Vierte Szene

[472] Gefängnis.


Posthumus tritt auf mit zwei Kerkermeistern.


ERSTER KERKERMEISTER.

Jetzt stiehlt Euch keiner, Ihr seid angeschlossen;

Grast, wenn Ihr Weide habt.

ZWEITER KERKERMEISTER.

Ja, oder Hunger.


Sie gehn beide ab.


POSTHUMUS.

O seid willkommen, Ketten! Denn ihr führt,

Hoff' ich, zur Freiheit: ich bin weit beglückter

Als einer, den die Gicht plagt; weil der lieber

Möcht' ewig seufzen, als geheilt sich sehn

Durch Tod, den sichern Arzt; er ist der Schlüssel,

Der diese Eisen löst. Oh, mein Gewissen!

Du bist gefesselt mehr als Fuß und Hand.

Schenkt, güt'ge Götter, mir der Büßung Mittel,

Den Riegel aufzutun, dann, ew'ge Freiheit!

Genügt's, daß es mir leid tut?

So sänft'gen Kinder wohl die ird'schen Väter;

Gnäd'ger sind Götter. Soll ich denn bereun?

Nicht besser kann's geschehen als in Ketten,

Erwünscht, nicht aufgezwängt: – genug zu tun,[472]

Ist das der Freiheit Hauptbeding? So schreibt

Nicht härtre Pfändung vor, nehmt nur mein alles!

Ihr habt mehr Mild' als gier'ge Menschen, weiß ich,

Die 'n Drittel vom bankrutten Schuldner nehmen,

Ein Sechstel, Zehntel, daß am Abzug wieder

Er sich erhole; das begehr' ich nicht:

Fürs teure Leben Imogens nehmt meins,

Und gilt's auch nicht so viel, ist's doch ein Leben.

Ihr prägtet es; man wägt nicht jede Münze,

Man nimmt auch leichtes Stück des Bildes wegen;

Ihr um so eher mich, als euren Stempel:

So, ihr urew'gen Mächte,

Nehmt ihr den Rechnungsschluß, so nehmt mein Leben,

Und reißt entzwei den Schuldbrief! Imogen!

Ich spreche jetzt zu dir im Schweigen.


Er schläft ein.


Feierliche Musik.


Als Geistererscheinung treten auf Sicilius Leonaius, der Vater des Posthumus, ein Greis in kriegerischem Schmuck; er führt eine Matrone an der Hand, seine Gattin, die Mutter des Posthumus.


Ihnen folgen die jungen Leonate, des Posthumus Brüder, mit offnen Wunden, wie sie in der Schlacht fielen. Sie stellen sich rings um den schlafenden Posthumus.


SICILIUS.

Du Donnerschleud'rer, kühle nicht

Am schwachen Wurm den Mut:

Den Mars bedräu' und Juno schilt',

Die eifersücht'ge Wut

Zur Rache treibt.

War nicht mein Sohn stets fromm und rein,

Des Blick mir nie gelacht?

Denn als ich starb, hatt' ihn Natur

Noch nicht ans Licht gebracht.

Als Vater (sagt man doch, du sollst

Der Waisen Vater sein)

Warum nicht schirmst und rett'st du ihn

Von dieser ird'schen Pein?

MUTTER.

Lucina half mir nicht, ich starb

Schmerzvoll, noch im Gebären:[473]

Mir Posthumus entschnitten ward;

Zu Feinden kam mit Zähren

Das arme Kind.

SICILIUS.

Ihn schuf Natur, den Ahnen gleich,

So männlich, stark und groß,

Und er erwarb den Preis der Welt,

Als des Sicilius Sproß.

ERSTER BRUDER.

Und als er nun zum Mann gereift

Im mächt'gen Britenland,

War keiner ihm an Tugend gleich,

Weshalb er Gnade fand

Vor Imogen, die seinen Wert,

Sein edles Herz erkannt.

MUTTER.

Was ward durch Eh'glück er gehöhnt,

Verbannt zu sein mit Schmerz,

Geraubt ihm Leonatus' Gut

Und der Geliebten Herz,

Der süßen Imogen?

SICILIUS.

Was litt'st du, daß ihn Jachimo,

Italiens eitler Tor,

In eifersücht'gen Wahn verstrickt,

Daß er den Sinn verlor;

Daß fremdes Bubenstück ihm Hohn

Und Törung aufbeschwor?

ZWEITER BRUDER.

Drum kommen Vater, Mutter aus

Der Sel'gen Heiligtum,

Und wir, die für das Vaterland

Gefallen sind mit Ruhm,

Verfechtend des Tenantius Recht

Im echten Rittertum.

ERSTER BRUDER.

Mit gleichem Mut zog Posthumus

Für Cymbeline das Schwert:

Was hast du, Götterfürst, ihm nicht

Verdienten Lohn gewährt?

Und was er würdiglich erwarb

In Leid und Schmerz verkehrt?

SICILIUS.

Tu' dein kristallnes Fenster auf;

Schau her; hör' unser Flehn:[474]

Laß nicht so alten, edeln Stamm

Durch deinen Grimm vergehn!

MUTTER.

O Jupiter, mein Sohn ist fromm,

Drum lös' ihm diese When!

SICILIUS.

Schau aus dem Marmorhaus und hilf –


Wir armen Geister schrein

Sonst gegen dich zum Götterrat,

Daß sie uns Hülfe leihn.

ZWEITER BRUDER.

Hilf, wir verklagen sonst dich selbst,

Willst du gerecht nicht sein.


Jupiter steigt mit Donner und Blitz herab, auf einem Adler sitzend; er schleudert einen Blitzstrahl. Die Geister fallen auf die Kniee.


JUPITER.

Schweigt, schwache Schatten ihr vom niedern Sitz,

Betäubt mein Ohr nicht, still! – Wie wagt ihr, Geister,

Den Donn'rer zu verklagen, dessen Blitz,

Rebell'n zerschmetternd, kenntlich macht den Meister?

Elysiums leichte Schatten, fort, und ruht

Auf eurer nie verwelkten Blumenflur!

Kein irdisches Geschick trüb' euren Mut;

Ihr wißt, nicht eure Sorg' ist's, meine nur.

Den hemm' ich, den ich lieb'; es wird sein Lohn

Verspätet süßer nur. Traut meiner Macht;

Mein Arm hebt auf den tief gefallnen Sohn,

Sein Glück erblüht, die Prüfung ist vollbracht.

Mein Sternlicht schien, als er zur Welt geboren,

Mein Tempel sah den Eh'bund. – Auf und schwindet! –

Ihm ist nicht Fürstin Imogen verloren,

Und durch dies Leid wird mehr sein Glück begründet.

Dies Täflein legt auf seine Brust; aus Huld

Spricht hier sein Schicksal unser Wohlgefallen;

Und so hinweg, daß meine Ungeduld

Nicht aufwacht, hör' ich solche Klagen schallen! –

Auf, Aar, zu meinen kristallin'nen Hallen!

Er steigt wieder hinauf.


SICILIUS.

Er kam im Donner; und sein Götterhauch

War Schwefeldampf; der heilige Adler stieg[475]

Mit Dräun hernieder; doch sein Aufschwung ist

Süß wie Elysiums Flur: der Königsvogel

Spreizt seine ew'gen Schwingen, wetzt den Schnabel,

Als wär' sein Gott vergnügt.

ALLE.

Dank, Jupiter!

SICILIUS.

Die Marmorwölbung schließt sich, er erreicht

Sein strahlend Götterhaus – Fort! Uns zum Heil

Vollbringt sein großes Machtgebot in Eil'!


Die Geister verschwinden.


Posthumus erwacht.


POSTHUMUS.

O Schlaf, du warst mein Ahnherr, und erzeugtest

Den Vater mir – auch meine Mutter schufst du,

Mein Brüderpaar: doch höhnend nur, verloren!

Schon abgeschieden, als sie kaum geboren,

So nun erwacht. – Armsel'ge, die sich stützen

Auf Gunst der Großen, träumen, wie ich träumte;

Erwachen, finden nichts. – Doch, leerer Dunst!

Mancher hat nicht Verdienst noch Traumesgunst,

Und wird bedeckt mit Lohn; so wird mir hie,

Ich finde goldnes Glück und weiß nicht wie.

Was hausen hier für Feen? Ein Buch? Oh, Kleinod!

Sei nicht wie unsre Stutzerwelt, ein Kleid

Edler, als der es trägt: laß deinen Inhalt

Auch golden sein, ganz ungleich jetz'gem Hofmann:

Halte, was du versprichst:

Er liest. »Wenn eines Löwen Junges, sich selbst unbekannt, ohne Suchen findet, und umarmt wird von einem Stück zarter Luft; und wenn von einer stattlichen Zeder Äste abgehauen sind, die, nachdem sie manches Jahr tot gelegen haben, sich wieder neu beleben, mit dem alten Stamm vereinen und frisch empor wachsen: dann wird Posthumus' Leiden geendigt, Britannien beglückt und in Frieden und Fülle blühend.«

Noch immer Traum, wo nicht solch Zeug wie Tolle

Verstandlos plaudern: beides, oder nichts:

Entweder sinnlos Reden, oder solch Gerede,

Das Sinn nicht kann enträtseln. Sei's, was immer,[476]

Dem Irrsal meines Lebens ist es gleich,

Der Sympathie halb will ich es bewahren.


Die Kerkermeister kommen zurück.


KERKERMEISTER. Kommt, Herr, seid Ihr für den Tod gar gemacht?

POSTHUMUS. Beinah' schon zu hart gebraten: gar schon lange.

KERKERMEISTER. Hängen ist die Losung; wenn Ihr dafür gar seid, so seid Ihr gut gekocht.

POSTHUMUS. Wenn mich also die Zuschauer wohlschmeckend finden, so zahlt das Gericht die Zeche.

KERKERMEISTER. Eine schwere Rechnung für Euch, Herr; aber der Trost ist, Ihr werdet nun nicht mehr zu Zahlungen gefodert werden, keine Wirtshausrechnung mehr zu fürchten haben, die oft das Scheiden betrübt macht, wie sie erst die Lust erweckte. Ihr kommt schwach an, weil Ihr der Speise bedürft, und geht taumelnd fort, weil Ihr ein Glas zu viel getrunken habt: traurig, weil Ihr zu viel ausgegeben: traurig, weil Ihr zu viel eingenommen habt: Kopf und Beutel leer: der Kopf um so schwerer, weil er zu leicht ist, der Beutel um so leichter, weil ihm seine Schwere abgezapft ist. Oh! Aller dieser Widersprüche werdet Ihr nun los. – O über die Menschenliebe eines Pfennigstricks! Tausende macht er in einem Augenblicke richtig: es gibt kein besseres Debet und Kredit als ihn; er quittiert alles Vergangene, Jetzige und Zukünftige – Euer Hals ist Feder, Buch und Rechenpfennig; und so folgt der völlige Abschluß.

POSTHUMUS. Ich bin freudiger zu sterben, als du zu leben.

KERKERMEISTER. Wahrhaftig, Herr, wer schläft, fühlt kein Zahnweh; aber einer, der Euren Schlaf schlafen sollte, wobei der Henker ihm ins Bett steigen hilft, ich denke, der tauschte gern seinen Platz mit seinem Aufwärter: denn seht, Ihr wißt noch nicht, welches Weges Ihr gehen werdet.

POSTHUMUS. O ja, Freund, ich weiß es wohl.

KERKERMEISTER. Nun, dann hat Euer Tod Augen im Kopf; so Habe ich ihn noch nicht gemalt gesehen: Ihr müßt Euch entweder[477] von denen führen lassen, die behaupten, den Weg zu kennen, oder Ihr müßt Euer eigner Führer sein, da ich doch weiß, Ihr kennt den Weg nicht: oder Euch auf eigne Gefahr über alle diese Untersuchungen hinwegsetzen: und wie es Euch am Schluß gerät, – nun, ich denke, Ihr kehrt niemals zurück, um irgendeinem das zu erzählen.

POSTHUMUS. Ich sage dir, keinem fehlen die Augen, ihn auf dem Wege zu leiten, den ich jetzt gehen werde, als solchen, die die Augen zudrücken und sie nicht gebrauchen wollen.

KERKERMEISTER. Welch ein Tausend Spaß wär' das, daß ein Mensch den besten Gebrauch seiner Augen hätte, um den Weg der Blindheit zu sehen! Ich bin gewiß, Hängen ist der Weg, die Augen zuzudrücken.

Ein Bote tritt auf.


BOTE. Nehmt ihm die Fesseln ab, und führt Euren Gefangenen zum König!

POSTHUMUS. Du bringst gute Botschaft; – ich werde zur Freiheit gerufen.

KERKERMEISTER. Dann will ich mich hängen lassen.

POSTHUMUS. Dann wirst du freier sein als ein Schließer; für den Toten gibt es keine Riegel.


Posthumus geht mit dem Boten ab.


KERKERMEISTER. Wenn einer einen Galgen heiraten wollte, um junge Kniegalgen zu erzeugen, könnte er nicht versessener drauf sein wie der. Doch auf mein Gewissen, es gibt noch größere Schurken, die zu leben wünschen, mag dieser auch ein Römer sein: – und unter ihnen gibt es auch welche, die gegen ihren Willen sterben; wie ich tun würde, wenn ich einer wäre. Ich wollte, wir wären alle einer Gesinnung, und die eine Gesinnung wäre gut; oh! Dann würden alle Kerkermeister und Galgen aussterben! Ich spreche gegen meinen jetzigen Vorteil; aber mein Wunsch schließt eine Beförderung ein. Er geht ab.[478]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 472-479.
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