Mailand

[501] Von Rom hierher ging ich halb im Wagen, halb zu Fuß; im Wagen, soweit ich mußte, zu Fuße, soweit ich konnte. Man hatte während meines Aufenthalts in Rom auf der Straße von Florenz Kuriere geplündert, Soldaten erschossen und große Summen geraubt. Es wäre Tollkühnheit gewesen, allein zu wallfahrten, wenn man nicht geradezu ein Bettler war und sich durch das cantabit vacuus sichern konnte. Ich fuhr also mit einer Gesellschaft nach Florenz. Von Ronciglione nach Viterbo geht's am See hinauf über den Ciminus. Auf dem Berge empfehle ich Dir die Aussicht rechts hinüber nach dem Soratte; sie ist herrlich. Man sieht hinüber nach Nepi und Cività Castellana, bis fast nach Otricoli, und weiter hin in die noch beschneiten Apenninen. Die Nebelwölkchen kräuselten sich herrlich und bezeichneten den Lauf der Tiber. Trotz der gedrohten Gefahr konnte ich doch nicht im Wagen bleiben und trollte meistens zu Fuße voraus und hinterher. Nicht weit von Viterbo begegnete uns eine Gesellschaft, die, nach aller Beschreibung, die ich schon in Rom von ihnen hatte, eine Karawane deutscher Künstler war, welche von Paris nach Rom gingen. Der Wagen fuhr eben bergab sehr schnell, und ich konnte mich nicht erkundigen.

Du kannst denken, daß ich auf Thümmels Empfehlung in Montefiascone den Estest nicht vergaß. Er ist für mich der erste Wein der Erde; und doch hatte ich nicht bischöfliches Blut; zwei Flaschen trank ich den Manen unseres Landsmannes. Ich brauchte mich nicht hineinzubemühen[501] in die Stadt, deren Anblick auch sehr wenig Einladendes hatte; der Wirt erzählte unaufgefordert die Geschichte des seligen Herrn und machte mir mit der Landsmannschaft ein Kompliment. Es war gut, daß ich nicht hierbleiben konnte; ich glaube, ich wäre Küster bei dem Bischofe geworden und hätte hier lernen Wein trinken. Aus dem Munde des Wirts lautete die Grabschrift: »Est, est, est, et propter nimium est dominus Fuggerus hic mortuus est.« Ob nun der Herr Bischof, der sich hier an den herrlichen Wein in die selige Ewigkeit hinübertrank, wirklich aus unserm edeln Geschlecht dieses Namens war, das überlasse ich den geistlichen Diplomatikern. Ich lief rüstig vor dem Wagen her nach Bolsena zu, am See hin, nach Sankt Lorenz, dem Lieblingsorte Pius des Sechsten. Die ganze Gegend um Bolsena ist romantisch. Daß unten Altlorenzo so außerordentlich ungesund sein soll, kann ich nicht begreifen. Daran scheint nur die Indolenz der Einwohner schuld zu sein, die die Schluchten nicht genug aushauen und bearbeiten.

Als eine Neuigkeit des Tages erzählte man hier die Geschichte von einem Komplott in Neapel. Murat, den ich selbst noch in Neapel gesehen habe, soll die Rädelsführer durch seine Versprechungen zur Entdeckung der ganzen Unternehmung sehr fein überredet und sodann die ganze Liste dem Minister überreicht haben. Weiß der Himmel, wieviel daran ist! Ganz ohne Grund ist das Gerücht nicht. Denn schon in Rom wurde davon gesprochen, und der König von Sardinien war aus Caserta daselbst angelangt, wie man laut sagte, aus Furcht vor Unruhen in Neapel, und wohnte im Palast Colonna. Die neapolitanische Regierung hatte dabei in ihrem Ingrimm ihre gewöhnliche alte, unüberlegte Strenge gebraucht. In Montefiascone traf ich einen Franzosen, der zweiundzwanzig[502] Jahre in Livorno gehandelt hatte und ein gewaltiger Royalist war. »Ich wollte schon vor zwölf Jahren zurückgehen«, sagte er mir, »aber mein Vaterland ist diese ganze Zeit über eine Mördergrube und ein verfluchtes Land gewesen. Die Republikaner und Demokraten sind alle Bösewichter. Nun, da Bonaparte wieder König ist, werde ich nach Hause gehen und mein Alter in Ruhe genießen.« Der Mann sagte dieses alles mit den nämlichen Worten; ich bin nur Übersetzer.

Acquapendente an dem Flusse macht eine schöne Partie und ist für den Kirchenstaat eine nicht unbeträchtliche Stadt. »Was das für eine närrische Benennung der Örter ist«, sagte ein Engländer, »Acquapendente und Acquafiascone.« Vor Radikofani an der Grenze bei Torricelli hatte man auch den Kurier geplündert, und ein toskanischer Dragoner war dabei umgekommen. Siena ist ziemlich leer. Der heilige Geruch des Erzbischofs benahm mir alle Lust, nur aus dem Wirtshause zu gehen. Es ist der nämliche Herr, der zur Zeit Josephs des Zweiten päpstlicher Legat in den Niederlanden war und daselbst allem Guten sehr tätig widerstrebte. Neuerlich in der Revolution hat er sich durch seine heroische Unvernunft ausgezeichnet. Die Juden mochten bei Ankunft der Franzosen den Glauben gewonnen haben, daß sie auch Menschen seien und sich also bürgerlich einige Menschlichkeiten erlaubt haben. Nach Abzug der Franken hielt der christgläubige Pöbel zu Siena im Sturm über die verruchten Israeliten Volksgericht und führte dreizehn der Elenden lebendig zum Scheiterhaufen. Einige mutige, vernünftige Männer baten den Erzbischof, sein Ansehn zu interponieren, damit die Abscheulichkeit nicht ausgeführt würde. Die Energie des Glaubens aber weigerte sich standhaft gegen die Zumutungen der Menschlichkeit, und die Unglücklichen wurden[503] zum frommen Schauspiel der Christenheit lebendig gebraten. Als die Volksexekution nach Hause zog, gab der geistliche Vater den Kindern mit Wohlgefallen seinen Segen. Doch dieses ist in Italien noch Humanität.

Von Siena nach Florenz ist ein schöner, herrlicher Weg; und sowie man Florenz näher kommt, wird die Kultur immer besser und endlich vortrefflich. Von Monte Cassino, dem letzten Ort vor Florenz, ist die schönste Abwechselung von Berg und Tal bis in die Hauptstadt. Was Leopold für Toskana getan hat, wird nun eilig alles wieder zerstört, und die Mönche fangen hier ihr Regiment ebenso wieder an wie in Rom. Der allgemeine große Wohlstand, der durch die österreichische, hier sehr liberale Regierung erzeugt worden war, wird indes nicht sogleich vertilgt. Hier sind Segen und Fleiß zusammen. Der neue König wird nicht geachtet; jedermann sieht ihn als nicht existierend an, bloß der römische Hof gewinnt durch seine Schwachheit Stärke. Dieser Leopold, sagt der Nuntius, hat vieles getan als ein ungehorsamer Sohn, das durch den Willen des Heiligen Vaters und das Ansehen der Kirche ipso jure null ist. Du kannst denken, wie stark man sich am Vatikan fühlen und wie schwach man die am Arno halten muß, daß man eine solche Sprache wagt. Aber sie wissen, daß sie mit dem Herrn in Paris zusammengehen; das erklärt und rechtfertigt vielleicht ihre Kühnheit. Die größte Anzahl seufzt hier nach der alten Regierung; Neuerungssüchtige hoffen auf Verbindung mit den Herren jenseits des Berges oder gar mit den Franzosen; die jetzige Regierung hat den kleinsten Anhang. Der König ist nicht gemacht, ihn zu vergrößern; das hat man sehr wohl gewußt, sonst hätte man ihn nicht zum Schattenspiel brauchen können. In der Stadt läuft die Anekdote sehr[504] laut herum, daß er in seinem Privattheater den Balordo vortrefflich macht, und niemand wundert sich darüber.

Es wurde hier über Meyers Nachrichten von Bonapartes Privatleben gesprochen; und Leclerc, der ihn doch wohl etwas näher kennen muß, soll darüber ganz eigene Berichtigungen gemacht haben. Die Feinheit der Kardinäle zeigte sich vorzüglich in der Papstwahl. Pius der Siebente war, als Bischof von Imola, Bonapartes Gastfreund gewesen; auf diesen Umstand und den individuellen Charakter des korsischen Beherrschers der Franzosen ließ sich schon etwas bauen. Du siehst, es ist gegangen. Vielleicht halfen die Rothüte dem Korsen erst, deutlich sein System entwickeln. In Imola kann man gut Maskerade spielen. Der Papst und seine Gesellen vergessen das Gebot des heiligen Anchises noch nicht, das er seinem frommen Sohne beim Abschied aus der Hölle gab; und wo ein Mittel nicht hilft, hilft das andere. In eine eigene Verlegenheit kamen indessen die Herren mit der Madonna von Loretto, welche bekanntlich die Franzosen mit sich genommen hatten. Ein Mönch kommt nach ihrer Entfernung und sagt: Das habe ich gefürchtet, daß sie das heilige Wunderbild wegführen würden, deswegen habe ichs verborgen und ein anderes dafür hingestellt, hier ist das echte. Dieses wird nun den Gläubigen zur Verehrung hingesetzt, ohne daß man in Rom sogleich etwas davon erfährt – Ich habe es in Loretto selbst gesehen, mich aber um die Echtheit des einen und des andern wenig bekümmert. – Nun unterhandelt man in Rom über das Pariser, und die Franzosen schicken es mit Reue zurück. Es kommt in Rom an, wo es noch stehen soll. Nun fragt sich, welches ist das echte? Eins ist so schlecht wie das andere, und beide tun natürlich Wunder in die Wette![505] Von den hiesigen Merkwürdigkeiten ist das Beste in Palermo, die Mediceerin, die Familie der Niobe und die besten Bilder; wenigstens hat man mich in dem leeren Saale so berichtet; doch hat die Gallerie immer noch sehr interessante Sachen vorzüglich für die Deutschen. Mit der Mediceischen Venus ist es mir sonderbar genug gegangen. Ich wünschte vorzüglich, auf meiner Pilgerschaft das Wunderbild zu sehen, und es ist mir nicht gelungen. In Palermo habe ich mit Sterzinger in dem nämlichen Hause gegessen, wo oben die Schätze unter Schloß und Siegel und Wache standen. Sie waren durchaus nicht zu sehen. Der Inspektor von Florenz, der mit in Palermo war, hatte Hoffnung gemacht, ehe alles wieder zurückginge, würde er die Stücke zeigen. In Rom und Neapel wußte man öffentlich gar nicht recht, wo sie waren, denn man hatte absichtlich ausgesprengt, das Schiff, welches alles aus Livorno nach Portici und weiter nach Palermo schaffen sollte, sei zugrunde gegangen, um die Aufmerksamkeit der Franzosen abzuziehen. Es steht aber zu befürchten, sie werden eine gute Nase haben und sich die Dame mit ihrer Gesellschaft nachholen. So viel ich Abgüsse davon gesehen habe, keiner hat mich befriedigt. Sie ist, nach meiner Meinung, wohl keine himmlische Venus, sondern ein gewöhnliches Menschenwesen, das die Begierden vielleicht mehr reizen als beschwichtigen kann. Mir kommt es vor, ein Künstler hat seine schöne Geliebte zu einer Anadyomene gemacht; das Werk ist ihm ungewöhnlich gelungen, das ist das Ganze. Über die Stellung sind alle Künstler, welche Erfahrung haben, einig, daß es die gewöhnlichste ist, in welche sich die Weiblichkeit setzt, sobald das letzte Stückchen Gewand fällt, ohne je etwas von der Kunst gehört zu haben. Ich selbst hatte einst ein eigenes ganz naives[506] Beispiel davon, das ich Dir ganz schlicht erzählen will. Der russische Hauptmann Graf Desessarts – Gott tröste seine Seele! er ist, wie ich höre, an dem Versuche in Quiberon gestorben, den ich ihm nicht geraten habe – er und ich, wir gingen einst in Warschau in ein Bad an der Weichsel. Dort fanden sich, wie es zu gehen pflegt, gefällige Mädchen ein, und eine junge, allerliebste, niedliche Sünderin von ungefähr sechzehn Jahren brachte uns den Tee, um wahr scheinlich auch gelegentlich zu sehen, ob Geschäfte zu machen wären. Wir waren beide etwas zu ernsthaft. »Das arme, artige Geschöpfchen dauert mich«, sagte der Graf; aber der Franzose konnte doch seinen Charakter nicht ganz verleugnen. »Je voudrois pourtant la voir tout entière«, sagte er und machte ihr den Vorschlag und bot viel dafür. Das Mädchen war verlegen und bekannte, daß sie für einen Dukaten in der letzten Instanz gefällig sein würde; aber zur Schau wollte sie sich nicht verstehen. Mein Kamerad verstand seine. Logik, brachte mit feiner Schmeichelei ihre Eitelkeit ins Spiel, und sie gab endlich für die doppelte Summe mit einigem Widerwillen ihr Modell. Sobald die letzte Falte fiel, warf sie sich in die nämliche Stellung. »Voilà la coquine de Medicis!« sagte der Graf. Es war ein gemeines polnisches Mädchen mit den Geschenken der Natur, die für ihren Hetärensold sich nur etwas reizend gekleidet hatte, eine Wissenschaft, in der die Polinnen vielleicht den Pariserinnen noch Unterricht geben könnten! Allemal ist mir bei einem Bilde der Aphrodite Medicis die Polin eingefallen, und meine Konjektur kam zurück, und mancher Künstler war nicht übel willens, meiner Meinung beizutreten. Urania könnte in der Glorie ihrer hohen, siegenden Unschuld keinen Gedanken an die bedeckten Kleinigkeiten haben, die[507] nur ein Satyr bemerken könnte. Ihr Postament war jetzt hier leer.

Es ist vielleicht doch auch jetzt noch keine unnütze Frage, ob Moralität und reiner Geschmack nicht leiden durch die Aufstellung des ganz Nackten an öffentlichen Orten. Der Künstler mag es zu seiner Vollendung brauchen, muß es brauchen, aber mir deucht, daß Sokrates sodann seine Grazien mit Recht bekleidete. Kabinette und Museen sind in dieser Rücksicht keine öffentlichen Orte; denn es geht nur hin, wer Beruf hat, und wer sich schon etwas über das Gewöhnliche hebt. Sonst bin ich dem Nackten in Gärten und auf Spaziergängen eben nicht hold, ob mir gleich die Feigenblätter noch weniger gefallen. Empörend aber ist es für Geschmack und Feinheit des Gefühls, wenn man in unserm Vaterlande in der schönsten Gegend das häßlichste Bild der Aphrodite Pandemos mit den häßlichsten Attributen zuweilen aufgestellt sieht. Das heißt die Sittenlosigkeit auf der Straße predigen; und bloß ein tiefes Gefühl für Freiheit und Gerechtigkeit hat mich gehindert, die schändlichen Ausgeburten zu zertrümmern oder in die Tiefe des nahen Flusses zu stürzen.

Auf der Ambrosischen Bibliothek zu studieren, hatte ich nicht Zeit. Die Philologen müssen in die Bibliothek des Grafen Riccardi gehen, wo sie für ihr Fach die besten Schätze finden. Mir war es jetzt wichtiger, in der Kirche Santa Croce die Monumente einiger großen Männer aufzusuchen, die sich zu Bürgern des ganzen Menschengeschlechts gemacht haben. Rechts ist vorn das Grabmal Buonarottis und weiter hinunter auf der nämlichen Seite Machiavellis und links der Denkstein Galileis. Es verwahrt wohl kaum ein Plätzchen der Erde die Asche so vortrefflicher Männer nahe beisammen.[508]

Für den Antiquar und den Gelehrten ist von unserer Nation jetzt in Florenz noch ein wichtiger Mann, der preußische Geheimerat, Baron von Schellersheim, ein Mann von offenem, rechtlichem Charakter und vielen feinen Kenntnissen, dem sein Vermögen erlaubt, seiner Neigung für Kunst und Wissenschaft mehr zu opfern als ein anderer. Er besitzt vielleicht mehr antike Schätze als irgendein anderer Privatmann. Was ich bei ihm gesehen habe, war vorzüglich eine komplette alte römische Toilette von Silber; ein großes, altes, silbernes, ziemlich kubisches Gefäß, welches ein Hochzeitsgeschenk gewesen zu sein und Hochzeitsgeschenke enthalten zu haben scheint. Auf den vier Seiten sind von der ersten Bewerbung bis zur Nachhauseführung die Szenen der römischen Hochzeitsgebräuche abgebildet. Dieses ist vielleicht das größte silberne Monument der alten Kunst, das man noch hat. Ferner hat er vier silberne Sinnbilder der vier Hauptstädte des römischen Reichs, Rom, Byzanz, Antiochia und Alexandria, welche die Konsuln oder vielleicht auch die andern kurulischen Magistraturen an den Enden der Stangen ihrer Tragsessel führten. Diese müssen, der Geschichte nach, etwas neuer sein. Weiter besitzt er einige alte komplette silberne Pferdegeschirre mit Stirnstücken und Bruststücken. Aber das Wichtigste sind seine geschnittenen Steine, unter welchen sich mehrere von seltenem Wert finden, und seine römischen Goldmünzen: mehrere konsularische von Pempejus an und fast die ganze Folge der Kaisermünzen von Julius Cäsar bis Augustulus. Hier fehlen nur wenige wichtige Stücke. Du siehst, daß dieses eine Liebhaberei nicht für jedermann ist. Ich schreibe Dir dieses etwas umständlicher, weil es Dich vielleicht interessiert und Du es noch nicht in den Büchern findest, denn seine Sammlung ist noch[509] nicht alt, und sie konnte nur in den Verhältnissen des Besitzers so bald so reich gemacht werden.

Die schönen Gegenden um Florenz zwischen den Bergen an dem Flusse auf und ab sind bekannt genug, und Du erwartest gewiß nicht, daß ich als Spaziergänger Dir alle die andern Merkwürdigkeiten aufführe. Das hiesige Militär kam mir traurig vor; schöne Leute, aber ohne Wendung und Geschicklichkeit! Zum Abschiede sah ich den Morgen noch die amalfischen Pandekten; und die Franzosen haben sich etwas bei mir in Kredit gesetzt, daß sie diesen Kodex nicht genommen haben; und gegen Abend wohnte ich auf dem alten Schlosse noch einer Akademie der Georgophilen bei. Hier hielt man eine Vorlesung über die vorteilhafteste Mischung der Erdarten zur besten Vegetation, und sodann las einer der Herren eine Einleitung zu einem chemisch physischen System. Zum Ende zeigte man einige seltene neue Naturprodukte. Neben meinem Zimmer im Bären wohnte eine französische Familie, nur durch eine dünne Wand getrennt; diese betete den Abend über eine ganze Stunde ununterbrochen so inbrünstig und laut, daß mir über der Andacht bange ward. Seit Ostern ist wie ich höre, überall das Religionswesen wieder Mode; und in Frankreich scheint alles durchaus nur als Mode behandelt zu werden.

Nach Bologna hatte ich mich über den Berg wieder an einen Vetturino verdungen und fand im Wagen einen französischen Chirurgus, der von der Armee aus Unteritalien kam, und eine italienische Dame mit ihrem kleinen Sohn auf dem Schoße; und endlich kam noch ein schweizerischer Kriegskommissär mit einem furchtbar großen Säbel, der in Handelsgeschäften seines Hauses gereist war. Die Dame, eine Frau von Rosenthal, deren Mann österreichischer Offizier war, ging[510] allein mit ihrem Kinde, einem schönen, sehr lieblichen Knaben von ungefähr anderthalb Jahren, nach Venedig, um dort ihren Mann zu erwarten, der in Livorno und anderwärts noch Dienstgeschäfte hatte. Da der Junge ein überkomplettes Persönchen im Wagen und doch so allerliebst war, machte er die Runde von der Mutter zu uns allen. Die Gesellschaft lachte über meine grämliche Personalität mit dem Kleinen auf dem Arm, und ich kam mir wirklich selbst vor wie der Silen im Kabinet Borghese mit dem jungen Bacchus. Du siehst, daß ich mir gehörige Ehre wiederfahren zu lassen weiß. Die Leutchen mußten das nämliche meinen, denn die Gruppierung fand Beifall, und der Junge war gern bei mir.

Der Berg von Florenz aus ist ein wahrer Garten bis fast auf die größte Höhe. Du kannst denken, daß ich viel zu Fuße ging; der Franzose leistete mir dann zuweilen Gesellschaft. Der Schweizer mit dem großen Säbel kam selten aus dem Wagen. Etwas unheimisch machen es oben auf dem Bergrücken die vielen Kreuze, welche bedeuten, daß man hier jemand totgeschlagen hat, weil man gewöhnlich auf die Gräber Kreuze setzt. Die Römer sind in diesem Falle etwas weniger fromm und politischer und setzen nichts darauf, denn sonst würde der ganze Weg bei ihnen eine Allee von Kreuzen sein. Ich muß Dir bekennen, daß ich von dem Kreuze gar nicht viel halte. Warum nimmt man nicht etwas Besseres aus der Bibel? Das Emblem scheint von der geistlichen und weltlichen Despotie in Gemeinschaft erfunden zu sein und alles kühne Emporstreben der Menschennatur zur knechtischen Geduld niederzudrücken und diese subalterne Tugend zur höchsten Vollkommenheit der Moral zu erheben. Wozu braucht man Gerechtigkeit, Großmut und Standhaftigkeit? Man predigt Geduld und Demut.[511] Demut ist nach der Etymologie Mut zu dienen und die zweideutigste aller Tugenden. In der alten griechischen und römischen Moral findet man diese Tugenden nicht, und die Einführung ist eben kein Vorzug der christlichen. Sie kann nur im Evangelium der Despoten stehen, welche sie aber für sich selbst doch sehr entbehrlich finden. Es ist freilich auch philosophisch besser, Unrecht leiden, als Unrecht tun; aber es gibt ein Drittes, das vernünftiger und edler ist als beides, mit Mut und Kraft verhindern, daß durchaus kein Unrecht geschehe. In unserm lieben Vaterlande hat man das Kreuz zwar meistens weggenommen, aber dafür den Galgen hingesetzt. So schlecht auch dieser ist, kommt er mir doch etwas besser vor. Das Kreuz verhält sich zum Galgen wie die Mönche zu den Soldaten, die ersten sind die Instrumente und die zweiten die Handlanger der geistlichen und weltlichen Despotie, die permanente Guillotine der Vernunft. Christus hat gewiß seiner Religion keinen so jämmerlichen Anstrich geben wollen, als sie nachher durch ihre unglücklichen Bonzen bekommen hat. Freilich, wenn man den Gekreuzigten nicht an allen Feldwegen zeigte, könnte es doch wohl der Menge einfallen, ihre Unbefugnisse etwas näher zu untersuchen und zu finden, daß keine Konsequenz darin ist, sich durch den Druck des Feudalsystems und durch das Privilegienwesen ohne Aufhören kreuzigen zu lassen. Berechnet ist es ziemlich gut, wenn es nur gut wäre.

Bei Pietramala sah ich oben den zweideutigen Vulkan nicht, weil er zu weit rechts hinüber in den Felsen lag und der Wagen nicht anhalten wollte. Nun hatten wir von den Ölbäumen Abschied genommen, auf dieser Seite des Apennins sind sie nicht mehr zu finden. Auf der Südseite sind Ölbäume, auf der Nordseite nach Bologna herüber Kastanien. Man kommt[512] nun wieder dem lieben Vaterlande näher; alles gewinnt diesseits des Berges schon eine etwas mehr nördliche Gestalt. Mein alter gelehrter Cicerone in Bologna hatte eine große Freude, mich glücklich wiederzusehen, und ich lief mit ihm so viel herum, als man in zwei Tagen laufen konnte. Aber der Schweizer Kriegskommissär führte mich mehr in die Kaffeehäuser als in die Museen. Ein polnischer Hauptmann von der Legion, der, wie ich in Mailand fand, eigentlich nur Fähnrich war und sich selbst einige Grade avanciert und hier geheiratet hatte, schloß sich geflissentlich an uns an und freute sich, mit Deutschen deutsch zu plaudern, denn er war lange kaiserlicher Unteroffizier gewesen. Der Mensch sagte, er sei in seinem Leben kein Republikaner gewesen – das ließ sich von einem polnischen Edelmann sehr leicht denken – und er sei nun froh, daß die H – e von Freiheit nach und nach wieder abgeschafft werde. Man hatte eben das Wappen über dem Generalzollhause geändert und anstatt der Freiheit die Gerechtigkeit hingesetzt, welches eigentlich eins ist. Die wahre Freiheit ist nichts anders als Gerechtigkeit, nur behüte uns der Himmel vor Freiheiten und Gerechtigkeiten! Sodann erhob er die Tapferkeit und die Kriegszucht der Polen, von der ich selbst Beweise hatte, und an welcher ich also nicht zweifelte.

Von allen Merkwürdigkeiten, die ich in Bologna noch zu sehen genötigt war, will ich Dir nur die Gallerie Sampieri erwähnen. Sie ist nicht groß, aber köstlich. Die Plafonds sind von den drei Caracci, Hannibal, Ludwig und August, und könnten mit Ehren in Rom unter den besten stehen. Das schönste Stück der Sammlung, und nach einigen die beste Arbeit von Guido Reni, ist der reuige Petrus. Die Kunst mag allerdings dieses Urteil der Kenner rechtfertigen; aber[513] mich hat weit mehr beschäftigt die Hagar von Guercino. Dieser Künstler hat den Mythus gefaßt, wie Rechtlichkeit und Humanität es fordern, nicht wie die leichtgläubige Frömmigkeit ihn herbetet. Hagar ist ein schönes, herrliches, Ehrfurcht gebietendes Weib, das in dem Gefühl seines Werts dasteht; der Vater der Gläubigen ist ein jämmerlicher Sünder unter dem Zepter seiner Ehehälfte, und diese kann halb versteckt ihre kleine, boshafte, neidische Seele kaum verbergen. Nur dem Knaben Ismael wäre vielleicht jetzt schon etwas mehr von dem kühnen Trotze zu wünschen, der ihn in der Folge so vorteilhaft auszeichnete. Es kann mit der Volksbildung nicht wohl weiter gedeihen, solange man noch dieses Buch als göttliche Norm der Moral aufdringt und jedes Jota desselben mit Theopneustie stempelt. Es enthält so vielen schiefen Sinn, so viele Unsittlichkeiten in Beispielen und Vorschriften, daß ich oft mit vieler Überlegung zu sagen pflege, der Himmel möge mich vor Davids Frömmigkeit und Salomons Weisheit behüten. Man windet sich aus Betrachtungen hierüber ebenso schlecht wie bei der Vergebung der Sünden. Wenn man das Ganze als ein Gewebe menschlicher Torheiten und Tugenden, als einen Kampf der erwachenden Vernunft mit den despotischen und hierarchischen Kniffen nähme, so wäre das Gemälde unterhaltend genug und als das älteste Dokument der Menschenkunde heilig; aber wozu dieses dem Volke, das davon nichts brauchen kann? Das Papsttum hat vielleicht keinen glücklichern Einfall gehabt, als dem Volke dieses Buch zu entziehen; wenn man ihm nur etwas reineres und besseres dafür gegeben hätte. Die Legenden der Heiligen aber und die Ausgeburten des Aberglaubens aus dem Mittelalter sind freilich noch viel schlimmer. Was den ersten heiligen Geboten der[514] Vernunft widerspricht, das kann kein heiliger Geist als Wahrheit stempeln.

Von Bologna aus nahm ich meinen Tornister wieder auf die Schulter und pilgerte durch die große, schöne Ebene herüber nach Mailand. In Modena gefiel mir's sehr wohl, ohne daß ich den erbeuteten Eimer sah. Die Stadt ist reinlich und lebendig und lachend, die Wirtshäuser und Kaffeehäuser sind gut und billig. Ein ganzes Dutzend Tambours schlugen den Zapfenstreich durch die ganze Stadt, ohne daß ein einziges Bajonett dabeigewesen wäre. In der neuen Republik ist man wenigstens überall sicher; die Polizei ist ordentlich und wachsam, und alles bekommt ein rechtliches Ansehen. Massena, der hier kommandierte, ergriff eine herrliche Methode, Sicherheit zu schaffen. Einige Schweizer Kaufleute waren in der Gegend geplündert worden; der General hieß sie arretieren und die Sache strenge untersuchen; die Angabe war richtig. Nun wurden die Gemeinheiten, in deren Bezirke die Schurkerei geschehen war, gezwungen, das Geld zu ersetzen, und man ließ die Fremden ziehen. Ich finde darin, wenn es durchaus mit Strenge und Genauigkeit geschieht, keine Ungerechtigkeit. Wenn man die Räuber hübsch ordentlich henkte und eine Kasse zur Wiedererstattung wie die Brandkasse anlegte, das würde die öffentliche Sicherheit recht sehr befördern.

In Reggio lag ein polnisches Bataillon, und ein Unteroffizier desselben, der am Tore die Wache hatte und ein Anspacher war, freute sich höchlich, wieder einen preußischen Paß zu sehen, den ich mir von dem preußischen Residenten in Rom hatte geben lassen, weil ich ihn mit Recht zu meiner Absicht für den besten hielt.

Nun wollte ich den Abend in Parma bleiben und einen[515] oder zwei Tage dort ausruhen und Bodoni sehen, an den ich Briefe von Rom hatte. Aber höre, wie schnurrig ich um das Vergnügen gebracht wurde! Am Tore wurde ich den achten Juni mit vieler Ängstlichkeit examiniert und sodann mit einem Gefreiten nach der Hauptwache geschickt. Ich kannte die Bocksbeutelei, ob sie mir gleich auf meiner Wanderung hier zum ersten Male begegnete. Unterwegs freute ich mich über die gutaussehenden Kaffeehäuser und saß schon im Geist bei einer Schale Eis, denn ich hatte einen warmen Marsch gehabt. Die Parmesaner saßen gemütlich dort und schienen viel Bonhommie zu präsentieren; nur hier und da zeigte sich ein breites, aufgedunsenes Gesicht, wie ihr Käse. Auf der Hauptwache las der Offizier meinen Paß, rief einen andern Gefreiten und befahl ihm, mit mir zu gehen. Ich glaubte, ich sollte zu dem Kommandanten gebracht werden, und hoffte schon auf eine ähnliche Bewirtung wie in Augusta in Sizilien. Aber der Zug dauerte mir sehr lange; ich fragte und erfuhr nun, ich müßte zum Tore hinaus, ich dürfte nicht in der Stadt wohnen. Es war mir gleich aufs Herz gefallen, als ich auf dem Markte die Grenadiere so schön gepudert sah. Die Kerle trugen hinten Haarwülste, so groß wie das Kattegat. Ich forderte, man sollte mich zum Kommandanten bringen. »Ma, mio caro, non posso mica«; sagte mein Begleiter. Ich drang darauf. »Ma, mio caro, non sapete il servizio; questo non posso mica.« Ich alter Kriegsknecht mußte mir die Sottise gefallen lassen. Warum hatte ich mich vergessen? Der Mensch hatte Recht. Wir kamen ans Tor, und ich fragte den Offizier, indem ich ihm meinen Paß wies, ob das eine humane Art wäre, einen ehrlichen Mann zu behandeln. Er sah mich an, sagte mir höfliche Worte und berief sich auf Befehl. Ich verlangte noch einmal, zum[516] Kommandanten gebracht zu werden; ich wollte hierbleiben, ich hätte Geschäfte. Er zuckte die Schultern; ein alter Sergeant, der ein etwas liberaleres Antlitz hatte, meinte, man könnte mich doch hinschicken; der Offizier war unschlüssig. »Ma, mio caro, non possiamo mica«, sagte der Gefreite von der Hauptwache, der noch dabeistand. Der Offizier sagte mir, er könne mir jetzt nicht helfen; ich könne morgen wieder hereinkommen und dann tun was ich wolle. Jetzt ging ich trotzig den Weg zum Tore hinaus. Der Gefreite hätte keine bessere Charakteristik von Parma und den Parmesanern geben können: »Ma, mio caro, non possono mica.« Ärgerlich und halb lachend ging ich in ein Wirtshaus eine gute Strecke vor dem Tore. Das nenne ich mir eine aufmerksame, besorgliche Polizei! Ich hatte mir in Reggio den Bart machen lassen, ein reines, feines Hemd angezogen, mich geputzt und gebürstet. Ihre problematischen Landsleute zwischen Alicate und Terra Nuova und ihre nicht problematischen Landsleute zwischen Gensano und Aricia hatten mir zwar bei ihrer braven Visitation einige Schismen in Rock und Weste gebracht, aber dessen ungeachtet hatte man noch in Bologna in guter Gesellschaft meinen Aufzug für sehr polito erklärt. Ich zog bei dem Offizier einige Male meine goldne Uhr und erbot mich, zehn Louisd'or Kaution zu machen, und im Passe war ich stattlich mit Signor betitelt; nichts, man gestattete mir kein Quartier in der Stadt. Und nun denkst Du, daß ich den andern Morgen hineinging und mich des fernen erkundigte? Das ließ ich hübsch bleiben. Wenn ich im Himmel abgewiesen werde, komme ich nicht wieder, diese Ehre erhalten die Parmesaner nicht. Ich aß gut und schlief gut und schlug den andern Morgen den Weg nach Piacenza ein. Man merkte sogleich, daß die Leute hier in Parma noch[517] orthodox und nicht von der Ketzerei ihrer Nachbarn angesteckt sind; denn ich sah hier weder viele Dolche und Schießgewehre wie bei den Italienern jenseits der Berge. Die Nachtigallen sangen folgenden Morgen so herrlich und so schmetternd, und ich wunderte mich, wie sie in der Nähe eines so konfiszierten Orts noch einen Ton anschlagen könnten. Aber sie schlugen fort, und endlich vergaß ich das Eis, den Käse, Bodoni und Mica und wandelte auf den Po zu. Ich hatte in Rom ein herrliches Gemälde von dem Übergange über den Fluß aus dem letzten Kriege gesehen, der Künstler war hier gewesen und hatte nach der Natur gearbeitet und ein Meisterstück der Perspektive gemacht. Jetzt suchte ich mich zu orientieren. Der Ort ist sehr leer und öde, aber der Fluß macht schöne Partien.

In Lodi aß ich wohl ruhiger zu Mittage als Bonaparte, wenn ich mir gleich nicht so viel Ruf erwarb, und konnte gemächlich den Posten besehen, wo man geschlagen hatte. Unter andern guten Sachen traf ich hier die schönsten Kirschen, die ich vielleicht je gegessen habe. Wenngleich das alte Laus Pompeji nicht gerade hier lag, so ist doch wohl der Name daraus gemacht und der Ort daraus entstanden, wenigstens wird das hier auf einem Marmor am Rathause behauptet. Die Männer von Lodi müssen ein sinnreiches Geschlecht sein, das sah man an ihren Schildern. Unter andern hatte ein Schuhmacher auf dem seinigen einen Genius, der sehr geistreich das Maß nahm.

Hier in Mailand verlasse ich nun Hesperien ganz und bin schon längst nicht mehr im Lande, wo die Zitronen blühn. In Rom sagte man, daß das Erdbeben vorigen Monat den Dom von Mailand sehr beschädigt habe; es ist aber kein Stein heruntergeworfen worden. Dieses gothische Gebäude streitet vielleicht mit dem Münster in Straßburg um den Vorzug, ob es gleich[518] nicht vollendet ist und es nun vielleicht auch nie werden wird. In der Kapitale der italischen Republik geht alles nach gallischen Gesetzen; und hier und dort, wie Du weißt, alles nach dem Willen des korsischen Autokrators. Wenn es nur gut ginge, wäre vielleicht nicht viel dawider zu sagen. Man scheint hier der goldenen Freiheit nicht durchaus außerordentlich hold zu sein. Einer meiner Bekannten begleitete mich etwas durch die Stadt und unter andern auch in die Kathedrale. Hinter der kunstreichen Krypte des heiligen Borromeo steht in einer Nische der geschundene heilige Bartolomeo, mit der Haut auf den Schultern hangend. Er gilt für eine gräßlich schöne Anatomie. Der Italiener stand und betrachtete ihn einige Minuten: »Das sind wir, sagte er endlich; die Augen hat man uns gelassen, damit wir unser Elend sehen können.« Die Franzosen machen eine schöne Parade vor dem Pallast der Republik; nur wird es mir schwer, die allgewaltigen Sieger in ihnen zu erkennen, vor denen Europa gezittert hat. Das alte weitläuftige Schloß vor der Stadt wird sehr verengt und vor demselben der Platz Bonaparte gemacht, jetzt ist dort noch alles wüste und leer.

Vor allen Dingen besuchte ich noch das berühmte Abendmahlsgemälde von Leonardo da Vinci in dem Kloster der heiligen Maria. Das Kloster ist jetzt leer, und das Refektorium, wo das Gemälde an der Wand ist, war während der Revolution, wie man sagt, einige Zeit sogar ein Pferdestall. Das Stück ist einige Male restauriert. Volpato hat es zuletzt gezeichnet und Morghen gestochen, und wahrscheinlich ist der Stich, der für ein Meisterstück der Kunst gilt, auch bei euch schon zu haben; Du magst ihn also sehen und urteilen. Ich sah ihn in Rom zum ersten Male. Auch in dem verfallenen Zustande ist mir das Original noch weit[519] lieber als der Stich, so schön auch dieser ist. Volpato ist vielleicht etwas willkürlich bei der Kopierung zu Werke gegangen, da das Stück dem gänzlichen Verfalle sehr nahe ist. Wir sind indessen dem Künstler Dank schuldig für die Rettung. Ich sage nichts von dem schönen Charakter der übrigen Jünger; mit vorzüglich feinem Urteil hat der Maler den Säckelmeister Judas Ischariot behandelt, damit er die ehrwürdige Gesellschaft nicht durch zu grellen Kontrast schände. Auch der Geist des Mannes ist nicht verfehlt. Er sitzt da wie ein kühner, tiefsinniger, mit sich selbst nicht ganz unzufriedener Finanzminister, der einen großen Streich wagt; er rechnete für die Gesellschaft, nicht für sich. Auch psychologisch ist Ischariot noch kein Bösewicht, nur ein Unbesonnener. Ein Bösewicht hätte sich nachher nicht getötet. Er glaubte, der Prophet würde sich mit Ehre retten. Ich möchte freilich nicht Judas sein und meinen Freund auf diese Weise in Gefahr setzen; aber vielleicht eben nur darum nicht, weil ich nicht so viel Glauben habe als er. – Jetzt muß man auf einer Leiter hinuntersteigen in den Saal, der untere Eingang ist vermauert, und nun leidet das Stück durch feuchte, dumpfe Luft vielleicht ebensosehr als vorher durch andere üble Behandlung.

Hier sah ich seit der heiligen Cecilie in Palermo wieder das erste Theater. In Neapel brachte mich Januar darum, weil acht Tage vor und acht Tage nach seinem Feste kein Theater geöffnet wird. Ohne Spiel wollte ich auch das Karlstheater nicht sehen. In Rom machten mir meine Freunde eine so schlimme Schilderung von dem dortigen Theaterwesen, daß ich gar nicht Lust bekam, eins zu suchen. Man sagt, das Haus sei hier ebenso groß als das große in Neapel. Der Gesang war nicht ausgezeichnet und für das große Haus zu schwach. Man erzählte mir hier eine Anekdote[520] von Demoiselle Strinasacchi, die jetzt in Paris ist. Ich gebe sie Dir, wie ich sie hörte, sie ist mir wahrscheinlich, weil uns etwas Ähnliches mit ihr in Leipzig begegnete, nur daß weder unser Mißfallen, noch unser Enthusiasmus so weit ging als die italienische Lebhaftigkeit. Die Natur hat ihr nicht die Annehmlichkeiten der Person auf dem Theater gegeben. Bei ihrer ersten Erscheinung erschrak hier das ganze Haus so sehr vor ihrer Gestalt und geriet so in Unwillen, daß man sie durchaus nicht wollte singen lassen. Der Direktor mußte erscheinen und es sich als eine große Gefälligkeit für sich selbst erbitten, daß man ihr nur eine einzige Szene erlaubte, dann möchte man verurteilen, wenn man wollte. Die Wirkung war vorauszusehen; man war beschämt und ging nun in einen rauschenden Enthusiasmus über, und nach Endigung des Stücks spannte man die Pferde vom Wagen und fuhr die Sängerin durch einen großen Teil der Stadt nach Hause. Es wäre eine psychologisch nicht unwichtige Frage, das aufrichtige Bekenntnis der Weiber zu hören, ob sie das zweite für das erste erkaufen wollten. Die Heldin selbst hat keine Stimme mehr über die Sache.

Das Ballet war schottisch und sehr militärisch. Man arbeitete mit einer großen Menge Gewehr und sogar mit Kanonen, und das Ganze machte sich auf dem großen Raume sehr gut. Der Charaktertanz war aber mangelhaft, vorzüglich bei der Mutter. Man hatte gute Springer, aber keine Tänzer; ein gewöhnlicher Fehler, wo das Ganze nicht mit einer Seele arbeitet! Ich habe nie wieder so gute Pantomime gesehen als in Warschau aus der Schule des Königs Poniatowsky. An ihm ist ein großer Balletmeister verloren gegangen und ein schlechter König gewonnen worden.

In Rom hatte ich einige Höflichkeitsaufträge an den[521] General Dombrowsky erhalten, und er nahm mich mit vieler Freundlichkeit auf und lud mich mit nordischer Gastfreiheit auf die ganze Zeit meines Hierseins an seinen Tisch. Hier fand ich mit ihm und anderen von Polen aus Berührung. Ich hatte ihn einige Male in Suwarows Hauptquartier gesehen; und er hatte von seinem ersten Dienst unser Vaterland Sachsen noch sehr lieb. Er ist einer von den heutigen Generalen, die die meiste Wissenschaft ihres Faches haben, und Du findest bei ihm Bücher und Charten, die Du vielleicht an vielen andern Orten vergebens suchst. Er ist ein sehr freier, strenger Beurteiler militärischer Zeichnungen, fordert das Wesentliche und bekümmert sich nicht um zierliche Kleinigkeiten. Er hat eine schöne Sammlung guter Kupferstiche von den Köpfen großer Männer; besonders ist darunter ein Gustav Adolph, der sehr alt und charakteristisch ist, und auf den er viel hält. Eine Anekdote aus diesem nun geendigten Kriege wird Dir vielleicht nicht unangenehm sein. Dombrowsky liebte Schillers Dreißigjährigen Krieg und trug ihn in seinen Feldzügen in der Tasche. Bei Trebbia oder Novi schlug eine Kugel gerade auf den Ort, wo unten das Buch lag, und dadurch wurde ihm wahrscheinlich das Leben gerettet. Ich habe das durchschlagene Exemplar selbst in Rom gesehen, wo er es einem Freunde zum Andenken geschenkt hat, und die Erzählung aus dem eigenen Munde des Generals. Er sagte mir lachend: »Schiller hat mich gerettet, aber er ist vielleicht auch schuld an der Gefahr, denn die Kugel hat eine Unwahrheit herausgeschlagen. Es stand dort, die Polen haben bei Lützen gefochten; das ist nicht wahr; es waren Kroaten. Die Polen haben nie für Geld geschlagen; selbst jetzt schlugen wir noch für unser Vaterland, ob es gleich nunmehr unwiderbringlich verloren ist.« Das[522] gab etwas Sichtung der vergangenen Politik. Ich meinte, es wäre vorauszusehen gewesen, daß für Polen keine Rettung mehr war. Die Franzosen würden sich in ihrer noch kritischen Lage nicht der ganzen Wirkung der furchtbaren Tripleallianz bloßstellen, um ein Zwitterding von Republik wieder zu etablieren, an deren Existenz sie nun gar kein Interesse mehr hatten. Eifersucht zwischen den großen, mächtigen Nachbarn ist wahrscheinlich und ihnen vorteilhaft. Wenn die Polen noch unter einem einzigen Herrn wären, so ließe sich durch eben diese Eifersucht noch Rettung denken. Das schienen sie vorher selbst zu fühlen und taten, da die Katastrophe nun einmal herbeigeführt war, hier und da etwas, um nur unter einen Herrn zu kommen. Ich weiß selbst, daß ich als russischer Offizier in Posen vor der Hauptwache vor den preußischen Kanonen von einem Dutzend junger Polen belagert wurde, die mir's nahe ans Herz legten, daß doch die Kaiserin sie alle nehmen möchte; sie sollte ihnen nur einige Bataillone Hilfe schicken, so wollten sie die Preußen zurückschlagen. Sie brachten eine Menge scheinbare Gründe, warum sie lieber russische Untertanen zu sein wünschten, aber die wahren verbargen sie gewiß. Sie dachten unstreitig, bleiben wir nur beisammen, so können wir durch, irgendeine Konjunktur bald wieder politische Existenz gewinnen. – Der General fand die Schlußfolge ziemlich bündig, sagte aber, ein Patriot dürfe und müsse auch die letzte schwache Hoffnung für sein Vaterland versuchen. Das ist brav und edel.

Die Polen haben hier noch ganz ihre alte Organisation und tragen ihre alten Abzeichen, so daß man die alten Offiziere noch für Sachsen halten könnte. Der Mangel im Kriege muß in Italien zuweilen hoch gestiegen sein, denn es wurde erzählt, daß einmal die Portion[523] des Soldaten auf acht Kastanien und vier Frösche reduziert gewesen sei. Die Zufriedenheit wird gegenseitig mit einer ganz eigenen Art militärisch drolliger Vertraulichkeit geäußert. So sagten die Franzosen von den Polen: »Ah, ce sont de braves coquins; ils mangent comme les loups, boivent diablement, et se battent comme les lions.« Die polnischen Offiziere konnten den französischen Soldaten nicht Lob genug erteilen über ihren Mut, ihre Unverdrossenheit und ihren pünktlichen Gehorsam. Wo die Franzosen nicht durchdrangen, waren gewiß allemal ihre Anführer schuld daran. Es wurde behauptet, daß das polnische Corps bei der letzten Musterung noch 15000 Mann stark gewesen sei; und jetzt wird eben in Livorno ein Teil davon nach Sankt Domingo eingeschifft. Es hat das Ansehen, als ob Bonaparte alle Truppen, die ihm zu seinen Absichten in Europa als etwas undienstlich vorkommen, auf diese gute kluge Weise fortzuschaffen suche, welches man auch hier und da zu merken scheint. Auch werden die Unruhen dort vielleicht geflissentlich nicht so schnell gedämpft, als wohl sonst die französische Energie vermöchte.

Die freundliche Aufnahme des Generals hielt mich mehrere Tage länger hier, als ich zu bleiben gesonnen war; und in den Mußestunden lese ich mit viel Genuß Wielands Oberon, den mir ein Landsmann brachte. Die ersten Tage hatte man mich im Wirtshause mit einem gewissen Mißtrauen wie einen gewöhnlichen Tornisterträger behandelt; da ich aber täglich zum General ging, feine Hemden in die Wäsche gab, artige Leute zum Besuch auf meinem Zimmer empfing, und vorzüglich wohl, da ich einige schwere Goldstücke wechseln ließ, ward das ganze Haus vom Prinzipal bis zum letzten Stubenfeger ungewöhnlich artig. Noch muß ich Dir bemerken, daß ich in Mailand von ganz[524] Italien nach meinem Geschmack die schönsten Weiber gefunden habe, auch den Corso in Rom nicht ausgenommen. Ich urteile nach den Promenaden, die hier sehr volkreich sind, und nach den Schauspielen. Hier im Hause hatte ich nun vermutlich, wie in Italien oft, das Unglück, für einen reichen Sonderling zu gelten, den man nach seiner Weise behandeln müsse. Ich mochte in Unteritalien und Sizilien oft protestieren, so viel ich wollte, und meine Deutschheit behaupten, so war ich Signor Inglese und Eccellenza; und man machte die Rechnung darnach. So etwas mochte man auch nach verjüngten Maßstabe in Mailand denken. Die Industrie ist mancherlei. Ich saß an einem Sonntag morgens recht ruhig in meinem Zimmer und las wirklich zufällig etwas in den Libertinagen Katulls; da klopfte es und auf meinen Ruf trat ein Mädchen ins Zimmer, das die sechste Bitte auch ohne Katull stark genug dargestellt hätte. Die junge, schöne Sünderin schien ihre Erscheinung mit den feinsten Hetärenkünsten berechnet zu haben. Ich will durch ihre Beschreibung mein Verdienst weder als Stilist noch als Philosoph zu erhöhen suchen. »Signore, comanda qualche cosa?« fragte sie in lieblich lispelndem Ton, indem sie die niedliche Hand an einem Körbchen spielen ließ und Miene machte es zu öffnen. Ich sah sie etwas betroffen an und brauchte einige Augenblicke, ehe ich etwas unschlüssig »No« antwortete. »Niente?« fragte sie, und der Teufel muß ihr im Ton Unterricht gegeben haben. Ich warf den Katull ins Fenster und war höchstwahrscheinlich im Begriff, eine Sottise zu sagen oder zu begehren, als mir schnell die ernstere Philosophie still eine Ohrfeige gab. »Niente«, brummte ich grämelnd, halb mit mir selbst im Zwist; und die Versucherin nahm mit unbeschreiblicher Grazie Abschied. Wer weiß, ob ich nicht das Körbchen[525] etwas näher untersucht hätte, wenn die Teufelin zum drittenmal mit der nämlichen Stimme gefragt hätte, ob gar nichts gefiele. So war die Sache, mein Freund; und wäre sie anders gewesen, so bin ich nicht so engbrüstig und könnte sie Dir anders oder gar nicht erzählt haben. Ich ging also nur leidlich mit mir selbst zufrieden zum General.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 501-526.
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