[163] London. Ein Zimmer im Palaste des Herzogs von York.
York und die Herzogin von York treten auf.
HERZOGIN.
Ihr wolltet, mein Gemahl, den Rest erzählen,
Als Ihr vor Weinen die Geschichte abbracht
Von unsrer Vetter Einzug hier in London.
YORK.
Wo blieb ich stehn?
HERZOGIN.
Bei der betrübten Stelle,
Daß ungeratne Hände aus den Fenstern
Auf König Richard Staub und Kehricht warfen.
YORK.
Wie ich gesagt, der große Bolingbroke
Auf einem feurigen und mut'gen Roß,
Das seinen stolzen Reiter schien zu kennen,
Ritt fort, in stattlichem, gemeßnem Schritt,
Weil alles rief: »Gott schütz' dich, Bolingbroke!«
Es war, als wenn die Fenster selber sprächen,
So manches gier'ge Aug' von jung und alt
Schoß durch die Flügel sehnsuchtsvolle Blicke
Auf sein Gesicht; als hätten alle Wände,
Behängt mit Schilderei'n, mit eins gesagt:
»Christ segne dich! Willkommen, Bolingbroke!«
Er aber, sich nach beiden Seiten wendend,
Barhäuptig, tiefer als des Gaules Nacken,
Sprach sie so an: »Ich dank' euch, Landesleute!«
Und so stets tuend, zog er so entlang.
HERZOGIN.
Ach, armer Richard! Wo ritt er indes?
YORK.
Wie im Theater wohl der Menschen Augen,
Wenn ein beliebter Spieler abgetreten,
Auf den, der nach ihm kömmt, sich lässig wenden[163]
Und sein Geschwätz langweilig ihnen dünkt:
Ganz so, und mit viel mehr Verachtung blickten
Sie scheel auf Richard; niemand rief: »Gott schütz' ihn!«
Kein froher Mund bewillkommt' ihn zu Haus.
Man warf ihm Staub auf sein geweihtes Haupt,
Den schüttelt' er so mild im Gram sich ab,
Im Antlitz rangen Tränen ihm und Lächeln,
Die Zeugen seiner Leiden und Geduld:
Daß, hätte Gott zu hohen Zwecken nicht
Der Menschen Herz gestählt, sie mußten schmelzen,
Und Mitleid fühlen selbst die Barbarei.
Doch diese Dinge lenkt die Hand des Herrn:
Und seinem Willen fügt sich unsrer gern.
Wir schwuren Bolingbroke uns untertan,
Sein Reich erkenn' ich nun für immer an.
Aumerle tritt auf.
HERZOGIN.
Da kommt mein Sohn Aumerle.
YORK.
Aumerle vordem,
Doch weil er Richards Freund war, ist das hin.
Ihr müßt nun, Herzogin, ihn Rutland nennen.
Ich bürg' im Parlament für seine Treu'
Und Lehnspflicht gegen unsern neuen König.
HERZOGIN.
Willkommen, Sohn! Wer sind die Veilchen nun,
Gehegt im grünen Schoß des neuen Frühlings?
AUMERLE.
Ich weiß nicht, gnäd'ge Frau, mich kümmert's wenig
Gott weiß, ich bin so gerne keins als eins.
YORK.
Wohl! Tut, wie's für den Lenz der Zeit sich schickt,
Damit man nicht Euch vor der Blüte pflückt.
Was gibt's in Oxford? Währt das Stechen noch
Und die Gepränge?
AUMERLE.
Ja, soviel ich weiß.
YORK.
Ich weiß, Ihr wollt dahin.
AUMERLE.
Wenn Gott es nicht verwehrt, ich bin es willens.
YORK.
Was für ein Siegel hängt dir aus dem Busen?
Ha, du erblassest? Laß die Schrift mich sehn!
AUMERLE.
Herr, es ist nichts.[164]
YORK.
Dann darf es jeder sehn.
Ich will nicht ruhn: du mußt die Schrift mir zeigen.
AUMERLE.
Ich bitte Euer Gnaden, zu verzeihn,
's ist eine Sache, die nicht viel bedeutet,
Die ich aus Gründen nicht gesehn will haben.
YORK.
Und die ich, Herr, aus Gründen sehen will.
Ich fürcht', ich fürchte, –
HERZOGIN.
Was doch fürchtet Ihr?
's ist nichts als ein Vertrag, den er hat eingegangen,
Zu bunter Tracht auf des Gepränges Tag.
YORK.
Wie? Mit sich selbst? Was soll ihm ein Vertrag,
Der ihn verpflichtet? Du bist närrisch, Weib.
Sohn, laß die Schrift mich sehn!
AUMERLE.
Ich bitt' Euch sehr, verzeiht; ich darf's nicht zeigen.
YORK.
Ich will befriedigt sein: gib her, sag' ich!
Er reißt das Papier weg und liest.
Verrat! Verbrechen! – Schelm! Verräter! Knecht!
HERZOGIN.
Was ist es, mein Gemahl?
YORK.
He! ist denn niemand drin?
Ein Bedienter kommt.
Sattelt mein Pferd!
Erbarm' es Gott, was für Verräterei!
HERZOGIN.
Nun, mein Gemahl, was ist's?
YORK.
Die Stiefeln her, sag' ich! Sattelt mein Pferd! –
Nun auf mein Wort, auf Ehre und auf Leben,
Ich geb' den Schurken an.
Bedienter ab.
HERZOGIN.
Was ist die Sache?
YORK.
Still, töricht Weib!
HERZOGIN.
Ich will nicht still sein. – Sohn, was ist die Sache?
AUMERLE.
Seid ruhig, gute Mutter; 's ist nur etwas,
Wofür mein armes Leben einstehn muß.
HERZOGIN.
Dein Leben einstehn?
Der Bediente kommt zurück mit Stiefeln.[165]
YORK.
Bringt mir die Stiefeln; ich will hin zum König.
HERZOGIN.
Schlag' ihn, Aumerle! – Du starrst ganz, armer Junge. –
Zu dem Bedienten.
Fort, Schurke! komm mir nie mehr vors Gesicht!
YORK.
Die Stiefeln her, sag' ich!
HERZOGIN.
Ei, York, was willst du tun?
Willst du der Deinen Fehltritt nicht verbergen?
Hast du mehr Söhne? oder mehr zu hoffen?
Ist des Gebärens Zeit mir nicht versiegt?
Und willst mir nun den holden Sohn entreißen?
Mir einer Mutter frohen Namen rauben? –
Gleicht er dir nicht? Ist er dein eigen nicht?
YORK.
Du töricht, unklug Weib!
Willst diese nächtliche Verschwörung hehlen?
Ein Dutzend ihrer hat das Sakrament genommen
Und wechselseitig Handschrift ausgestellt,
Zu Oxford unsern König umzubringen.
HERZOGIN.
Er soll nicht drunter sein; wir halten ihn
Bei uns zurück: was geht es ihn denn an?
YORK.
Fort, töricht Weib! Und wär' er zwanzigmal
Mein Sohn, ich gäb' ihn an.
HERZOGIN.
Hätt'st du um ihn geächzt,
Wie ich, du würdest mitleidvoller sein.
Nun weiß ich deinen Sinn: du hegst Verdacht,
Als wär' ich treulos deinem Bett gewesen,
Und dieser wär' ein Bastard, nicht dein Sohn.
Mein Gatte, süßer York, sei nicht des Sinns:
Er gleicht dir so, wie irgend jemand kann,
Mir gleicht er nicht, noch wem, der mir verwandt,
Und dennoch lieb' ich ihn.
YORK.
Mach' Platz, unbändig Weib!
Ab.
HERZOGIN.
Aumerle, ihm nach! Besteige du sein Pferd,
Sporn', eile, komm vor ihm beim König an
Und bitt' um Gnade, eh' er dich verklagt hat!
Ich folg' in kurzem dir: bin ich schon alt,
So hoff' ich doch so schnell wie York zu reiten,[166]
Und niemals steh' ich wieder auf vom Boden,
Bevor dir Bolingbroke verziehn. Hinweg!
Mach fort!
Ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard II.
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