[268] Von Bologna geht es auf dem alten emilischen Wege in der Niederung durch eine sehr wasserreiche Gegend immer nach Rimini herunter. Bloß von Bologna bis nach Imola geht man über fünf oder sechs Flüsse. Rechts hatte ich die Apenninen, die noch beschneit waren; der Boden ist überall sehr fett und reich. In Imola machte ich einen etwas barocken Einzug. Ich kam gerade zu den Harlekinaden der Faschingsmasken, wovon ich in Pordenone schon einen Prodrom gesehen hatte. Die ganze Stadt war in Mummerei und zog in bunten Gruppen in den Straßen herum. Nur hier und da standen unmaskiert einige ernsthafte Männer und Matronen und sahen dem tollen Wesen[268] zu. Meine Erscheinung mochte für die Leute freilich etwas hyperboreisch sein: eine solide polnische Kleidung, ein Seehundstornister mit einem Dachsgesicht auf dem Rücken, ein großer, schwerer Knotenstock in der Hand. Die Maskerade hielt alle Charaktere des Lebens, ins Groteske übersetzt. Auf einmal war ich von einer Gruppe umgeben, die allerhand lächerliche Bocksprünge um mich herum machte. Die ernsthaften Leute ohne Maske lachten, und ich lachte mit; einen genialischen Aufzug dieser Art kann man freilich nicht auf der Leipziger Messe haben. Plötzlich trat mit den possierlichsten Stellungen eine tolle Maskenfratze vor mir hin und hielt mir ein Barbierbecken unter die Nase, das Don Quixotte sehr gut als Helm hätte brauchen können; und ein anderes Bocksgesicht setzte sich hinter mich, um von seinem Attribute, der Klistierspritze, Gebrauch zu machen. Stelle Dir das donnernde Gelächter von halb Imola vor, als ich den Klistierspritzenkerl mit einer Schwenkung vollends umrannte, meinen Knotenstock komisch nach ihm hinschwang und meine Personalität etwas aus dem Gedränge zu Tage förderte. Zum Unglück muß ich Dir sagen, daß mein Bart wirklich über drei Tage lang war, und daß ich von den dortigen roten Weinen, an die ich nicht gewöhnt war, mich in einer Art von Hartleibigkeit befand. Die Menge zerstreute sich lachend, und ein ziemlich wohlgekleideter Mann ohne Maske, den ich nach einem Gasthof fragte, brachte mich durch einige Straßen in die Hölle, Nummer fünfe. Das war nun freilich kein erbaulicher Name; indessen ich war ziemlich müde und wollte in meinen Pontifikalibus nicht noch einmal durch das Getümmel laufen, um ein besseres Wirtshaus zu suchen; also blieb ich Nummer fünfe in der Hölle. Nachdem ich meinen Sack abgelegt hatte, wandelte ich wieder vor zu dem Haufen; und[269] nun muß ich den Farcenspielern die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß sie sich, so weit es ihr Charakter erlaubte, ganz ordentlich und anständig betrugen. Ein entsetzlich zudringlicher Cicerone, der mich in drei verschiedenen Sprachen, in der deutschen, französischen und italienischen, anredete, verließ mich mit seiner Dienstfertigkeit nicht eher, als bis einige französische Offiziere mich von ihm retteten und mit mir in ein nahes Kaffeehaus gingen. Vor diesem Hause war der beste Tummelplatz der Maskierten, die in hundert lächerlichen Aufzügen und Gruppierungen mit und ohne Musik auf und nieder liefen. Ein siedend heißer politischer Imolait schloß sich an mich an und führte das Gespräch durch verschiedene Gegenstände sehr bald auf die Politik und erkundigte sich, wie es in Wien aussähe. Ich antwortete ganz natürlich der Wahrheit gemäß: »Ganz ruhig.« »On les a bien forcé à coups de bayonnettes à être en repos«; sagte er. »Apparemment«; sagte ich. – »C'est toujours la meilleure manière de disposer les gens à se conformer à la raison.« – »Mais oui«, entgegnete ich, »après en avoir essayé les autres; pourvû toutefois, qu'il y ait de la raison et de la justice au fond de l'affaire.« – »Est-ce que vous en doutez pour la vôtre?« – »On ne peut pas répondre à cela en deux mots.« Nun wollte er eine Diskussion anfangen und ward ziemlich heftig. Ich entschuldigte mich mit meiner alten Formel: »Quand on commence, il faut toujours commencer par le commencement«; da würde sich denn ergeben das alte Iliacos intra muros peccatur et extra. Der Abend rief mich zum Essen und zur Ruhe, und wir schieden recht freundschaftlich, indem er meinte: »Wenn es auf uns beide angekommen wäre, würde wohl kein Krieg entstanden sein.« Das glaubte ich wenigstens für mich auf meiner Seite und ging ganz[270] andächtig in die Hölle Nummer fünfe, wo ich bis zum Sonnenaufgang recht sanft schlief. Ist Imola nicht ein Ort, wo ein Bischof sich zum Papst bilden kann?
In Faenza sah ich die erste französische Wachparade und in Forli nichts. Nicht eben, als ob da nichts zu sehen wäre: Antiquare und Künstler finden daselbst reichliche Unterhaltung für ihre Lieblingsfächer. Aber ich dachte weder an alte noch neue Kriege und zog gerades Weges ins Wirtshaus, das Hôtel de Naples. Auf mein Italienisch war man nicht außerordentlich höflich, vermutlich, weil es nicht sonderlich gut war. »Ne pourrais-je pas parler au maitre de la maîson?« fragte ich etwas trotzig, indem ich meinen Tornister abwarf. Auf einmal war alles freundlich, und alles war zu haben. Sonderbar, wie zuweilen einige Worte so oder so wirken können, nachdem man sie hier oder da sagt. In Ferrara mochte ich wohl mit meinem Reisesacke einigen Herren etwas drollig vorkommen, und sie schienen sich hinter mir über mich mit lautem Gelächter etwas zu erlustigen. »Qu'est ce qu'il y a là, Messieurs?« fragte ich mit einer enrhumierten, rauhen Stimme. »Niente, Signore«, war die Antwort; und alles trat still in eine bescheidene Entfernung. In Spoleto hätte mir die Frage ein Stilett gelten können. Ich fand in dem Hôtel de Naples zwei Kaufleute und drei Schiffer; der Kellner war ein jovialischer Mensch; man begrüßte mich in einer Minute zehnmal mit dem Prädikate cittadino, gab mir den Ehrenplatz und fütterte mich á qui mieux mit den besten Gerichten. Es machte keinen Unterschied, als man nun erfuhr, ich sei ein Deutscher; so sehr bestimmt der erste Augenblick die künftige Behandlung! Wir pflanzten uns, da der Abend sehr rauh und stürmisch war, um den Kamin her, machten einen traulichen, freundlichen Familienzirkel und tändelten mit einem kleinen, allerliebsten Jungen,[271] der, wie ein Toast der Gesellschaft, von den Knieen des einen zu den Knieen des andern ging.
Zwischen Forli und Cesena sind die Reste des alten Forum Pompilii und die Trümmer einer Brücke, welche auch alt zu sein scheint. Ich sah von allem sehr wenig wegen des entsetzlichen Wetters. Die Brücke gleich vor Cesena über den Savio ist ein Werk, das bei den Italienern für etwas sehr Schönes gilt; das kann aber nur in dieser Gegend sein. Das fürchterlich schlechte Wetter hielt mich in Cesena, da ich doch nur von Forli gekommen war und also nicht mehr als vier Stunden gemacht hatte. Hier wurde ich von dem Wirte mit einer gewissen kalten Förmlichkeit aufgenommen, die sehr merklich war, und in ein ziemlich ärmliches Zimmer hinten hinaus geführt. Ich hatte weiter nichts dawider. Nachdem wir aber eine Stunde geplaudert hatten, ich in einem Intermezzo des Regens etwas ausgegangen war, um die Stadt zu sehen und ein Kaffeehaus zu besuchen, und wieder zurückkam, fand ich meine Sachen umquartiert und mich in ein recht schönes Zimmer vorn heraus versetzt. Die Wirtin machte die Erklärung, man habe mich für einen Franzosen gehalten, der von der Munizipalität logiert würde, nun pflegte die Munizipalität seit langer Zeit für die zugeschickten Gäste gar nichts mehr zu bezahlen, man könnte es also nicht übel deuten, daß sie auf diese Weise so wohlfeil als möglich durchzukommen suche. Aber ein Galantuomo wie ich müsse mit Anstand bedient werden. Das fand ich auch wirklich. Die Mädchen vom Hause waren recht hübsch und so höflich und freundlich, als man in Ehren nur verlangen kann. Es kam noch ein Schiffskapitän, der mir Gesellschaft leistete und mir von seinen Fahrten im mittelländischen Meere eine Menge Geschichten erzählte. Er bedauerte, daß es Friede sei und der Schleichhandel[272] nun nicht mehr so viel eintrage; das sagte er nämlich, ohne sich sehr verblümt auszudrücken. Die Rechnung war für die sehr gute Bewirtung außerordentlich billig. Cesena ist übrigens eine alte, sehr verfallene Stadt, und der aufgepflanzte Freiheitsbaum machte unter den halbverschütteten Häusern des fast leeren Marktes eine traurige Figur. Pius der Sechste muß für seine Vaterstadt nicht viel getan haben, es würde ihm weit rühmlicher sein als der verunglückte Palast für seinen verdienstlosen Nepoten.
Vor Savignano ging ich, nicht wie Cäsar, über den Rubikon. Wahrscheinlich hat der kahlköpfige Weltbeherrscher hier oder etwas weiter unten am Meere den ersten entscheidenden Schritt getan, die sonderbare Freiheit seines Vaterlandes zu zertrümmern, da er als Despot des neueroberten Galliens zurückkehrte. Ein eigener Charakter, der Julius Cäsar! Es ist von gewissen Leuten schwer zu bestimmen, ob sie mehr Liebe oder Haß verdienen. Ich erinnere mich, daß es mir in einem solchen moralischen Kampfe einmal entfuhr, Cäsar sei der liebenswürdigste Schurke, den die Geschichte aufstelle. Die Äußerung hätte mir fast die Beschuldigung der verletzten Majestät aller Monarchen zugezogen. Dagegen wollte man mir neulich beweisen, Brutus sei eigentlich der Schurke gewesen und Cäsar ganz Liebenswürdigkeit. So, so? bien vous fasse! Ihr seid es wert, Cäsarn mit seiner ganzen Sippschaft und liebenswürdigen Nachkommenschaft zu Herrschern zu haben; ob ich es gleich nicht über mich nehmen wollte, den Junius Brutus durchaus zu verteidigen. Also hier gingen wir beide über den Rubikon, Cäsar und ich; haben aber übrigens beide nichts miteinander gemein, als daß wir – nach Rimini gingen.
In Savignano war Markt; der Platz wimmelte von[273] Leuten, die zur Ehre der neuen Kokarde weidlich zu zechen schienen. Ich fragte einen wohlgekleideten Mann nach einem Speisehause. Er besah mich ganz mißtrauisch, schaute nach meinem Hute, und da er rund herum keine Kokarde entdeckte, ward sein Ansehen etwas grimmig, und er schickte mich mit der höflichen Formel weiter: Andate al diavolo! Das war die Kehrseite von Cesena. So gehts zu Revolutionszeiten, für das nämliche wirst Du hier gepflegt, dort beschimpft; glücklich, wenns nicht weiter geht.
In Rimini schlief ich gewiß ruhiger, als der mächtige Julius nach seinem Übergange und dem geworfenen Würfel geschlafen haben mag. Vor der Stadt sind einige herrliche Aussichten. Auf dem Platze dessa Fontana steht der heilige Gaudentius von Bronze, der eine gar stattliche Figur macht. Auch ein Papst Paul, ich weiß nicht welcher, hat hier ein Monument für eine Wasserleitung, die er den Bürgern von Rimini bauen ließ. Eine Wasserleitung halte ich überall für eins der wichtigsten Werke und für eine der größten Wohltaten; und hier in Italien ist es doppelt so. Wenn ein Papst eine recht schöne wohltätige Wasserleitung baut, kann man ihm fast vergeben, daß er Papst ist. Auf dem andern Platze stand der Baum mit der Mütze und der Inschrift: L'union des François et des Cisalpins. Aber welche Union! Das mag der heilige Bartholomäus in Mailand sagen.
Wenn ich nun ein ordentlicher, systematischer Reisender wäre, so hätte ich von Rimini rechts hinauf auf die Berge gehen sollen, um die selige Republik Sankt Marino zu besuchen; zumal da ich eine kleine Liebschaft gegen die Republiken habe, wenn sie auch nur leidlich vernünftig sind. Aber ich ging nun gerade fort nach Cattolica und Pesaro. Die Arianer hatten, wie man sagt, auf dem Konzilium zu Rimini den Meister[274] gespielt, deshalb gingen die rechtgläubigen Bischöfe mit Protest herüber nach Cattolica und verewigten ihre mutige Flucht durch den Namen des Orts. Auch steht, wie ich selbst gelesen habe, die ganze Geschichte auf einer großen Marmorplatte über dem Portal der Kirche zu Cattolica, ich nehme mir aber selten die Mühe, etwas abzuschreiben, am wenigsten dergleichen Orthodoxistereien. In Pesaro, wo ich beiläufig die erste Handvoll päpstlicher Soldaten antraf, fragte ich, weil ich müde war, den ersten besten, der mir begegnete, wo ich logieren könnte? »Bei mir«, antwortete er. »Sehr wohl!« sagte ich und folgte. Der Mann hatte ein Schurzfell und schien, mit Shakespeare zu reden, ein Wundarzt für alte Schuhe zu sein. Nun fragte er mich, was ich essen wollte? Das stellte ich denn ganz seiner Weisheit anheim, und er tat sein Möglichstes, mich zufriedenzustellen, ging aus und brachte Viktualien, machte selbst den Koch und holte zweierlei Wein. Das war von nun an oft der Fall, daß der Wirt sich hinstellte und mir die patriarchalische Mahlzeit bereitete, und ich ihm hilfreiche Hand leistete. Er klagte mir ganz leise, daß die gottlosen Franzosen vier der schönsten Gemälde von hier mir weggenommen haben. Als ich den andern Morgen im Kaffeehause saß und mein Frühstück verzehrte, ließen mir eine Menge Vetturini nicht eher Ruhe, bis ich einen von ihnen nach Fano genommen hatte. Dieser mein Vetturino war nun ein echter Orthodox, der vor jedem Kreuz sein Kreuz machte, sein Stoßgebetchen sagte, seine Messe brummte und übrigens fluchte wie ein Lanzenknecht. Vor allen Dingen war sein Gesang charakteristisch. Ich habe nie einen so entsetzlichen Ausdruck von dummer Hinbrütung in vernunftlosem Glauben gehört. Wenn ich länger verdammt wäre, solche Melodien zu hören, würde ich bald Materialismus[275] und Vernichtung für das Konsequenteste halten, denn solche Seelen können nicht fortleben.
Vor Pesaro und noch mehr bei Fano wird die Gegend ziemlich gebirgig, ist voll Schluchten und Defileen in den Höhen, und es wird leicht begreiflich, wie die fremden Karthager sich hier verirrten und den Römern leichtes Spiel machten. Der Metaurus ist, wie fast alle Flüsse, welche aus den Apenninen kommen, ein gar schmutziger Fluß und hat ebensowenig wie der Rubikon ein klassisches Ansehen. Man wollte mir zwischen Fano und Sinigaglia den Berg zeigen, wo Hasdrubal geschlagen worden sein soll. Ich kann darüber nichts bestimmen, da mir die Geschichte der Schlacht aus den alten Schriftstellern nicht gegenwärtig war. So viel ist gewiß, daß sie hier in der Gegend und am Flusse vorfiel; und mit dem Polybius und Livius in der Hand dürfte es vielleicht nicht schwer sein, den Platz genau aufzusuchen. Da ich aber wahrscheinlich nicht in Italien kommandieren werde, war ich um den Posten nicht sehr bekümmert. Der Himmel habe den Hasdrubal und die römischen Konsuln selig! Sinigaglia ist ein angenehmer Ort durch seine Lage, vorzüglich geben die üppig vegetierenden Gärten der Landseite der Stadt ein heiteres Ansehen. Ich hatte zum ersten Male das Vergnügen, ein italienisches Stiergefecht zu sehen, wo die Hunde ziemlich hochgeworfen wurden und ziemlich blutig wegkamen, und woran halb Sinigaglia sich sehr zu ergötzen schien. Das Prototyp der Dummheit, mein Vetturino, führte mich weiter bis Ancona, da ich einmal in die Bequemlichkeit des Sitzens gekommen war. Die See ging hoch, und die Brandung war schön; rechts hatte ich herrliche Anhöhen, mit jungem Weizen und Ölbäumen geschmückt. Vor Ancona blühten den neunzehnten Februar Bohnen und Erbsen. Die Täler und Berge rechts[276] geben abwechselnd mit Wein und Obst und Öl und Getreide eine herrliche Aussicht. Der Hafen von Ancona mag für die Alten außerordentlich gut gewesen sein, für die Neuern ist er es nicht mehr in demselben Grade; und wenn nicht der Molo viel weiter hinausgeführt worden wäre, würde er wenig mehr brauchbar sein. Es können nur wenig große Schiffe sicher darin liegen. Am Anfange des alten Molo steht der sogenannte Triumphbogen Trajans von weißem Marmor, der aus den Antiquitätenbüchern hinlänglich bekannt ist. Die Schrift fängt nun an, ziemlich zu verwittern, und man muß schon sehr ziffern, wenn man den Sinn heraus haben will. Es müßte denn nur mir so gegangen sein, der ich im Lesen der Steinschriften nicht geübt bin. Der neue Bogen des Vanvitelli, weiter hinaus, steht gegen den alten sehr demütig da. Ganz am Ende des Molo steht ein Wachturm, und vor demselben standen einige Piecen Artillerie auf dem Molo hereinwärts, die den Hafen bestreichen. Die übrigen Stücke decken oder wehren bloß den Eingang von der Seite von Loretto. Am Turme stand eine französische Wache, deren man in der ganzen Stadt sonst nicht viele fand, obgleich die Besatzung ziemlich stark ist. »Est-ce qu'il est permis de monter la tour pour voir la contrée?« fragte ich. »Non«, war die Antwort, ich mußte also zurückgehen und die Berge rund umher besteigen, wenn ich die Aussicht teilweise haben wollte, die ich hier hätte ganz haben können. Es mag freilich wohl der beste militärische Augenpunkt sein, so daß man billig Bedenken trägt, jedermann sich auf demselben umsehen zu lassen. Das Seelazarett an dem andern Ende des Hafens, gleich am Wege von Loretto und Sinigaglia, der sich dort trennt, ist ein sehr schönes Gebäude ganz am Meere, so daß eine Brücke hinüberführt. Es hat rund herum eine Menge schöner, bequemer[277] Gemächer, eine Kapelle mitten im Hofe, frisches Wasser durch Röhren vom Berge und ein ziemlich großes Warenhaus. Auch das Militärspital auf dem Lande ist ein schönes, weitläufiges Gebäude. Die Schiffe sind meistens fremde, und die Handlung hebt sich nur sehr langsam durch die Maßregel des römischen Hofes, daß man Ancona zu einem Freihafen erklärt hat. Auf der südlichen Höhe der Stadt steht die alte Kathedralkirche, wo außer dem unverweslichen heiligen Cyriakus noch einige andere Kapitalheilige begraben liegen, deren Namen mir entfallen sind. Man findet dort eine schöne, prächtige, funkelnagelneue Inskription, daß Pius der Sechste auf seiner Rückkehr aus Deutschland, wo er die Wiener gesegnet hatte, daselbst die Unverweslichkeit des Heiligen in Augenschein genommen, bewundert und von neuem dokumentiert habe. Dieses Monument des Wunderglaubens ist dem Papst auf Kosten des Volks und der Stände der Mark Ancona in der glänzenden marmornen Krypte der Heiligen errichtet worden. O Sancta! Die Börse ist ein großer, schöner, gewölbter Saal mitten in der Stadt, mit interessanten, gut gearbeiteten Gemälden und Statuen, welche moralische und bürgerliche Tugenden vorstellen. Die erstern sollen von Perugino sein, wie man mir sagte; ich hätte sie nicht für so alt gehalten.
Im Theater gab man die alte Posse Der lustige Schuster gar nicht übel, und das italienische Talent zur Burleske mit dem feinen Takt für Schicklichkeit und Anstand zeigte sich hier sehr vorteilhaft. Ich konnte nicht umhin, Dir hier einige Worte über unsere deutschen Landsleute auf der Bühne zu sagen. Es wäre wohl zu wünschen, daß sie etwas von der Delikatesse der Welschen hierin hätten oder lernten. Das ist bei uns ein ewiges Küssen und sogar Schmatzen[278] auf den Brettern bei jeder Gelegenheit. Wenn man glaubt, daß dieses eine schöne, ästhetische Wirkung tun müsse, so irrt man sich vermutlich; wenigstens für mich muß ich bekennen, daß mir nichts langweiliger und peinlicher wird als eine solche Zärtlichkeitsszene. Ein Kuß ist alles, und ein Kuß ist nichts; und hier ist er weniger als nichts, wenn er so seine Bedeutung verliert. Er gehört durchaus zu den Heimlichkeiten der Zärtlichkeit, in der Freundschaft wie in der Liebe, und wird hier entweiht, wenn er vor die Augen der Profanen getragen wird. Ich weiß die Einwürfe, aber ich kann hier keine Abhandlung schreiben, sie alle zu beantworten. Der Italiener weiß durch die feinen Nuancen der Umarmung mehr zu wirken als wir durch unsere Küsse. Es versteht sich, daß seltene Ausnahmen stattfinden. Ein anderer Artikel, den wir etwas zu materiell behandeln, ist das Essen und Trinken und Tabaksrauchen auf dem Theater. Das alles ist von sehr geringer ästhetischer Bedeutung und sollte füglich wegfallen. Es ist, als ob wir unsere Stärke zeigen wollten, um die Präeminenz unsers Magens zu beweisen, und der Gebrauch der Teemaschine und der Serviette gehört bei mir durchaus nicht zu den guten Theaterkünsten; zumal wenn man eine Teekanne auf das Theater bringt, die man in der letzten Dorfschenke kaum unförmlicher und unreinlicher finden würde. Auch sieht man zuweilen einen Korb, der doch Eleganz bezeichnen sollte, als ob eben ein Bauer Hühnermist darin auf das Pflanzenbeet getragen hätte. Nimm mir es nicht übel, daß ich da in dramaturgischen Eifer gerate! Es wirkt nicht angenehm, wenn man Schicklichkeit und Anstand vernachlässigt.
Von Leipzig bis hierher habe ich keinen Ort gefunden, wo es so teuer wäre wie in Ancona; selbst nicht das teure Triest. Ich habe hier täglich im Wirtshause einen[279] Kaiserdukaten bezahlen müssen und war für dieses Geld schlecht genug bewirtet. Man schiebt noch alles auf den Krieg und auf die Belagerung; das mag den Aubergisten sehr gut zustatten kommen. Alles war voll Impertinenz. Dem Lohnbedienten zahlte ich täglich sechs Paoli; dafür wollte er früh um neun Uhr kommen und den Abend mit Sonnenuntergang fortgehen und machte gewaltige Extraforderungen, als er bis nach der Komödie bleiben sollte, da ich in der winkligen Stadt meine Auberge in der Nacht nicht leicht wiederzufinden glaubte. Er pflanzte sich im Parterre neben mich und unterhielt mich mit seinen Impertinenzen, und dafür mußte ich ihm die Entrée bezahlen und zwei Paoli Nachschuß für die Nachtstunden. Die Barbiere bringen jederzeit einen Bedienten mit, eine Art von Lehrling, der das Becken trägt und die Kunst des Bartscherens von dem großen Meister lernen soll. Nun ist das Becken zwar in der Tat so geräumig, daß man bequem einige Ferkel darin abbrühen könnte, und man wundert sich nicht mehr so sehr, daß die erhitzte Phantasie Don Quixottes so etwas für einen Helm ansah. Hast Du den Herrn recht gut bezahlt, so kommt der Junge, der die Serviette und den Seifenlappen in Ordnung gelegt hat, und fordert etwas della buona mano, della buona grazia und macht zu einer Kleinigkeit eben kein sehr freundliches Gesicht. Mein Bart hat mich bei den Leuten schon verzweifelt viel gekostet, und wenn ich länger hier bleibe, würde ich mich an die Bequemlichkeit der Kapuziner halten.
Die Leute klagten über Not und hielten bei hellem Tage durch die ganze Stadt Faschingsmummereien, daß die Franzosen die Polizeiwache verdoppeln mußten, damit das Volk einander nur nicht tot trat: so voll waren die Gassen gepfropft. Da gab es denn possierliche[280] Auftritte wie in Imola. Vorzüglich schnakisch sah es aus, wenn eine sehr feine Gesellschaft in dem höchsten Maskeradenputz vorbeizog, ein wirklicher Ochsenbauer mit seinen weitgehörnten Tieren, die Weinfässer fuhren, sich eingeschoben hatte, und eine Gruppe zierlicher Abbaten hinter den Fässern hertrollte, nicht vorbei konnte, mit Ungeduld ihre Blicke nach den Damen schickten, endlich durchwischten und mit den handfesten Fuhrleuten in ernsthafte Ellbogenkollision kamen. Das gab dann Leben und Lärm unter den dichtgedrängten Zuschauern links und rechts. Die armen Leute, welche über Hunger klagten, warfen doch einander mit Bonbons aller Art; aber vorzüglich gingen freundschaftliche, zärtliche Kanonaden mit einer ungeheuren Menge Mais, den man in Körben als Ammunition zu dieser Neckerei dort zum Verkauf trug. Mich deucht, man hätte nachher wohl zehn Scheffel sammeln können. Freilich lesen den an dern Tag die Armen auf, was nicht im Kot zertreten und zerfahren ist; und damit entschuldigt man das Unwesen. Es ist eine sonderbare, sehr närrisch lustige Art, Almosen auszuteilen.
Die Kaffeehäuser sind hier sehr gut eingerichtet, und man trifft daselbst immer sehr angenehme, unterhaltende Gesellschaft von Fremden und Einheimischen. Eine sonderbare Erscheinung muß die Belagerung der Stadt im vorigen Kriege gemacht haben, wo fast alle Nationen von Europa, Österreicher, Engländer, Russen, Italiener und Türken, gegen die neuen Gallier schlugen, die sich trotz allen Anstrengungen der Herren doch darin behaupteten, und die nun bloß durch die gewaltige Frömmigkeit ihres Machthabers daraus vertrieben werden. Ancona ist gewiß in jeder Rücksicht einer der interessantesten militärischen Posten an dieser Seite und nächst Tarent der wichtigste am ganzen[281] adriatischen Meere. Bis nach Ancona lautete mein Paß von Wien aus, weil der höfliche Präsident der italienischen Kanzlei ihn durchaus nicht weiter schreiben wollte. Aber hier machte man mir gar keine Schwierigkeit, mir einen Paß zu geben, wohin ich nur verlangte. Man war nur meinetwegen besorgt, ich möchte dem Tode entgegengehen. Dawider ließ sich nun freilich kein mathematischer Beweis führen, ich machte den guten, freundschaftlichen Leuten aber deutlich, daß meine Art zu reisen am Ende doch wohl noch die sicherste sei. Wer würde Reichtümer in meinem Reisesacke suchen? Mein Aufzug war nicht versprechend, und um nichts schlägt man doch nirgends die Leute tot.
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