Sechste Szene

[560] Ein Schlachtfeld.


Getümmel. Angriffe, worin Talbots Sohn umzingelt und von Talbot gerettet wird.


TALBOT.

Sankt George und Sieg! Kämpft, ihr Soldaten, kämpft!

Es brach dem Talbot der Regent sein Wort,[560]

Uns liefernd an des Frankenschwertes Mord.

Wo ist John Talbot? Ruh' und schöpfe Odem!

Ich gab dir Leben, riß dich von den Toten.

JOHN.

Zweimal mein Vater! Zweimal ich dein Sohn!

Das erst verlieh'ne Leben war entflohn,

Als, dem Geschick zum Trotz, dein tapfres Schwert

Ein neues Zeitmaß meiner Bahn gewährt.

TALBOT.

Als du vom Helm des Dauphin Feu'r geschlagen,

Ward deines Vaters Herz emporgetragen

Von stolzer Siegsbegier. Mein träges Blut

Belebte Jugendhitz' und Kämpferwut;

Alençon, Orleans, Burgund schlug ich

Und rettete von Galliens Stolze dich.

Den grimm'gen Bastard Orleans, der dir

Blut abließ und die jüngferliche Zier

Gewann von deinen Waffen, traf ich bald,

Und, Streiche wechselnd, ich es ihm vergalt

An seinem Bastard-Blut; und solche Rede

Gab ich ihm höhnend: »Dies verworfne, schnöde

Und mißerzeugte Blut sei hier vergossen,

Für mein so reines Blut, das erst geflossen,

Das meinem wackern Jungen du geraubt.«

Hier, als ich zu vernichten ihn geglaubt,

Kam Rettung an. Des Vaters Sorge! Sprich!

Bist du nicht müde, John? Wie fühlst du dich?

Kind, willst du noch dem Treffen nicht entweichen,

Besiegelt nun mit ritterlichen Zeichen?

Flieh', meinen Tod zu rächen, wann ich tot:

Jetzt tut mir eines Hülfe wenig not.

O allzu töricht ist es, muß ich sagen,

Uns all' in einen kleinen Kahn zu wagen!

Wenn ich mich heut vor Frankenwut bewahre,

So töten morgen mich die hohen Jahre.

An mir gewinnt der Feind nicht; bleib' ich hier,

Das kürzt nur einen Tag mein Leben mir.

In dir stirbt deine Mutter, unser Same,

Die Rache, deine Jugend, Englands Name.[561]

All dies und mehr gefährdet dein Verweilen;

Dies rettest du, willst du von hinnen eilen.

JOHN.

Das Schwert des Orleans machte nicht mir Schmerz,

Von Euren Worten blutet mir das Herz.

Um den Gewinn, erkauft um solch Erröten,

Den Leib zu retten und den Ruhm zu töten,

Eh' Talbots Sohn entflieht von Talbots Seite,

Eh' fall' das feige Roß, auf dem ich reite,

Und wie ein Bauer Frankreichs mög' ich liegen,

Der Schande Ziel, des Mißgeschicks Vergnügen!

Gewiß, bei allem Preis, den Ihr gewonnen,

Ich bin nicht Talbots Sohn, wenn ich entronnen.

Drum sagt von Flucht nicht: wozu soll es taugen?

Wenn Talbots Sohn, sterb' ich vor Talbots Augen.

TALBOT.

So folg' dem Vater, den verzweifelt Streben

Aus Kreta trieb, mein Ikarus, mein Leben!

Wenn du willst fechten, ficht an Vaters Seite,

Und dich mit mir zu stolzem Tod bereite!


Beide ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 3, Berlin: Aufbau, 1975, S. 560-562.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Bjørnson, Bjørnstjerne

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Synnöve Solbakken. (Synnøve Solbakken)

Vor dem Hintergrund einer romantisch idyllischen Fabel zeichnet der Autor individuell realistische Figuren, die einerseits Bestandteil jahrhundertealter Tradition und andererseits feinfühlige Persönlichkeiten sind. Die 1857 erschienene Bauernerzählung um die schöne Synnöve und den hitzköpfigen Thorbjörn machte Bjørnson praktisch mit Erscheinen weltberühmt.

70 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon