Siebente Szene

[400] Ein anderes Zimmer im Palast.


Imogen tritt auf.


IMOGEN.

Der Vater grausam, – die Stiefmutter falsch, –

Ein tör'ger Freier der vermählten Frau,

Und deren Mann verbannt! – Oh, dieser Mann!

Die Krone meines Grams! Und alle Drangsal

Um seinetwillen! – Wär' ich auch geraubt,

Wie meine Brüder, wohl mir! Doch höchst elend

Ist Sehnsucht auf dem Thron: gesegnet, wem,[400]

Wie niedrig auch, ehrbarer Wunsch erfüllt wird,

Durch Freud' erheitert! – Wer denn quält mich wieder?


Pisanio und Jachimo treten auf.


PISANIO.

Fürstin, dies ist ein edler Herr aus Rom.

Mit Briefen meines Herrn.

JACHIMO.

Erschreckt Ihr, Fürstin?

Der würd'ge Leonatus ist ganz wohl,

Und grüßt Eu'r Hoheit herzlich.

Er gibt ihr einen Brief.


IMOGEN.

Herr, ich dank' Euch!

Ihr seid willkommen sehr.

JACHIMO für sich.

Alles an ihr, was äußerlich: wie reich!

Ist ihr Gemüt so herrlich ausgestattet,

Ist einzig sie Arabiens Phönix, und

Verloren hab' ich. Kühnheit, sei mein Freund!

Frechheit, bewaffne mich von Kopf zu Fuß!

Sonst muß ich, wie der Parther, fliehend fechten;

Ja, geradezu entfliehn.

IMOGEN liest. »Er ist ein Mann von der edelsten Auszeichnung, dessen Freundschaft mich ihm unendlich verpflichtet hat. Beachte ihn in dem Maße, wie dir deine Pflicht teuer ist.

Leonatus.«

Nur so weit les' ich laut:

Doch meines Herzens Innres wird durchglüht

Vom übrigen und nimmt es dankbar an. –

Den Willkomm habt Ihr, edler Herr, den ich

Mit allen Worten geben kann, und sollt ihn finden

In allem, was mein Tun vermag.

JACHIMO.

Dank, schönste Frau!

Ha! Wie? Sind Menschen toll? Gab die Natur

Das Aug', um anzuschaun des Himmels Bogen

Und diesen reichen Schatz von See und Land?

Das trennend unterscheidet Stern von Stern

Und Stein von Stein am kieselreichen Ufer?

Und kann solch köstliches Organ nicht scheiden

Häßlich von schön?

IMOGEN.

Was macht Euch so erstaunen?

JACHIMO.

Im Auge kann's nicht sein; denn Aff und Pavian[401]

Wird, bei zwei solchen Weibchen, dahin plappern,

Und der Gesichter ziehn; auch nicht im Urteil:

Der Blödsinn wird als weiser Richter Schönheit

Wohl unterscheiden; noch in Lüsternheit:

Schmutz, solchem reinen Glanz entgegen, zwänge

Selbst die Begier, die Leerheit auszubrechen,

Nicht lockt' er sie zur Speise.

IMOGEN.

Herr, was ist Euch?

JACHIMO.

Der überfüllte Wille, die Begier,

Satt und doch ungesättigt; dieses Faß,

Voll und doch leck, frißt erst das Lamm, und lüstert

Dann noch nach dem Gedärm.

IMOGEN.

Was, teurer Herr,

Reißt Euch so hin? Seid Ihr nicht wohl?

JACHIMO.

Dank, Fürstin, mir ist wohl. – Ich bitt' Euch, Freund,

Sucht meinen Diener auf, wo ich ihn ließ:

Er ist hier fremd und blöde.

PISANIO.

So eben wollt ich gehn, ihn zu begrüßen.


Er geht ab.


IMOGEN.

Wie geht es meinem Gatten? Ist er wohl?

JACHIMO.

Prinzessin, er ist wohl.

IMOGEN.

Und ist er frohen Muts? Ich hoff', er ist es.

JACHIMO.

Ausnehmend aufgeweckt; kein Fremder dort

Ist so voll Scherz und Heiterkeit; man nennt ihn

Den ausgelass'nen Briten.

IMOGEN.

Als er noch hier war,

Neigt' er sich oft zur Schwermut; wußt' er gleich

Selbst nicht, warum.

JACHIMO.

Ich sah ihn niemals ernst.

Dort ist sein Kam'rad ein Franzos', ein sehr

Ausbünd'ger Herr: der, scheint es, ist verliebt

In ein französisch Kind zu Haus; der dampft

Die schwersten Seufzer aus; der lust'ge Brite,

Eu'r Gatte, lacht aus voller Brust und ruft:

»Oh! Meine Seiten springen, denk' ich, daß

Ein Mann, der durch Geschichte weiß und eigne Prüfung,

Was Frauen sind, ja, was sie müssen sein, –

In seinen freien Stunden schmachten kann

Nach sichrer Knechtschaft.«[402]

IMOGEN.

So spricht mein Gemahl?

JACHIMO.

Ja, und die Augen tränen ihm vor Lachen.

Es ist ein wahres Fest, ihn anzuhören,

Wie er den Franzmann höhnt. Doch, weiß der Himmel,

Mancher ist sehr zu tadeln.

IMOGEN.

Er nicht, hoff' ich.

JACHIMO.

Er nicht; doch hätte wohl des Himmels Huld

Mehr Dank verdient. – In ihm schon unbegreiflich,

In Euch, die sein ward über sein Verdienst, –

Wie ich erstaunen muß, so muß ich auch

Tief Mitleid fühlen.

IMOGEN.

Und mit wem, mein Herr?

JACHIMO.

Mit zweien Wesen.

IMOGEN.

Und bin ich das eine?

Ihr blickt mich an: was ist an mir zerstört,

Das Euer Mitleid heischt?

JACHIMO.

Oh, welch ein Jammer!

Dem Glanz der Sonn' entfliehn und Tröstung suchen

Im Kerker, bei der Schnuppe Dampf?

IMOGEN.

Ich bitt' Euch,

Laßt Eure Antwort offen das erklären,

Was ich gefragt: Weshalb beklagt Ihr mich?

JACHIMO.

Daß von andern,

Fast wollt' ich sagen, Euch geraubt wird – doch,

Es ist der Götter Amt, dies zu bestrafen,

Nicht meins, davon zu sprechen.

IMOGEN.

Scheint Ihr doch

Zu wissen, was mich nah betrifft: Ich bitte

(Da Ahnung eines Übels oft mehr quält

Als Überzeugung: denn gewisses Unglück

Ist ohne Rettung, oder, früh erkannt,

Dadurch geheilt), entdeckt mir, was zugleich

Euch spornt und zügelt!

JACHIMO.

Hätt' ich diese Wange,

Die Lippe drauf zu baden; diese Hand,

Die, nur berührt, des Fühlers Seele zwingt

Zum Eid der Treu'; dies Angesicht, das fesselt

Das wilde Schweifen meines Auges, einzig[403]

Es hier entzündend: würd' ich geifern dann

Mit Lippen (Schmach!) gemein, so wie die Stufen

Zum Kapitol; und Hände drücken, hart

Durch stete Falschheit (Falschheit ihre Arbeit),

Dann in ein Auge blinzeln, niederträchtig,

Und glorreich wie das qualm'ge Licht, das sich

Vom ranz'gen Talge nährt? Gerecht wär's nur,

Wenn aller Höllenfluch auf solchen Abfall

Zugleich sich stürzte!

IMOGEN.

Mein Gemahl, ich fürchte,

Vergaß Britannien.

JACHIMO.

Und sich selbst. Nicht gern

Gab ich aus freier Neigung diese Kunde

Von seinem Bettlertausch; nur Euer Reiz

Beschwor, aus stummstem Gram, auf meine Zunge

Das herbe Wort.

IMOGEN.

Laßt mich kein zweites hören!

JACHIMO.

O göttlich Wesen! Eure Schmach erschüttert

Krankhaft mein Herz. Ein Frauenbild, so schön,

Und Erbin eines Kaisertums, erhöhte

Zu Doppelwert den größten König! Dirnen

Nun zugesellt, bezahlt von Ausstattung,

Die Ihr ihm schenkt! Mit angesteckten Läufern,

Die um Gewinn mit jeder Krankheit kosen,

Durch die Natur verweset! Stoff, so ätzend,

Daß er das Gift vergiften könnte! Rächt Euch!

Sonst war, die Euch gebar, nicht Königin,

Und Ihr entartet Eurem großen Stamm.

IMOGEN.

Mich rächen?

Wie könnt' ich wohl mich rächen? Ist dies wahr

(Doch hab' ich solch ein Herz, das meine Ohren

So schnell nicht täuschen sollen), ist es wahr,

Wie könnt' ich wohl mich rächen?

JACHIMO.

Er ließe mich,

Im kalten Bett, wie Dianens Priest'rin, leben?

Indes er frevelt in den frechsten Lüsten,

Zur Kränkung Euch, von Eurem Golde? Rächt es!

Ich weihe selbst mich Euren süßen Freuden,[404]

Weit edler als der Flüchtling Eures Lagers;

Und werde fest an Eurer Liebe halten,

So sicher wie geheim.

IMOGEN.

Heda, Pisanio!

JACHIMO.

Laßt Euren Lippen meinen Dienst verpfänden!

IMOGEN.

Hinweg! – Fluch meinen Ohren, die so lange

Dich angehört! – Wärst du ein Mann von Ehre,

Du hätt'st um Tugend dies erzählt, und nicht

Für einen Zweck, so niedrig als befremdend.

Du schmähst 'nen edlen Mann, der so entfernt

Von deiner Schild'rung ist, wie du von Ehre;

Und buhlst um eine Frau, die dich verabscheut,

Dich und den Teufel gleich. – Pisanio, he! –

Dem König, meinem Vater, wird gemeldet

Dein Angriff, und wenn er es schicklich findet,

Daß hier am Hof ein frecher Fremdling marktet,

Wie in dem röm'schen Bad, und viehisch darlegt

Den schnöden Sinn: so hat er einen Hof,

Für den er wenig sorgt, und eine Tochter,

Die er für gar nichts achtet. – He, Pisanio! –

JACHIMO.

O sel'ger Leonatus! So nun sprech' ich:

Der feste Glaube deiner edlen Gattin

Verdient wohl deine Treu', und deiner Tugend

Vollendung ihren Glauben! – Lange lebt beglückt!

O Weib des Edelsten, den je ein Land

Den Seinen nannte! Und Ihr, seine Herrin,

Die nur der Edelste verdient! Verzeiht,

Ich sprach dies prüfend nur, ob Euer Zutraun

Tief Wurzel schlug; so wird nun Euer Gatte

Das, was er ist, erneut: und er ist einer

Von reinsten Sitten; solch ein heil'ger Zaubrer,

Daß er in Scharen alles zu sich bannt:

Der Herzen Hälft' ist sein.

IMOGEN.

Ihr söhnt mich aus.

JACHIMO.

Verehrt, ein Gott, sitzt er im Kreis der Menschen;

Die Huld'gung, die ihm wird, hebt ihn empor

Vor allen Sterblichen. Seid nicht erzürnt,

Erhabne Fürstin, daß ich es gewagt,[405]

Durch Lüge Euch zu prüfen: Eure Weisheit

Hat durch den festen Sinn sich neu bewährt,

Wie in der Wahl des einzig edeln Mannes,

Der fehllos ist; zu ihm die Herzensliebe

Gab mir die Sichtung ein; doch, allen ungleich,

Schuf Euch der Himmel spreulos. Drum vergebt!

IMOGEN.

Jetzt ist es gut, mein Herr:

Was ich am Hof vermag, steht Euch zu Dienst.

JACHIMO.

Ich dank' in Demut. Fast hätt' ich vergessen,

Um Eure Huld zu flehn in kleiner Sache,

Und wichtig doch, denn Euren Herrn betrifft es;

Ich selbst und ein'ge Freunde nehmen teil

An dem Geschäft.

IMOGEN.

So sagt mir, was es ist!

JACHIMO.

Ein Dutzend von uns Römern und Eu'r Gatte,

Die schönste Feder unsrer Schwinge, kauften

Gemeinsam für den Kaiser ein Geschenk;

Ich, der Agent der andern, tat's in Frankreich;

's ist Silberzeug von seltner Arbeit, Steine

Mit reicher, edler Fassung, großen Werts;

Und etwas ängstlich bin ich hier, als Fremder

Sie sicher zu verwahren: nähmet Ihr

Sie wohl in güt'ge Obhut?

IMOGEN.

Herzlich gern;

Für ihre Sicherheit bürgt Euch mein Wort:

Und da mein Gatte teil dran hat, bewahrt sie

Mein Schlafgemach.

JACHIMO.

Sie sind in einer Kiste

Bei meinen Leuten, und ich bin so dreist,

Sie Euch zu senden, nur für diese Nacht;

Ich muß an Bord schon morgen.

IMOGEN.

Oh, nein, nein.

JACHIMO.

Verzeiht, ich muß; sonst kommt mein Wort zu kurz,

Verlängr' ich meine Fahrt. Von Gallien

Kreuzt' ich die See: mein Wunsch war's und Versprechen,

Zu sehn Eu'r Hoheit.

IMOGEN.

Dank für Eure Müh'!

Doch morgen reist Ihr nicht.[406]

JACHIMO.

Ich muß, Prinzessin;

Drum bitt' ich sehr, wenn Ihr noch Euren Herrn

Durch Briefe grüßen wollt, so tut's heut abend:

Ich blieb zu lange schon, und wichtig ist

Die Überreichung des Geschenks.

IMOGEN.

Ich schreibe.

Schickt Eure Kiste, sie wird gut verwahrt

Und sicher Euch zurück gestellt. Lebt wohl!


Sie gehn ab.[407]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 400-408.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Cymbeline
Cymbeline by Shakespeare, William ( Author ) ON Mar-10-2005, Paperback
CYMBELINE
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Shakespeares dramatische Werke: Elfter Band: König Lear, Troilus und Cressida, Ende gut, alles gut, Zwölfter Band: Othello, Cymbeline, Macbeth

Buchempfehlung

Spitteler, Carl

Conrad der Leutnant

Conrad der Leutnant

Seine naturalistische Darstellung eines Vater-Sohn Konfliktes leitet Spitteler 1898 mit einem Programm zum »Inneren Monolog« ein. Zwei Jahre später erscheint Schnitzlers »Leutnant Gustl" der als Schlüsseltext und Einführung des inneren Monologes in die deutsche Literatur gilt.

110 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon