|
[599] Die bezauberte Insel, vor Prosperos Zelle.
Prospero und Miranda treten auf.
MIRANDA.
Wenn Eure Kunst, mein liebster Vater, so
Die wilden Wasser toben hieß, so stillt sie!
Der Himmel, scheint es, würde Schwefel regnen,
Wenn nicht die See, zur Stirn der Feste steigend,
Das Feuer löschte. Oh, ich litt mit ihnen,
Die ich so leiden sah: ein wackres Schiff,
Das sicher herrliche Geschöpfe trug,
In Stücke ganz zerschmettert! Oh, der Schrei
Ging mir ans Herz! Die Armen, sie versanken!
Wär' ich ein Gott der Macht gewesen, lieber
Hätt' ich die See versenket in den Grund,
Eh' sie das gute Schiff verschlingen dürfen
Samt allen Seelen drinnen.
PROSPERO.
Fasse dich![599]
Nichts mehr von Schreck! Sag deinem weichen Herzen:
Kein Leid geschah.
MIRANDA.
O Tag des Wehs!
PROSPERO.
Kein Leid.
Ich tat nichts als aus Sorge nur für dich,
Für dich, mein Teuerstes, dich, meine Tochter,
Die unbekannt ist mit sich selbst, nicht wissend,
Woher ich bin, und daß ich viel was Höhers
Als Prospero, Herr einer armen Zelle,
Und dein nicht größrer Vater.
MIRANDA.
Mehr zu wissen,
Geriet mir niemals in den Sinn.
PROSPERO.
's ist Zeit,
Dir mehr zu offenbaren. Leih' die Hand
Und nimm den Zaubermantel von mir!
Er legt den Mantel nieder.
So!
Da lieg' nun, meine Kunst! Du, trockne dir
Die Augen; sei getrost! Das grause Schauspiel
Des Schiffbruchs, so des Mitleids ganze Kraft
In dir erregt, hab' ich mit solcher Vorsicht
Durch meine Kunst so sicher angeordnet,
Daß keine Seele – nein, kein Haar gekrümmt
Ist irgendeiner Kreatur im Schiff,
Die schrein du hörtest, die du sinken sahst.
Setz' dich! Du mußt nun mehr erfahren.
MIRANDA.
Öfter
Begannt Ihr mir zu sagen, wer ich bin.
Doch bracht Ihr ab, ließt mich vergebnem Forschen
Und schlosset: Wart'! Noch nicht!
PROSPERO.
Die Stund' ist da,
Ja die Minute fodert dein Gehör.
Gehorch' und merke! Kannst du dich einer Zeit
Erinnern, eh' zu dieser Zell' wir kamen?
Kaum glaub' ich, daß du's kannst: denn damals warst du
Noch nicht drei Jahr alt.
MIRANDA.
Allerdings, ich kann's.
PROSPERO.
Woran? An andern Häusern, andern Menschen?[600]
Sag mir das Bild von irgendeinem Ding,
Das dir im Sinn geblieben.
MIRANDA.
's ist weit weg,
Und eher wie ein Traum als wie Gewißheit,
Die mein Gedächtnis aussagt. Hatt' ich nicht
Vier bis fünf Frauen einst zu meiner Wartung?
PROSPERO.
Die hatt'st du – mehr, Miranda: doch wie kömmt's,
Daß dies im Geist dir lebt? Was siehst du sonst
Im dunkeln Hintergrund und Schoß der Zeit?
Besinnst du dich auf etwas, eh' du herkamst,
So kannst du, wie du kamst.
MIRANDA.
Das tu' ich aber nicht.
PROSPERO.
Zwölf Jahr, Miranda, sind es her, zwölf Jahre,
Da war dein Vater Mailands Herzog, und
Ein mächt'ger Fürst.
MIRANDA.
Seid Ihr denn nicht mein Vater?
PROSPERO.
Ein Tugendbild war deine Mutter, und
Sie gab dich mir als Tochter, und dein Vater
War Mailands Herzog; seine einz'ge Erbin
Prinzessin, nichts Geringers.
MIRANDA.
Lieber Himmel!
Welch böser Streich, daß wir von dannen mußten.
Wie? Oder war's zum Glücke?
PROSPERO.
Beides, Liebe:
Ein böser Streich verdrängt' uns, wie du sagst,
Doch unser gutes Glück half uns hieher.
MIRANDA.
Oh, wie das Herz mir blutet, wenn ich denke,
Wie viel Beschwer ich damals Euch gemacht,
Wovon ich nichts mehr weiß! Beliebt's Euch, weiter?
PROSPERO.
Mein Bruder und dein Oheim – er hieß Antonio –
Ich bitte dich, gib Achtung! – daß ein Bruder
So treulos sein kann! – er, den ich nächst dir
Vor aller Welt geliebt und ihm die Führung
Des Landes anvertraut, das zu der Zeit
Die Krone aller Herzogtümer war,
Wie Prospero der Fürsten; dafür galt er
Der Würde nach und in den freien Künsten[601]
Ganz ohnegleichen. Dieser nur beflissen,
Warf ich das Regiment auf meinen Bruder
Und wurde meinem Lande fremd, verzückt
Und hingerissen in geheimes Forschen.
Dein falscher Oheim – aber merkst du auf?
MIRANDA.
Mein Vater, sehr genau.
PROSPERO.
Sobald er ausgelernt, wie man Gesuche
Gewährt, wie abschlägt; wen man muß erhöhn,
Und wen als üpp'gen Schößling fällen: schuf er
Geschöpfe neu, die mir gehörten; tauschte,
Versteh' mich, oder formte neu sie. So
Hatt' er der Diener und des Dienstes Schlüssel
Und stimmte jedes Herz im Staat zur Weise,
Die seinem Ohr gefiel; war nun das Efeu,
Das meinen herzoglichen Stamm versteckt,
Das Grün mir ausgesogen. – Doch du hörst nicht.
MIRANDA.
O lieber Herr, ich tu's.
PROSPERO.
Ich bitte dich, gib Achtung!
Daß nun ich so mein zeitlich Teil versäumte,
Der Still' ergeben, mein Gemüt zu bessern
Bemüht mit dem, was, wär's nicht so geheim,
Des Volkes Schätzung überstieg', – dies weckte
In meinem falschen Bruder bösen Trieb.
Mein Zutraun, wie ein guter Vater, zeugte
Verrat von ihm, so groß im Gegenteil
Als mein Vertraun, das keine Grenzen hatte;
Ein ungemeßner Glaube. Er, nun Herr
Nicht nur von dem, was meine Renten trugen,
Auch allem sonst, was meiner Macht gebührte –
Wie einer, bis zur Wahrheit, durchs Erzählen
Zu solchem Sünder sein Gedächtnis macht,
Daß es der eignen Lüge traut – er glaubte,
Er sei der Herzog selbst, durch seine Stellvertretung
Und freies Walten mit der Hoheit äußerm Schein
Samt jedem Vorrecht; dadurch wuchs sein Ehrgeiz –
Hörst du?
MIRANDA.
Herr, die Geschichte könnte Taubheit heilen.
PROSPERO.
Um keine Scheid'wand zwischen dieser Rolle[602]
Und dem zu sehn, für welchen er sie spielte,
Nimmt er sich vor, der unumschränkte Mailand
Durchaus zu sein. Mich armen Mann – mein Büchersaal
War Herzogtums genug –, für weltlich Regiment
Hält er mich ungeschickt; verbündet sich
(So lechzt' er nach Gewalt) mit Napels König,
Tribut zu zahlen, Huldigung zu tun,
Den Fürstenhut der Krone zu verpflichten,
Sein freies Herzogtum – ach, armes Mailand! –
Zu schnödem Dienst zu beugen.
MIRANDA.
Guter Himmel!
PROSPERO.
Hör', was er sich bedungen, und den Ausgang:
Dann sag mir, ob das wohl ein Bruder war.
MIRANDA.
Ich sündigte, wenn ich von Eurer Mutter
Nicht würdig dächte: mancher edle Schoß
Trug schlechte Söhne schon.
PROSPERO.
Nun die Bedingung.
Der König Napels, mein geschworner Feind,
Horcht dem Gesuche meines Bruders: nämlich
Er sollte, gegen die versprochnen Punkte
Von Lehnspflicht, und ich weiß nicht wie viel Zins,
Mich und die Meinen gleich vom Herzogtum
Austilgen und zu Lehn das schöne Mailand
Samt allen Würden meinem Bruder geben.
Drauf, als man ein Verräterheer geworben,
In einer Nacht, erkoren zu der Tat,
Schloß nun Antonio Mailands Tore auf,
Und in der mitternächt'gen Stille rissen
Die Diener seines Anschlags uns hinweg,
Mich und dich weinend Kind.
MIRANDA.
Ach, welch ein Jammer!
Ich, die vergessen, wie ich damals weinte,
Bewein' es jetzt aufs neu'; es ist ein Wink,
Der Tränen mir erpreßt.
PROSPERO.
Hör' noch ein wenig,
Dann bring' ich dich auf das Geschäft, das jetzt
Uns vorliegt, ohne welches die Geschichte
Sehr unnütz wär'.[603]
MIRANDA.
Warum nicht brachten sie
Zur Stund' uns um?
PROSPERO.
Ja, Mädchen, gut gefragt!
Das Vor'ge heischt den Zweifel. Kind, sie wagten's nicht
(So treue Liebe trug das Volk zu mir),
Der Tat solch blutig Siegel aufzudrücken,
Und schminkten schöner den verruchten Zweck.
Sie rissen uns an eines Schiffleins Bord,
Dann ein paar Meilen seewärts; nahmen dort
Ein faul Geripp' von Boot, ganz abgetakelt,
Kein Mast noch Segel; selbst die Ratzen hatten's
Aus Furcht geräumt: da laden sie uns aus,
Zu weinen ins Gebrüll der See, zu seufzen
Den Winden, deren Mitleid, wieder seufzend,
Nur liebend weh uns tat.
MIRANDA.
Ach, welche Not
Macht' ich Euch damals!
PROSPERO.
Oh, ein Cherubim
Warst du, der mich erhielt! Du lächeltest,
Beseelt mit Unerschrockenheit vom Himmel,
Wann ich, die See mit salzen Tropfen füllend,
Ächzt' unter meiner Last; und das verlieh
Mir widersteh'nde Kraft, um auszuhalten,
Was auch mir widerführ'.
MIRANDA.
Wie kamen wir an Land?
PROSPERO.
Durch Gottes Lenkung.
Wir hatten etwas Speis' und frisches Wasser,
Das uns ein edler Neapolitaner,
Gonzalo, zum Vollbringer dieses Plans
Ernannt, aus Mitleid gab, nebst reichen Kleidern,
Auch Leinwand, Zeug und allerlei Gerät,
Das viel seitdem genützt: so, aus Leutseligkeit,
Da ihm bekannt, ich liebe meine Bücher,
Gab er mir Bänd' aus meinem Büchersaal,
Mehr wert mir als mein Herzogtum.
MIRANDA.
O könnt' ich
Den Mann je sehen!
PROSPERO.
Jetzt erheb' ich mich.[604]
Bleib' still und hör' das Ende unsrer Seenot:
Zu diesem Eiland kamen wir, und hier
Hab' ich, dein Meister, weiter dich gebracht,
Als andre Fürsten können, bei mehr Muße
Zu eitler Lust und minder treuen Lehrern.
MIRANDA.
Der Himmel lohn' Euch das! Und nun, ich bitt' Euch
(Denn stets noch tobt mir's im Gemüt): Warum
Erregtet Ihr den Sturm?
PROSPERO.
So viel noch wisse:
Durch seltne Schickung hat das güt'ge Glück,
Jetzt meine werte Herrin, meine Feinde
An diesen Strand gebracht; mir zeigt die Kunde
Der Zukunft an, es hänge mein Zenit
An einem günst'gen Stern: versäum' ich's jetzt
Und buhl' um dessen Einfluß nicht, so richtet
Mein Glück sich nie mehr auf. – Hier laß dein Fragen.
Dich schläfert: diese Müdigkeit ist gut,
Und gib ihr nach! – Ich weiß, du kannst nicht anders.
Miranda schläft.
Herbei, mein Diener! Komm! Ich bin bereit.
Nah' dich, mein Ariel! Komm!
Ariel kommt.
ARIEL.
Heil, großer Meister! Heil dir, weiser Herr!
Ich komme, deinen Winken zu begegnen.
Sei's Fliegen, Schwimmen, in das Feuer tauchen,
Auf krausen Wolken fahren: schalte nur
Durch dein gewaltig Wort mit Ariel
Und allen seinen Kräften.
PROSPERO.
Hast du, Geist,
Genau den Sturm vollbracht, den ich dir auftrug?
ARIEL.
In jedem Punkt. Ich enterte das Schiff
Des Königs; jetzt am Schnabel, jetzt im Bauch,
Auf dem Verdeck, in jeglicher Kajüte
Flammt' ich Entsetzen; bald zerteilt' ich mich
Und brannt' an vielen Stellen; auf dem Mast,
An Stang' und Bugspriet flammt' ich abgesondert,
Floß dann in eins. Zeus' Blitze, die Verkünder[605]
Des schreckbar'n Donnerschlags, sind schneller nicht
Und Blick-entrinnender; das Feu'r, die Stöße
Von schweflichtem Gekrach, sie stürmten, schien's,
Auf den gewaltigen Neptun und machten
Erbeben seine kühnen Wogen, ja
Den furchtbar'n Dreizack wanken.
PROSPERO.
Mein wackrer Geist! –
Wer war so fest, so standhaft, dem der Aufruhr
Nicht die Vernunft verwirrte?
ARIEL.
Keine Seele,
Die nicht ein Fieber gleich den Tollen fühlte
Und Streiche der Verzweiflung übte. Alle,
Bis auf das Seevolk, sprangen in die schäum'ge Flut
Und flohn das Schiff, jetzt eine Glut durch mich.
Der Sohn des Königs, Ferdinand, sein Haar
Emporgesträubt wie Binsen, nicht wie Haar,
Sprang vor den andern, schrie: »Die Höll' ist ledig,
Und alle Teufel hier!«
PROSPERO.
Ei, lieber Geist!
Dies war doch nah beim Strand?
ARIEL.
Ganz dicht, mein Meister!
PROSPERO.
Sie sind doch unversehrt?
ARIEL.
Kein Haar gekrümmt,
Kein Fleck an den sie tragenden Gewändern,
Die frischer wie zuvor. Wie du mich hießest,
Zerstreut' ich sie in Rotten auf der Insel.
Den Sohn des Königs landet' ich für sich
Und ließ ihn dort, die Luft mit Seufzern kühlend:
In einem öden Winkel sitzt er, schlingt
Betrübt die Arme so.
PROSPERO.
Was machtest du,
Sag, mit dem Schiff des Königs, den Matrosen,
Der Flotte ganzem Rest?
ARIEL.
Still liegt im Hafen
Des Königs Schiff in tiefer Bucht, allwo
Du einst um Mitternacht mich aufriefst, Tau
Zu holen von den stürmischen Bermudas;
Das Seevolk sämtlich in den Raum gepackt,[606]
Wo ich durch Zauber nebst bestand'ner Müh'
Sie schlafend ließ; der Rest der Flotte endlich,
Den ich zerstreut, hat wieder sich vereint
Und kehrt nun auf der Mittelländ'schen Welle
Voll Trauer heim nach Napel,
Der Meinung, daß sie scheitern sahn das Schiff
Des Königs und sein hohes Haupt versinken.
PROSPERO.
Dein Auftrag, Ariel. ist genau erfüllt,
Doch gibt's noch mehr zu tun. Was ist's am Tage?
ARIEL.
Schon über Mittagszeit.
PROSPERO.
Zwei Stundengläser
Aufs wenigste. Die Zeit von hier bis sechs
Bedürfen wir zum kostbarsten Gebrauch.
ARIEL.
Mehr Arbeit noch? Da du mir Mühe gibst,
So laß mich dich an dein Versprechen mahnen,
Das mir noch nicht erfüllt ist.
PROSPERO.
Seht mir! Mürrisch?
Was kannst du denn verlangen?
ARIEL.
Meine Freiheit.
PROSPERO.
Eh' deine Zeit noch um? Kein Wort!
ARIEL.
O bitte!
Bedenk', ich hab' dir braven Dienst getan;
Ich log dir nie was vor, versah dir nichts,
Und murrt' und schmollte niemals. Du versprachst mir
Ein volles Jahr Erlaß.
PROSPERO.
Vergißt du denn,
Von welcher Qual ich dich befreite?
ARIEL.
Nein.
PROSPERO.
Ja doch, und achtest groß es, zu betreten
Der salzen Tiefe Schlamm,
Zu rennen auf des Nordens scharfem Wind,
Mein Werk zu schaffen in der Erde Adern,
Wann sie von Froste starrt.
ARIEL.
Fürwahr nicht, Herr.
PROSPERO.
Du lügst, boshaftes Ding! Vergaßest du
Die Hexe Sycorax, die Neid und Alter
Gekrümmt in einen Reif? Vergaßt du sie?
ARIEL.
Nein, Herr.[607]
PROSPERO.
Ja, sag' ich. Sprich, wo war sie her?
ARIEL.
Aus Algier, Herr.
PROSPERO.
Ha, so? Ich muß dir einmal
In jedem Mond vorhalten, was du bist;
Denn du vergißt es. Die verruchte Hexe,
Die Sycorax, ward für unzähl'ge Frevel
Und Zauberei'n, wovor ein menschlich Ohr
Erschrecken muß, von Algier, wie du weißt,
Verbannt; um eines willen, das sie tat,
Verschonten sie ihr Leben. Ist's nicht wahr?
ARIEL.
Ja, Herr.
PROSPERO.
Die Unholdin ward schwanger hergebracht.
Hier ließen sie die Schiffer. Du, mein Sklav'
(So sagst du selbst aus), warst ihr Diener damals.
Allein da du, ein allzuzarter Geist,
Ihr schnödes fleischliches Geheiß zu tun,
Dich ihrem großen Werk entzogst, verschloß sie
Mit ihrer stärkern Diener Hülfe dich,
In ihrer höchsten unbezähmbar'n Wut,
In einer Fichte Spalt; ein Dutzend Jahre
Hielt diese Kluft dich peinlich eingeklemmt.
Sie starb in dieser Zeit und ließ dich da,
Wo du Gestöhn ausstießest, unablässig,
Wie Mühlenräder klappern. Damals zierte
(Bis auf ein scheckig Wechselbalg, den Sohn,
Den sie hier warf) noch menschliche Gestalt
Dies Eiland nicht.
ARIEL.
Ja, Caliban, ihr Sohn.
PROSPERO.
So sag' ich, dummes Ding! Der Caliban,
Der jetzt mir dienstbar ist. Du weißt am besten,
In welcher Marter ich dich fand. Dein Ächzen
Durchdrang der nie gezähmten Bären Brust
Und machte Wölfe heulen; eine Marter
War's für Verdammte, welche Sycorax
Nicht wieder lösen konnte: meine Kunst,
Als ich hieher kam und dich hörte, hieß
Die Fichte gähnen und heraus dich lassen.
ARIEL.
Ich dank' dir, Meister.[608]
PROSPERO.
Wenn du mehr noch murrst,
So will ich einen Eichbaum spalten und
Dich in sein knot'ges Eingeweide keilen,
Bis du zwölf Winter durchgeheult.
ARIEL.
Verzeih'!
Ich will mich ja Befehlen fügen, Herr,
Und ferner zierlich spüken.
PROSPERO.
Tu' das, und in zwei Tagen
Entlass' ich dich.
ARIEL.
Das sprach mein edler Meister.
Was soll ich tun? O sag, was soll ich tun?
PROSPERO.
Geh, werde gleich 'ner Nymphe! Dich erkenne
Nur mein und dein Gesicht: sei unsichtbar
Für jedes Auge sonst. Nimm diese Bildung
Und komm darin zurück. Geh! Fort! mit Eile!
Ariel ab.
Erwach', mein Herz! Erwach'! Hast wohl geschlafen:
Erwach'!
MIRANDA.
Das Wunderbare der Geschichte
Befing mit Schlaf mich.
PROSPERO.
Schüttl' ihn ab! Komm, laß uns
Zu Caliban, dem Sklaven, gehn, der nie
Uns freundlich Antwort gibt.
MIRANDA.
Er ist ein Bösewicht,
Den ich nicht ansehn mag.
PROSPERO.
Doch, wie's nun steht,
Ist er uns nötig; denn er macht uns Feuer,
Holt unser Holz, verrichtet mancherlei,
Das Nutzen schafft. He, Sklave! Caliban!
Du Erdkloß, sprich!
CALIBAN drinnen.
's ist Holz genug im Hause.
PROSPERO.
Heraus! sag' ich: es gibt noch andre Arbeit.
Schildkröte, komm! Wann wird's?
Ariel kommt zurück in Gestalt einer Wassernymphe.
Ach, schönes Luftbild! Schmucker Ariel,
Hör' insgeheim!
ARIEL.
Mein Fürst, es soll geschehen.
Ab.[609]
PROSPERO.
Du gift'ger Sklav', gezeugt vom Teufel selbst
Mit deiner bösen Mutter! Komm heraus!
Caliban kommt.
CALIBAN.
So böser Tau, als meine Mutter je
Von faulem Moor mit Rabenfedern strich,
Fall' auf euch zwei! Ein Südwest blas' euch an
Und deck' euch ganz mit Schwären!
PROSPERO.
Dafür, verlaß dich drauf, sollst du zu Nacht
In Krämpfen liegen, Seitenstiche haben,
Die dir den Odem hemmen; Igel sollen
Die Nachtzeit durch, wo sie sich rühren dürfen,
An dir sich üben; zwicken soll dich's dicht
Wie Honigzellen, jeder Zwick mehr stechen
Als Bienen, die sie baun.
CALIBAN.
Ich muß zu Mittag essen. Dieses Eiland
Ist mein, von meiner Mutter Sycorax,
Das du mir wegnimmst. Wie du erstlich kamst,
Da streicheltest du mich und hielt'st auf mich,
Gabst Wasser mir mit Beeren drein und lehrtest
Das große Licht mich nennen und das kleine,
Die brennen tags und nachts; da liebt' ich dich
Und wies dir jede Eigenschaft der Insel:
Salzbrunnen, Quellen, fruchtbar Land und dürres.
Fluch, daß ich's tat, mir! Alle Zauberei
Der Sycorax, Molch, Schröter, Fledermaus befall' Euch!
Denn ich bin, was Ihr habt an Untertanen,
Mein eigner König sonst; und stallt mich hier
In diesen harten Fels, derweil Ihr mir
Den Rest des Eilands wehrt.
PROSPERO.
Du lügnerischer Sklav',
Der Schläge fühlt, nicht Güte! Ich verpflegte,
Kot wie du bist, dich menschlich; nahm dich auf
In meiner Zell', bis du versucht zu schänden
Die Ehre meines Kindes.
CALIBAN.
Ho, ho! Ich wollt', es wär' geschehn. Du kamst
Mir nur zuvor, ich hätte sonst die Insel
Mit Calibans bevölkert.[610]
PROSPERO.
Schnöder Sklav',
In welchem keine Spur des Guten haftet,
Zu allem Bösen fähig! Ich erbarmte
Mich deiner, gab mir Müh', zum Sprechen dich
Zu bringen, lehrte jede Stunde dir
Dies oder jenes. Da du, Wilder, selbst
Nicht wußtest, was du wolltest, sondern nur
Höchst viehisch kollertest, versah ich dich
Mit Worten, deine Meinung kund zu tun.
Doch deiner niedern Art, obwohl du lerntest,
Hing etwas an, das edlere Naturen
Nicht um sich leiden konnten: darum wardst du
Verdienterweis' in diesen Fels gesperrt,
Der du noch mehr verdient als ein Gefängnis.
CALIBAN.
Ihr lehrtet Sprache mir, und mein Gewinn
Ist, daß ich weiß zu fluchen. Hol' die Pest Euch
Fürs Lehren Eurer Sprache!
PROSPERO.
Fort, Hexenbrut!
Schaff Holz her, und sei hurtig, rat' ich dir,
Um andres noch zu leisten! Zuckst du, Unhold?
Wenn du versäumest oder ungern tust,
Was ich befehle, foltr' ich dich mit Gichtern,
Füll' dein Gebein mit Schmerzen, mach' dich brüllen,
Daß Bestien zittern vor dem Lärm.
CALIBAN.
Nein, bitte!
Beiseit.
Ich muß gehorchen; seine Kunst bezwänge
Wohl meiner Mutter Gott, den Setebos,
Und macht' ihn zum Vasallen.
PROSPERO.
Fort denn, Sklav'!
Caliban ab.
Ariel kommt unsichtbar, spielend und singend. Ferdinand folgt ihm.
ARIEL.
Kommt auf diesen gelben Strand!
Fügt Hand in Hand!
Wann ihr euch geküßt, verneigt
(Die See nun schweigt):
Hier und dort behende springt,[611]
Und den Chor, ihr Geister, singt!
Horch! Horch!
ZERSTREUTE STIMMEN.
Wau! Wau!
Es bellt der Hund:
ZERSTREUTE STIMMEN.
Wau! Wau!
Horch! Horch!
Der Hahn tut seine Wache kund,
Er kräht: Kikiriki!
FERDINAND.
Wo ist wohl die Musik? In der Luft? Auf Erden? –
Sie spielt nicht mehr: – sie dienet einem Gott
Der Insel sicherlich. Ich saß am Strand
Und weint' aufs neu' den König, meinen Vater:
Da schlich sie zu mir über die Gewässer
Und lindert' ihre Wut und meinen Schmerz
Mit süßer Melodie; dann folgt' ich ihr,
Sie zog vielmehr mich nach. Nun ist sie fort;
Da hebt sie wieder an.
ARIEL singt.
Fünf Faden tief liegt Vater dein:
Sein Gebein wird zu Korallen;
Perlen sind die Augen sein:
Nichts an ihm, das soll verfallen,
Das nicht wandelt Meereshut
In ein reich und seltnes Gut.
Nymphen läuten stündlich ihm,
Da horch! ihr Glöcklein – Bim! Bim! Bim!
CHOR.
Bim! Bim! Bim!
FERDINAND.
Das Liedlein spricht von meinem toten Vater.
Dies ist kein sterblich Tun; der Ton gehört
Der Erde nicht: jetzt hör' ich droben ihn.
PROSPERO.
Zieh' deiner Augen Fransenvorhang auf
Und sag, was siehst du dort?
MIRANDA.
Was ist's? Ein Geist?
O Himmel, wie's umherschaut! Glaubt mir, Vater,
's ist herrlich von Gestalt; doch ist's ein Geist.
PROSPERO.
Nein, Kind, es ißt und trinkt, hat solche Sinne
Wie wir ganz so. Der Knabe, den du siehst,
War bei dem Schiffbruch, und entstellt' ihn Gram,
Der Schönheit Wurm, nicht, nenntest du mit Recht[612]
Ihn wohlgebildet. Er verlor die Freunde
Und schweift umher nach ihnen.
MIRANDA.
Nennen möcht' ich
Ein göttlich Ding ihn: nichts Natürliches
Sah ich so edel je.
PROSPERO beiseit.
Ich seh', es geht
Nach Herzenswunsch. Geist! lieber Geist! Dafür
Wirst in zwei Tagen frei.
FERDINAND.
Gewiß die Göttin,
Der die Musik dient. – Gönnet meinem Wunsch
Zu wissen, ob Ihr wohnt auf dieser Insel;
Wollt Anleitung mir geben, wie ich hier
Mich muß betragen; meiner Bitten erste,
Zuletzt gesagt, ist diese: schönes Wunder,
Seid Ihr ein Mädchen oder nicht?
MIRANDA.
Kein Wunder,
Doch sicherlich ein Mädchen.
FERDINAND.
Meine Sprache! Himmel!
Ich bin der Höchste derer, die sie reden,
Wär' ich, wo man sie spricht.
PROSPERO.
Der Höchste? Wie?
Was wärst du, hörte dich der König Napels?
FERDINAND.
Ein Wesen, wie ich jetzo bin, erstaunt,
Daß du von Napel redest. Er vernimmt mich;
Ich weine, daß er's tut; ich selbst bin Napel
Und sah mit meinen Augen, ohne Ebbe
Seitdem, den König, meinen Vater, sinken.
MIRANDA.
O welch ein Jammer!
FERDINAND.
Ja glaubt es mir, samt allen seinen Edlen,
Der Herzog Mailands und sein guter Sohn
Auch unter dieser Zahl.
PROSPERO.
Der Herzog Mailands
Und seine beßre Tochter könnten leicht
Dich wider legen, wär' es an der Zeit. –
Beiseit.
Beim ersten Anblick tauschten sie die Augen.
Mein zarter Ariel, für diesen Dienst
Entlass' ich dich. – Ein Wort, mein Herr! Ich fürchte,
Ihr habt Euch selbst zu nah getan: ein Wort![613]
MIRANDA.
Was spricht mein Vater nur so rauh! Dies ist
Der dritte Mann, den ich gesehn; der erste,
Um den ich seufzte. Neig' auf meine Seite
Den Vater Mitleid doch!
FERDINAND.
Oh, wenn ein Mädchen,
Und Eure Neigung frei noch, mach' ich Euch
Zur Königin von Napel.
PROSPERO.
Sanft, Herr ! Noch ein Wort! –
Beiseit.
Eins ist des andern ganz: den schnellen Handel
Muß ich erschweren, daß nicht leichter Sieg
Den Preis verringre. – Noch ein Wort! Ich sag' dir,
Begleite mich! Du maßest einen Namen
Dir an, der dein nicht ist; und hast die Insel
Betreten als Spion, mir, ihrem Herrn,
Sie zu entwenden.
FERDINAND.
Nein, bei meiner Ehre!
MIRANDA.
Nichts Böses kann in solchem Tempel wohnen.
Hat ein so schönes Haus der böse Geist,
So werden gute Wesen neben ihm
Zu wohnen trachten.
PROSPERO.
Folge mir! – Du, sprich
Nicht mehr für ihn, 's ist ein Verräter. – Komm,
Ich will dir Hals und Fuß zusammen schließen;
Seewasser soll dein Trank sein, deine Nahrung
Bachmuscheln, welke Wurzeln, Hülsen, die
Der Eichel Wiege sind. Komm, folge!
FERDINAND.
Nein!
Ich widerstehe der Begegnung, bis
Mein Feind mich übermannt.
Er zieht.
MIRANDA.
O lieber Vater,
Versucht ihn nicht zu rasch! Er ist ja sanft
Und nicht gefährlich.
PROSPERO.
Seht doch! will das Ei
Die Henne meistern? Weg dein Schwert, Verräter!
Du drohst, doch wagst du keinen Streich, weil Schuld
Dir das Gewissen drückt. Steh nicht zur Wehr!
Ich kann dich hier mit diesem Stab entwaffnen,
Daß dir das Schwert entsinkt.[614]
MIRANDA.
Ich bitt' Euch, Vater!
PROSPERO.
Fort! Häng' dich nicht an meinen Rock!
MIRANDA.
Habt Mitleid!
Ich sage gut für ihn.
PROSPERO.
Schweig'! Noch ein Wort,
Und schelten müßt' ich dich, ja hassen. Was?
Wortführerin für den Betrüger? Still!
Du denkst, sonst gäb' es der Gestalten keine,
Weil du nur ihn und Caliban gesehn.
Du töricht Mädchen! Mit den meisten Männern
Verglichen, ist er nur ein Caliban,
Sie Engel gegen ihn.
MIRANDA.
So hat in Demut
Mein Herz gewählt; ich hege keinen Ehrgeiz,
Einen schönern Mann zu sehn.
PROSPERO zu Ferdinand.
Komm mit! Gehorch'!
Denn deine Sehnen sind im Stand der Kindheit
Und haben keine Kraft.
FERDINAND.
Das sind sie auch:
Die Lebensgeister sind mir wie im Traum
Gefesselt. Meines Vaters Tod, die Schwäche,
So ich empfinde, aller meiner Freunde
Verderben, oder dieses Mannes Drohn,
In dessen Hand ich bin, ertrüg' ich leicht,
Dürft' ich nur einmal tags aus meinem Kerker
Dies Mädchen sehn! Mag Freiheit alle Winkel
Der Erde sonst gebrauchen: Raum genug
Hab' ich in solchem Kerker.
PROSPERO.
Es wirkt. – Komm mit!
Zu Ariel.
Das hast du gut gemacht, mein Ariel! –
Folgt mir!
Zu Ferdinand und Miranda.
Zu Ariel.
Vernimm, was sonst zu tun ist!
Spricht heimlich mit ihm.
MIRANDA.
Seid getrost!
Mein Vater, Herr, ist besserer Natur,
Als seine Red' ihn zeigt; was er jetzt tat,
Ist ungewohnt von ihm.[615]
PROSPERO.
Frei sollst du sein.
Wie Wind' auf Bergen: tu' nur Wort für Wort,
Was ich dir aufgetragen!
ARIEL.
Jede Silbe.
PROSPERO.
Kommt, folgt mir! – Sprich du nicht für ihn!
Alle ab.[616]
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sturm
|
Buchempfehlung
Pan Tadeusz erzählt die Geschichte des Dorfes Soplicowo im 1811 zwischen Russland, Preußen und Österreich geteilten Polen. Im Streit um ein Schloß verfeinden sich zwei Adelsgeschlechter und Pan Tadeusz verliebt sich in Zosia. Das Nationalepos von Pan Tadeusz ist Pflichtlektüre in Polens Schulen und gilt nach der Bibel noch heute als meistgelesenes Buch.
266 Seiten, 14.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro