Fünfte Szene

[431] Ein andres Zimmer im Palast.


König Karl, der Dauphin, Herzog von Bourbon, der Connetable von Frankreich und andre treten auf.


KÖNIG KARL.

Man weiß, er ist die Somme schon herüber.

CONNETABLE.

Und ficht man nicht mit ihm, Herr, laßt uns nicht

In Frankreich leben; stehn wir ab von allem

Und geben unser Weinland den Barbaren!

DAUPHIN.

O Dieu vivant! Daß ein paar unsrer Sprossen,

Der Auswurf von den Lüsten unsrer Väter,

Pfropfreiser, in den wilden Stamm gesetzt,

So plötzlich in die Wolken konnten schießen,

Um ihre Impfer nun zu übersehn!

BOURBON.

Normannen nur! Bastarde von Normannen!

Mort de ma vie! Wenn sie unbestritten

Einherziehn, biet' ich feil mein Herzogtum

Und kaufe einen kleinen Meierhof

In der gezackten Insel Albions.

CONNETABLE.

Dieu des batailles! Woher käm' ihr Feuer?

Ist nicht ihr Klima neblicht, rauh und dumpf,

Worauf die Sonne bleich sieht, wie zum Hohn,

Mit finstern Blicken ihre Früchte tötend?

Kann ihre Gerstenbrüh', gesottnes Wasser,

Ein Trank für überrittne Mähren nur,

Ihr kaltes Blut zu tapfrer Hitze kochen?

Und unser reges Blut, vom Wein begeistert,

Scheint frostig? Oh, zu unsers Landes Ehre,

Laßt uns nicht hängen, zäh wie Eises Zacken,

An unsrer Häuser Dach, indes ein frost'ger Volk

Die Tropfen aufgeweckter Jugend schwitzt

In unsern reichen Feldern, arm allein

Ihn ihren angebornen Herrn zu nennen.

DAUPHIN.

Bei Treu' und Glauben! Unsre Damen haben

Zum besten uns und sagen grad' heraus,

Dahin sei unser Feuer, und sie wollen[431]

Der Jugend Englands ihre Leiber bieten,

Mit Bastard-Kriegern Frankreich zu bevölkern.

BOURBON.

Sie weisen uns auf die Tanzböden Englands,

Dort hurt'ge Volten und Couranten lehren;

Sie sagen, unser Ruhm sei in den Fersen,

Und wir sei'n Läufer von der ersten Größe.

KÖNIG KARL.

Wo ist Montjoye, der Herold? Schickt ihn fort!

Mit unserm scharfen Trotze grüß' er England.

Auf, Prinzen, und ins Feld, mit einem Geist,

Den Ehre schärfer wetzt als eure Degen!

Karl De la Bret, Groß-Connetable Frankreichs,

Ihr Herrn von Orleans, Bourbon und Berry,

Alençon, Brabant, Bar und von Burgund,

Jacques Chatillon, Rambures, Vaudemont,

Beaumont, Grandpré, Roussi und Fauconberg,

Foix, Lestrale, Bouciqualt und Charolois,

Herzöge, große Prinzen und Barone,

Und Herrn und Ritter! Für die großen Leh'n

Befreit euch nun von solcher großen Schmach!

Hemmt Heinrich England, der durch unser Land

Mit Fähnlein zieht, mit Harfleurs Blut bemalt;

Stürzt auf sein Heer, wie der geschmolzne Schnee

Ins Tal, auf dessen niedern Dienersitz

Die Alpen ihre Feuchtigkeiten spein.

Zieht – ihr habt Macht genug – zu ihm hinab

Und bringt auf einem Wagen ihn gebunden

Gefangen nach Rouen.

CONNETABLE.

So ziemt es Großen.

Mir tut's nur leid, daß seine Zahl so klein,

Sein Volk vom Marsch verhungert ist und krank.

Denn ich bin sicher, sieht er unser Heer,

So sinkt sein Herz in bodenlose Furcht,

Statt Taten wird er seine Lösung bieten.

KÖNIG KARL.

Drum eilet den Montjoye, Herr Connetable,

Laßt ihn an England sagen, daß wir senden,[432]

Zu sehn, was er für will'ge Lösung gibt. –

Prinz Dauphin, Ihr bleibt bei uns in Rouen.

DAUPHIN.

Nicht so, ich bitt' Eur' Majestät darum.

KÖNIG KARL.

Seid ruhig, denn Ihr bleibt zurück mit uns. –

Auf, Connetable, und ihr Prinzen all!

Und bringt uns Nachricht bald von Englands Fall!


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 431-433.
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