Messina

[411] Ich muß mich etwas fassen, daß ich Dich den Weg über den Berg und Taormina hierher mit mir nicht gar zu unordentlich machen lasse, ob Du gleich Geduld genug wirst haben müssen, denn ich bin ein gar schlechter Systematiker. Der Wirt im Elefanten in Catanien, in dessen Buche ich viele Bekannte fand, und der sich als einen sehr guten Hodegeten ankündigte, besorgte mir eben nicht wohlfeil einen Mann mit einem Tiere, der mit mir die Fahrt bestehen sollte. Ich packte meinen Sack voll Orangen und ritt nun bergan. Wieviel ich Dörfer und Flecken durchritt, ehe ich am Sandkloster ankam, weiß ich nicht mehr. Dieses Kloster gehört bekanntlich den reichen Benediktinern unten in der Stadt, die hier nur einen Laienbruder haben, welcher die Ökonomie besorgt, denn sie haben rund umher weite Distrikte von Weinbergen. Bei den Mönchen gilt selten das Sprichwort »Im Weine ist Wahrheit«, sondern »Im Weine ist Schlauheit«. Ich kann mir nicht helfen, und wenn mich die Mönche zum Amt machten, ich würde sagen: je größer das Kloster, desto größer die Sottise. Die Mönche unten sind gar feine Kauze, die das Inkonsequente und Bedenkliche und Kritische ihrer jetzigen Lage sehr gut fühlen und die Kutte durchzuschauen wissen; diese waren freundlich und höflich. Der Laienbruder hier im Sande war etwas grämelnd und murrsinnig. Er nahm meinen Empfehlungsbrief, betrachtete ihn und sagte mir ganz trocken: »Der Abt, mein Vorgesetzter, hat ihn nicht[411] unterschrieben; er geht mich also nichts an.« »Das ist schlimm für mich«, sagte ich: »Jawohl!« sagte er. »Was soll ich nun tun?« fragte ich. »Was Sie wollen;« antwortete er. Er besann sich indessen doch etwas; man trug eben das Essen auf. Er fragte mich, ob ich mitessen wollte, und ich machte natürlich gar keine Umstände, weil ich ziemlich hungrig war. Wir setzten uns also, und über Tische ward mein Wirt etwas freundlicher. Mein Maulesel mit dem Führer wurde nach dem nächsten Orte Nicolosi geschickt und mir Quartier und Pflege gesichert. Man meldete, daß eine fremde sehr vornehme Gesellschaft ankommen würde, die auch auf den Berg steigen wollte; das war mir lieb. Wir aßen dreierlei Fische. Denke Dir, ein Laienbruder der Benediktiner in der höchsten Wohnung am Ätna zur Fasten dreierlei Fische! Denn über diesem Kloster sind nur noch einige Häuser links hinüber, und weiter nichts in der Waldregion bis hinauf an die alte Geißhöhle. Ich spreche von dieser Seite; die andern Pfade kenne ich nicht. Es kam ein anderer Herr, der uns trinken half. Dieser schien ein etwas besseres Stück von Geistlichen zu sein. Mein Wirt zog den Brief aus der Tasche und ließ ihn von dem andern vorlesen; da ergab sich mir denn erst, daß der Herr Laienbruder wohl gar nicht lesen konnte. Der Brief lautete ungefähr, daß der Pater Sekretär ihn im Namen und auf Befehl des Abtes schreibe, den deutschen reisenden Herrn, der von dem Minister sehr empfohlen wäre, nach Würden bestens zu bewirten. Von meiner Entfernung war nun gar nicht mehr die Rede. Der Bruder war gesprächiger und erzählte mir seine Reisen und seine Schicksale, und daß ihn der Papst kenne. Bald kam er auf meine Ketzerei und segnete sich. Er ließ sich mein Seelenheil und meine Bekehrung noch etwas angelegener sein als der palermitanische Steuer-[412] revisor in Agrigent, fand mich aber ganz refraktarisch; er mußte mich also mit seinem besten Futter in die Hölle gehen lassen. Der vornehmste Grund, den er brauchte, mich zum Christen zu machen, war, ich hätte doch einen sehr gefährlichen Weg vor mir, es seien auf dem Berge schon viele umgekommen; nun könnte ich, wenn ich auch tot gefunden würde, nicht einmal christlich begraben werden. Das war nun freilich ein triftiges Argument, denn bei diesen Herren ist kein Akatholikus ein Christ. Ich sagte ihm so sanft als möglich die Anekdote des Diogenes, der sich im ähnlichen Falle ausbat, man möchte ihm nach dem Tode nur einen Stock hinlegen, damit er die Hunde wegjagen könnte. Der Mann schüttelte den Kopf und – trank sein Glas. Nun wurde mir ein Führer bestellt, der teuer genug war, und auf alle Fälle alles in Ordnung gesetzt, wenn auch die Gesellschaft nicht kommen sollte. Eben als die Einrichtung getroffen war, wurde gemeldet, daß die Engländer nicht kommen würden, sondern in Nicolosi blieben. Darüber war der Mann Gottes sehr ergrimmt und betete etwas unsanft wie Elisa, der Bärenprophet, über einige seiner Feinde unten in Catanien und oben in Nicolosi. Ich machte einen Ausflug gegenüber auf die Monti rossi, die sich bei der letzten großen Eruption gebildet haben, vermutlich von der Farbe den Namen tragen und von ihren Gipfeln eine herrliche Aussicht geben. Man hatte eine starke Viertelstunde nötig, sie zu ersteigen, und von ihnen sieht man noch jetzt den ganzen ungeheuren Lavastrom, der hier ausbrach, alles umwälzte und zernichtete, einen großen Teil der Stadt zerstörte und tief hinter derselben sich als eine hohe Felsenwand in der See stemmte. Ich weiß wohl, daß Stollberg anderer Meinung ist; aber ich habe es hier so von vielen Einwohnern gehört, unter denen auch[413] manche ziemlich unterrichtete Männer waren. Als ich herunterstieg, begegnete ich zwei Engländern von der Partie aus Nicolosi, die den nämlichen Spaziergang hierher gemacht hatten. Ihrer waren fünf, lauter Offiziere von der Garnison aus Malta, die von Neapel kamen und unterwegs den Berg mitsehen wollten, ein Major, ein Hauptmann und drei Lieutenants. Sie freuten sich, noch einen zur Partie zu bekommen, und ich holte flugs meinen Sack vom Mönche und zog herunter zu den Engländern ins Wirtshaus nach Nicolosi, wo schon vorher mein Führer einquartiert war. Der Mönch machte ein finsteres Gesicht, murrte etwas durch die Zähne, vermutlich einige Flüche über uns Ketzer alle; ich dankte und ging.

Hier trieben wir nun, die fünf Briten und Dein Freund, unser Wesen sehr erbaulich. Die Engländer hatten den Wirt vom goldenen Löwen aus Catanien mitgebracht; ich trat zur Gesellschaft, man schaffte mir ein Bett so gut als möglich, und wir legten uns nieder und schliefen nicht viel. Die Herren erzählten ihre Abenteuer, militärische und galante, von der Themse und vom Nil, und bald traf die Kritik einen General, bald ein Mädchen. Vorzüglich war der Gegenstand ihrer Reminiszenzen eine gewisse originelle Trompetersfrau, die sie nach allen kernigen Prädikamenten zur Königin ihres Lagers in Ägypten erhoben. Gegen Mitternacht kamen die Führer, und nun setzte sich die ganze Karawane zu Maulesel: sechs Signori forestieri, zwei Führer mit Laternen und ein Proviantträger. Es war, wenn ich nicht irre, den sechsten April zu Mitternacht oder den siebenten des Morgens. Den vorigen Tag war es trübes Wetter gewesen, hatte den Abend ziemlich stark geregnet, hellte sich aber auf, sowie wir aus dem Wirtshause zogen. Wir gingen bei meinem Mönche in Sankt Nicola del bosco ovver della rena[414] vorbei. Es war frisch und ward bald kalt und dann sehr kalt. Wir trottierten und lärmten uns warm. Dann deklamierte der Major Grays Kirchhof, dann sangen wir »God save the King« nach Händel, und »Britannia, rule the waves« und andere englischpatriotische Sachen. Jeder gab seinen Schnak. »We are already pretty high«, sagte der eine, »It is a bitter nipping cold«, der andere, »Methinks, I hear the dogstar bark, and Mars meets Venus in the dark« fuhr ein Dritter fort. »Is that not smoke there?« fragte ein subalterner Myops; »I believe I see already old Nick smoking his pipe.« – »But my dear«, sagte der Major, »you are purblind upon your starbord eye; it is an oaktree« So war es; das gab Gelächter, und wir gingen weiter. Bald kamen wir aus der bebauten Region in die waldige und gingen nun unter Eichen immer bergauf. Ungefähr um ein Uhr kamen wir in der Gegend der Geißhöhle an, die aber bis jetzt außer Gebrauch kommt. Der Fürst von Paterno hat dort ein Haus gebaut, wo die Fremden eintreten und sich bei einem Feuer wärmen können. Das Haus ist schlecht genug, und ein deutscher Dorfschulze würde sich schämen, es nicht besser gemacht zu haben. Indessen ist es doch besser als nichts und vermutlich bequemer als die Höhle. Hier blieben wir eine kleine halbe Stunde, bestiegen wieder unsere Maultiere und ritten nunmehr aus der waldigen Region in den Schnee hinein. Ungefähr eine Viertelstunde über dem Hause und der Höhle hörte die Vegetation ganz auf, und der Schnee fing an, hoch zu werden, der schon um das Haus her und hier und da neu und alt lag. Wir mußten nun absteigen und unsere Maultiere hier lassen. Der Schnee ward bald sehr hoch und das Steigen sehr beschwerlich. Unsere Führer rieten uns, nur langsam zu gehen, und sie hatten recht; aber die Herren ruhten[415] zu oft absatzweise, und darin hatten diese nicht recht. »Methinks I smell the morning air«, sagte der Major und fuhr ganz drollig fort, als ein junger Lieutenant durch den hohlen Schnee auf ein Lavastück fiel und über den Fuß klagte: »Alack, what dangers do environ the man that meddles with cold iron!« Die Kälte des Morgens ward schneidend und die Engländer, die wohl in Ägypten und Malta eine solche Partie nicht gemacht hatten, schüttelten sich wie die Matrosen. Endlich erreichten wir den Steinhaufen des sogenannten Philosophenturms, und die Sonne tauchte eben glühend über die Berge von Kalabrien herauf und vergoldete, was wir von der Meerenge sehen konnten, die ganze See und den Taurus zu unsern Füßen. Ganz rein war die Luft nicht, aber ohne Wolken; desto magischer war die Szene. Hinter uns lag noch alles in Nacht, und vor uns tanzten hier und da Nebelgestalten auf dem Ozean. Wer kann hier beschreiben? Nimm Deinen Benda und laß auf silbernem Flügel dem Mädchen auf Naxos die Sonne aufgehen, und wenn Du nicht etwas von unserm Vergnügen hast, so kann Dir kein Gott helfen. So ging uns Titan auf, aber wir standen über einem werdenen Gewitter; es konnte uns nicht erreichen. Einer der Herren lief wehklagend und hoch aufschreiend um die Trümmer herum, denn er hatte die Finger erfroren. Wir halfen mit Schnee und rieben und wuschen und arbeiteten uns endlich zu dem Gipfel des Berges hinauf. Mir deucht, man müßte bis zum Philosophenturm reiten können; bis dahin ist es nicht zu sehr jäh, aber die Kälte verbietet es; wenigstens möchte ich eben deswegen ohne große Verwahrung nicht von der Kavalkade sein. Von hier aus kann man nicht mehr gehen, man muß steigen und zuweilen klettern und zuweilen klimmen. Es scheint nur noch eine Viertelstunde[416] bis zur höchsten Spitze zu sein, aber es ist wohl noch ein Stückchen Arbeit. Die Briten letzten sich mit Rum, und da ich von diesem Nektar nichts genießen kann, aß ich von Zeit zu Zeit eine Apfelsine aus der Tasche. Sie waren ziemlich gefroren; aber ich habe nie so etwas Köstliches genossen. Als ich keine Apfelsinen mehr hatte – denn der Appetit war stark – stillte ich den Durst mit Schnee, arbeitete immer vorwärts und war zur Ehre der deutschen Nation der erste an dem obersten Felsenrande der großen, ungeheuern Schlucht, in welcher der Krater liegt. Einer der Führer kam nach mir, dann der Major, dann der zweite Führer, dann die ganze kleine Karawane bis auf den Herren mit den erfrorenen Fingern. Hier standen und saßen und lagerten wir, halb in dem Qualm des aufsteigenden Rauchdampfes eingehüllt, und keiner sprach ein Wort, und jeder staunte in den furchtbaren Schlund hinab, aus welchem es in dunklen und weißlichen Wolken dumpf und wütend herauftobte. – Endlich sagte der Major, indem er sich mit einem tiefen Atemzuge Luft machte: »Now it is indeed worth a young man's while to mount and see it; for such a sight is not to be met with in the parks of old England.« Mehr kannst Du von einem echten Briten nicht erwarten, dessen patriotische Seele ihren Gefährten mit Rostbeef und Porter ambrosisch bewirtet. Die Schlucht, ungefähr eine kleine Stunde im Umfange, lag vor uns, wir standen alle auf einer ziemlich schmalen Felsenwand und bückten uns über eine steile Kluft von vielleicht sechzig bis siebzig Klaftern hinaus und in dieselbe hinein. Einige legten sich nieder, um sich auf der grausen Höhe von Schwindel zu sichern. In dieser Schlucht lag tief der Krater, der seine Stürme aus dem Abgrunde nach der entgegengesetzten Seite hinüberwarf. Der Wind kam von der[417] Morgensonne, und wir standen noch ziemlich sicher vor dem Dampfe, nur daß hie und da etwas durch die Felsenspalten heraufdrang. Rund herum ist keine Möglichkeit, vor den ungeheuern senkrechten Lavablöcken bis hinunter ganz nahe an den Rand des eigentlichen Schlundes zu kommen. Bloß von der Seite von Taormina, wo eine sehr große Vertiefung ausgeht, muß man hineinsteigen können, wenn man Zeit und Mut genug hat, die Gefahr zu bestehen, denn eine kleine Veränderung des Windes kann tödlich werden, und man erstickt wie Plinius. Übrigens würde man wohl unten am Rande weiter nichts sehen können. Hätte ich drei Tage Zeit und einen entschlossenen, der Gegend ganz kundigen Führer, so wollte ich mir wohl die Ehre erwerben, unten gewesen zu sein, wenn es der Wind erlaubte. Man müßte aber mit viel größerer Schwierigkeit von Taormina hinaufsteigen.

Nachdem wir uns von unserm ersten Hinstaunen etwas erholt hatten, sahen wir nun auch rund umher. Die Sonne stand nicht mehr so tief, und es war auch auf der übrigen Insel schon ziemlich hell. Wir sahen das ganze große, schöne, herrliche Eiland unter uns vor uns liegen, wenigstens den schönsten Teil desselben. Alles, was um den Berg herumliegt, das ganze Tal Enna bis nach Palagonia und Lentini, mit allen Städten und Flecken und Flüssen, war wie in magischem Duft gewebt. Vorzüglich reizend zog sich der Simäthus aus den Bergen durch die schöne Fläche lang hinab in das Meer, und man übersah mit einem Blick seinen ganzen Lauf. Tiefer hin lag der See Lentini und glänzte wie ein Zauberspiegel durch die elektrische Luft. Die Folge wird zeigen, daß die Luft nicht sehr rein, aber vielleicht nur desto schöner für unsern Morgen war. Man sah hinunter bis nach Augusta und in die Gegend von Syrakus. Aber die Schwäche meiner[418] Augen und die Dünste des Himmels, der doch fast unbewölkt war, hinderten mich, weiter zu sehen. Messina habe ich nicht gesehen, und mir deucht, man kann es auch von hier nicht sehen; es liegt zu tief landeinwärts an der Meerenge, und die Berge müssen es decken. Palermo kann man durchaus nicht sehen, sondern nur die Berge umher. Von den Liparen sahen wir nur etwas durch die Wölkchen. Nachdem wir rund umher genug hinabgeschaut hatten und das erste Staunen sich etwas zur Ruhe setzte, sagte der Major nach englischer Sitte: »Now be sure, we needs must give a shout at the top down the gulf«; und so stimmten wir denn dreimal ein mächtiges Freudengeschrei an, daß die Höhlen der furchtbaren Riesen wiederhallten und die Führer uns warnten, wir möchten durch unsere Ruchlosigkeit nicht die Teufel unten wecken. Sie nannten den Schlund nur mit etwas verändertem Mythus »la casa del diavolo« und das Echo in den Klüften »la sua risposta«.

Der Umfang des kleinen, tief unten liegenden Kessels mag ungefähr eine kleine Viertelstunde sein. Es kochte und brauste und wütete und tobte und stürmte unaufhörlich aus ihm herauf. Einen zweiten Krater habe ich nicht gesehen; der dicke Rauch müßte vielleicht ganz seinen Eingang decken, oder dieser zweite Schlund müßte auf der andern Seite der Felsen liegen, zu der wir wegen des Windes, der den Dampf dorthin trieb, nicht kommen konnten. Auch hier waren wir nicht ganz von Rauche frei; die rote Uniform der Engländer mit den goldenen Achselbändern war ganz schwarzgrau geworden, mein blauer Rock hatte seine Farbe nicht merklich verändert.

Ich hatte mich bisher im Aufsteigen immer mit Schnee gelabt, aber hier am Rande auf der Spitze war er bitter salzig und konnte nicht genossen werden. Nicht[419] weit vom Rande lag ein Auswurf von verschiedenen Farben, den ich für toten Schwefel hielt. Er war heiß, und wir konnten unsere Füße darin wärmen. Wir setzten uns an eine Felsenwand und sahen auf die zauberische Gegend unter uns, vorzüglich nach Catanien und Paterno hinab. Die Monti rossi bei Nicolosi glichen fast Maulwurfshügeln, und die ganze große ausgestorbene Familie des alten lebendigen Vaters lag rund umher, nur er selbst wirkte mit ewigem Feuer in furchtbarer Jugendkraft. Welche ungeheure Werkstatt muß er haben! Der letzte große Ausbruch war fast drei deutsche Meilen vom Gipfel hinab bei Nicolosi. Wenn er wieder durchbrechen sollte, fürchte ich für die Seite von Taormina, wo nun die Erdschicht am dünnsten zu sein scheint. Die Luft war, trotz dem Feuer des Vulkans und der Sonne, doch sehr kalt, und wir stiegen wieder herab. Unser Herabsteigen war noch belohnender als der Aufenthalt auf dem obersten Gipfel. Bis zum Philosophenturm war viel Behutsamkeit nötig. Hier war nun der Proviantträger angekommen, und wir hielten unser Frühstück. Die Engländer griffen zu der Rumflasche, und ich hielt mich zum gebratenen Huhn und dann zum Schnee. Brot und Braten waren ziemlich hart gefroren, aber der heiße Hunger taute es bald auf. Indem wir aßen, genossen wir das schönste Schauspiel, das vielleicht das Auge eines Menschen genießen kann. Der Himmel war fast ganz hell, und nur hinter uns über dem Simäthus hingen einige kleine, lichte Wölkchen. Die Sonne stand schon ziemlich hoch an der Küste Kalabriens, die See war glänzend. Da zeigten sich zuerst hier und da einige kleine Fleckchen auf dem Meere links vor Taormina, die fast wie Inselchen aussahen. Unsere Führer sagten uns sogleich, was folgen würde. Die Flecken wurden zusehens größer, bildeten flockige Nebenwolken[420] und breiteten sich aus und flossen zusammen. Keine morganische Fee kann eine solche Farbenglut und solchen Wechsel haben, als die Nebel von Moment zu Moment annahmen. Es schoß in die Höhe und glich einem Walde mit den dichtesten Bäumen von den sonderbarsten Gestalten, war hier gedrängter und dunkler, dort dünner und heller, und die Sonne schien in einem noch ziemlich kleinen Winkel auf das Gewebe hinab, das schnell die ganze nördliche Küste deckte, und das wir hier tief unter uns sahen. Der Glutstrom fing an, die Schluchten der Berge zu füllen, und hinter uns lag das Tal Enna mit seiner ganzen Schönheit in einem unnennbaren Halblichte, so daß wir nur noch den See von Lentini als ein helles Fleckchen sahen. Dieses alles und die Bildung des himmlischen Gemäldes an der Nordseite war das Werk einer kleinen Viertelstunde. Ich werde eine so geschmückte Szene wahrscheinlich in meinem Leben nicht wieder sehen. Sie ist nur hier zu treffen und auch hier sehr selten; die Führer priesen uns und sogar sich selbst deswegen glücklich. Wir brachen auf, um, wo möglich, unten dem Regen zu entgehen; in einigen Minuten sahen wir nichts mehr von dem Gipfel des Berges; alles war in undurchdringlichen Nebel gehüllt, und wir selbst schossen auf der Bahn, die wir im Hinaufsteigen langsam gemacht hatten, pfeilschnell herab. Ohne den Schnee hätten wir es nicht so sicher gekonnt. Nach einer halben Stunde hatten wir die Blitze links, immer noch unter uns. Der Nebel hellte sich wieder auf, oder vielmehr wir traten aus demselben heraus, das Gewitter zog neben uns her nach Catanien zu, und wir kamen in weniger als der Hälfte Zeit wie der in das Haus am Ende der Waldregion, wo wir uns an das Feuer setzten – nämlich diejenigen, die es wagen durften. Die Engländer hatten zu dieser[421] Bergreise eine eigene Vorkehrung getroffen. Weiß der Himmel, wer sie ihnen mochte geraten haben; die meinige war besser. Sie kamen in Nicolosi in Stiefeln an, setzten sich aber dort in Schuhe, und über diese Schuhe zogen sie die dicksten wollenen Strümpfe, die man sich denken kann, und die sie sogar, wie sie mir sagten, schon in Holland zu diesem Behufe gekauft hatten. Der Aufzug ließ sonderbar genug; sie sahen mit den großen Ätnastöcken von unten auf alle ziemlich aus wie samojedische Bärenführer. Ich ging in meinem gewöhnlichen Reisezeug mit gewöhnlichen baumwollenen Strümpfen in meinen festen Stiefeln. Schon hinaufwärts waren einige holländische Strümpfe zerrissen, herabwärts ging es über die Schuhe und die Unterstrümpfe. Einige liefen auf den Zehen, die sie denn natürlich erfroren hatten. Meine Warnung, langsam und fest, ohne abzusetzen, fortzugehen, hatte nichts geholfen. Mir fehlte nicht das geringste. Vorzüglich hatte einer der jungen Herren die Unvorsichtigkeit gehabt, sich mit warmem Wasser zu waschen und an das Feuer zu setzen. In einigen Minuten jauchzte er vor Schmerz wie Homers verwunderter Kriegsgott und hat den Denkzettel mitgenommen. Vermutlich wird er in Catanien oder noch in Malta zu kurieren haben. Du kannst sehen, welcher auffallende Kontrast hier in einer kleinen Entfernung in der Gegend ist; unten bei Catanien raufte man reifen Flachs, und die Gerste stand hoch in Ähren, und hier oben erfror man Hände und Füße. Nun ritten wir noch immer mit dem Gewitter durch die Waldregion nach Nicolosi hinab, wo wir eine herrliche Mahlzeit fanden, die der Wirt aus dem Goldenen Löwen in Catanien kontraktmäßig angeschafft hatte. Wir nahmen Abschied, die Engländer ritten zurück nach Catanien und ich meines Weges hierher nach Taormina.[422]

Es ist vielleicht in ganz Europa keine Gegend mit so vielfältigen Schönheiten als die Umgebung dieses Berges. Seine Höhe kann ich nicht bestimmen. In einem geographischen Verzeichnisse wurde er hier beträchtlich höher angegeben als die höchsten Alpen, das mögen die Italiener mit den mathematischen Geographen ausmachen. Der Professor Gambino aus Catanien will diesen August mit einer Gesellschaft hinaufgehen, um oben noch mehrere Beobachtungen anzustellen. Man hat in der Insel das Sprichwort vom Ätna: »On le voit toujours le chapeau blanc et la pipe à la bouche.« – Der Schnee soll nie schmelzen, das ist in einem so südlichen Klima viel. Man nennt ihn in Sizilien meistens, wie bekannt, nur Monte Gibello, aber man nennt ihn auch noch sehr oft Ätna oder den Berg von Sizilien, oder geradezu vorzugsweise den Berg. Die letzte Benennung habe ich am häufigsten und zwar auch unten an der Küste gefunden. Mir scheint es überhaupt, daß man jetzt anfängt, die alten Namen wieder hervorzusuchen und zu gebrauchen. So habe ich auch den Fluß unten nicht anders als Simäthus nennen hören.

Bis an das Bergkloster der Benediktiner ist der Ätna von dieser Seite bebaut; weiter hinauf ist Wald und fast von lauter Eichen, die jetzt noch, alle kahl standen; und nicht weit von der Geißhöhle oder dem jetzigen Hause von Paterno hört die Vegetation ganz auf. Wir fanden von dort an bis zum Gipfel Schnee. Die bebaute Region gibt eine Abwechslung, die man vielleicht selten mehr auf dem Erdboden findet. Unten reifen im lieblichsten Gemische die meisten Früchte des wärmern Erdstrichs, alle Orangengeschlechter wachsen und blühen im goldenem Glanze. Weiter hinauf gedeiht die Granate, dann der Ölbaum, dann die Feige, dann nur der Weinstock und die Kastanie,[423] und dann nur noch die ehrwürdige Eiche. Am Fuße triffst Du alles dieses zusammen in schönen Gruppen, und zuweilen Palmen dazu.

Auf meinem Wege nach Taormina zeigte mir mein Führer, nur auf einem Punkte, den alten, großen, berühmten Kastanienbaum in der Ferne. Kaum kann ich sagen, daß ich ihn gesehen habe; ich wollte ihm aber nicht einen Tag aufopfern. Die Nacht mußte ich in einem kleinen, elenden Dörfchen bleiben. Der Weg nach Taormina gehört zu den schönsten, besonders einige Millien vor der Stadt. Dieser Ort, welcher ehemals unten lag und nun auf einem hohen Vorsprunge des Taurus stehe, hat die herrlichste Aussicht nach allen Seiten, vorzüglich von dem alten Theater, einem der kühnsten Werke der Alten. Rechts ist das ewige Feuer des Ätna, links das fabelhafte Ufer der Insel, und gegenüber siehe man weit, weit hinauf an den Küsten von Calabrien. Höchstwahrscheinlich ist das Theater nur römisch; man hat es nach der Zerstörung durch die Sarazenen so gut als möglich wieder zusammengesetzt, scheine aber dabei nach sehr willkürlichen Konjekturen verfahren zu sein. Es ist bekanntlich eines der erhaltensten, und alles, was alt ist, ist sehr anschaulich, aber für das neue Flickwerk möchte ich nicht stehen, und doch hat eben der schönste, prächtigste Teil am meisten von den Barbaren gelitten. Das alte Schloß, welches noch viel höher als die Stadt liegt, muß schwer zu nehmen sein. Die Patronin, die heilige Mutter vom Felsen, müßte es also ziemlich leicht sehr gut verteidigen, wenn ihre Kinder verständige und brave Kriegsleute wären. Nach Taormina hatte ich eine Empfehlung von Catanien an den Kommandanten, die einzige in Sizilien, welche schlecht honoriert wurde. Man wies mich in ein Wirtshaus unten am Fuße des Berges, welches aber eine Stunde[424] hinunter ist. Das konnte mir mein Mauleseltreiber auch sagen, und hätte ich oben ein Wirtshaus finden können, so wäre ich dem Herrn gar nicht beschwerlich gefallen. Bei den Kapuzinern sprach ich gar nicht ein, denn ihre Ungefälligkeit und ihr Schmutz waren mir schon geschildert worden. Ich schickte hier meinen Mauleseltreiber fort und wanderte wieder allein zu Fuße weiter, denn an der See hinauf, dachte ich, kann ich nun Messina nicht verfehlen. Ein alter Sergeant von Taormina, der mir sehr freundlich den Cicerone machte, wollte mir eine Ordre an den Kommandanten von Sankt Alexis, einen unter ihm stehenden Korporal, mitgeben, daß er mir dort das Schloß auf der Felsenspitze zeigen sollte; ich dankte ihm aber mit der Entschuldigung, daß ich nicht Zeit haben würde. Der Weg hinauf und herab von Taormina ist etwas halsbrechend, hat aber einige schöne, sehr gut bebaute Schluchten. Mein Aufenthalt oben dauerte aus angeführten Ursachen nur zwei kleine Stunden, bis ich das Theater gesehen und Fische und Oliven mit dem Sergeanten gegessen hatte. Der ehrliche alte Kerl wollte mich für die Kleinigkeit noch einige Millien begleiten, damit ich den Weg nicht verlieren möchte. Einen gar sonderbaren, langgezogenen, tiefen, nicht unsonorischen Dialekt haben hier die Leute. Auf die Frage, wie weit ich noch zum höchsten Orte habe, erhielt ich die Antwort: »Saruhn incuhra cinquuh migliah,« welches jeder ohne Noten verstehen wird.

Die Nacht blieb ich in einem kleinen Orte, der, glaube ich, Giumarrinese hieß und noch achtzehn Millien von Messina entfernt ist. Ein Seebad nach einem ziemlich warmen Tage tat mir recht wohl, und die frischen Sardellen gleich aus der See waren nachher ein ganz gutes Gericht. Man tut sich hier darauf etwas zugute und behauptet mit Recht, daß man sie in Palermo[425] nicht so schön haben kann. Einige Millien von Messina fand ich wieder Fuhrgleise, welches mir eine wahre Wohltat war, denn seit Agrigent hatte ich keinen Wagen gesehen. In Syrakus kann man nur eine Viertelstunde an der See bis an ein Kloster vor der Stadt und bis in die Gegend des Anapus fahren, und eine geistliche Sänfte, von Mauleseln getragen, die ich in den Bergschluchten zwischen Augusta antraf, war alles, was ich einem Fuhrwerk ähnliches gefunden hatte.

Quelle:
Johann Gottfried Seume: Prosaschriften. Köln 1962, S. 411-426.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (insel taschenbuch)
Spaziergang nach Syrakus im Jahre 1802 (insel taschenbuch)

Buchempfehlung

Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich

Deutsche Lieder aus der Schweiz

Deutsche Lieder aus der Schweiz

»In der jetzigen Zeit, nicht der Völkerwanderung nach Außen, sondern der Völkerregungen nach Innen, wo Welttheile einander bewegen und ein Land um das andre zum Vaterlande reift, wird auch der Dichter mit fortgezogen und wenigstens das Herz will mit schlagen helfen. Wahrlich! man kann nicht anders, und ich achte keinen Mann, der sich jetzo blos der Kunst zuwendet, ohne die Kunst selbst gegen die Zeit zu kehren.« schreibt Jean Paul in dem der Ausgabe vorangestellten Motto. Eines der rund einhundert Lieder, die Hoffmann von Fallersleben 1843 anonym herausgibt, wird zur deutschen Nationalhymne werden.

90 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon