Zweite Szene

[544] Eine Landstraße nicht weit von des Schäfers Hütte.


Autolycus tritt singend auf.


AUTOLYCUS.

Wenn die Narzisse blickt herfür, –


Mit Heisa! das Mägdlein über dem Tal, –[544]

Ja, dann kommt des Jahres lieblichste Zier;

Statt Winter bleich herrscht rotes Blut zumal.


Weiß Linnen bleicht auf grünem Plan, –


Mit Heisa! beim lieblichen Vogelgesang! –


Das wetzt mir alsbald den Diebeszahn;

Denn 'ne Kanne Bier ist ein Königstrank.


Die Lerche, die singt Tirlirilirei, –


Mit Amselton, Heisa! und Drossellieder –


Sind Sommerlust, ist mein Schätzchen dabei,

Wenn wir springen und tummeln im Grase nieder.


Ich habe dem Prinzen Florizel gedient und trug einst dreischürigen Samt; aber jetzt bin ich außer Diensten:


Doch sollt' ich deshalb trauern, mein Schatz?

Der Mond bei Nacht scheint hell,

Und wenn ich wandre von Platz zu Platz,

Dann komm ich zur rechten Stell'.


Wenn Kesselflicker im Lande leben

Und wandern mit Ruß geschwärzt,

So darf ich doch auch noch Antwort geben,

Und im Stock selbst wird wohl gescherzt.


Mein Handelszweig ist Hemden; wenn erst der Habicht baut, so seht nur auch nach der kleineren Wäsche. Mein Vater nannte mich Autolycus; der, da er wie ich unter dem Merkur geworfen wurde, ebenfalls ein Aufschnapper von unbedeutenden Kleinigkeiten war. Die Würfel und die Dirnen haben mir zu dieser Ausstaffierung verholfen, und mein Einkommen ist die winzige Taschendieberei; Galgen und Totschlag sind mir zu mächtig auf der großen Straße, denn Prügeln und Hängen sind mir ein Graus; was das zukünftige Leben betrifft, den Gedanken daran verschlaf' ich. – Ein Fang! Ein Fang!


Der junge Schäfer tritt auf.


DER JUNGE SCHÄFER. Laßt doch sehen: – immer elf Hammel machen einen Stein, – jeder Stein gibt ein Pfund – und etliche Schilling: fünfzehnhundert geschoren – wie hoch kommt die Wolle dann?[545]

AUTOLYCUS beiseit. Wenn die Schlinge hält, so ist die Schnepfe mein.

DER JUNGE SCHÄFER. Ich kann es ohne Rechenpfennige nicht herausbringen. – Laßt doch sehn, was soll ich kaufen für unser Schafschurfest? »Sieben Pfund Korinthen, drei Pfund Zucker, Reis« – was will denn meine Schwester mit Reis machen? Aber mein Vater hat sie zur Wirtin beim Fest gemacht, und sie versteht's. Sie hat mir vierundzwanzig Sträuße für die Scherer gebunden, immer drei singen einen Kanon, und herrlich; freilich sind die meisten Tenor und Baß; nur ein Puritaner ist darunter, und der singt Psalmen zum Dudelsack. Ich muß haben »Safran, die Apfeltorten zu färben, Muskatenblüte, – Datteln –« keine, die stehn nicht auf dem Zettel: »Muskatennüsse, sieben; ein oder zwei Stangen Ingwer«; aber die müssen sie mir zugeben: – »vier Pfund Pflaumen und ebenso viel Traubenrosinen.«

AUTOLYCUS. Oh, wär' ich nie geboren! Er wälzt sich auf der Erde.

DER JUNGE SCHÄFER. Ei, ei, um Gottes willen –

AUTOLYCUS. Oh, Hülfe! Reißt mir diese Lumpen ab, und dann Tod, Tod!

DER JUNGE SCHÄFER. Ach, arme Seele! du hättest eher nötig, daß dir mehr Lumpen angelegt würden, als diese da abgerissen.

AUTOLYCUS. Ach, Herr, der Ekel vor ihnen quält mich mehr als die Schläge, die ich bekommen habe, und die waren derb und wohl Millionen.

DER JUNGE SCHÄFER. Du armer Mensch! Millionen Prügel, das mag ziemlich viel ausmachen.

AUTOLYCUS. Ich bin beraubt, Herr, und geschlagen; mein Geld und meine Kleider sind mir genommen, und dies abscheuliche Zeug ist mir angezogen.

DER JUNGE SCHÄFER. Wie, durch einen Reiter oder einen Fußgänger?

AUTOLYCUS. Ein Fußgänger, lieber Herr, ein Fußgänger.

DER JUNGE SCHÄFER. Wahrhaftig, nach der Kleidung, die er dir gelassen hat, muß er ein Fußgänger gewesen sein; wenn das ein Reiterwams ist, so muß es heißen Dienst ausgestanden haben. Gib mir die Hand, ich will dir aufhelfen; komm, gib mir die Hand! Er hilft ihm auf.[546]

AUTOLYCUS. Oh! guter Herr, sachte, au weh, sachte!

DER JUNGE SCHÄFER. Ei, du arme Seele!

AUTOLYCUS. Ach, lieber Herr, sachte; guter Herr, sachte! [ich fürchte, mein Schulterblatt ist ausgerenkt.

DER JUNGE SCHÄFER. Wie geht's? Kannst du stehen?

AUTOLYCUS. Sacht, liebster Herr; guter Herr, sachte!]

Er zieht ihm die Börse aus der Tasche. Ihr habt mir einen rechten Liebesdienst getan.

DER JUNGE SCHÄFER. Brauchst du Geld? Ich will dir etwas Geld geben.

AUTOLYCUS. Nein, guter, süßer Herr, nein, ich bitte Euch; ich habe ungefähr drei Viertel Meile von hier einen Verwandten, zu dem ich gehn wollte, dort bekomm' ich Geld und alles, was ich brauche; bietet mir kein Geld, ich bitt' Euch, das kränkt mein Herz.

DER JUNGE SCHÄFER. Was für eine Art von Kerl war es, der dich beraubte?

AUTOLYCUS. Ein Kerl, Herr, den ich wohl habe mit dem Spiel Trou-Madame herumgehen sehn; ich weiß, daß er auch einmal in des Prinzen Diensten war: doch kann ich nicht sagen, guter Herr, für welche von seinen Tugenden es war, aber gewiß, er wurde vom Hofe weggepeitscht.

DER JUNGE SCHÄFER. Laster wolltest du sagen, denn es gibt keine Tugenden, die vom Hofe gepeitscht werden; sie halten sie dort wert, damit sie bleiben sollen, und doch pflegen sie nur immer durchzureisen.

AUTOLYCUS. Laster wollte ich sagen, Herr. Ich kenne den Mann wohl, er ist seitdem ein Affenführer gewesen, dann ein Gerichtsknecht und Scherge; darauf brachte er zu Wege ein Puppenspiel vom verlornen Sohn, und heiratete eines Kesselflickers Frau, eine Meile von meinem Haus und Hof, und nachdem er jede diebische Profession durchlaufen hatte, setzte er sich endlich als Spitzbube; einige nennen ihn Autolycus.

DER JUNGE SCHÄFER. Der Henker hol' ihn! Ein Gauner, mein' Seel', ein Gauner; er treibt sich auf Kirchmessen, Jahrmärkten und Bärenhetzen herum.[547]

AUTOLYCUS. Sehr wahr, Herr, der ist es, Herr; das ist der Schurke, der mich in dies Zeug gesteckt hat.

DER JUNGE SCHÄFER. Kein so feiger Schurke in ganz Böhmen; hättest du dich nur etwas in die Brust geworfen und ihn angespuckt, so wäre er davon gelaufen.

AUTOLYCUS. Ich muß gestehn, Herr, ich bin kein Fechter; in dem Punkte steht es schwach mit mir, und das wußte er, das könnt Ihr glauben.

DER JUNGE SCHÄFER. Wie geht's dir nun?

AUTOLYCUS. Viel besser als vorher, süßer Herr, ich kann stehn und gehn; ich will nun Abschied von Euch nehmen und ganz sachte zu meinem Vetter hingehn.

DER JUNGE SCHÄFER. Soll ich dich auf den Weg bringen?

AUTOLYCUS. Nein, schöner Herr; nein, mein süßer Herr.

DER JUNGE SCHÄFER. So lebe denn wohl; ich muß gehn und für unsre Schafschur Gewürze kaufen. Er geht ab.

AUTOLYCUS. Viel Glück, süßer Herr! – Dein Beutel ist nicht heiß genug, um Gewürz zu kaufen. Ich will Euch auch bei Eurer Schafschur heimsuchen. Wenn ich aus dieser Schelmerei nicht eine zweite hervor bringe, und die Scherer nicht zu Schafen mache, so möge man mich ausstoßen und meinen Namen auf das Register der Tugend setzen!


Frisch auf, frisch auf, den Fußsteig geht,

Über den Graben, lustig in Eil' ja;

Der Lust'ge läuft von früh bis spät,

Der Mürr'sche kaum 'ne Meil' ja.


Er geht ab.


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 544-548.
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