Zweite Szene

[450] Vor der Höhle.


Bellarius, Guiderius, Arviragus und Imogen kommen aus der Höhle.


BELLARIUS.

Du bist nicht wohl: drum bleib' hier in der Höhle:

Wir kommen zu dir nach der Jagd.

ARVIRAGUS.

Bleib', Bruder!

Sind wir nicht Brüder?

IMOGEN.

Das sollte Mensch dem Menschen immer sein;

Doch gibt sich Staub vor Staub der Hoheit Schein,

Ist beider Staub auch gleich. Ich bin recht krank.

GUIDERIUS.

Geht ihr zum Jagen, ich will bei ihm bleiben.

IMOGEN.

Nein, so krank bin ich nicht! – und doch nicht wohl;

Doch solch verwöhnter Städter nicht, der glaubt

Zu sterben, eh' erkrankt: drum geht, und laßt mich;

Folgt eurem Tagsgeschäft; Gewohnheit stören,

Heißt alles stören. Ich bin krank; doch hilft mir

Eu'r Bleiben nicht: Gesellschaft ist kein Trost

Dem Ungesell'gen; ich bin nicht sehr krank,

Ich kann noch drüber reden. Laßt das Haus

Mich hüten! Nur mich selbst werd' ich berauben,

Und wenn ich sterb', ist's nur ein kleiner Diebstahl.

GUIDERIUS.

Ich liebe dich, ich hab's gesagt, so innig

Wie selbst den Vater nur.

BELLARIUS.

Wie! Was ist das?

ARVIRAGUS.

Ist's Sünde, das zu sagen, trag' ich auch

Des Bruders Schuld: ich weiß es nicht, warum

Ich diesen Jüngling lieb'; Ihr sagtet einst,

Der Liebe Grund sei grundlos; wenn die Bahre

Hier ständ', und einer müßte sterben, spräch' ich:

»Mein Vater, nicht der Jüngling!«

BELLARIUS für sich.

Hohes Streben!

O Adel der Natur und großer Ursprung!

Schlecht stammt von schlecht, niedrig von niedrig nur,

Mehl hat und Kleie, Huld und Schmach Natur:

Ich bin ihr Vater nicht, doch wundervoll,

Daß mehr als mich man diesen lieben soll! –

Es ist des Morgens neunte Stunde.[450]

ARVIRAGUS.

Bruder,

Leb wohl!

IMOGEN.

Euch Glück!

ARVIRAGUS.

Dir Beßrung! – Woll'n wir gehn!

IMOGEN für sich.

Wie freundliche Geschöpfe! Gott, wie lügt man!

Der Hofmann sagt, was nicht am Hof, sei wild:

Erfahrung, ach, du zeigst ein andres Bild!

Das tiefe Meer zeugt Ungeheu'r, indessen

Der Bach manch süßen Fisch uns gibt zum Essen.

Ich bin wohl krank, recht herzensmatt – Pisanio,

Dein Mittel kost' ich jetzt.

GUIDERIUS.

Nichts bracht' ich 'raus:

Er sprach, er sei von Adel, doch im Elend;

Unredlich zwar gekränkt, doch redlich selbst.

ARVIRAGUS.

Die Antwort gab er mir; doch sagte dann,

Einst würd' ich mehr erfahren.

BELLARIUS.

Fort, zum Wald: –

Wir lassen Euch indes; ruht in der Höhle!

ARVIRAGUS.

Wir bleiben lang' nicht aus.

BELLARIUS.

Und sei nicht krank,

Du bist ja unsre Hausfrau.

IMOGEN.

Wohl und übel,

Euch stets verbunden.

BELLARIUS.

Und das sollst du bleiben.


Imogen geht ab.


Wie kummervoll der Knab' auch ist, so scheint er

Doch edlen Bluts.

ARVIRAGUS.

Wie engelgleich er singt!

GUIDERIUS.

Und seine Kochkunst –

ARVIRAGUS.

Wurzeln schnitzt er zierlich,

Und würzt die Brüh'n, als wäre Juno krank,

Und er ihr Pfleger. Und wie lieblich paart er

Seufzer mit Lächeln, gleich als wenn der Seufzer

Beseufzte, daß er nicht solch Lächeln sei;

Als spottete das Lächeln jenes Seufzers,

Der aus so holdem Tempel flieht, um sich

Mit Sturm zu mischen, den der Seemann schilt.[451]

GUIDERIUS.

Ich seh' Geduld und Kummer, so verwachsen,

Daß sie die Wurzeln in einander schlingen.

ARVIRAGUS.

O wachse du Geduld!

Und möchte vom Holunder Gram, dem bösen,

Des süßen Weinstocks Wurzel ab sich lösen!

BELLARIUS.

's ist hoch am Tage. Fort! – Doch wer kommt da?


Cloten tritt auf.


CLOTEN.

Ich finde die Landstreicher nicht; gehöhnt

Hat mich der Schuft: – nun bin ich matt.

BELLARIUS.

Landstreicher?

Meint er nicht uns? Kenn' ich ihn nicht? – Es ist

Cloten, der Kön'gin Sohn. Verrat besorg' ich.

Ich sah ihn manches Jahr nicht, und weiß doch,

Er ist's: – da vogelfrei wir sind: hinweg!

GUIDERIUS.

Es ist nur einer; sucht Ihr mit dem Bruder,

Was für Gesellen in der Nähe; geht

Mit ihm, laßt mich nur machen!


Bellarius und Arviragus ab.


CLOTEN.

Halt! Wer seid ihr,

Die vor mir fliehn? Wohl tückische Waldräuber?

Man spricht von solchen. – Welch ein Sklav' bist du?

GUIDERIUS.

Nicht so sehr Sklave, daß ich solchen Gruß

Erwidert' ohne Schlag.

CLOTEN.

Du bist ein Räuber,

Ein Spitzbub' und ein Schuft: ergib dich, Dieb!

GUIDERIUS.

Wem? Dir? Wer bist du? Ist mein Arm so stark

Wie deiner nicht? Mein Herz nicht ganz so stark?

In Worten bist du freilich stärker, denn

Ich trage nicht den Dolch im Mund. Wer bist du?

Weshalb mich dir ergeben?

CLOTEN.

Niedrer Schuft,

Kennst mich an meinen Kleidern nicht?

GUIDERIUS.

Nein, Schurke!

Noch deinen Schneider, deinen Großpapa:

Er machte dir das Kleid, das, wie es scheint,

Dich macht.[452]

CLOTEN.

Wie, auserlesner Schelm, mein Schneider

Hat's nicht gemacht.

GUIDERIUS.

Fort denn, und danke dem,

Der dir's geschenkt! Du bist ein rechter Narr.

Mich ekelt's, dich zu schlagen.

CLOTEN.

Bösewicht,

Hör' meinen Namen nur, und zittre!

GUIDERIUS.

Nun?

Wie ist dein Name denn?

CLOTEN.

Cloten, du Schurke!

GUIDERIUS.

Du Doppelschurke! Sei Cloten dein Name,

Ich zittre nicht davor; wär's Kröte, Spinne,

Das rührte eh' mich.

CLOTEN.

Mehr dich noch zu schrecken,

Ja, völlig zu vernichten, sollst du wissen,

Ich bin der Kön'gin Sohn.

GUIDERIUS.

Das tut mir leid;

Du scheinst nicht edel, wie dein Stamm.

CLOTEN.

Und noch

Fürcht'st du dich nicht?

GUIDERIUS.

Die ich verehre, fürcht' ich:

Die Klugen; über Narren lach' ich nur,

Die fürcht' ich nicht.

CLOTEN.

So stirb des Todes denn!

Wenn ich mit eignen Händen dich erschlagen,

So folg' ich jenen nach, die erst geflohn,

Und auf Luds Tore pflanz' ich eure Köpfe.

Ergib dich, wilder Räuber des Gebirges!


Sie gehn fechtend ab.


Bellarius und Arviragus treten auf.


BELLARIUS.

Kein Mensch ist weiter dort.

ARVIRAGUS.

Nichts in der Welt: Ihr irrtet Euch in ihm.

BELLARIUS.

Ich weiß nicht, lang' ist's her, seit ich ihn sah,

Doch keinen Zug des Angesichts von damals

Hat Zeit verwischt; dies Stottern seiner Stimme,

Dies Sprudeln, wenn er spricht, ist seins: ich bin

Gewiß, es ist Cloten.[453]

ARVIRAGUS.

Hier blieben sie:

Wird nur mein Bruder nicht von ihm beschädigt!

Ihr sagt, er ist so schlimm.

BELLARIUS.

Nur dürftig ausgebildet

Zum Menschen, mein' ich, nahm er auch nicht wahr,

Was Graus und Schrecken sei: so macht der Mangel

An Urteil furchtbar oft. Doch sieh, dein Bruder!


Guiderius kommt, mit Clotens Kopf.


GUIDERIUS.

Der Cloten war ein Narr, ein leerer Beutel,

Kein Geld darin. Nicht Herkules konnt' ihm

Das Hirn ausschlagen, denn er hatte keines;

Hätt' ich dies nicht getan, so trug der Narr

Jetzt meinen Kopf, wie seinen ich.

BELLARIUS.

Was tatst du?

GUIDERIUS.

Ich weiß wohl, was: ich schlug ab Clotens Kopf,

Der Kön'gin Sohn, wie er mir selbst gesagt;

Der mich Verräter, Räuber nannt', und schwur,

Daß er allein uns all' hier fangen wolle,

Abnehmen unsre Köpfe, wo, Gott Lob,

Sie stehn, und über Luds Stadt henken.

BELLARIUS.

Weh!

Wir alle sind verloren.

GUIDERIUS.

Würd'ger Vater,

Was können wir verlieren, als was er

Zu nehmen schwur: das Leben? Das Gesetz

Beschützt uns nicht: drum, weshalb schwächlich zagen,

Wenn ein hochmüt'ger Fleischklotz uns bedroht,

Der Richter spielt und Henker, alles selbst,

Weil das Gesetz wir fürchten? Von Genossen

Wie viele saht ihr?

BELLARIUS.

Keine Seele weiter

Kann man ersehn; doch muß, vernünft'ger Weise,

Gefolge bei ihm sein. Sucht' er auch Ehre

Zumeist in stetem Wechsel, ja, und das

Vom Schlechten nur zum Schlimmern, konnte doch

Verrücktheit, Aberwitz so rasen nicht,

Allein hieher zu kommen. Möglich wohl,[454]

Wie man am Hof gehört, daß unsers Gleichen,

Felswohner jagen hier, als vogelfrei,

Und mit der Zeit zur Bande werden könnten:

Er hört' es wohl, brach auf (es sieht ihm gleich)

Und schwur, uns einzufangen; – doch nicht glaublich,

Daß er allein kam: weder wagt' er das,

Noch litten sie's; drum fürchten wir mit Grund,

Wenn wir den Schweif von diesem Leib für schlimmer

Noch halten als das Haupt.

ARVIRAGUS.

Das Unheil komme,

Wie Gott es sendet; aber dennoch tat

Mein Bruder recht.

BELLARIUS.

Ich hatte keine Lust

Zu jagen heut; Fidelios Krankheit machte

Den Weg mir lang.

GUIDERIUS.

Mit seinem eignen Schwert,

Das gegen meinen Hals er zuckte, schlug ich

Den Kopf ihm ab; ich werf' ihn in die Bucht

An unserm Fels, er schwimm' ins Meer, und sage

Den Fischen, er sei Cloten, Sohn der Königin:

Was kümmert's mich!


Er geht ab.


BELLARIUS.

Ich fürcht', es wird gerächt.

O Polydor, hätt'st du s doch nicht getan!

Wie sehr dein Mut dich ziert. –

ARVIRAGUS.

Tat ich es lieber,

Wenn mich allein die Rache träfe! – Polydor,

Dich lieb' ich brüderlich, doch neid' ich dir

Die Tat, die du mir nahmst: Vergeltung mag,

Kann Menschenkraft ihr widerstehn, uns nur

Hier suchen, zur Verantwortung uns ziehn.

BELLARIUS.

Nun wohl, es ist geschehn!

Heut keine Jagd, laßt uns Gefahr nicht suchen,

Wo uns kein Vorteil winkt. Geh in den Fels,

Du und Fidelio sind die Köch'; ich warte

Hier auf den raschen Polydor, und bring' ihn

Zur Mahlzeit gleich.

ARVIRAGUS.

Du armer, kranker Knabe!

Gern geh' ich hin. Die Wangen ihm zu röten,[455]

Ließ' ich ein ganzes Dorf voll Clotens bluten,

Und rühmte mich der Menschlichkeit.


Er geht ab.


BELLARIUS.

O göttliche

Natur, wie herrlich du dich selbst verkündigst

In diesen Fürstenkindern! Sie sind sanft,

Wie Zephyr, dessen Hauch das Veilchen küßt,

Sein süßes Haupt nicht schaukelnd; doch so rauh,

Wird heiß ihr Königsblut, wie grauser Sturm,

Der an dem Wipfel faßt die Bergestanne

Und sie zum Tal beugt. Es ist wundervoll,

Wie unsichtbar Instinkt in ihnen bildet

Königsgesinnung, ohne Unterricht;

Her', ungelehrt; Anstand, gesehn von keinem;

Mut, welcher wild in ihnen wächst, und Ernte

Gewährt, als wär' er ausgesät! Doch seltsam,

Was Clotens Kommen uns bedeuten mag

Und was sein Tod uns bringt.


Guiderius kommt zurück.


GUIDERIUS.

Wo ist mein Bruder?

Den Strom hinab mag Clotens Klotzkopf treiben,

Als Bot' an seine Mutter; Geisel bleibt

Sein Leichnam bis zur Wiederkehr.


Feierliche Musik in der Höhle.


BELLARIUS.

Mein kunstreich Instrument! Horch, Polydor,

Es tönt! Doch weshalb spielt es Cadwal jetzt?

Horch!

GUIDERIUS.

Ist er drin?

BELLARIUS.

Er ging erst jetzt hinein.

GUIDERIUS.

Was meint er? Seit der teuren Mutter Tode

Erklang es nicht. Nur feierlichem Anlaß

Entspricht ein feierliches Tun. Was deutet's?

Triumph um nichts und Klag' um Kleinigkeit

Ist Affenlust und eitler Knaben Leid.

Ist Cadwal toll?


Arviragus tritt auf und trägt Imogen wie tot in seinen Armen.[456]


BELLARIUS.

Oh, sieh! Da kommt er her,

Und trägt der Klage bittern Grund im Arm,

Um die wir ihn geschmäht.

ARVIRAGUS.

Tot ist das Vöglein,

Das wir so zärtlich pflegten. Lieber wollt' ich

Von sechzehn Jahr zu sechzig überspringen,

Und kräft'gen Schritt mit matter Krücke tauschen,

Als dies erblicken.

GUIDERIUS.

O du süße Lilie,

Nicht halb so schön ruhst du in Bruders Arm,

Als da du selbst dich trugst.

BELLARIUS.

Melancholie,

Wer maß je deine Tiefe? Fand den Boden,

Zu raten, welche Küst' am leichtesten

Der schwer beladnen Sorg' als Hafen dient? –

O du gesegnet Kind! Die Götter wissen,

Welch edler Mann du wurdest einst; doch ach!

Schwermut dem Tode früh die Pflanze brach! –

Wie fand'st du ihn?

ARVIRAGUS.

Starr tot wie jetzt; so lächelnd,

Als hätt' ihn eine Flieg' in Schlaf gekitzelt,

Nicht wie des Todes Pfeil, den er verlachte,

Die rechte Wang' auf einem Kissen ruhend.

GUIDERIUS.

Wo?

ARVIRAGUS.

Auf dem Grund, die Arme so verschränkt

Ich dacht', er schlief; und zog die Nägelschuh'

Mir ab, die, schwer, zu laut die Tritte stampften.

GUIDERIUS.

Er schläft auch nur: ist er verschieden, macht er

Sein Grab zum Bett; weibliche Elfen tanzen

Um seine Gruft, und Würmer nahn dir nicht.

ARVIRAGUS.

Die schönsten Blumen,

Solange Sommer währt und ich hier lebe,

Streu' ich auf deine Gruft; dir soll nicht fehlen

Die Blume, deinem Antlitz gleich, die blasse Primel,

Die Hyazinthe, blau wie deine Adern;

Noch Rosenblätter, die, um sie zu preisen,

Süß wie dein Atem sind. Rotkehlchen werden[457]

Mit frommen Schnabel alles dies dir bringen

(O Schande jenem reich gewordnen Erben,

Der ohne Denkmal läßt des Vaters Grab!);

Auch weiches Moos, wenn Blumen nicht mehr sind,

Für deines Leichnams Winterschmuck.

GUIDERIUS.

Hör' auf,

Und spiele nicht in mädchenhaften Worten

Mit dem, was ernst ist! Laß uns ihn bestatten,

Und nicht verzögern mit Bewund'rung so

Die Pflicht! – Zum Grab!

ARVIRAGUS.

Wo legen wir ihn hin?

GUIDERIUS.

Zur guten Mutter Euriphile.

ARVIRAGUS.

Wohlan!

Und laß uns, Polydor, sind unsre Stimmen

Gleich männlich rauh schon, ihm das Grablied singen,

Wie einst der Mutter; gleiche Wort' und Weise,

Nur statt Euriphile Fidelio.

GUIDERIUS.

Cadwal!

Ich kann nicht singen, weinend sprech' ich's mit;

Denn Töne, die durch Schmerz verstimmt, sind schlimmer,

Als Priesterlug im Tempel.

ARVIRAGUS.

Nun, so sprich es!

BELLARIUS.

Ein großer Schmerz heilt kleinern: ihr vergeßt

Cloten. Er war doch einer Kön'gin Sohn;

Und kam er auch als unser Feind, bedenkt,

Er hat's gebüßt; verwest gleich hoch und niedrig

Vereint, im selben Staub, so trennt doch Ehrfurcht,

Der Engel dieser Welt, den Platz des Mächt'gen

Vom Niedern. Unser Feind war Prinz, und nahmt

Ihr ihm das Leben gleich als unserm Feind,

Bestattet ihn als Fürsten!

GUIDERIUS.

Holt ihn her,

Thersites' Leichnam ist so gut wie Ajax',

Sind beide tot.

ARVIRAGUS.

Geht Ihr und bringt ihn her,

So sprechen wir das Lied indes. – Fang' an!


Bellarius geht ab.[458]


GUIDERIUS.

Nach Osten, Cadwal, muß sein Antlitz liegen;

Der Vater hat 'nen Grund dafür.

ARVIRAGUS.

's ist wahr.

GUIDERIUS.

Komm, hilf, hier leg' ihn hin!

ARVIRAGUS.

So, nun fang' an!


Lied

GUIDERIUS.

Fürchte nicht mehr Sonnenglut,

Noch des Winters grimmen Hohn!

Jetzt dein irdisch Treiben ruht,

Heim gehst, nahmst den Tageslohn:

Jüngling und Jungfrau goldgehaart,

Zu Essenkehrers Staub geschart.

ARVIRAGUS.

Fürstenzorn macht dir nicht Not,

Fürchte nicht Tyrannenstreich;

Sorge nicht um Kleid und Brot,

Eich' und Bins' ist dir nun gleich:

König, Arzt und Hochgelahrt,

All' in einem Staub gepaart.

GUIDERIUS.

Fürchte nicht mehr Flammenblitze,

ARVIRAGUS.

Zittre nicht vorm Donnerschlage;

GUIDERIUS.

Stumpf ist der Verleumdung Spitze;

ARVIRAGUS.

Dir verstummt jetzt Lust und Klage:

BEIDE.

Jung Liebchen, Liebster, goldgehaart,

Wird, so wie du, dem Staub gepaart.

GUIDERIUS.

Kein Zauberspruch verstör' dich!

ARVIRAGUS.

Nicht Hexenkunst beschwör' dich!

GUIDERIUS.

Kein irr Gespenst umschwärm' dich!

ARVIRAGUS.

Und nie was Böses härm' dich!

BEIDE.

Ruhiges Verwesen hier;

Ehre, nach dem Tod, sei dir!


Bellarius kommt mit Clotens Leiche.


GUIDERIUS.

Die Feier ist vollbracht: legt den hier nieder!

BELLARIUS.

Hier sind auch Blumen – mehr um Mitternacht;

Die Kräuter, die der kalte Nachttau feuchtet,

Sind bester Schmuck für Gräber. – Auf ihr Antlitz –

Ihr wart wie Blumen, jetzt verwelkt, wie diese,

Welkt dieses Kraut auch, jetzt entpflückt der Wiese. –[459]

Kommt nun, und fern dort werft euch auf die Knie!

Die Erde, die sie gab, nahm sie zurück:

Hier ist ihr Leid geendet wie ihr Glück.

Bellarius, Guiderius und Arviragus gehn ab.


IMOGEN indem sie erwacht.

Ja, Herr, nach Milford Hafen: dies der Weg? –

Ich dank' Euch. – Bei dem Busch? – Wie weit ist's noch?

O Jemine! – Kann's noch sechs Meilen sein? –

Ich ging die ganze Nacht: nun, ich will schlafen.

Doch still! Kein Schlafkam'rad! Oh, all ihr Götter!


Sie sieht den Leichnam.


Die Blumen sind wohl wie die Lust der Welt,

Der blut'ge Mann die Leiden drunter. – Immer

Noch Traum, – das hoff' ich.

So war mir auch, ich sei ein Höhlenwächter

Und Koch für wackre Leute: doch, 's ist nichts,

Es ist ein Pfeil, von Nichts auf Nichts geschossen,

Den unser Hirn aus Dünsten formt. Selbst Augen

Sind manchmal, wie das Urteil, blind. Fürwahr,

Ich zittre noch aus Furcht; doch blieb im Himmel

Ein kleiner Tropfen Mitleid, winzig, wie

Ein Hänflingsaug', – ihr furchtbar'n Götter, davon

Ein Teilchen mir! Der Traum bleibt immer noch:

Selbst wachend ist er außer mir wie in mir;

Nicht vorgestellt, gefühlt. Hauptlos ein Mann! –

Das Kleid des Posthumus! Oh, ich erkenne

Des Beins Gestalt: und dies ist seine Hand;

Der Fuß Merkurs; des Kriegesgottes Schenkel;

Herkules' Arm, – doch ach, sein Jovis Antlitz –

Im Himmel Mord? – Wie? – Dieses fehlt. – Pisanio,

Die Flüche all', die rasend Hekuba

Den Griechen schrie, zermalmen dich mit meinen!

Du, mit Cloten vereint, dem wilden Teufel,

Erschlugst hier meinen Mann! – Sei Schreiben, Lesen

Verrat hinfort! – Du höllischer Pisanio!

Mit falschen Briefen – höllischer Pisanio![460]

Schlugst du vom schönsten Fahrzeug in der Welt

Den Hauptmast ab! – O Posthumus! Weh mir!

Wo ist dein Haupt? Wo ist es? Ach! Wo ist es?

Pisanio konnte ja dein Herz durchbohren,

Ließ er dir nur das Haupt! – Wie war es möglich?

Er und Cloten, Bosheit und Habsucht legten

Dies Weh hieher. Oh, zu, nur zu gewiß!

Der Trank, den er mir gab und köstlich nannte

Und herzerquickend, ward er mir nicht mörd'risch,

Betäubend? Das bestätigt's noch:

Dies ist Pisanios Tat und Clotens. Ach! –

Mit deinem Blut schmink' mir die bleichen Wangen,

Daß wir so schrecklicher uns denen zeigen,

Die uns hier finden. Oh, Gemahl! Gemahl!


Es treten auf Lucius, ein Hauptmann, mehrere Anführer und ein Wahrsager.

HAUPTMANN.

Die gallischen Legionen kreuzten schon

Das Meer, wie Ihr befahlt, und harren Euer

In Milford Hafen, wo die Schiffe liegen:

Sie sind bereit.

LUCIUS.

Was hören wir von Rom?

HAUPTMANN.

Die Edelleute und die Grenzbewohner

Hat der Senat entboten – rasche Geister,

Die edlen Dienst verheißen: und sie kommen,

Der kühne Jachimo befehligt sie,

Siennas Bruder.

LUCIUS.

Doch wann landen sie?

HAUPTMANN.

Mit nächstem günst'gen Wind.

LUCIUS.

Dies Eilen schafft

Uns schöne Hoffnung. Laßt die Truppen mustern,

Die hier sind; jeder Führer achte drauf. –

Nun, Freund, was träumtest du von diesem Krieg?

WAHRSAGER.

Die Götter sandten mir die Nacht ein Zeichen,

Ich fastete, und betet' um Erleuchtung:

Roms Aar, der Vogel Jupiters, entschwebte

Vom feuchten Süd zu diesem Teil des West,

Wo er im Sonnenlicht verschwand: dies deutet,[461]

Ist nicht durch Sündlichkeit mein Schaun getrübt,

Den röm 'schen Waffen Glück.

LUCIUS.

Träum' immer so,

Und nimmer falsch! – Still, welcher Stamm ist dies,

Beraubt des Gipfels? Diese Trümmer sprechen,

Dies war ein edler Bau einst. – Seht, ein Page! –

Tot oder schlafend auf ihm? Doch wohl tot:

Denn die Natur ergraut vor solchem Bette,

Bei Abgeschiednen, auf des Todes Stätte. –

Laßt mich des Knaben Antlitz sehn!

HAUPTMANN.

Er lebt.

LUCIUS.

Dann gibt er Kunde von dem Leichnam. – Jüngling,

Erzähl' dein Schicksal uns; denn, wie mich dünkt,

Ist es des Forschens wert; wer ist's, den du

Zu deinem blut'gen Kissen machst? Wer war's,

Der, was Natur mit edler Hand gebildet,

Zerstören durfte? Wie viel ging dir unter

In diesem Schiffbruch? Wie geschah's? Wer ist dies?

Wer du?

IMOGEN.

Ein Nichts bin ich, und besser wär' mir,

Ein Nichts zu sein. Mein Herr war dieser Mann,

Er war ein tapfrer Brit', und liebevoll,

Und ist durch Bergbewohner hier erschlagen –

Ach! Solchen Herrn gibt's nicht mehr; wandert' ich

Von Ost nach West, und weinte laut um Dienst,

Fänd' manchen, alle gut, und diente treu,

Nie träf ich solchen Herrn.

LUCIUS.

Ach, guter Jüngling!

Du rührst mich minder nicht durch deine Klagen,

Als durch sein Blut dein Herr: wie war sein Name?

IMOGEN.

Richard du Champ.


Für sich.


Lüg' ich und schade keinem,

Wenn's auch die Götter hören, hoff' ich doch,

Verzeihn sie's. – Wie?

LUCIUS.

Dein Name?

IMOGEN.

Herr, Fidelio.

LUCIUS.

Als solchen hast du wahrlich dich bewährt,

So treu gesinnt bist du des Namens wert.

Willst du's mit mir versuchen? Find'st du gleich[462]

So guten Herrn nicht mehr, doch sicher einen,

Der dich nicht minder liebt. Ein Brief des Kaisers,

Mir vom Senat gesandt, empföhle dich

Nicht besser als dein eigner Wert. Komm mit mir!

IMOGEN.

Ich folg' Euch, Herr. Doch erst, gefällt's den Göttern,

Berg' ich vor Fliegen meinen Herrn, so tief,

Wie diese armen Schaufeln graben können.

Hab' ich mit Blum' und Laub die Gruft bestreut,

Und hergesagt ein Hundert von Gebeten,

Zweimal, wie ich sie weiß, mit Seufzern, Tränen,

Verlass' ich seinen Dienst, um Euch zu folgen,

Wenn Ihr mich nehmen wollt.

LUCIUS.

Ja, guter Knabe,

Und mehr dein Vater als Gebieter sein. –

Dies Kind, ihr Freunde, lehrt uns Männerpflicht.

Laßt uns den schönsten Rasenfleck erkiesen

Und ihm mit Lanz und Speer die Gruft bereiten!

Um deinethalb ist er mir lieb, o Knabe –

Kommt, hebt ihn auf, bestattet ihn zum Grabe

Auf Kriegerart! – Erheitre deinen Blick:

Ein tiefer Fall führt oft zu höherm Glück.


Alle ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 450-463.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Cymbeline
Cymbeline by Shakespeare, William ( Author ) ON Mar-10-2005, Paperback
CYMBELINE
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Shakespeares dramatische Werke: Elfter Band: König Lear, Troilus und Cressida, Ende gut, alles gut, Zwölfter Band: Othello, Cymbeline, Macbeth

Buchempfehlung

Stifter, Adalbert

Die Narrenburg

Die Narrenburg

Der junge Naturforscher Heinrich stößt beim Sammeln von Steinen und Pflanzen auf eine verlassene Burg, die in der Gegend als Narrenburg bekannt ist, weil das zuletzt dort ansässige Geschlecht derer von Scharnast sich im Zank getrennt und die Burg aufgegeben hat. Heinrich verliebt sich in Anna, die Tochter seines Wirtes und findet Gefallen an der Gegend.

82 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon