Dritte Szene

[642] Eine andre Gegend der Insel.


Alonso, Sebastian, Antonio, Gonzalo, Adrian, Francisco und andre.


GONZALO.

Bei unsrer Frauen, Herr, ich kann nicht weiter.

Die alten Knochenschmerzen mir; das heiß' ich

Ein Labyrinth durchwandern, grade aus

Und in geschlungnen Wegen! Mit Erlaubnis,

Ich muß notwendig ausruhn.

ALONSO.

Alter Herr,

Ich kann dich drum nicht tadeln, da ich selbst

Von Müdigkeit ergriffen bin, die ganz

Die Sinne mir betäubt: setz' dich und ruh'!

Hier tu' ich mich der Hoffnung ab und halte

Nicht länger sie als meine Schmeichlerin.

Er ist ertrunken, den zu finden so

Wir irre gehn, und des vergebnen Suchens

Zu Lande lacht die See. Wohl, fahr' er hin!

ANTONIO beiseit zu Sebastian.

Mich freut's, daß er so ohne Hoffnung ist.

Gebt eines Fehlstreichs wegen nicht den Anschlag,

Den Ihr beschlossen, auf!

SEBASTIAN.

Den nächsten Vorteil

Laßt ja uns recht ersehn![642]

ANTONIO.

Es sei zu Nacht.

Denn nun, bedrückt von der Ermüdung, werden

Und können sie sich nicht so wachsam halten

Als wie bei frischer Kraft.

SEBASTIAN.

Zu Nacht, sag' ich: nichts weiter!


Feierliche und seltsame Musik, und Prospero in der Höhe, unsichtbar.


ALONSO.

Welch eine Harmonie? Horcht, gute Freunde!

GONZALO.

Wundersam liebliche Musik!


Verschiedne seltsame Gestalten kommen und bringen eine besetzte Tafel. Sie tanzen mit freundlichen Gebärden der Begrüßung um dieselbe herum, und indem sie den König und die übrigen einladen zu essen, verschwinden sie.


ALONSO.

Verleih' uns gute Wirte, Gott! Was war das?

SEBASTIAN.

Ein lebend Puppenspiel. Nun will ich glauben,

Daß es Einhörner gibt, daß in Arabien

Ein Baum des Phönix Thron ist und ein Phönix

Zur Stunde dort regiert.

ANTONIO.

Ich glaube beides;

Und was man sonst bezweifelt, komme her,

Ich schwöre drauf, 's ist wahr. Nie logen Reisende,

Schilt gleich zu Haus der Tor sie.

GONZALO.

Meldet' ich

Dies nun in Napel, würden sie mir's glauben?

Sagt' ich, daß ich Eiländer hier gesehen

(Denn sicher sind dies Leute von der Insel),

Die, ungeheu'r gestaltet, dennoch, seht,

Von sanftern, mildern Sitten sind, als unter

Dem menschlichen Geschlecht ihr viele, ja

Kaum einen finden werdet.

PROSPERO beiseit.

Wackrer Mann,

Du hast wohl recht! Denn manche dort von euch

Sind mehr als Teufel.

ALONSO.

Ich kann nicht satt mich wundern:

Gestalten solcher Art, Gebärde, Klang,

Die, fehlt gleich der Gebrauch der Zunge, trefflich

Ein Stumm Gespräch aufführen.

PROSPERO beiseit.

Lobt beim Ausgang![643]

FRANCISCO.

Sie schwanden seltsam.

SEBASTIAN.

Tut nichts, da sie uns

Die Mahlzeit ließen, denn wir haben Mägen. –


Beliebt's zu kosten, was hier steht?

ALONSO.

Mir nicht.

GONZALO.

Herr, hegt nur keine Furcht. In unsrer Jugend,

Wer glaubte wohl, es gebe Bergbewohner

Mit Wammen so wie Stier', an deren Hals

Ein Fleischsack hing? Es gebe Leute, denen

Der Kopf im Busen säße? als wovon

Jetzt jeder, der sein Schifflein läßt versichern,

Uns gute Kundschaft bringt.

ALONSO.

Ich gehe dran und esse,

Wär's auch mein letztes. Mag es! fühl' ich doch,

Das Beste sei vorüber. – Bruder, Herzog,

Geht dran und tut wie wir!


Donner und Blitz. Ariel kommt in Gestalt einer Harpye, schlägt mit seinen Flügeln auf die Tafel, und vermittelst einer zierlichen Erfindung verschwindet die Mahlzeit.


ARIEL.

Ihr seid drei Sündenmänner, die das Schicksal

(Das diese niedre Welt, und was darinnen,

Als Werkzeug braucht) der nimmersatten See

Geboten auszuspein; und an dies Eiland,

Von Menschen unbewohnt, weil unter Menschen

Zu leben ihr nicht taugt. Ich macht' euch toll,


Alonso, Sebastian und die übrigen ziehn ihre Degen.


Und grad in solchem Mut ersäufen, hängen

Sich Menschen selbst. Ihr Toren! ich und meine Brüder

Sind Diener des Geschicks; die Elemente,

Die eure Degen härten, könnten wohl

So gut den lauten Wind verwunden, oder

Die stets sich schließenden Gewässer töten

Mit eitlen Streichen, als am Fittig mir

Ein Fläumchen kränken. Meine Mitgesandten sind

Gleich unverwundbar: könntet ihr auch schaden,

Zu schwer sind jetzt für eure Kraft die Degen[644]

Und lassen sich nicht heben. Doch bedenkt

(Denn das ist meine Botschaft), daß ihr drei

Den guten Prospero verstießt von Mailand,

Der See ihn preisgabt, – die es nun vergolten, –


Ihn und sein harmlos Kind; für welche Untat

Die Mächte, zögernd, nicht vergessend, jetzt

Die See, den Strand, ja alle Kreaturen

Empöret gegen euern Frieden. Dich,

Alonso, haben sie des Sohns beraubt,

Verkünden dir durch mich: ein schleichend Unheil,

Viel schlimmer als ein Tod, der einmal trifft,

Soll Schritt vor Schritt auf jedem Weg dir folgen.

Um euch zu schirmen vor derselben Grimm,

Der sonst in diesem gänzlich öden Eiland

Aufs Haupt euch fällt, hilft nichts als Herzensleid

Und reines Leben künftig.


Er verschwindet unter Donnern; dann kommen die Gestalten bei einer sanften Musik wieder, tanzen mit allerlei Fratzengesichtern und tragen die Tafel weg.


PROSPERO beiseit.

Gar trefflich hast du der Harpye Bildung

Vollführt, mein Ariel; ein Anstand war's, verschlingend!

Von meiner Vorschrift hast du nichts versäumt,

Was du zu sagen hattest; und so haben

Mit guter Art und seltsamen Gebräuchen

Auch meine untern Diener jeglicher

Sein Amt gespielt. Mein hoher Zauber wirkt,

Und diese meine Feinde sind gebunden

In ihrem Wahnsinn; sie sind in meiner Hand.

Ich lass' in diesem Anfall sie und gehe

Zum jungen Ferdinand, den tot sie glauben,

Und sein- und meinem Liebling.


Er verschwindet.


GONZALO.

In heil'ger Dinge Namen, Herr, was steht Ihr

So seltsam starrend?

ALONSO.

Oh, es ist gräßlich! gräßlich!

Mir schien, die Wellen riefen mir es zu,

Die Winde sangen mir es, und der Donner,

Die tiefe grause Orgelpfeife, sprach[645]

Den Namen Prospero, sie rollte meinen Frevel.

Drum liegt mein Sohn im Schlamm gebettet, und

Ich will ihn suchen, wo kein Senkblei forschte.

Und mit verschlämmt da liegen.


Ab.


SEBASTIAN.

Gebt mir nur einen Teufel auf einmal,

So fecht' ich ihre Legionen durch!

ANTONIO.

Ich steh' dir bei.


Sebastian und Antonio ab.


GONZALO.

Sie alle drei verzweifeln; ihre große Schuld,

Wie Gift, das lang' nachher erst wirken soll,

Beginnt sie jetzt zu nagen. Ich ersuch' euch,

Die ihr gelenker seid, folgt ihnen nach

Und hindert sie an dem, wozu der Wahnsinn

Sie etwa treiben könnte.

ADRIAN.

Folgt, ich bitt' euch!


Alle ab.[646]


Quelle:
William Shakespeare: Sämtliche Werke in vier Bänden. Band 2, Berlin: Aufbau, 1975, S. 642-647.
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