zelt zu und schlug mit dem scharfen Ende seiner Lanze an den Schild des Brian de Bois-Guilbert, daß er laut ertönte. Alle waren erstaunt ob dieser Kühnheit, keiner aber mehr, als der Gefürchtete selber, der so zum tödtlichen Kampfe herausgefordert war, und der, eine so rauhe Forderung nicht erwartend, sorglos an der Thüre seines Zeltes stand.

»Habt Ihr gebeichtet, Kamerad?« fragte der Tempelherr, »und habt Ihr diesen Morgen die Messe gehört, daß Ihr so kühn Euer Leben wagt?«

»Ich bin besser auf den Tod vorbereitet als Du,« antwortete der enterbte Ritter, denn unter diesem Namen hatte der Fremde sich in das Turnierbuch eintragen lassen.

»Dann nehmt Euren Platz in den Schranken,« sagte Bois-Guilbert, »und seht Euch noch zum letztenmal die Sonne an, denn diese Nacht werdet Ihr im Paradiese schlafen.«

»Großen Dank für die Höflichkeit,« versetzte der enterbte Ritter, »und um sie zu vergelten, rathe ich Dir, ein frisches Pferd und eine neue Lanze zu nehmen, denn bei meiner Ehre, Du wirst beides nöthig haben.«

Nachdem er sich so zuversichtlich ausgesprochen hatte, lenkte er sein Pferd wieder die Anhöhe hinunter, und dann durch die Schranken zurück bis ans nördliche Ende derselben, wo er in Erwartung seines Gegners halten blieb. Seine Geschicklichkeit im Reiten verschaffte ihm von neuem den Beifall der Menge.

So aufgebracht auch Brian de Bois-Guilbert gegen seinen Gegner wegen der Vorsichtsmaßregeln war, die er ihm anempfohlen hatte, er vernachlässigte dennoch seinen Rath nicht, denn seine Ehre stand zu sehr auf dem Spiele, als daß er irgend ein Mittel hätte versäumen sollen, welches ihm den Sieg über seinen kühnen Gegner verschaffen könnte. Er vertauschte sein Pferd gegen ein anderes von erprobter Kraft und Kühnheit, er wählte eine neue Lanze von[94] zähem Holze, aus Furcht, der Schaft der vorher gebrauchten möchte bei den früheren Kämpfen gelitten haben. Endlich legte er seinen Schild weg, der ein wenig beschädigt war, und ließ sich einen andern von seinem Knappen geben. Der erste Schild hatte nur eine allgemeine Devise getragen. Sie stellte zwei Ritter vor, die auf einem Pferde saßen, womit die ursprüngliche Demuth und Armuth der Templer dargestellt werden sollte, Eigenschaften, die sie längst gegen Anmaßung und Luxus vertauscht hatten, und welche ihren endlichen Untergang herbeiführten. Bois-Guilberts neuer Schild hatte als Devise einen Raben in vollem Fluge, der einen Schädel in den Klauen trug, mit der Unterschrift: Gare le Corbeau, Nimm dich vor dem Raben in Acht!

Als die beiden Kämpfer an den äußersten Enden der Schranken einander gegenüberstanden, war die allgemeine Erwartung aufs höchste gespannt. Wenige dachten an die Möglichkeit, daß der Kampf für den enterbten Ritter glücklich enden könne, doch sein Muth und seine Tapferkeit gaben den allgemeinen guten Wünschen der Zuschauer eine gewisse Garantie.

Die Trompeten hatten nicht sobald das Signal verkündet, als die Kämpfer auch mit Blitzesschnelle von ihren Posten verschwanden und in der Mitte des Platzes mit Donnergewalt zusammenstießen. Die Lanzen zersplitterten bis an den Handgriff, und im ersten Augenblick schien es, als wären beide Ritter gestürzt, denn beide Rosse wichen zurück und setzten sich auf die Hacken. Die Reiter brachten sie durch Anwendung des Zügels und der Sporen sogleich wieder zum Stehen, und nachdem sie einander mit Augen angesehen hatten, die Feuer durch die Oeffnungen ihrer Visiere zu sprühen schienen, machten beide eine halbe Volte, zogen sich an das Ende der Schranken zurück, und empfingen eine neue Lanze von den Dienern.

Ein lauter Zuruf der Zuschauer, sowie das Wehen der Schärpen und Tücher bewies den allgemeinen Antheil, den man an diesem Kampfe nahm, es war der gleichste und am besten ausgeführte, der an diesem Tage vorgekommen war. Aber sobald die Ritter wieder ihre Stellung eingenommen hatten, entstand eine so tiefe Stille, als ob die Menge zu athmen fürchtete.

Nachdem man den Kämpfern und ihren Rossen eine Pause[95] von wenigen Minuten gestattet hatte, um Athem zu schöpfen, gab Prinz Johann den Trompetern mit seinem Commandostabe das Zeichen, zum Angriff zu blasen. Die Kämpfer eilten wieder von ihren Plätzen fort und trafen mit derselben Schnelligkeit, mit derselben Geschicklichkeit und derselben Gewalt, aber nicht mit demselben Glück wie vorher, in der Mitte des Platzes zusammen.

Bei diesem zweiten Zusammentreffen zielte der Templer nach dem Mittelpunkte des Schildes seines Gegners und traf ihn so genau und gewaltsam, daß die Lanze zersplitterte, und der enterbte Ritter im Sattel schwankte. Dieser hatte beim Beginn des Anrennens die Spitze seiner Lanze auf Bois-Guilberts Schild gerichtet, im Augenblicke des Zusammentreffens aber veränderte er sein Ziel, und richtete sie auf den Helm seines Gegners, ein schwerer zu treffendes Ziel, das aber, einmal getroffen, den Stoß um so gefährlicher machte. Sicher traf er das Visier des Normannen und die Lanzenspitze faßte die Stangen desselben. Doch selbst bei diesem Nachtheil behauptete der Templer seinen hohen Ruf, und wären nicht die Gurten seines Sattels zerrissen, er wäre vielleicht nicht heruntergeworfen worden. So aber rollten Sattel, Pferd und Mann in einer Staubwolke auf den Boden.

Sich von den Steigbügeln und dem gestürzten Rosse frei zu machen, war für den Templer das Werk kaum eines Augenblicks, und theils durch seine Schande, theils durch den lauten Zuruf der Menge fast zum Wahnsinn gebracht, zog er sein Schwert und bot damit seinem Sieger Trotz. Der enterbte Ritter sprang vom Pferde und zog ebenfalls sein Schwert. Doch die Marschälle sprengten dazwischen und erinnerten sie, daß die Gesetze des Turniers gegenwärtig eine solche Art des Kampfes nicht gestatteten.

»Wir werden uns wieder treffen, hoffe ich,« sagte der Templer, indem er einen rachevollen Blick auf seinen Gegner warf, »und zwar wo niemand uns trennt.«

»Wenn es nicht geschieht,« sagte der enterbte Ritter, »so wird es wenigstens nicht meine Schuld sein. Zu Fuß oder zu Pferd, mit Lanze, Streitaxt oder Schwert bin ich gleich bereit, mit Dir zu kämpfen.«

Sie würden noch mehr und zornigere Worte gewechselt haben, doch die Marschälle kreuzten ihre Lanzen zwischen ihnen und nöthigten[96] sie, sich zu trennen. Der enterbte Ritter kehrte zu seiner ersten Stellung zurück und Bois-Guilbert in sein Zelt, woselbst er den übrigen Theil des Tages in qualvoller Verzweiflung verbrachte.

Ohne von seinem Pferde abzusteigen, befahl der Sieger mit lautem Ruf, ihm einen Becher Wein zu bringen, öffnete den untern Theil seines Visiers, und fügte, als er ihn leerte, hinzu: »Allen treuen englischen Herzen vaes hael, Untergang den fremden Tyrannen!« Dann ließ er wieder seine Trompete schmettern und bat einen Herold, den Herausforderern anzukündigen, daß er keine Wahl treffen werde, sondern bereit sei, in der Ordnung mit ihnen zu kämpfen, wie sie sich ihm stellen würden.

Der riesenhafte Front de Boeuf, in eine schwarze Rüstung gekleidet, war der erste, der auf den Kampfplatz trat. Auf weißem Schilde trug er einen schwarzen Stierkopf, halb verwischt von den zahlreichen Kämpfen, die er bestanden hatte, und mit der anmaßenden Unterschrift versehen: Cave, adsum. Ueber diesen Kämpfer erlangte der enterbte Ritter einen geringen aber entscheidenden Vortheil. Beide Ritter brachen ihre Lanzen trefflich, doch Front de Boeuf, der bei dem Zusammenstoßen einen Steigbügel verlor, wurde für besiegt erklärt.

Bei dem dritten Kampfe des Fremden mit Sir Philipp Malvoisin war er ebenso erfolgreich. Er traf diesen Baron so gewaltsam an den Helm, daß die Bänder brachen, und Malvoisin nur dadurch vom Fall gerettet wurde, daß sein Helm herunterfiel, worauf er, gleich seinen Gefährten, für besiegt erklärt wurde.

Der vierte Kampf mit de Grantmesnil gab dem enterbten Ritter Gelegenheit, eben so viel Höflichkeit als bisher Muth und Geschicklichkeit an den Tag zu legen. De Grantmesnils Pferd war jung und scheu, und bewegte sich beim Anrennen so heftig hin und her, daß das Ziel des Ritters dadurch verrückt wurde; der Fremde aber, ohne diesen Vortheil zu benutzen, erhob seine Lanze, ritt an seinem Gegner vorbei, ohne ihn zu berühren, schwenkte sein Pferd herum und ritt wieder zu seiner Stellung am Ende der Schranken zurück, worauf er ihm durch einen Herold ein zweites Zusammentreffen anbieten ließ. De Grantmesnil lehnte[97] ab, indem er sich eben so sehr durch die Höflichkeit, als durch die Geschicklichkeit seines Gegners für besiegt erklärte.

Ralph de Vipont machte die Reihe der Triumphe des Fremden vollständig; er wurde mit solcher Gewalt zu Boden geschleudert, daß ihm das Blut aus Nase und Mund stürzte, und er bewußtlos aus den Schranken getragen werden mußte.

Der Beifall von Tausenden begleitete die einstimmige Entscheidung des Prinzen und der Marschälle, nach welcher die Ehre des Tages dem enterbten Ritter zuerkannt wurde.

Quelle:
Scott, Walter: Ivanhoe. Berlin 1901, S. 85-98.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Ivanhoe
Ivanhoe (Wordsworth Collection)
Ivanhoe: Roman (Fischer Klassik)
Ivanhoe, ein historischer Roman. Für die reifere Jugend frei bearb. von Alber Geyer. Illustriert von W. Zweigle
Ivanhoe

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gedichte. Ausgabe 1892

Gedichte. Ausgabe 1892

Während seine Prosa längst eigenständig ist, findet C.F. Meyers lyrisches Werk erst mit dieser späten Ausgabe zu seinem eigentümlichen Stil, der den deutschen Symbolismus einleitet.

200 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon