[864] Vor dem Turm.
Von der einen Seite treten auf Königin Elisabeth, die Herzogin von York und der Marquis von Dorset; von der andern Anna, Herzogin von Gloster, mit Lady Margareta Plantagenet, Clarences kleiner Tochter, an der Hand.
HERZOGIN.
Wen treff' ich hier? Enk'lin Plantagenet
An ihrer guten Muhme Gloster Hand?
So wahr ich lebe, sie will auch zum Turm,
Aus Herzensliebe zu dem zarten Prinzen. –
Tochter, ich freue mich, Euch hier zu treffen.
ANNA.
Gott geb' Eu'r Gnaden beiden frohe Zeit!
ELISABETH.
Euch gleichfalls, gute Schwester! Wohin geht's?
ANNA.
Nicht weiter als zum Turm, und, wie ich rate,
In gleicher frommer Absicht wie Ihr selbst,
Daselbst die holden Prinzen zu begrüßen.
ELISABETH.
Dank, liebe Schwester! Gehn wir all' hinein;
Und da kommt eben recht der Kommandant. –
Brakenbury tritt auf.
Herr Kommandant, ich bitt' Euch, mit Verlaub,
Was macht der Prinz und York, mein jüngrer Sohn?
BRAKENBURY.
Wohl sind sie, gnäd'ge Frau; doch wollt verzeihn,
Ich darf nicht leiden, daß Ihr sie besucht:
Der König hat es scharf mir untersagt.
ELISABETH.
Der König? Wer?
BRAKENBURY.
Der Herr Protektor, mein' ich.
ELISABETH.
Der Herr beschütz' ihn vor dem Königstitel!
So hat er Schranken zwischen mich gestellt[864]
Und ihre Liebe? Ich bin ihre Mutter:
Wer will den Zutritt mir zu ihnen wehren?
HERZOGIN.
Ich ihres Vaters Mutter, die sie sehn will.
ANNA.
Ich bin nur ihre Muhme nach den Rechten,
Doch Mutter nach der Liebe; führe denn
Mich vor sie: tragen will ich deine Schuld
Und dir dein Amt abnehmen auf mein Wort.
BRAKENBURY.
Nein, gnäd'ge Frau, so darf ich es nicht lassen:
Ein Eid verpflichtet mich, deshalb verzeiht.
Brakenbury ab. Stanley tritt auf.
STANLEY.
Träf' ich euch, edle Frau'n, ein Stündchen später,
So könnt' ich Euer Gnaden schon von York
Als würd'ge Mutter und Begleiterin
Von zweien holden Königinnen grüßen. –
Zur Herzogin von Gloster.
Kommt, Fürstin, Ihr müßt gleich nach Westminster:
Dort krönt man Euch als Richards Eh'gemahl.
ELISABETH.
Ach! lüftet mir die Schnüre,
Daß mein beklemmtes Herz Raum hat zu schlagen,
Sonst sink' ich um bei dieser Todesbotschaft.
ANNA.
Verhaßte Nachricht! Unwillkommne Botschaft!
DORSET.
Seid gutes Muts! – Mutter, wie geht's Eu'r Gnaden?
ELISABETH.
O Dorset, sprich nicht mit mir! Mach' dich fort!
Tod und Verderben folgt dir auf der Ferse;
Verhängnisvoll ist deiner Mutter Name.
Willst du dem Tod entgehn, fahr' übers Meer,
Bei Richmond leb', entrückt der Hölle Klau'n.
Geh, eil' aus dieser Mördergrube fort,
Daß du die Zahl der Toten nicht vermehrst
Und unter Margaretas Fluch ich sterbe,
Noch Mutter, Weib, noch Königin geachtet.
STANLEY.
Voll weiser Sorg' ist dieser Euer Rat. –
Nehmt jeder Stunde schnellen Vorteil wahr;
Ich geb' Euch Briefe mit an meinen Sohn,
Empfehl' es ihm, entgegen Euch zu eilen:
Laßt Euch nicht fangen durch unweises Weilen.[865]
HERZOGIN.
O schlimm zerstreu'nder Wind des Ungemachsl –
O mein verfluchter Schoß, des Todes Bett!
Du hecktest einen Basilisk der Welt,
Des unvermiednes Auge mörd'risch ist.
STANLEY.
Kommt, Fürstin, kommt! Ich ward in Eil' gesandt.
ANNA.
Mit höchster Abgeneigtheit will ich gehn. –
O wollte Gott, es wär' der Zirkelreif
Von Gold, der meine Stirn umschließen soll,
Rotglüh'nder Stahl und sengte mein Gehirn!
Mag tödlich Gift mich salben, daß ich sterbe,
Eh' wer kann rufen: Heil der Königin!
ELISABETH.
Geh, arme Seel', ich neide nicht dein Glück;
Mir zu willfahren, wünsche dir kein Leid.
ANNA.
Wie sollt' ich nicht? Als er, mein Gatte jetzt,
Hinzutrat, wie ich Heinrichs Leiche folgte,
Als er die Hände kaum vom Blut gewaschen,
Das dir entfloß, mein erster Engelgatte,
Und jenem toten Heil'gen, den ich weinte;
Oh, als ich da in Richards Antlitz schaute,
War dies mein Wunsch: Sei du, sprach ich, verflucht,
Der mich, so jung, so alt als Witwe macht!
Und wenn du freist, umlagre Gram dein Bett,
Und sei dein Weib (ist eine so verrückt)
Elender durch dein Leben, als du mich
Durch meines teuren Gatten Tod gemacht!
Und sieh, eh' ich den Fluch kann wiederholen,
In solcher Schnelle, ward mein Weiberherz
Gröblich bestrickt von seinen Honigworten
Und unterwürfig meinem eignen Fluch,
Der stets seitdem mein Auge wach erhielt:
Denn niemals eine Stund' in seinem Bett
Genoß ich noch den goldnen Tau des Schlafs,
Daß seine bangen Träume nicht mich schreckten.
Auch haßt er mich um meinen Vater Warwick
Und wird mich sicherlich in kurzem los.
ELISABETH.
Leb wohl, du armes Herz! Mich dau'rt dein Klagen.
ANNA.
Nicht mehr, als Eur's mich in der Seele schmerzt.
DORSET.
Leb wohl, die du mit Weh die Hoheit grüßest![866]
ANNA.
Leb, arme Seele, wohl, die von ihr scheidet!
HERZOGIN zu Dorset.
Geh du zu Richmond: gutes Glück geleite dich! –
Zu Anna.
Geh du zu Richard: gute Engel schirmen dich! –
Zu, Elisabeth.
Geh du zur Freistatt: guter Trost erfülle dich! –
Ich in mein Grab, wo Friede mit mir ruhe!
Mir wurden achtzig Leidensjahr' gehäuft
Und Stunden Lust in Wochen Grams ersäuft.
ELISABETH.
Verweilt noch, schaut mit mir zurück zum Turm!
Erbarmt euch, alte Steine, meiner Knaben,
Die Neid in euren Mauern eingekerkert!
Du rauhe Wiege für so holde Kinder!
Felsstarre Amme! Finstrer Spielgesell
Für zarte Prinzen! Pflege meine Kleinen!
So sagt mein töricht Leid Lebwohl den Steinen.
Alle ab.
Ausgewählte Ausgaben von
König Richard III.
|
Buchempfehlung
Nach der Niederlage gegen Frankreich rückt Kleist seine 1808 entstandene Bearbeitung des Hermann-Mythos in den Zusammenhang der damals aktuellen politischen Lage. Seine Version der Varusschlacht, die durchaus als Aufforderung zum Widerstand gegen Frankreich verstanden werden konnte, erschien erst 1821, 10 Jahre nach Kleists Tod.
112 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für den zweiten Band eine weitere Sammlung von zehn romantischen Meistererzählungen zusammengestellt.
428 Seiten, 16.80 Euro