Vierte Szene

[465] Vor der Höhle.


Bellarius, Guiderius und Arviragus treten auf.


GUIDERIUS.

Der Lärm ist ringsum.

BELLARIUS.

Ziehn wir uns zurück!

ARVIRAGUS.

Wo ist des Lebens Lust, verschließen wir's

Vor Tat und vor Gefahr?

GUIDERIUS.

Ja, welche Hoffnung

Bringt uns die Flucht? Die Römer morden doch

Als Briten uns; wo nicht, so nehmen sie

Uns auf als unnatürliche Rebellen,

Gebrauchen uns, und morden uns nachher.

BELLARIUS.

Kommt höher aufs Gebirg', da sind wir sicher.

Wir dürfen nicht zum Königsheer; die Neuheit

Von Clotens Tod (wir unbekannt, gemustert

Nicht mit dem Volk) bringt uns in Untersuchung,

Wo wir gelebt: so zwingt man uns denn ab,

Was wir getan, und Eingestehn wird Tod,

Verlängt durch Qual.

GUIDERIUS.

Dies, Vater, ist Befürchtung,

Die Euch in solchen Zeiten nicht geziemt,

Noch uns genügt.

ARVIRAGUS.

Es ist wohl nicht zu glauben,

Daß, hören sie die röm'schen Rosse wiehern,

Sehn ihre Lagerfeuer, Aug' und Ohr

Geblendet und betäubt durchs Wichtigste,

Daß ihnen Zeit noch bleibt, uns zu bemerken,

Zu fragen, wer wir sind.

BELLARIUS.

Ich bin gekannt[465]

Im Heer von manchem dort; so manches Jahr,

War Cloten jung auch damals, löscht' ihn nicht

Aus dem Gedächtnis mir. Auch ist der König

Nicht meines Diensts und eurer Liebe wert;

Mein Bann war schuld, daß euch Erziehung fehlte,

Daß ihr als Wilde lebtet; alles Glück,

Das eure Wiege euch verhieß, verschwand,

Daß euch der heiße Sommer bräunt, als Sklaven

Ihr schaudern müßt dem Winter.

GUIDERIUS.

Besser sterben

Als so zu leben. Bitte, kommt zum Heer:

Mich und den Bruder kennt kein Mensch, Ihr selbst

Seid längst vergessen, drum aus aller Sinn,

Und niemand fragt nach Euch.

ARVIRAGUS.

Beim Licht der Sonne,

Ich muß dahin! Was ist's, daß ich noch nie

Sah sterben einen Mann? Kein Blut erblickte,

Als feiger Hasen, hitz'ger Gemsen, Hirsche?

Daß ich kein Roß bestieg, als eins, das Reiter

Nur trug, wie ich bin, solche, deren Ferse

Nie Sporn und Eisen ziert'? Ich schäme mich,

Die heil'ge Sonne anzuschaun, die Wohltat

Des sel'gen Strahls zu haben, und zu bleiben

Ein armes Nichts.

GUIDERIUS.

Beim Himmel, ich will gehn!

Wollt Ihr mich segnen, freundlich mich entlassen,

So geh' ich froher; wollt Ihr aber nicht,

So falle die Gefahr nur dreist auf mich,

Durch Römerschwerter!

ARVIRAGUS.

So sag' ich, und Amen!

BELLARIUS.

Da ihr so wenig euer Leben achtet,

Was soll mit größrer Sorg' ich mein verfallnes

Noch schonen? Söhne, auf! Ich geh' mit euch,

Und opfert ihr fürs Vaterland das Leben,

So sei auch mir solch Todesbett gegeben: –

Für sich.


Die Zeit scheint lang. Zorn jagt ihr Blut in Flammen,

Bis es entströmt und zeugt, woher sie stammen.


Alle ab.[466]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 465-467.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Cymbeline
Cymbeline by Shakespeare, William ( Author ) ON Mar-10-2005, Paperback
CYMBELINE
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Shakespeares dramatische Werke: Elfter Band: König Lear, Troilus und Cressida, Ende gut, alles gut, Zwölfter Band: Othello, Cymbeline, Macbeth

Buchempfehlung

Lohenstein, Daniel Casper von

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis. Trauer-Spiel

Epicharis ist eine freigelassene Sklavin, die von den Attentatsplänen auf Kaiser Nero wusste. Sie wird gefasst und soll unter der Folter die Namen der Täter nennen. Sie widersteht und tötet sich selbst. Nach Agrippina das zweite Nero-Drama des Autors.

162 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon