Dritte Szene

[537] Böhmen, eine wüste Gegend am Meer.


Antigonus tritt auf mit dem Kinde und ein Matrose.


ANTIGONUS.

Bist du gewiß, daß unser Schiff gelandet

An Böhmens Wüstenei'n?

MATROSE.

Ja, Herr, doch fürcht' ich,

Zur schlimmen Stunde: düster wird die Luft

Und droht mit bald'gem Sturm. Auf mein Gewissen,

Der Himmel zürnt auf das, was wir hier tun,

Und blickt uns drohend an.

ANTIGONUS.

Geschen' sein heil'ger Wille! – Geh an Bord,

Sieh nach dem Boot: nicht lange soll es währen,

So bin ich dort.

MATROSE.

Eilt, was Ihr könnt, und geht nicht

Zu weit ins Land: gewiß kommt bald ein Wetter,

Auch ist die Gegend hier herum verrufen,

Der wilden Tiere wegen.[537]

ANTIGONUS.

Geh du fort:

Ich folge gleich.

MATROSE.

Ich bin von Herzen froh,

Daß dies nicht mein Geschäft.


Er geht ab.


ANTIGONUS.

Komm, armes Kind: –

Ich hörte wohl, doch glaubt' ich's nicht, die Geister

Verstorbner gingen um: wenn's wahr, erschien mir

Heut nacht wohl deine Mutter, denn kein Traum

Gleicht so dem Wachen. Zu mir kommt ein Wesen,

Das Haupt bald rechts, bald links hinab gesenkt;

Nie sah ich ein Gefäß so voll von Gram,

Und lieblich doch; in glänzend weißen Kleidern,

Wie Reinheit selbst, trat sie in die Kajüte,

Worin ich schlief. Dreimal sich vor mir neigend,

Wie um zu sprechen, seufzt' sie tief, da wurden

Zwei Quellen ihre Augen: als erschöpft

Der inn'ge Schmerz, sieh, da vernehm' ich dies:

»Mein Freund Antigonus,

Da dich das Schicksal, gegen bessern Willen,

Erwählt hat, daß durch dich mein armes Kind,

So wie du schwurst, hinaus geworfen werde, –

Einsamer Stellen gibt's in Böhmen viel,

Dort klag', und lass' es weinend; und da jeder

Das Kind verloren gibt für immer, nenne

Sie Perdita; für diese Grausamkeit,

Die dir mein Gatte auftrug, siehst du nie

Dein Weib Paulina wieder.« – So, mit Wimmern

Zerschmolz in Luft sie. Das Entsetzen wich,

Ich fand mich langsam wieder, dachte, wirklich

Sei alles und nicht Schlaf; Tand sind die Träume:

Doch für dies eine Mal, ja, abergläubig

Tu' ich, was dieser mir befahl. Ich glaube,

Den Tod erlitt Hermione, und daß

Apoll gebeut, weil wirklich dies ein Sprößling

Polyxenes', daß ich hieher ihn lege,

Zum Leben oder Tod, auf diesen Boden

Des wahren Vaters. – Kindchen, geh' dir's gut!


Er legt das Kind hin.[538]


Hier lieg', und hier dein Name; hier auch dies,


Er legt ein Paket hin.


Das, will's das Glück, dich wohl mag auferziehn

Und dein verbleiben. – Der Sturm beginnt: – du Ärmstes.

So ausgesetzt für deiner Mutter Sünde,

Dem Tod und jedem Leid! – Ich kann nicht weinen,

Doch blutet mir das Herz; wie schlimm, daß mich

Ein Eid hiezu verdammt hat. – Fahre wohl!

Der Tag wird trüb und trüber: du kriegst wahrlich

Ein rauhes Wiegenlied; ich sah noch nie

Die Luft so schwarz am Tag. Welch wild Geschrei!

Wär' ich am Bord! – Das Tier, ha, das sie jagen!

Weh mir, ich bin verloren!


Er entflieht, von einem Bären verfolgt.


Ein alter Schäfer tritt auf.


DER ALTE SCHÄFER. Ich wollte, es gäbe gar kein Alter zwischen zehn und dreiundzwanzig, oder die jungen Leute verschliefen die ganze Zeit: denn dazwischen ist nichts, als den Dirnen Kinder schaffen, die Alten ärgern, stehlen, balgen. – Hört nur! – Wer anders als solche Brauseköpfe zwischen neunzehn und zweiundzwanzig würden wohl in dem Wetter jagen? Sie haben mir zwei von meinen besten Schafen weggescheucht, und ich fürchte, die wird der Wolf eher wieder finden als der Herr; sind sie irgendwo, so ist es nach der Küste hin, wo sie den Efeu abweiden. Gutes Glück, so es dein Wille ist – aber was haben wir hier? Er findet das Kind. Gott sei uns gnädig, ein Kind, ein sehr hübsches Kind! Ob es wohl ein Bube oder ein Mädel ist? Ein hübsches, ein sehr hübsches Ding, gewiß so ein heimlich Stück; wenn ich auch kein Studierter bin, so kann ich doch so ein Kammerjungferstückchen herauslesen. Das ist so eine Treppenarbeit, so eine Schrankarbeit, so hinter der Tür gearbeitet; sie waren wärmer, die dies zeugten, als das arme Ding hier ist. Ich will es aus Mitleid aufnehmen: doch will ich warten, bis mein Sohn kommt, er schrie noch eben dort. Holla hohl


Der junge Schäfer kommt.[539]


DER JUNGE SCHÄFER. Holla hoh!

DER ALTE SCHÄFER. Was, bist so nah? Wenn du was sehen willst, wovon man noch reden wird, wenn du tot und verfault bist, komm hieher! Was fehlt dir, Bengel?

DER JUNGE SCHÄFER. Ich habe zwei solche Gesichte gesehen, zur See und zu Lande, – aber ich kann nicht sagen »See«, denn es ist nur Himmel, und man kann dazwischen keine Nadelspitze stecken.

DER ALTE SCHÄFER. Nun, Junge, was ist es denn?

DER JUNGE SCHÄFER. Ich wollte, Ihr könntet sehen, wie es schäumt, wie es wütet, wie es das Ufer herauf kommt! Aber das ist noch nicht das Rechte: oh, das höchst klägliche Geschrei der armen Seelen! Bald sie zu sehen, bald nicht zu sehen: nun das Schiff mit seinem Hauptmast den Mond anbohren, und gleich jetzt verschlungen von Gischt und Schaum, als wenn man einen Stöpsel in ein Oxhoft würfe. Und dann die Landgeschichte, – zu sehn, wie ihm der Bär das Schulterblatt ausriß, wie er zu mir um Hülfe schrie und sagte, er heiße Antigonus, ein Edelmann. – Aber mit dem Schiff zu Ende zu kommen, – zu sehen, wie die See es einschluckte, – aber erst, wie die armen Seelen brüllten und die See sie verhöhnte, – und wie der arme Herr brüllte und der Bär ihn verhöhnte, und sie beide lauter brüllten als See und Sturm.

DER ALTE SCHÄFER. Um Gottes willen, wann war das, Junge?

DER JUNGE SCHÄFER. Jetzt, jetzt; ich habe nicht mit den Augen geblinkt, seit ich diese Geschichte sah: die Menschen sind noch nicht kalt unter dem Wasser, noch der Bär halb satt von dem Herrn: er ist noch dabei.

DER ALTE SCHÄFER. Ich wollte, ich wäre da gewesen, um dem alten Mann zu helfen!

DER JUNGE SCHÄFER. Ich wollte, Ihr wäret neben dem Schiff gewesen, um da zu helfen: da hätte Euer Mitleid keinen Grund und Boden gefunden.

DER ALTE SCHÄFER. Schlimme Geschichten! schlimme Geschichten! Aber sieh hier, Junge! Nun sperr' die Augen auf, du kommst, wo's zum Tode geht, ich, wo was Neugebornes ist. Hier ist ein anderes Gesicht für dich; sieh doch, ein[540] Taufkleid, wie für eines Edelmanns Kind! Schau her, nimm auf, nimm auf, Junge; bind' es auf! So, laß sehn: es wurde mir prophezeit, ich sollte reich werden durch die Feen; das ist ein Wechselkind: – bind' es auf: was ist darin, Junge?

DER JUNGE SCHÄFER. Ihr seid ein gemachter alter Mann; wenn die Sünden Eurer Jugend Euch vergeben sind, so werdet Ihr gute Tage haben. Gold! lauter Gold!

DER ALTE SCHÄFER. Das ist Feengold, Junge, und das wird sich zeigen: fort damit, halt' es fest; nach Hause, nach Hause, auf dem nächsten Weg! Wir sind glücklich, Junge, und um es immer zu bleiben, ist nichts nötig, als Verschwiegenheit. Laß die Schafe nur laufen! – Komm, guter Junge, den nächsten Weg zu Hause!

DER JUNGE SCHÄFER. Geht Ihr mit Eurem Fund den nächsten Weg; ich will nachsehen, ob der Bär von dem Herrn weg gegangen ist, und wie viel er gefressen hat: sie sind nur schlimm, wenn sie hungrig sind; wenn noch etwas von ihm übrig ist, so will ich's begraben.

DER ALTE SCHÄFER. Das ist eine gute Tat; wenn du an dem, was von ihm übrig geblieben ist, unterscheiden kannst, was er ist, so hole mich, es auch zu sehn.

DER JUNGE SCHÄFER. Schon gut, das will ich, und Ihr sollt helfen, ihn unter die Erde bringen.

DER ALTE SCHÄFER. Das ist ein Glückstag, Junge, an dem wollen wir auch Gutes tun.


Sie gehn ab.


Die Zeit tritt auf als Chorus.


ZEIT.

Ich, die ich alles prüfe, Gut' und Böse,

Erfreu' und schrecke, Irrtum schaff' und löse;

Ich übernehm' es, unterm Namen Zeit

Die Schwingen zu entfalten. Drum verzeiht

Mir und dem schnellen Flug, daß sechzehn Jahre

Ich überspring' und nichts euch offenbare

Von dieser weiten Kluft, da meine Stärke

Gesetze stürzt, in einer Stund' auch Werke

Und Sitten pflanzt und tilgt. So seht mich an,[541]

Wie stets ich war, eh' Ordnung noch begann,

So alt' als neue: denn ich sah die Stunde,

Die sie hervorgebracht; so geb' ich Kunde

Von dem, was jetzt geschieht; durch mich erbleicht

Der Glanz der Gegenwart, in Dunkel weicht,

Was jetzt hier vorgestellt. Dies eingeräumt,

Wend' ich mein Glas; als hättet ihr geträumt,

Verwandelt sich die Szen': Als falsch erkannte

Leontes seine Eifersucht, und wandte

Im Gram der Einsamkeit sich zu. Denkt jetzt,

Ihr edeln Hörer hier, ihr seid versetzt

Ins schöne Böhmen, und besinnt euch schnell,

Ich sprach vom Sohn des Königs; Florizel

Nenn' ich ihn nun; erzähl' euch auch zugleich

Von Perdita, die schön und anmutreich

Erwuchs, zum Staunen aller; ihr Geschick

Sag' ich euch nicht vorher, der Augenblick

Zeig' euch, was er erschafft: – des Schäfers Kind,

Er und sein Haushalt, all dergleichen sind

Der Inhalt nun des Spiels: seht, wie es endet,

Wenn ihr sonst Zeit wohl schlechter habt verwendet;

Geschah es nie, muß Zeit selbst eingestehn,

Sie wünscht im Ernst, es möge nie geschehn.[542]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 537-543.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das Wintermärchen
Das Wintermärchen
The Winter's Tale/ Das Wintermärchen. [Zweisprachig]
Cymbeline. Das Wintermärchen. Der Sturm.
Das Wintermärchen: Zweisprachige Ausgabe
Das Wintermärchen

Buchempfehlung

Aristoteles

Physik

Physik

Der Schluß vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Prinzipiellen zum Indiviudellen ist der Kern der naturphilosophischen Lehrschrift über die Grundlagen unserer Begrifflichkeit von Raum, Zeit, Bewegung und Ursache. »Nennen doch die Kinder zunächst alle Männer Vater und alle Frauen Mutter und lernen erst später zu unterscheiden.«

158 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon